Bundespatentgericht, Beschluss vom 27.01.2015, Az. 27 W (pat) 5/14

27. Senat | REWIS RS 2015, 16559

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - „Lönneberga“ – kein Freihaltungsbedürfnis


Leitsatz

Lönneberga

1) Die bloße theoretische Möglichkeit, dass sich in dem kleinen schwedischen Ort Lönneberga Unternehmen ansiedeln könnten, führt nicht zu einem Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

2) Das deutsche Publikum wird Lönneberga nicht als realen Ortsnamen verstehen, da es ihnen nur aus Büchern bekannt ist, die sonst Phantasienamen wie Bullerbyn enthalten.

3) Die Geschichten von Astrid Lindgreen verleihen den Ortsnamen kein Image, das Waren beschreiben.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 306 58 379 – [X.]/13 Lösch

hat der 27. Senat ([X.]) des [X.] am 27. Januar 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Dr. [X.], des [X.] [X.] und der Richterin Werner

beschlossen:

[X.] Auf die Beschwerde der Markeninhaber wird der Beschluss der Markenabteilung 3.4 des [X.] vom 4. Dezember 2013 aufgehoben.

I[X.] Der Löschungsantrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am [X.] angemeldete Wortmarke Nr. 306 58 379

2

[X.]

3

ist noch für die Waren

        

4

Klasse 18: Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten Klasse 25: Bekleidung und Kopfbedeckungen

        

5

eingetragen.

6

Der Antragsteller hat mit [X.] vom 22.03.2013, beim [X.] am gleichen Tag eingegangen, die vollständige Löschung der Marke gemäß § 50 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] beantragt, weil es sich bei [X.] um einen Ort in [X.] handle, welcher insbesondere aus den Geschichten des „[X.]" von [X.] weltbekannt sei. Die Kennzeichnung „[X.]" wirke daher ausschließlich als Hinweis auf die geographische Herkunft damit versehener Waren. Obwohl der Ort [X.] sehr klein sei, sei nicht ausgeschlossen, dass die Einwohner von [X.] die in Rede stehenden Waren herstellten und vertrieben. Es gebe einen großen Markt für handgefertigte und hochwertige Produkte. Jedenfalls sei es nicht ausgeschlossen, dass in der Zukunft in [X.] solche Waren hergestellt und vertrieben würden. Die Bekanntheit des Ortes „[X.]" belegten zudem ein Wikipedia- Eintrag und … Ergebnisse zu einer Suchanfrage nach „[X.]".

        

7

Die Markeninhaber haben dem ihnen am 15.04.2013 zugestellten Löschungsantrag am 17.06.2013 widersprochen und ausgeführt, die ausländische Ortsbezeichnung [X.] sei nicht als Hinweis auf die geographische Herkunft der betroffenen Waren geeignet, da sich der [X.] Ort weder gegenwärtig als Sitz entsprechender Herstellungs-, Vertriebs- oder [X.] anbiete, noch mit anderen relevanten Anknüpfungspunkten in Zukunft ernsthaft zu rechnen sei. Am 31.12.2005 habe [X.] lediglich 180 Einwohner gehabt und dehne sich nur auf einer Fläche von einem halben Quadratkilometer aus. Der Ort liege abseits der [X.]n Hauptverkehrsrouten und habe weder [X.] an einen Seehafen noch an das Autobahn- oder [X.]. Soweit ein Verbraucher eine gedankliche Verbindung zwischen der angegriffenen Marke und dem literarischen Werk [X.]s herstelle, werde er nicht auf eine tatsächliche geographische Herkunft abstellen, sondern auf einen Phantasie- oder Sehnsuchtsort. Dementsprechend würden mit „[X.]" ein Restaurant in [X.], eine Bar in [X.] und ein Bio-Laden in [X.] bezeichnet.

8

[X.] [X.]s hat die Marke durch [X.]uss vom 04.12.2013 vollständig gelöscht. Die angegriffene Marke sei eine merkmalsbeschreibende Angabe (gewesen).

