Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.10.2011, Az. 1 ABR 34/10

1. Senat | REWIS RS 2011, 2324

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Gegenstand

Tarifvorbehalt - Betriebliche Lohngestaltung - Feststellungsantrag des Betriebsrats


Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 9. März 2010 - 8 TaBV 146/09 - aufgehoben.

2. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des [X.] vom 7. Oktober 2009 - 4 BV 28/09 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Arbeitsgerichts wie folgt neu gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, bei allen Neueinstellungen, soweit die Mitarbeiter nicht AT-Angestellte oder Leiharbeitnehmer sind, unabhängig von deren Tarifgebundenheit eine Eingruppierung in den Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel in [X.] vorzunehmen und dazu die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.

Gründe

1

A. [X.]ie Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Eingruppierung.

2

[X.]ie Arbeitgeberin betreibt bundesweit [X.]rogeriemärkte. Antragsteller ist der für den Betrieb „[X.]“ auf der Grundlage eines Tarifvertrags iSd. § 3 [X.] errichtete Betriebsrat.

3

[X.]ie Arbeitgeberin ist nach einem mit [X.] bzw. deren [X.] abgeschlossenen Anerkennungstarifvertrag aus dem [X.] an die jeweils gültigen Tarifverträge für den Einzelhandel im [X.] gebunden. Zu diesen gehört der Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel in [X.] vom 11. Juni 2009 ([X.]), dessen § 3 die Anforderungen für die Eingruppierung der kaufmännischen und technischen Angestellten bestimmt.

4

Seit November 2008 vereinbart die Arbeitgeberin mit neu eingestellten Arbeitnehmern Arbeitsentgelte, bei deren Höhe individuelle Kriterien wie etwa die zuvor erworbene Berufserfahrung berücksichtigt werden. [X.]iese Arbeitnehmer gruppierte die Arbeitgeberin nicht mehr in die Vergütungsordnung des jeweils geltenden Gehaltstarifvertrags ein.

5

[X.]er Betriebsrat hat gemeint, die Arbeitgeberin sei verpflichtet, die neu einzustellenden Arbeitnehmer nach § 99 Abs. 1 [X.] wie bisher in die [X.] des § 3 [X.] einzugruppieren.

6

[X.]er Betriebsrat hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, bei allen Neueinstellungen, soweit die Mitarbeiter nicht leitende Angestellte bzw. Leiharbeitnehmer sind, eine Eingruppierung in den Lohn- und Gehaltstarifvertrag des Einzelhandels für [X.] vorzunehmen, solange nicht eine Ablösung durch Betriebsvereinbarung zustande gekommen ist oder einen Spruch der Einigungsstelle.

7

[X.]ie Arbeitgeberin hat die Abweisung des Antrags beantragt.

8

[X.]as Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen. [X.]as [X.] hat ihn auf die Beschwerde der Arbeitgeberin abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen zuletzt gestellten Antrag weiter.

9

B. [X.]ie Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. [X.]as [X.] hat seinen Feststellungsantrag zu Unrecht abgewiesen.

I. [X.]er Antrag bedarf der Auslegung. Es geht dem Betriebsrat nicht nur um die Feststellung, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, neu eingestellte Arbeitnehmer unabhängig von deren Tarifbindung in die Entgeltgruppen des Gehaltstarifvertrags für den Einzelhandel in [X.] einzugruppieren. [X.]er Betriebsrat möchte auch erreichen, dass die Arbeitgeberin gegenüber dieser Eingruppierungsentscheidung das in § 99 [X.] geregelte Beteiligungsverfahren einhält. Ihm geht es darum, dass die Arbeitgeberin verpflichtet wird, neu eingestellte Arbeitnehmer in eine bestimmte Vergütungsordnung einzugruppieren, zu dieser Maßnahme die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen und für den Fall seiner Zustimmungsverweigerung das arbeitsgerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten und durchzuführen. [X.]ass hat der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat ausdrücklich klargestellt. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. [X.]as Bestehen einer solchen Verpflichtung kann auch Gegenstand eines Feststellungsantrags sein.

