Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. 1 C 31/21

1. Senat | REWIS RS 2022, 9488

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Gegenstand

Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten; Elternnachzug


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 7. September 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist [X.] Staatsangehöriger und begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seinem im [X.] lebenden und als subsidiär schutzberechtigt anerkannten [X.] ([X.]r).

2

Im Mai 2015 floh der Kläger mit seiner Frau und den gemeinsamen acht Kindern in die [X.]. Von dort aus reiste der am 27. Mai 2002 geborene [X.] im Oktober 2015 erstmals in die [X.] ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid des [X.] ([X.]) vom 6. November 2017 wurde er als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt, und ihm wurde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 [X.] erteilt.

3

Am 4. Dezember 2019 beantragte der Kläger die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug beim Generalkonsulat in [X.]. Der Antrag wurde mit Bescheid der Auslandsvertretung vom 15. Mai 2020 abgelehnt.

4

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 7. September 2021 abgewiesen. Ein Anspruch aus § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 [X.] scheitere an der zwischenzeitlich eingetretenen Volljährigkeit des [X.]es. Maßgeblich für die Bestimmung der Minderjährigkeit sei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Aus der Richtlinie 2003/86/[X.] und der hierzu ergangenen EuGH-Rechtsprechung könne der Kläger keine Ansprüche ableiten, weil diese nicht für den Nachzug zum subsidiär Schutzberechtigten gelte. Ein die Volljährigkeit überdauernder Anspruch ergebe sich nicht aus der [X.], deren persönlicher Anwendungsbereich mit Erreichen der Volljährigkeit ende und der auch kein unbedingter Vorrang des Kindeswohls zu entnehmen sei. Der Zweck des Elternnachzuges zum Minderjährigen liege in der Ausübung des Sorgerechts, das nach Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr ausgeübt werden könne. Ein Anspruch folge nicht aus § 36a Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 22 [X.], da dieser Anspruch nur bestehe, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt seien, aber die Visumerteilung an der Überschreitung des Kontingents scheitere. Hier seien aber bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 36a Abs. 1 [X.] nicht erfüllt. [X.] Umstände im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] seien nicht ersichtlich.

5

Zur Begründung der Revision rügt der Kläger (sinngemäß) eine Verletzung von § 36a [X.]. Einem Abstellen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts für die Beurteilung der Minderjährigkeit des [X.]n stehe die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] (Urteil vom 9. September 2021 - [X.]/19 [[X.]:[X.]:C:2021:709] -) entgegen.

6

Die Beklagte und der Beigeladene verteidigen das Urteil des [X.].

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des [X.] ist ni[X.]ht begründet. Im Einklang mit Bundesre[X.]ht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat das Verwaltungsgeri[X.]ht erkannt, dass der Kläger keinen Anspru[X.]h auf Erteilung eines nationalen Visums (§ 6 Abs. 3 [X.]) zum Familienna[X.]hzug zu dem als subsidiär s[X.]hutzbere[X.]htigt anerkannten [X.] hat. Zum maßgebli[X.]hen Zeitpunkt der Ents[X.]heidung des [X.] (1.) hatte er keinen Na[X.]hzugsanspru[X.]h na[X.]h § 36a [X.], weil der Stammbere[X.]htigte ni[X.]ht mehr minderjährig war (2.). Na[X.]h den bindenden Feststellungen des [X.] liegt weder eine dur[X.]h die familiäre Situation begründete außergewöhnli[X.]he Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 [X.] vor (3.), no[X.]h hat der Kläger einen Anspru[X.]h auf Familienna[X.]hzug aus dringenden humanitären Gründen na[X.]h § 22 Satz 1 [X.] (4.).

