Bundessozialgericht, Urteil vom 08.09.2015, Az. B 1 KR 14/14 R

1. Senat | REWIS RS 2015, 5754

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Kostenerstattung - Krankenhausbehandlung (hier: kurative Protonentherapie zur Behandlung eines metastasierenden Nierentumors) - Notfall - unaufschiebbare Leistung - fehlende Kostenbelastung - grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts - Sonderrechtsnachfolge


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 16. Januar 2014 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Protonentherapie.

2

Bei der Protonentherapie beschießen Teilchenbeschleuniger Tumoren mit aus Wasserstoff gewonnenen Protonen. Die Protonentherapie soll nach Auffassung ihrer Anwender Tumoren zielgenauer mit einer höheren Wirkdosis bei geringerer Schädigung des umliegenden gesunden Gewebes bestrahlen können. Die Klägerin war Ehefrau und ist Sonderrechtsnachfolgerin des bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versichert gewesenen, am 3.7.2015 verstorbenen [X.] (im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte litt an einem metastasierenden Nierentumor und unterzog sich ab 2003 mehreren Operationen (ua Resektionen von Niere, Bauchspeicheldrüse, Milz, Zwerchfell, Rippen, Lymphknoten, Magen, Lunge, [X.], [X.]). Seit Mitte 2010 fanden sich beim Versicherten progrediente parakardiale pleuraständige pulmonale Metastasen (3.1.2011: [X.] mehr als 20 % nach [X.]). Der Versicherte fragte beim R. ([X.]) wegen einer Protonentherapie an (10.1.2011). Hiervon setzte er die Beklagte in Kenntnis und teilte mit, nach [X.] und Kostenmitteilung werde er einen Antrag auf Kostenübernahme stellen (11.1.2011). Am [X.] übersandte er der Beklagten einen Kostenvoranschlag der Chirurgischen Klinik Dr. R. (im Folgenden: [X.]-Träger) über 18 978,45 Euro und überwies dem [X.]-Träger - wie gefordert - diesen Betrag (4.2.2011). Der Versicherte buchte zudem einen Flug nach [X.], um sich am 16.2.2011 im [X.] vorzustellen ([X.]). Die Beklagte holte eine erste Stellungnahme des [X.] ([X.]) ein ([X.]) und lehnte die Übernahme der Kosten ab (11.2.2011). Hiergegen legte der Versicherte Widerspruch ein (14.2.2011) und ließ sich ab 16.2.2011 im [X.] behandeln (schriftlicher Behandlungsvertrag vom 16.2.2011). Der [X.]-Träger stellte dem Versicherten 18 978,45 Euro in Rechnung (31.3.2011; kurative Protonentherapie in der [X.] vom 7. bis 28.3.2011), die mit der Vorauszahlung bereits beglichen war. Nach einem weiteren [X.]-Gutachten (2[X.]) wies die Beklagte den Widerspruch zurück ([X.]). Der Versicherte ist mit seiner Klage auf Erstattung der 18 978,45 Euro beim [X.] erfolglos geblieben (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Versicherte habe die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 [X.]B V nicht erfüllt. Die Behandlung sei nicht unaufschiebbar gewesen, denn es habe, wie der [X.]ablauf belege, kein Notfall vorgelegen. Dem Versicherten seien auch keine Behandlungskosten wegen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten entstanden, weil er sich bereits zuvor auf die Behandlung durch das [X.] festgelegt habe. Außerdem habe der [X.]-Träger keinen rechtswirksamen Vergütungsanspruch gegen den Versicherten erlangt, weil er keine mit der Gebührenordnung für Ärzte ([X.]) konforme Rechnung gestellt habe. Hiernach könne offenbleiben, ob die Protonentherapie dem [X.] entspreche (Urteil vom 16.1.2014).

3

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 13 Abs 1 iVm Abs 3 S 1 [X.]B V, des § 76 Abs 1 S 2 [X.]B V, des § 2 Abs 1a [X.]B V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip sowie der Art 2 Abs 2 und Art 3 GG. Es fehle nicht an der Kausalität der Ablehnung der Beklagten für die entstandenen Kosten. Im Übrigen sei die Behandlung unaufschiebbar gewesen. Der Versicherte habe zudem schon nach den Grundsätzen über die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts Anspruch auf die Behandlung gehabt. Der [X.]-Träger habe die Abrechnung auch nicht nach der [X.] erstellen müssen.