II. [X.]er so verstandene Antrag ist begründet. [X.]er Betriebsrat hat in entsprechender Anwendung von § 101 [X.] einen Anspruch darauf, dass die Arbeitgeberin bei der Einstellung von Arbeitnehmern eine Entscheidung über die Eingruppierung der von ihnen ausgeübten Tätigkeiten nach Maßgabe der [X.] des § 3 [X.] trifft und das in § 99 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 [X.] vorgesehene Verfahren durchführt. Entgegen der Auffassung des [X.]s besteht die Pflicht der Arbeitgeberin zur Eingruppierung unabhängig von der Mitgliedschaft der Arbeitnehmer bei [X.]. [X.]ie Arbeitgeberin ist im Verhältnis zu ihrem Betriebsrat verpflichtet, die Tätigkeit ihrer Arbeitnehmer den in § 3 [X.] geregelten [X.] zuzuordnen. [X.]ie dort bestimmte Vergütungsordnung ist der im Betrieb geltende Entlohnungsgrundsatz iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.]. [X.]iesen können weder die Arbeitgeberin noch die Betriebsparteien auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränken.

1. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Eingruppierung zu unterrichten und dessen Zustimmung zu beantragen. § 99 Abs. 1 Satz 2 [X.] verpflichtet den Arbeitgeber, bei Einstellungen und Versetzungen insbesondere den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen. Verlangt das Gesetz die Mitteilung der vorgesehenen Eingruppierung, setzt dies voraus, dass der Arbeitgeber zuvor eine entsprechende Beurteilung vornimmt. An dieser hat er den Betriebsrat zu beteiligen.

2. [X.]er Betriebsrat kann zur Sicherung seines [X.]s nach § 99 Abs. 1 [X.] in entsprechender Anwendung von § 101 [X.] beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Eingruppierungsentscheidung vorzunehmen und ihn um Zustimmung zu ersuchen, falls der Arbeitgeber die gebotene Eingruppierung unterlässt. Eine Eingruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] besteht in der rechtlichen Beurteilung des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit einer bestimmten Vergütungsgruppe einer im Betrieb geltenden Vergütungsordnung zuzuordnen ist. Voraussetzung ist, dass der Betriebsrat für den Betrieb des Arbeitgebers überhaupt zuständig ist und das Arbeitsverhältnis von der im Betrieb bestehenden Vergütungsordnung erfasst wird ([X.] 8. [X.]ezember 2009 - 1 [X.] - Rn. 20, [X.]E 132, 314).

3. Eine Vergütungsordnung iSd. § 99 Abs. 1 [X.] ist ein kollektives - und jedenfalls bei Geltung nur eines betrieblichen Vergütungssystems - mindestens zwei Vergütungsgruppen enthaltendes [X.], das eine Zuordnung der Arbeitnehmer zu einer der Vergütungsgruppen nach bestimmten generell beschriebenen Merkmalen vorsieht. Sie spiegelt die ihr zugrunde liegenden Vergütungsgrundsätze wider. [X.]amit ist sie Ausdruck einer Entscheidung über die Wertigkeit der jeweiligen Arbeitnehmertätigkeiten im Verhältnis zueinander, die sich im relativen Abstand der mit den jeweiligen Vergütungsgruppen verbundenen konkreten Entgeltsätzen niederschlägt ([X.] 4. Mai 2011 - 7 [X.] - Rn. 20, [X.] 2011, 1239).

4. [X.]ie in § 99 Abs. 1 Satz 2 [X.] vorausgesetzte Pflicht des Arbeitgebers zur Eingruppierung und die in § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorgesehene Beteiligung des Betriebsrats dienen der einheitlichen Anwendung der zutreffenden Vergütungsordnung und sorgen auf diese Weise für Transparenz und innerbetriebliche Lohngerechtigkeit. [X.]er Arbeitgeber soll prüfen, welcher Stufe der im Betrieb geltenden Vergütungsordnung die Tätigkeit des Arbeitnehmers zuzuordnen ist, und diese Beurteilung gemeinsam mit dem Betriebsrat vornehmen. [X.]em [X.] des Betriebsrats unterliegt daher auch die Frage, ob ein Arbeitnehmer einer im Betrieb geltenden Vergütungsordnung zugeordnet werden kann (vgl. [X.] 31. Oktober 1995 - 1 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe, AP [X.] 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 5 = EzA [X.] 1972 § 99 Nr. 131).