9

Der angesprochene Verbraucher erkenne aufgrund des Kinderbuches „[X.]" von [X.] in dem angemeldeten Markenwort „[X.]" ohne weiteres die [X.] Ortsangabe. Ihm fehle aber ein fundiertes Wissen über den tatsächlich existierenden Ort, insbesondere bezüglich Größe, Lage, Infrastruktur oder wirtschaftlicher Bedeutung. Die Angabe „[X.]" spreche den Verbraucher auf [X.] an und erwecke in ihm positive Kindheitserinnerungen. Darüber hinaus rufe sie Vorstellungen von Urtümlichkeit und Heimeligkeit hervor. Die Herstellung handgefertigter Bekleidung und Taschen könne trotz der geringen Einwohnerzahl auch tatsächlich in [X.] geschehen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Markeninhaber.

Die große Anzahl von Ergebnissen zur Suchanfrage „[X.]" erwecke einen fehlerhaften Eindruck von der Bekanntheit des [X.]n Ortes, da die meisten der Suchergebnisse das literarische Werk [X.]s zum Inhalt hätten. Auch die Existenz eines der Marke entsprechenden [X.] sei keineswegs per se geeignet, die Schutzfähigkeit zu verneinen. Im Löschungsverfahren sei im Zweifel zugunsten der Marke zu entscheiden. Auch nach der [X.] des [X.] reiche für die Bewertung der Marke als nicht eintragungsfähige geographische Angabe eine lediglich spekulative Prognose zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklungen nicht aus. Eine geforderte realitätsbezogene Prognose verbiete aber die Annahme, dass künftig Taschen, Bekleidung oder Kopfbedeckungen, die aus der kleinen Ortschaft [X.] stammten, in [X.] angeboten würden. Auch bringe der Verbraucher den Ort [X.] nicht mit der betreffenden Warengruppe in Verbindung.

Die Markeninhaber beantragen,

den [X.]uss der Markenabteilung vom 04.12.2013 aufzuheben und den Löschungsantrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

In seinem [X.] vom 14.07.2014 bezieht er sich in erster Linie auf die Begründung des [X.]usses der Markenabteilung.

II.

Über die zulässige Beschwerde der Markeninhaber kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da der Beschwerdegegner keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat und die Beschwerde in der Sache Erfolg hat.

Der Löschungsantrag ist zulässig, insbesondere innerhalb der 10-Jahresfrist nach § 50 Abs. 2 S. 2 [X.] gestellt worden.

Der angegriffene [X.]uss äußert sich zwar explizit nur zur Schutzfähigkeit der angegriffenen Marke im Zeitpunkt der Eintragung, nicht aber der Anmeldung. Aufgrund des geringen zeitlichen Abstandes zwischen Anmeldung und Eintragung ist vorliegend jedoch davon auszugehen, dass die Beurteilung zu beiden Zeitpunkten identisch ausfällt. Weder die Bekanntheit des Ortes „[X.]" bei den angesprochenen Verkehrskreisen, noch die tatsächlichen Gegebenheiten dort haben sich seit dem Anmeldetag am [X.] in signifikanter Weise geändert. Die Geschichten des „[X.]" von [X.], auf denen die Bekanntheit des Ortes [X.] voranging basiert, wurden ab 1963 veröffentlicht und Anfang der 70er Jahre verfilmt. Sie erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit.Anhaltspunkte für die Existenz einschlägiger Herstellungsunternehmen fehlen bis zum heutigen Zeitpunkt. Die Wahrscheinlichkeit der Eröffnung solcher Betriebe im Zuge künftiger wirtschaftlicher Entwicklungen hat sich seit 2006 ebenfalls nicht wesentlich geändert.

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] sind von der Eintragung ausgeschlossen Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die u.a. zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen oder zur Erbringung sonstiger Merkmale von Waren und Dienstleistungen dienen können. Die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.], die in Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Buchst c Markenrichtlinie ergangen ist, verfolgt das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass unmittelbar warenbeschreibende Angaben, einschließlich solcher über die geographische Herkunft, von [X.] frei verwendet werden können ([X.] [X.], 723, 725, Nr. 25 - [X.]). Im Vordergrund stehen dabei die Interessen der Mitbewerber auf dem Markt. Einer Registrierung von geographischen Bezeichnungen steht generell das Allgemeininteresse entgegen, welches insbesondere darauf beruht, dass diese Bezeichnungen nicht nur die Qualität und andere Eigenschaften der betreffenden Warengruppen anzeigen, sondern auch die Vorlieben der Verbraucher in anderer Weise beeinflussen können, etwa dadurch, dass diese eine Verbindung zwischen den Waren und einem Ort herstellen, mit dem sie positiv besetzte Vorstellungen verbinden ([X.] [X.], 723, 725, Nr. 26 - [X.]). Für die Frage der Schutzfähigkeit geographischer Herkunftsangaben ist daher maßgeblich, ob angesichts der objektiven Gesamtumstände, insbesondere der wirtschaftlichen Bedeutung des Ortes und der Infrastruktur der umliegenden Region, die Möglichkeit der Eröffnung von Betrieben zur Produktion der beanspruchten Waren bzw. zur Erbringung der beanspruchten Dienstleistungen vernünftigerweise zu erwarten ist (vgl. [X.], [X.], 723, 726, Nr. 31-34 – [X.]).