4

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 16. Januar 2014 und des [X.] vom 18. September 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 18 978,45 Euro zu zahlen,

hilfsweise,

das Urteil des [X.] vom 16. Januar 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

8

Ob die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung von 18 978,45 Euro Kosten für die vom Versicherten selbst beschaffte Protonentherapie am [X.] hat, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Es beruht auf der Verletzung materiellen Rechts. Das [X.] hat zwar in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Erstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 [X.] Fall 2 SGB V verneint (dazu 1.), aber unzureichende Feststellungen zu einem Erstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 [X.] Fall 1 SGB V getroffen. Es steht nicht fest, dass die Voraussetzungen dieses Anspruchs erfüllt sind (dazu 2.). Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (dazu 3.).

9

1. Die Voraussetzungen des [X.] gemäß § 13 Abs 3 [X.] Fall 2 SGB V (idF durch Art 1 [X.] Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21.12.1992, [X.] 2266) sind nicht erfüllt. Die Rechtsnorm bestimmt: "… hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der [X.] begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB [X.], 161 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]; [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]; BSG [X.]-2500 § 31 [X.] Rd[X.] mwN). Daran fehlt es bereits, wenn die [X.] vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem [X.] gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr des Senats; vgl [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]0 mwN). Daran fehlt es aber auch, wenn - wie vorliegend - der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der [X.] ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die [X.] den Antrag ablehnen sollte (vgl zur Vorfestlegung als den Anspruch nach § 13 Abs 3 [X.] Fall 2 SGB V ausschließendes Verhalten BSG [X.]-2500 § 13 [X.] Rd[X.] mwN; [X.], 289 = [X.]-2500 § 27 [X.], Rd[X.] 35; [X.], 241 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 30; [X.] in [X.], Handbuch der Krankenversicherung, [X.], [X.], Stand April 2015, § 13 SGB V Rd[X.]60).

Das mit einer Entscheidung der [X.] abzuschließende Verwaltungsverfahren stellt weder einen "Formalismus" in dem Sinne dar, dass es ganz entbehrlich ist (vgl dazu [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]), noch in dem Sinne, dass es zwar durchlaufen werden muss, aber der Versicherte nicht gehalten ist, die Entscheidung der [X.] in seine eigene Entscheidung inhaltlich einzubeziehen, sondern den Abschluss des Verwaltungsverfahrens nur "formal" abwarten muss, jedoch schon vorbereitende Schritte einleiten darf, die Ausdruck seiner Entschlossenheit sind, sich die Leistung in jedem Fall endgültig zu verschaffen. § 13 Abs 3 [X.] Fall 2 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der [X.] geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des [X.] dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der [X.]. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die [X.], verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (vgl [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]). Diese Zwecke der Vorbefassung der [X.] mit dem [X.] des Versicherten werden durch dessen Vorfestlegung vereitelt.

Das [X.] hat - ausgehend von einem zutreffenden Normverständnis - festgestellt, dass der Versicherte unter allen Umständen entschlossen gewesen ist, sich die vom [X.] angebotene Protonentherapie zu verschaffen, und deswegen der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 11.2.2011 die Kostenlast des Versicherten nicht verursacht hat. Das [X.] hat sich hierfür auf die vollständige, vom [X.]-Träger geforderte Zahlung des Rechnungsbetrages im Wege der Vorkasse (4.2.2011), die Buchung des Flugs von [X.] nach [X.] ([X.]) sowie auf Aussagen des Versicherten (Telefonat mit Kundenberater der Beklagten am 11.2.2011) und der Klägerin (Telefonat am [X.]) - allesamt vor Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung der Beklagten - gestützt. Der erkennende Senat ist an diese getroffene Feststellung gebunden, denn die Klägerin hat diesbezüglich keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vorgebracht (vgl § 163 SGG). Soweit sie mit der Revision geltend macht, das [X.] habe es unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) unterlassen, durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu ermitteln, dass für den Versicherten keine andere Behandlungsmöglichkeit mehr bestanden habe, hat sie iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG keine Tatsachen bezeichnet, die einen Mangel der Kausalitätsbeurteilung des [X.] ergeben sollen (vgl § 164 Abs 2 S 3 SGG; näher BSG Urteil vom 11.12.2008 - [X.] V[X.]/08 R - Juris Rd[X.] 68 ff, insoweit in [X.], 149 = [X.]-1100 Art 85 [X.] nicht abgedruckt; [X.], 168 = [X.]-2500 § 31 [X.], Rd[X.]7 f mwN). Vielmehr hat sich die Klägerin insoweit darauf beschränkt, die unzutreffende Rechtsauffassung zu vertreten, dass von Kausalität zwischen ablehnender Entscheidung und Kostenlast des Versicherten immer schon dann auszugehen sei, wenn der Behandlungsbeginn zeitlich später liege als die Bekanntgabe der Entscheidung der [X.]. Nach alledem kann es der Senat offenlassen, ob der Behandlungsvertrag bereits mit der im Wege der Überweisung erfolgten Vorauszahlung des vollständigen Rechnungsbetrages zustande kam oder erst mit dem am 16.2.2011 vom Versicherten unterschriebenen schriftlichen Behandlungsvertrag.