8

1. Maßgebli[X.]h für die Beurteilung der Sa[X.]h- und Re[X.]htslage ist bei [X.] auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie der vorliegenden - grundsätzli[X.]h der Zeitpunkt der letzten mündli[X.]hen Verhandlung oder Ents[X.]heidung in der Tatsa[X.]heninstanz. Re[X.]htsänderungen, die dana[X.]h eintreten, sind vom Revisionsgeri[X.]ht zu berü[X.]ksi[X.]htigen, wenn sie das [X.], wenn es jetzt ents[X.]hiede, zu bea[X.]hten hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 - BVerwGE 153, 353 Rn. 9 und vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - NVwZ 2019, 417 Rn. 11 m. w. N.). Der Ents[X.]heidung sind daher zum einen das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im [X.] ([X.] - [X.]) vom 30. Juli 2004 ([X.] I S. 1950) in der Fassung der Bekanntma[X.]hung vom 25. Februar 2008 ([X.] I S. 162), zuletzt geändert dur[X.]h Art. 3 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwi[X.]klung des [X.] ([X.] I S. 2467 <2502>), sowie das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntma[X.]hung vom 2. September 2008 ([X.] I S. 1798), zuletzt geändert dur[X.]h das Gesetz vom 23. Mai 2022, zugrunde zu legen. [X.] maßgebli[X.]h sind die Ri[X.]htlinie 2003/86/[X.] vom 22. September 2003 betreffend das Re[X.]ht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 S. 12 - [X.] 2003/86/[X.]) und die Ri[X.]htlinie 2011/95/[X.] des [X.] und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspru[X.]h auf internationalen S[X.]hutz, für einen einheitli[X.]hen Status für Flü[X.]htlinge oder für Personen mit Anre[X.]ht auf subsidiären S[X.]hutz und für den Inhalt des zu gewährenden S[X.]hutzes (ABl. L 337 S. 9 - [X.] 2011/95/[X.]).

9

2. Im Einklang mit Bundesre[X.]ht hat das Verwaltungsgeri[X.]ht einen Anspru[X.]h des [X.] auf Familienna[X.]hzug verneint.

a) Ein sol[X.]her Anspru[X.]h folgt ni[X.]ht aus § 36 Abs. 1 [X.] in der bis zum 31. Juli 2018 gültigen Fassung. Die Vors[X.]hrift findet na[X.]h § 104 Abs. 13 Satz 1 [X.] Anwendung auf den Familienna[X.]hzug zu Ausländern, denen bis zum 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis na[X.]h § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 [X.] erteilt worden ist, wenn der Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwe[X.]ke des Familienna[X.]hzuges zu dem Ausländer bis zum 31. Juli 2018 gestellt worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier ni[X.]ht erfüllt. Dem [X.] wurde eine Aufenthaltserlaubnis am 3. Dezember 2018 erteilt. Der Kläger stellte seinen Visumantrag am 4. Dezember 2019.

b) Einen Anspru[X.]h des [X.] na[X.]h § 36a [X.] hat das Verwaltungsgeri[X.]ht zutreffend verneint, weil der Stammbere[X.]htigte zum maßgebli[X.]hen Zeitpunkt der Ents[X.]heidung des [X.] am 7. September 2021 bereits volljährig war.

aa) Na[X.]h § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 [X.] kann den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis na[X.]h § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 [X.] (als subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigter) besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum für die Einreise und den Aufenthalt zum Familienna[X.]hzug erteilt werden, wenn si[X.]h kein personensorgebere[X.]htigter Elternteil im [X.] aufhält. Die beispielhafte Aufzählung ("insbesondere") der zwingenden humanitären Gründe für die Zusammenführung in § 36a Abs. 2 Satz 1 [X.] nennt unter Nr. 1 die Unmögli[X.]hkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeins[X.]haft seit langer Zeit und in Nr. 2 die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes.

bb) Die si[X.]h daraus ergebende Unglei[X.]hbehandlung des Familienna[X.]hzuges zum anerkannten Flü[X.]htling na[X.]h § 36 Abs. 1 [X.] einerseits und zum subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigten na[X.]h § 36a [X.] andererseits verstößt ni[X.]ht gegen höherrangiges Re[X.]ht.