5. Im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers stellt die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar. Zwar handelt es sich bei tariflichen Vergütungsregelungen nicht um Betriebsnormen iSv. § 3 Abs. 2 [X.], die unabhängig von der Tarifbindung der Arbeitnehmer für alle Betriebe des tarifgebundenen Arbeitgebers gelten, sondern um Inhaltsnormen, die nur unmittelbar und zwingend im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und den tarifgebundenen Arbeitnehmern (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.]) Anwendung finden ([X.] 4. Mai 2011 - 7 [X.] - Rn. 22, [X.] 2011, 1239; 18. März 2008 - 1 [X.] - Rn. 29, [X.]E 126, 176). [X.]ennoch ist der tarifgebundene Arbeitgeber betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifbindung der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] unterliegen. [X.]ieses Verständnis geben die Funktion des [X.] in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] sowie der Normzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] vor.

a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von [X.]n und der Einführung und Anwendung von neuen [X.] sowie deren Änderung, mitzubestimmen. [X.]as Beteiligungsrecht umfasst die Einführung von [X.]n und deren Änderung durch den Arbeitgeber ([X.] 3. [X.]ezember 1991 - [X.] 1/90 - zu [X.] 3 c der Gründe, AP [X.] 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 52). [X.] sind die abstrakt-generellen Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll ([X.] 17. Mai 2011 - 1 [X.] - Rn. 16, EzA [X.] 2001 § 87 [X.] Nr. 25). Zu ihnen zählen neben der Grundentscheidung für eine Vergütung nach [X.] oder nach Leistung die daraus folgenden Entscheidungen über die Ausgestaltung des jeweiligen Systems ([X.] FS Kreutz S. 263, 265). Zu den mitbestimmungspflichtigen Entgeltfindungsregeln gehören der Aufbau von Vergütungsgruppen und die Festlegung der Vergütungsgruppenmerkmale ([X.] 31. Januar 1984 - 1 [X.] - zu II 2 der Gründe, [X.]E 45, 91). [X.]as Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] umfasst daher die inhaltliche Ausgestaltung der Entgeltgruppen nach abstrakten Kriterien einschließlich der abstrakten Festsetzung der [X.] nach Prozentsätzen oder anderen Bezugsgrößen ([X.] 14. August 2001 - 1 [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 98, 323).

b) [X.]as Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Änderung eines betrieblichen Vergütungssystems kann im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers allerdings durch den Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.], wonach der Betriebsrat nur mitbestimmen kann, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, beschränkt oder ausgeschlossen sein.

aa) [X.]ie Mitbestimmung in [X.] Angelegenheiten dient dem Schutz der Arbeitnehmer durch gleichberechtigte Teilhabe an den sie betreffenden Angelegenheiten ([X.] 3. [X.]ezember 1991 - [X.] 2/90 - zu [X.] 1 a der Gründe, [X.]E 69, 134). § 87 Abs. 1 [X.] beschränkt wegen der [X.] Abhängigkeit des Arbeitnehmers und im Hinblick auf den [X.] die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei der Vertragsgestaltung und der Ausübung seines [X.]irektionsrechts ( Wiese GK-[X.] 9. Aufl. § 87 Rn. 56 ). Im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung soll die Mitbestimmung des Betriebsrats die Angemessenheit des innerbetrieblichen [X.] und seine Transparenz gewährleisten ([X.] 23. März 2010 - 1 [X.] - Rn. 13, [X.]E 133, 373; 28. April 2009 - 1 [X.] - Rn. 21, [X.]E 131, 1). Allerdings unterliegt das Beteiligungsrecht seinerseits der durch den Gesetzes- und Tarifvorbehalt gezogenen Binnengrenze. [X.]er [X.] in § 87 Abs. 1 [X.] beruht dabei auf der Erwägung, dass für die Erreichung des Mitbestimmungszwecks kein Raum mehr besteht, wenn eine den Arbeitgeber bindende Regelung durch Gesetz oder Tarifvertrag bereits vorliegt. In diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass mit dieser Regelung den berechtigten Interessen und [X.] der Arbeitnehmer hinreichend Rechnung getragen worden ist. Für einen weiteren Schutz durch Mitbestimmungsrechte besteht dann kein Raum mehr ([X.] 9. [X.]ezember 2003 - 1 [X.] - zu [X.] 3 a bb der Gründe, [X.]E 109, 61).