2. Ob die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 [X.] Fall 1 SGB V erfüllt sind, bedarf hingegen weiterer Ermittlungen. Die Rechtsnorm (idF durch Art 1 [X.] Buchst b GSG) bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschie[X.]are Leistung nicht rechtzeitig erbringen … und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Es fehlt an hinreichenden Feststellungen des [X.] zu diesen Voraussetzungen (zur Kostenbelastung näher unter 3.).

a) Die Anwendung dieser Regelung ist nicht schon - wie das [X.] zu Unrecht meint - deswegen ausgeschlossen, weil kein Notfall vorgelegen hat (dazu [X.]). Auch wenn zwischen erstmaliger Anfrage des Versicherten im [X.], seiner persönlichen Vorstellung zur Untersuchung und dem eigentlichen Beginn der Protonenbestrahlung jeweils mehrere Wochen gelegen haben, schließt dieser Zeitablauf eine unaufschie[X.]are Leistung iS des § 13 Abs 3 [X.] Fall 1 SGB V nicht von vornherein aus (dazu [X.]).

[X.]) [X.] vermag grundsätzlich keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 [X.] Fall 1 SGB V zu begründen (vgl [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] mwN), sondern schließt ihn aus. Ist die Behandlung aus medizinischen Gründen so dringlich, dass es bereits an der [X.] eines zugelassenen Therapeuten und dessen Behandlung - sei es durch dessen Aufsuchen oder Herbeirufen - fehlt, also ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss, liegt ein Notfall vor (vgl [X.]-2500 § 76 [X.]; [X.], 6 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 30 mwN; [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]; s ferner zu § 368d [X.]: [X.], 270, 272 = [X.] [X.] zu § 368d [X.]; [X.] 34, 172, 174 = [X.] zu § 368d [X.]). In diesem Fall dürfen auch andere, nicht zugelassene Therapeuten in Anspruch genommen werden und erbringen ihre Leistung als Naturalleistung (§ 76 Abs 1 S 2 SGB V). Der Leistungserbringer kann seine Vergütung nicht vom Versicherten, sondern nur von der [X.] verlangen. Das entspricht bei ärztlichen Leistungen einem allgemeinen Prinzip. So werden in Notfällen von [X.] erbrachte Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und aus der Gesamtvergütung vergütet (vgl [X.] 15, 169 = [X.] [X.] zu § 368d [X.]; [X.] 71, 117, 118 f = [X.] 3-2500 § 120 [X.] [X.]2 f mwN; [X.]-2500 § 76 [X.]; vgl auch [X.], 227 ff). Auch die stationäre Notfallbehandlung eines Versicherten in einem nicht zugelassenen Krankenhaus ist eine Naturalleistung der [X.]. Der Vergütungsanspruch richtet sich nicht gegen den Versicherten, sondern allein gegen die [X.] (vgl [X.] 89, 39, 41 f = [X.] 3-2500 § 13 [X.]5 [X.]18 f). Nach den unangegriffenen Feststellungen des [X.] lag beim Versicherten schon kein Notfall im vorbezeichneten Sinn vor.

[X.]) Es steht nicht fest, dass die Behandlung des Versicherten im [X.] keine unaufschie[X.]are Leistung war, wie das [X.] geschlussfolgert hat. Unaufschie[X.]arkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der [X.] abzuwarten (vgl [X.], 170 = [X.]-2500 § 31 [X.], Rd[X.]3 mwN; [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]). Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG [X.]-2500 § 18 [X.] Rd[X.]8). Soweit der erkennende Senat früher hierzu formuliert hat, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der [X.] zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschie[X.]aren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die [X.] einzuschalten (vgl [X.]-2500 § 13 [X.] [X.]05), hält der Senat hieran nicht fest. Diese Sicht ist zu eng und vernachlässigt die Normstruktur des § 13 Abs 3 [X.]. Die Alternative zur rechtswidrigen Ablehnung des Antrags (§ 13 Abs 3 [X.] Fall 2 SGB V) besteht gerade, um [X.] aufgrund der Unaufschie[X.]arkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner [X.] nicht mehr abwarten kann (vgl auch [X.] in [X.], Handbuch der Krankenversicherung, [X.], [X.], Stand April 2015, § 13 SGB V Rd[X.]50 mwN). Unaufschie[X.]ar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen (vgl [X.]-2500 § 13 [X.] [X.]05) oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der [X.] nicht abzusehen ist. Es betrifft auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der [X.] stellte, aber wegen Unaufschie[X.]arkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte.