Sie ist insbesondere mit dem allgemeinen Glei[X.]hheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Soweit dieser dem Normgeber gebietet, wesentli[X.]h Glei[X.]hes glei[X.]h und wesentli[X.]h Unglei[X.]hes unglei[X.]h zu behandeln, und dies sowohl für unglei[X.]he Belastungen als au[X.]h unglei[X.]he Begünstigungen gilt ([X.], Bes[X.]hluss vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 777/85 u. a. - [X.]E 79, 1 <17>), kann offenbleiben, ob anerkannte Flü[X.]htlinge einerseits und subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigte andererseits im Hinbli[X.]k auf die na[X.]h dem sekundären Unionsre[X.]ht bestehenden Unters[X.]hiede im S[X.]hutzstatus überhaupt verglei[X.]hbar sind. Denn eine Unglei[X.]hbehandlung wäre jedenfalls sa[X.]hli[X.]h gere[X.]htfertigt. Sowohl na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] zu Art. 3 GG ([X.], Bes[X.]hlüsse vom 15. Dezember 1959 - 1 BvL 10/55 - [X.]E 10, 234 <246> und vom 3. Oktober 1989 - 1 [X.] u. a. - [X.]E 81, 1 <8>; vgl. au[X.]h [X.], in: [X.], Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 14 ff.) als au[X.]h des [X.]. 14 [X.] ([X.]MR , Urteil vom 24. Mai 2016 - Nr. 38590/10, [X.] - Rn. 90) kommt es na[X.]h dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgebli[X.]h auf die Gewi[X.]htung der dur[X.]h die Unglei[X.]hbehandlung beeinträ[X.]htigten Freiheitsre[X.]hte an. Im Hinbli[X.]k auf den Familienna[X.]hzug von und zu Minderjährigen sind dabei der Familiens[X.]hutz na[X.]h Art. 6 GG und Art. 8 [X.] sowie das Kindeswohl und Kinderre[X.]hte zu berü[X.]ksi[X.]htigen.

Weder Art. 6 GG no[X.]h Art. 8 [X.] vermitteln einen unmittelbaren Anspru[X.]h auf Familienzusammenführung ([X.], Bes[X.]hluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - [X.]E 51, 386 <395>; [X.]MR , Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10, [X.] - Rn. 107). Bei Ents[X.]heidungen über Aufenthaltsre[X.]hte sind die familiären Bindungen angemessen zu berü[X.]ksi[X.]htigen. Erforderli[X.]h ist eine Einzelfallbetra[X.]htung, bei der die familiären Bindungen, aber au[X.]h sonstige Umstände wie die Trennungsdauer oder die Mögli[X.]hkeit der Herstellung der [X.] nur im [X.], abzuwägen sind (vgl. [X.]MR , Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10 - Rn. 106; [X.], [X.] vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - [X.] 2008, 347 <348>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208> und vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45). Berühren aufenthaltsre[X.]htli[X.]he Ents[X.]heidungen den Umgang mit einem Kind, ist im Rahmen der Abwägung maßgebli[X.]h auf die Si[X.]ht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersu[X.]hen, ob tatsä[X.]hli[X.]h eine persönli[X.]he Verbundenheit besteht, auf deren Aufre[X.]hterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Sind Minderjährige betroffen, sind im Rahmen des dann eins[X.]hlägigen Art. 3 der [X.] ([X.]) das Alter der betroffenen Kinder, die Situation in ihrem Herkunftsland und die Abhängigkeit von ihren Eltern bei der Ents[X.]heidung in die Abwägung einzustellen. Au[X.]h aus einer Zusammens[X.]hau des Art. 3 [X.] mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 [X.] folgt allerdings kein Anspru[X.]h auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternna[X.]hzug und au[X.]h das Kindeswohl hat keinen unbedingten Vorrang (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - NVwZ 2013, 1493 Rn. 24).

Die in § 36a [X.] vorgesehene Bes[X.]hränkung des Familienna[X.]hzuges auf einen Ermessensanspru[X.]h im Rahmen einer Kontingentierung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 [X.]) genügt den dargestellten verfassungs-, konventions- und völkerre[X.]htli[X.]hen Anforderungen. Den aufgeführten, in die Einzelfallbetra[X.]htung einzustellenden familiären Belangen kann im Rahmen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen na[X.]h § 22 Satz 1 [X.], der gemäß § 36a Abs. 1 Satz 4 [X.] unberührt bleibt, ausrei[X.]hend Re[X.]hnung getragen werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis na[X.]h § 22 Satz 1 [X.] ist grundsätzli[X.]h au[X.]h in Fällen mögli[X.]h, in denen die Voraussetzungen für einen Familienna[X.]hzug ni[X.]ht vorliegen. Denn bei der Frage der Vereinbarkeit eins[X.]hränkender Familienna[X.]hzugsregelungen mit Art. 6 GG ist zu berü[X.]ksi[X.]htigen, inwieweit Härtefällen dur[X.]h die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 [X.] Re[X.]hnung getragen werden kann, insbesondere au[X.]h dann, wenn die besondere Härte dur[X.]h Umstände in der Person des subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigten begründet wird. Damit lassen si[X.]h mit dem besonderen S[X.]hutz von Ehe und Familie na[X.]h Art. 6 GG und Art. 8 [X.] sowie Art. 7 und 24 [X.] ni[X.]ht zu vereinbarende Familientrennungen in besonderen Einzelfällen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 [X.] vermeiden (BVerwG, Bes[X.]hluss vom 4. Juli 2019 - 1 [X.] - [X.] 402.242 § 36 [X.] Nr. 6 Rn. 13 unter Hinweis u. a. auf [X.], Bes[X.]hluss vom 20. März 2018 - 2 BvR 1266/17 - [X.] 2018, 179 und [X.]. 19/2438 S. 22).