Das Eintragungsverbot des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] ist nicht gegeben, sofern auszuschließen ist, dass die betroffenen Waren und Dienstleistungen mit dem als solchen erkennbaren Ort vernünftigerweise in Verbindung gebracht werden können (vgl. [X.], [X.], 723, 726, Nr. 31-34 – [X.]; [X.] GRUR 2010, 534, 536 – [X.]; [X.], 509, 510 – [X.]; [X.], [X.], 666, 672; [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., Rn. 280 zu § 8).

Die Recherchen des Senats haben keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Mitbewerber betreffend Taschen und Bekleidung gegenwärtig oder künftig ein Freihaltungsbedürfnis an der Herkunftsangabe „[X.]“ haben könnten. Auch ist eine nennenswerte wirtschaftliche Entwicklung in diese Richtung für [X.] vernünftigerweise nicht zu erwarten.

Die bloße theoretische Möglichkeit, dass sich in [X.] künftig tatsächlich Betriebe oder Unternehmen zur Textilherstellug ansiedeln könnten, reicht nicht aus, die Anmeldung zurückzuweisen (vgl. [X.]. v. 19. November 2012, 27 W (pat) 571/11 – [X.]; [X.]. v. 27. Januar 2009, 27 W (pat) 15/09 – [X.]; [X.]. v. 7. September 2011, 26 W (pat) 19/11 – [X.]; [X.]. v. 20. November 2006, 26 W (pat) 20/04 – Lichtenauer Wellness).

Das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] setzt voraus, dass die fragliche Angabe zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der beanspruchten Waren dienen kann. Sofern eine solche beschreibende Verwendung noch nicht stattfindet, muss sie vernünftigerweise für die Zukunft zu erwarten sein. Von entscheidender Bedeutung für diese Prognoseentscheidung sind einerseits die tatsächlichen Gegebenheiten und andererseits die Frage, inwieweit diese Gegebenheiten den beteiligten Verkehrskreisen bekannt sind.

Das [X.] Publikum wird das angegriffene Zeichen nicht ohne weiteres als reale [X.] Ortsangabe erkennen, zumal Kinderbücher, auch von [X.], häufig Phantasienamen verwenden. Die Verbraucher nehmen Ortsangaben, die sie nur aus Geschichten kennen, als erfundene Bezeichnungen, wie z.B. bei [X.] oder [X.], die [X.] ebenfalls verwendet, die aber keine realen Ortsbezeichnungen sind.

Außerdem ist das Eintragungsverbot des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] dadurch überwunden, dass einschlägige Herstellungsbetriebe in besagtem Ort seit 2005 nicht existieren und die Eröffnung solcher Betriebe auch im Zuge künftiger wirtschaftlicher Entwicklungen vernünftiger Weise nicht zu erwarten ist. Angesichts der Größe, Struktur und Bedeutung der Ortschaft [X.] handelt es sich bei ihrem Namen um eine nicht i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] freihaltebedürftige geographische Herkunftsangabe.

 Der Senat folgt der Auffassung der Markenabteilung, dass ein Schutzhindernis auch bei geographischen Angaben besteht, die die Vorlieben der Verbraucher in sonstiger Weise beeinflussen können, zum Beispiel dadurch, dass diese eine Verbindung zwischen Waren und einem Ort herstellen, mit dem sie positiv besetzte Vorstellungen verknüpfen, nicht. Die Geschichten von [X.] haben keinen Inhalt, der bestimmte Eigenschaften von Waren vorgibt.

Aus diesen Gründen war der Beschwerde stattzugeben.

Meta

27 W (pat) 5/14

27.01.2015

Bundespatentgericht 27. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 27.01.2015, Az. 27 W (pat) 5/14 (REWIS RS 2015, 16559)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16559

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