Aufgrund fehlender Feststellungen des [X.] zum Gesundheitszustand des Versicherten, als er die Vorauszahlung leistete und den Flug nach [X.] buchte, kann angesichts der Komplexität der Protonentherapie einschließlich notwendiger Vorbereitungs- und Planungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden, dass diese vom Versicherten unternommenen Schritte unaufschie[X.]ar waren, um sich die ärztliche Behandlung noch in einem Zeitpunkt zu beschaffen, in dem der erstrebte Erfolg erreicht werden konnte.

b) Die medizinische Dringlichkeit ist indessen nicht allein ausschlaggebend. Der Anspruch aus § 13 Abs 3 [X.] Fall 1 und 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine [X.]. Durch die Kostenerstattungsregelung in § 13 Abs 3 SGB V soll lediglich in Fällen eines Systemversagens eine Lücke in dem durch das Sachleistungssystem der [X.] garantierten Versicherungsschutz geschlossen werden. Trotz Unaufschie[X.]arkeit hat die [X.] nicht einzustehen, wenn der Versicherte sich eine Maßnahme beschafft hat, die unter jedem Gesichtspunkt (selbst unter demjenigen des Systemversagens) vom Leistungskatalog der [X.] ausgeschlossen ist. Infolgedessen besteht der Kostenerstattungsanspruch unabhängig von der Eilbedürftigkeit nur für medizinische Maßnahmen, die ihrer Art nach oder allgemein von den [X.]n als Sachleistungen zu erbringen sind ([X.], 161 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]1; [X.], 112 = [X.]-2500 § 31 [X.], Rd[X.]4) oder nur deswegen nicht erbracht werden können, weil ein Systemversagen die Erfüllung der Leistungsansprüche Versicherter im Wege der Sachleistung gerade ausschließt (vgl zB [X.] 88, 62, 75 = [X.] 3-2500 § 27a [X.]; BSG [X.]-2500 § 28 [X.] Rd[X.]1; [X.], 241 = [X.]-2500 § 13 [X.]; BSG [X.]-2500 § 13 [X.] 32; zum Ganzen [X.], NZS 2007, 461, 464).

Das [X.] hat - von seiner Rechtsauffassung her folgerichtig - weder Feststellungen zu einem etwaigen Systemversagen noch Feststellungen dazu getroffen, ob dies nach dem Prüfregime für die ambulante oder die stationäre Behandlung zu beantworten ist (vgl nur [X.], 241 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]6 ff; dort zu einem auf dem [X.] beruhenden Systemversagen).

c) Es kann dagegen offenbleiben, ob die Beklagte dem Versicherten über die mit dem Bescheid vom 11.2.2011 erfolgte Übersendung des [X.] vom [X.] hinaus, in dem auf das [X.] (HIT) verwiesen wurde, weitere Hinweise zu eventuellen Behandlungsmöglichkeiten des Versicherten hätte geben müssen (vgl auch [X.] 99, 180 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]8 ff), weil der Versicherte nach den bindenden Feststellungen des [X.] ohnehin fest entschlossen gewesen ist, sich am [X.] behandeln zu lassen. Eine mögliche unterlassene Beratung der Beklagten kann danach selbst dann nicht kausal für die Selbstbeschaffung der Leistung gewesen sein, wenn das HIT eine Behandlungsmöglichkeit - und sei es im Rahmen einer klinischen Studie (vgl [X.] 115, 95 = [X.]-2500 § 2 [X.]) - für den Versicherten eröffnet hätte und eine dahingehende Behandlungsnotwendigkeit bestanden hätte.

d) Ebenso hat das [X.] - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, dass die vom Versicherten selbst beschaffte Protonentherapie nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des [X.] notwendig war (zu deren Voraussetzungen vgl nur [X.] 115, 95 = [X.]-2500 § 2 [X.], Rd[X.]8). Sofern die Selbstbeschaffung im oben aufgezeigten Sinn unaufschie[X.]ar gewesen sein sollte und keine andere erfolgversprechende und zumutbare kurative Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung gestanden haben sollte, liegt ein sich auf die grundrechtsorientierte Auslegung des [X.] stützender Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 [X.] Fall 1 SGB V besonders nahe.

