Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.02.2017, Az. 2 BvR 395/16

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2017, 15613

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zu den Anforderungen des Art 103 Abs 1 GG an die Gewährung rechtlichen Gehörs im Zivilprozess - Anhörungsrüge zur Rechtswegerschöpfung gem § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG nicht geboten, wenn Gehörsverletzung bereits im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren gerügt und mit der Verfassungsbeschwerde kein neuer Gehörsverstoß geltend gemacht wird


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie zwar zulässig (1.), aber unbegründet (2.) ist.

2

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht deswegen unzulässig, weil die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des [X.] keine Gehörsrüge erhoben hat. Auch ohne Erhebung einer Gehörsrüge ist der Rechtsweg vorliegend erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] zu genügen (vgl. [X.] 133, 143 <156 Rn. 33>).

3

2. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG liegt jedoch nicht vor.

4

a) Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen den Beteiligten Gelegenheit gegeben war (vgl. [X.] 6, 12 <14>; 7, 239 <240>, 275 <278>, 340 <341>; 8, 184 <185>; 9, 261 <267>, 303 <304 f.>; 10, 177 <182>, 274 <281>; 13, 132 <144 f.>; 15, 214 <218>; 16, 283 <285>; 17, 86 <95>, 139 <143>, 194 <196>; 18, 147 <150>, 399 <404>; 19, 142 <144>, 198 <200 f.>; 20, 280 <282>; 24, 56 <61>; 25, 40 <43>; 26, 37 <40>; 29, 340 <344>, 345 <347>; 32, 195 <197>; 57, 250 <274>; 64, 135 <143 f.>; 89, 381 <392>, stRspr). Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet ferner, dass das entscheidende Gericht durch die mit dem Verfahren befassten [X.] die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss (vgl. [X.] 18, 380 <383>; 21, 102 <103 f.>; 22, 267 <273>; 24, 203 <213>; 25, 137 <140>; 27, 248 <251>; 28, 378 <384>; 29, 166 <173>; 34, 344 <347>; 36, 92 <97>, 298 <301>; 42, 364 <367 f.>; 46, 315 <319>; 47, 182 <187>; 49, 212 <215>; 50, 32 <35>; 51, 188 <191>; 53, 205 <206>, 219 <222>; 54, 43 <45>, 86 <91>, 94 <97>, 117 <123>; 59, 330 <333>; 60, 1 <5>, 247 <249>; 62, 249 <254>, 347 <352>; 65, 293 <295 f.>, 305 <307>; 66, 260 <263>; 67, 39 <41>; 69, 145 <148>, 233 <246>, 248 <253>; 70, 288 <293>; 75, 369 <381>; 79, 51 <61>; 83, 24 <35>; 86, 133 <145>, stRspr).

5

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der [X.] zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung in Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den [X.]en vorgetragenen Tatsachen gekommen ist (vgl. [X.] 22, 267 <273 f.>; 28, 378 <384>). Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. [X.] 11, 343 <349>; 18, 85 <92>; 22, 267 <273>, 25, 137 <140>; 28, 378 <384>).

6

Art. 103 Abs. 1 GG gewährt außerdem keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. [X.] 21, 191 <194>; 22, 267 <273>; 27, 248 <251>; 28, 378 <384>; 30, 173 <187>; 36, 92 <97>; 40, 101 <105>; 46, 315 <319>; 50, 32 <35>; 51, 188 <191>; 54, 117 <123>; 60, 1 <5>; 62, 249 <253 f.>; 63, 80 <85>; 66, 260 <263>; 69, 145 <148>, 248 <253>; 70, 288 <294>; 79, 51 <62>; 82, 209 <235>; 83, 182 <200>; 84, 34 <58>; 85, 386 <404>, stRspr). Zwar kann es in besonderen Fällen geboten sein, den Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will; allerdings ist dabei zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich nicht zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist (vgl. [X.] 66, 116 <147>; 74, 1 <5>; 86, 133 <145>). Erst recht ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG keine Pflicht der Gerichte, der von einer [X.] vertretenen Rechtsansicht zu folgen (vgl. [X.] 64, 1 <12>; 80, 269 <286>; 87, 1 <33>). Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann anzunehmen, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (vgl. [X.] 84, 188 <190>; 86, 133 <144 f.>; 96, 189 <204>; 108, 341 <345 f.>). Dies kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen (vgl. [X.] 98, 218 <263>).

