Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.09.2012, Az. II B 13/12

2. Senat | REWIS RS 2012, 3173

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Bindungswirkung bei vom BVerfG angeordneter Weitergeltung des ErbStG a.F. - Entbehrlichkeit eines Hinweises im FG-Urteil - Anspruch auf rechtliches Gehör - Effektiver Rechtsschutz


Leitsatz

1. NV: Auf eine im Jahr 2000 ausgeführte gemischte Schenkung ist weiterhin die mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärte Norm des § 19 Abs. 1 ErbStG vom 17. April 1974 i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (ErbStG a.F.) anwendbar .

2. NV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das FG im Urteil ohne gesonderte Begründung davon ausgeht, dass ein Schenkungsteuerbescheid, der eine Zuwendung im Jahr 2000 betrifft, in der Zeit ab 1. Januar 2009 weiterhin wirksam ist .

3. NV: Die vom BVerfG angeordnete Weitergeltung des ErbStG a.F. ist für die Gerichte und Behörden nach § 31 BVerfGG verbindlich. Geht das FG von dieser Bindung aus, wird dadurch nicht der Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz verletzt .

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), das Finanzgericht ([X.]) habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 [X.]O) verletzt, liegt nicht vor.

3

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, wesentliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er verpflichtet das Gericht jedoch nicht, sich mit sämtlichen Ausführungen der Beteiligten in den Urteilsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das wesentliche Vorbringen der Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 11. April 2012 [X.] 56/11, [X.], 1331). Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist erst dann gegeben, wenn im Einzelfall aus den Urteilsgründen deutlich erkennbar ist, dass das Gericht wesentliche Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Urteil des [X.] vom 22. November 1983  2 BvR 399/81, [X.] 65, 293; [X.] vom 31. Januar 2008 VIII B 253/05, [X.], 740).

4

b) Im Streitfall hat das [X.] im angefochtenen Urteil unter Bezugnahme auf den [X.]-Beschluss vom 7. November 2006  1 BvL 10/02 ([X.] 117, 1) ausführlich begründet, dass auf die im [X.] ausgeführte gemischte Schenkung weiterhin die mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärte Norm des § 19 Abs. 1 des [X.] vom 17. April 1974 i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 ([X.] a.F.) anwendbar ist. Das [X.] hat die Weitergeltung des (damals) geltenden Erbschaftsteuerrechts bis zu einer Neuregelung für erforderlich gehalten, um für die Übergangszeit einen Zustand der Rechtsunsicherheit zu vermeiden (vgl. [X.]-Beschluss in [X.] 117, 1, unter [X.].). Ein Eingehen des [X.] auf den vom Kläger schriftsätzlich benannten [X.]-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09 ([X.] 126, 268), in dem das [X.] den Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Neuregelung von einkommensteuerrechtlichen Vorschriften auf den 1. Januar 2007 verpflichtet hat, war nicht erforderlich. Diese Entscheidung ist für den Streitfall nicht maßgeblich.

5

Das [X.] konnte auch ohne gesonderte Begründung im Urteil davon ausgehen, dass die gegen den Kläger ergangenen Schenkungsteuerbescheide in Gestalt der [X.] vom 30. August 2001, die Zuwendungen im [X.] betreffen, in der [X.] ab 1. Januar 2009 weiterhin wirksam sind. Dies ist eine notwendige Folge der vom [X.] angeordneten Weitergeltung des [X.] a.F.

6

c) Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg rügen, das [X.] habe in anderen Fällen den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern dadurch beim Kläger eine Rechtsverletzung eingetreten ist.

7

2. Eine Verletzung des Anspruchs des [X.] auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) ist ebenfalls nicht gegeben.

8

Aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz folgt zwar ein Anspruch des Bürgers auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle des angegriffenen Hoheitsaktes (vgl. [X.]-Beschluss vom 31. Mai 2011  1 BvR 857/07, [X.] 129, 1). Das [X.] war aber ebenso wie der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) an den [X.]-Beschluss in [X.] 117, 1 und die darin angeordnete Weitergeltung des [X.] a.F. gebunden. Diese Weitergeltungsregelung ist für die Gerichte und Behörden nach § 31 des Gesetzes über das [X.] verbindlich. Für die Überprüfung einer solchen Entscheidung durch die Fachgerichte gibt es keine verfahrensrechtliche Handhabe (vgl. [X.] vom 24. November 2010 II B 9/10, [X.], 441). Ein ausdrücklicher Hinweis im angefochtenen Urteil auf diese Bindung und die sich daraus ergebende Folge, dass die Einwendungen des [X.] hinsichtlich der Anwendung des [X.] a.F. nicht beachtlich sind, war entbehrlich.

9

3. Soweit der Kläger erstmals im Schriftsatz vom 24. Juli 2012 als weiteren Grund für die Zulassung der Revision eine Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O rügt, war zu diesem [X.]punkt die höchstens dreimonatige Beschwerdebegründungsfrist des § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 [X.]O bereits abgelaufen. Nach Ablauf der Begründungsfrist können neue Zulassungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden ([X.] vom 14. April 2011 [X.] 142/10, [X.], 1182, m.w.N.).

Meta

II B 13/12

17.09.2012

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 14. Dezember 2011, Az: 4 K 3813/08, Urteil

§ 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 19 Abs 1 ErbStG 1997, § 105 FGO, § 31 BVerfGG, § 96 Abs 1 S 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.09.2012, Az. II B 13/12 (REWIS RS 2012, 3173)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3173

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II B 168/09 (Bundesfinanzhof)

AdV wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes - Vorrang des Aussetzungsinteresses des Steuerpflichtigen …


II B 99/18 (Bundesfinanzhof)

Nachträgliche Option zur Vollverschonung


II R 22/18 (Bundesfinanzhof)

Erbschaft- und Schenkungsteuer: Begünstigung von Grundstücken im Betriebsvermögen bei Nutzungsüberlassung an Dritte


II B 46/13 (Bundesfinanzhof)

(Vorläufiger Rechtsschutz wegen des beim BVerfG anhängigen Normenkontrollverfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 …


II R 22/20 (Bundesfinanzhof)

Nichtigkeit eines Schenkungsteuerbescheids


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.