3. Entgegen der Auffassung des [X.] scheitert ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 [X.] nicht an einer fehlenden rechtlich wirksamen Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung. Die Rechnung des [X.]-Trägers vom [X.] erforderte keine [X.], weil Leistungserbringer hier kein Arzt oder eine Mehrheit von Ärzten war, sondern der [X.] (vgl entsprechend [X.], 289 = [X.]-2500 § 27 [X.], Rd[X.] 38).

Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass die vereinbarte Vergütung gegen das öffentlich-rechtliche Preisrecht für Krankenhausbehandlungen verstieß. Nach § 1 Abs 1 Krankenhausentgeltgesetz (Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen <[X.]> vom [X.], hier anzuwenden idF durch Art 2 [X.] Buchst a Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem [X.] vom [X.], [X.] 534) werden die vollstationären und teilstationären Leistungen der [X.] nach diesem Gesetz und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze <[X.]> vom [X.], [X.] 1009, hier anzuwenden idF durch Art 1 KHRG) vergütet. Bei dem [X.]-Träger handelt es sich um ein Plankrankenhaus nach dem Krankenhausplan des Freist[X.]tes Bayern (Stand: 1.1.2011, 36. Fortschreibung), der auch einen Versorgungsauftrag für Strahlentherapie hat. Der Behandlungsvertrag bezeichnet die Protonentherapie als ambulante Behandlung, die Rechnung vom [X.] dagegen als teilstationäre Krankenhausbehandlung. Soweit der Versicherte eine teilstationäre Behandlung im rechtlich nicht verselbstständigten [X.] erhalten haben sollte, ist ebenso wenig auszuschließen, dass der [X.]-Träger eine Rechnung nach Maßgabe des [X.], des [X.] und der normenvertraglichen Regelungen hätte stellen müssen, wie auch dass das [X.] vom Versorgungsauftrag ausgenommen sein könnte (vgl aber auch § 17 Abs 1 S 5 [X.] und dazu [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 2402/12, 1 BvR 2684/12 - [X.] 2013, 603). Auch insoweit fehlt es aber an hinreichenden Feststellungen des [X.].

Das [X.] wird die aufgezeigten fehlenden Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 13 Abs 3 [X.] Fall 1 SGB V nun zu treffen haben.

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem [X.] vorbehalten. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es schon deswegen nicht, weil die Klägerin kostenprivilegiert ist (§ 183 [X.] SGG iVm § 56 Abs 1 [X.] [X.] SGB I). Ansprüche nach § 13 Abs 3 [X.] SGG unterfallen nach Sinn und Zweck des § 56 SGB I dessen Anwendungsbereich. Sie sind im Rechtssinne auf "laufende" Geldleistungen gerichtet. Sie knüpfen daran an, dass der Berechtigte regelmäßig zu einer Vorfinanzierung für mehrere Zeitabschnitte gezwungen ist. Sie verlieren ihren Charakter nicht dadurch, dass sie verspätet oder als zusammenfassende Zahlung für mehrere Zeitabschnitte geleistet werden (vgl [X.], 112 = [X.]-2500 § 31 [X.], Rd[X.]0 ff; eingehend [X.], 137 = [X.]-2500 § 13 [X.]5, Rd[X.]1 ff; BSG [X.]-2500 § 60 [X.] Rd[X.]0). Dementsprechend ist es unschädlich, dass der Versicherte den Rechnungsbetrag vorab für mehrere Teile einer Gesamtbehandlung zahlte (Staging: 5 693,54 Euro; Targeting: 3 795,69 Euro; Bestrahlung: 9 489,22 Euro).

Meta

B 1 KR 14/14 R

08.09.2015

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Lübeck, 18. September 2012, Az: S 1 KR 323/11, Urteil

§ 56 SGB 1, § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB 5 vom 21.12.1992, § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB 5 vom 21.12.1992, § 76 Abs 1 S 2 SGB 5, § 1 Abs 1 KHEntgG vom 17.03.2009, Art 2 Abs 2 S 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.09.2015, Az. B 1 KR 14/14 R (REWIS RS 2015, 5754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5754

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