Unionsre[X.]ht steht der Anwendung von § 36a [X.] ni[X.]ht entgegen. Die Ri[X.]htlinie 2003/86/[X.] regelt den Familienna[X.]hzug zu subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigten ni[X.]ht. Sie findet na[X.]h ihrem Art. 3 Abs. 2 Bu[X.]hst. [X.] unter anderem dann keine Anwendung, wenn dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer S[X.]hutzformen gemäß internationalen Verpfli[X.]htungen genehmigt wurde. Dies erfasst au[X.]h Personen, denen der vom Unionsre[X.]ht vorgesehene subsidiäre S[X.]hutzstatus zukommt (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 2018 - [X.]/17 [[X.]:[X.]:C:2018:877] - Rn. 27 ff.).

Art. 23 [X.] 2011/95/[X.] trifft ebenfalls keine Regelung des Familienna[X.]hzuges aus dem Ausland zu subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigten, die si[X.]h in Deuts[X.]hland befinden. Der persönli[X.]he Anwendungsberei[X.]h der Vors[X.]hrift ist in diesen Fällen ni[X.]ht eröffnet. Sie ist nur auf Familienangehörige anzuwenden, die si[X.]h im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen S[X.]hutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat (Art. 2 Bu[X.]hst. j [X.] 2011/95/[X.]). Der Ri[X.]htlinie 2011/95/[X.] lässt si[X.]h au[X.]h kein Gebot der Glei[X.]hbehandlung der Angehörigen von anerkannten Flü[X.]htlingen einerseits und von subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigten andererseits im Hinbli[X.]k auf den Na[X.]hzug aus dem Ausland entnehmen. Daher finden die vom Geri[X.]htshof der Europäis[X.]hen Union im Urteil vom 9. September 2021 ([X.]/19) aus den Vors[X.]hriften dieser Ri[X.]htlinie entwi[X.]kelten Grundsätze zur Bestimmung des maßgebli[X.]hen Zeitpunkts der Minderjährigkeit eines [X.] entgegen der Auffassung der Revision hier keine Anwendung.

3. Ohne Bundesre[X.]htsverstoß hat das Verwaltungsgeri[X.]ht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zum Familienna[X.]hzug an den Kläger na[X.]h § 36 Abs. 2 [X.] verneint.

Die dana[X.]h erforderli[X.]he außergewöhnli[X.]he Härte liegt ni[X.]ht vor. Der Na[X.]hzug na[X.]h § 36 Abs. 2 [X.] ist auf seltene Ausnahmefälle bes[X.]hränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsre[X.]hts und damit der [X.] im Li[X.]hte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 [X.] grundlegenden Gere[X.]htigkeitsvorstellungen widersprä[X.]he, also s[X.]hle[X.]hthin unvertretbar wäre. Eine außergewöhnli[X.]he Härte in diesem Sinne setzt grundsätzli[X.]h voraus, dass der s[X.]hutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben ni[X.]ht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deuts[X.]hland erbra[X.]ht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berü[X.]ksi[X.]htigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeins[X.]haft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 11 f.). Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen hat das Verwaltungsgeri[X.]ht revisionsre[X.]htli[X.]h fehlerfrei verneint.

4. Der Kläger hat au[X.]h keinen Aufnahmeanspru[X.]h na[X.]h § 22 Satz 1 [X.].

a) Gemäß dieser Norm soll na[X.]h der Intention des Gesetzgebers insbesondere aus dringenden humanitären Gründen über § 36a [X.] hinaus im Einzelfall au[X.]h Angehörigen der Kernfamilie subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Sol[X.]he Gründe sind anzunehmen, wenn die Aufnahme des Familienangehörigen si[X.]h aufgrund des Gebots der Mens[X.]hli[X.]hkeit aufdrängt und eine Situation vorliegt, die ein Eingreifen zwingend erforderli[X.]h ma[X.]ht. Dies gilt zum Beispiel beim Bestehen einer erhebli[X.]hen und unauswei[X.]hli[X.]hen Gefahr für Leib und Leben des Familienangehörigen im Ausland. Die dringenden humanitären Gründe im Sinne des § 22 [X.] können sowohl beim bereits im [X.] befindli[X.]hen S[X.]hutzbere[X.]htigten als au[X.]h beim im Ausland befindli[X.]hen Familienangehörigen vorliegen ([X.]. 19/2438 S. 22).

Dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1 Alt. 2 [X.] liegen zum einen dann vor, wenn si[X.]h der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, si[X.]h diese Sondersituation deutli[X.]h von der Lage verglei[X.]hbarer Ausländer unters[X.]heidet, der Ausländer spezifis[X.]h auf die Hilfe der Bundesrepublik Deuts[X.]hland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deuts[X.]hland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässli[X.]h sind. Sie sind aber zum anderen au[X.]h dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumli[X.]hen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär S[X.]hutzbere[X.]htigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG ni[X.]ht länger vereinbar ers[X.]heinen lassen. Der Zeitpunkt, ab dem den Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern eine weitere Trennung ni[X.]ht länger zuzumuten ist, ist wiederum maßgebli[X.]h davon abhängig, ob diesen eine (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeins[X.]haft in dem Aufenthaltsstaat der Na[X.]hzugswilligen mögli[X.]h und zumutbar ist. Die S[X.]hwelle, bei deren Errei[X.]hen die Versagung einer Familienzusammenführung im [X.] mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG s[X.]hle[X.]hthin unvereinbar ist, aus humanitären Gründen mithin ein - vom Kontingent des § 36a Abs. 2 Satz 2 [X.] unabhängiger - Aufenthaltstitel na[X.]h § 22 Satz 1 [X.] zu gewähren ist, liegt indes höher als jene, die dur[X.]h Annahme eines Ausnahmefalles in den Fällen des § 36a Abs. 3 Nr. 1 [X.] den Zugang zu einer (kontingentgebundenen) Auswahlents[X.]heidung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 [X.]) eröffnet (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 49). Soweit die Berü[X.]ksi[X.]htigung einer familiären Notsituation im Rahmen des § 22 Satz 1 [X.] im Hinbli[X.]k auf eine verfassungskonforme Anwendung von § 36a [X.] geboten ist, erfordert dies keine von den genannten Maßstäben abwei[X.]hende, insbesondere erweiternde Auslegung. Vielmehr können besondere, aus der Berü[X.]ksi[X.]htigung des Kindeswohls und der familiären Situation im Einzelfall resultierende Umstände als dringende humanitäre Gründe für einen Familienna[X.]hzug berü[X.]ksi[X.]htigt werden.

b) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgeri[X.]ht in revisionsre[X.]htli[X.]h ni[X.]ht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines dringenden humanitären Grundes im Falle des [X.] verneint. Eine von den Verhältnissen anderer syris[X.]her Staatsangehöriger, deren Kinder das Herkunftsland verlassen haben, abwei[X.]hende Notlage ist vom Verwaltungsgeri[X.]ht weder festgestellt no[X.]h sonst ersi[X.]htli[X.]h.

5. Die Kostenents[X.]heidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da si[X.]h der Beigeladene ni[X.]ht mit einem Antrag am Kostenrisiko beteiligt hat, entspri[X.]ht es der Billigkeit, dass er seine außergeri[X.]htli[X.]hen Kosten selbst trägt.

Meta

1 C 31/21

08.12.2022

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Berlin, 7. September 2021, Az: 38 K 315/20 V, Urteil

§ 36a Abs 1 S 1 AufenthG, § 36a Abs 1 S 2 AufenthG, § 36a Abs 1 S 4 AufenthG, § 22 AufenthG, § 6 Abs 3 AufenthG, § 25 Abs 2 S 1 Alt 2 AufenthG, Art 3 Abs 2 Buchst c EGRL 86/2003, Art 2 Buchst j EURL 95/2011, Art 23 EURL 95/2011, Art 3 GG, Art 6 GG, Art 8 MRK, Art 14 MRK, Art 7 EUGrdRCh, Art 24 EUGrdRCh, Art 3 UNKRÜbk, Art 9 Abs 1 UNKRÜbk, Art 10 Abs 1 UNKRÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. 1 C 31/21 (REWIS RS 2022, 9488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9488

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