7

b) In Ansehung dieser Maßstäbe ist eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht erkennbar.

8

aa) Allein der Umstand, dass der [X.] der Beschwerdeführerin in einem weiteren Verfahren vor dem [X.] zur Begründung der von ihm erhobenen Abänderungsklage nach § 323 ZPO eine Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse behauptet hat, macht die behaupteten Umstände nicht zu einer Tatsache, die das [X.] zugunsten der Beschwerdeführerin hätte berücksichtigen müssen. Es war aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht daran gehindert, aufgrund des Vortrags der Verfahrensbeteiligten davon auszugehen, dass sich die Vermögensverhältnisse des [X.]es der Beschwerdeführerin nicht wesentlich verschlechtert hätten. Dies gilt umso mehr, als das vom [X.] der Beschwerdeführerin initiierte Verfahren vor dem [X.] ausgesetzt ist und der Vortrag der Verfahrensbeteiligten in diesem Verfahren noch keine abschließende rechtliche Würdigung in einem Urteil erfahren hat. Selbst wenn sich in diesem Verfahren abzeichnen sollte, dass sich - etwa aufgrund von durch Zeitablauf geänderten Umständen - die Vermögensverhältnisse des [X.]es der Beschwerdeführerin wesentlich verschlechtert hätten und demzufolge ein Abänderungsgrund vorläge, bliebe der Beschwerdeführerin grundsätzlich die Möglichkeit einer Eventualwiderklage (§ 33 ZPO) mit dem Ziel der Rückübertragung des Hofes. Ein Verbleib des Hofes beim [X.] der Beschwerdeführerin bei gleichzeitiger Reduzierung ihrer monatlichen Unterhaltszahlung auf Null war insoweit nicht zu besorgen.

9

bb) Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, das [X.] habe hinsichtlich der Vermögensverhältnisse ihres [X.]es unrichtige Schlüsse gezogen, sind damit ebenfalls keine Tatsachen angesprochen, deren fehlende Berücksichtigung oder Würdigung eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zu begründen geeignet wäre.

cc) Darüber hinaus trifft das Vorbringen der Beschwerdeführerin, das [X.] habe im Laufe des Verfahrens seine Rechtsauffassung hinsichtlich des Vorliegens einer gemischten Schenkung in einem wesentlichen Punkt geändert, ohne sie hierauf hinzuweisen, so nicht zu. Aus Nr. 7 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2012 geht vielmehr hervor, dass das [X.] darauf hingewiesen hat, dass für die Annahme einer Schenkung neben der objektiven Unentgeltlichkeit einer Zuwendung auch ein entsprechender [X.]wille erforderlich sei; sodann führt es aus: "Im konkreten Vertrag findet sich als Anhaltspunkt für einen Schenkungswillen bezüglich eines Teils der Zuwendung lediglich Ziffer 12." Die Verwendung des Wortes "lediglich" deutet klar darauf hin, dass aus Sicht des [X.]s die Argumente gegen die Annahme einer gemischten Schenkung deutlich überwogen. Aus dem in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2015 gegebenen Hinweis, dass die Rechtsauffassung des Senats auch infolge veränderter Besetzung fortbestehe, konnte die Beschwerdeführerin daher vernünftigerweise nicht den Schluss ziehen, dass das [X.] ihrer Argumentation folge. Auch wenn das [X.] in seinem Urteil seine Auffassung zur Auslegung von § 2 Nr. 12 des Vertrages geändert und die Bestimmung als Beleg für das Nichtvorhandensein eines Schenkungswillens interpretiert hat, betraf dies doch lediglich die Auslegung einer einzelnen Vertragsbestimmung, was nicht zu einer insgesamt veränderten rechtlichen Bewertung geführt, sondern die Verneinung eines Schenkungswillens bestätigt hat. Hiermit musste die Beschwerdeführerin rechnen.

c) Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass das Urteil des [X.]s rechtsstaatswidrig, willkürlich oder in sonstiger Weise grundrechtsverletzend wäre.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 395/16

15.02.2017

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 11. Februar 2016, Az: V ZA 28/15, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.02.2017, Az. 2 BvR 395/16 (REWIS RS 2017, 15613)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15613

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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