bb) [X.]er Ausschluss des Mitbestimmungsrechts durch den Tarifvorbehalt erfordert weiter, dass die Tarifvertragsparteien selbst über die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit eine zwingende und abschließende inhaltliche Regelung getroffen und damit dem Schutzzweck des verdrängten Mitbestimmungsrechts Genüge getan haben ([X.] 3. [X.]ezember 1991 - [X.] 2/90 - zu [X.] 1 a, b der Gründe, [X.]E 69, 134). [X.]ie Tarifvertragsparteien dürfen das Mitbestimmungsrecht nicht ausschließen oder einschränken, ohne die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit selbst zu regeln ([X.] 9. November 2010 - 1 [X.] - Rn. 17, EzA [X.] 2001 § 87 Arbeitszeit Nr. 15).

c) Nach der Senatsrechtsprechung ist für das Eingreifen des [X.] des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] und dem damit einhergehenden Ausschluss des Mitbestimmungsrechts bereits die Tarifbindung des Arbeitgebers ausreichend. Einer normativen Bindung der betriebszugehörigen Arbeitnehmer (§ 4 Abs. 1 Satz 1 [X.]) bedarf es hierfür nicht. [X.]as gilt auch dann, wenn es sich bei der das Mitbestimmungsrecht verdrängenden tariflichen Regelung um Inhaltsnormen handelt. [X.]as entspricht dem Zweck des [X.]es. [X.]enn dieser geht davon aus, dass eine bestehende gesetzliche oder tarifliche Regelung dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer ausreichend Rechnung trägt und daher Mitbestimmungsrechte entbehrlich macht ([X.] 24. Februar 1987 - 1 [X.] - zu [X.]I 6 c der Gründe, [X.]E 54, 191).

d) Ein solches Normverständnis des [X.] bewirkt unmittelbar aber nur den Schutz tarifgebundener Arbeitnehmer. Sie können sich gegenüber dem Arbeitgeber gem. § 4 Abs. 1 [X.] auf zwingende tarifliche Regelungen bereits individualrechtlich berufen. Bei einer abschließenden tariflichen Regelung einer ansonsten mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit bedürfen sie daher nicht des Schutzes der Mitbestimmung. Allerdings führt das alleinige Abstellen auf die Tarifbindung des Arbeitgebers zu einer [X.] zu Lasten nicht tarifgebundener Arbeitnehmer, wenn der Tarifvorbehalt nicht durch Betriebs-, sondern durch Inhaltsnormen bewirkt wird ([X.] FS Kreutz S. 263, 270). [X.]ies widerspricht der gesetzgeberischen Intention, die einseitige Gestaltungsmacht des Arbeitgebers im Bereich der [X.] Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 [X.] entweder durch eine bestehende tarifliche Regelung oder durch die Mitbestimmung des Betriebsrats zu begrenzen. Soweit der Senat in der Entscheidung vom 24. Februar 1987 (- 1 [X.] - [X.]E 54, 191) die Auffassung vertreten hat, diese [X.] sei hinnehmbar, weil die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer die tariflichen, das jeweilige Mitbestimmungsrecht ausschließenden Rechte durch den Beitritt zur vertragsschließenden [X.] erlangen können, hält er hieran nicht fest.

aa) Gegen ein solches Verständnis des [X.], wonach der Schutz der Arbeitnehmer vor den sie betreffenden Maßnahmen des Arbeitgebers von der Mitgliedschaft in der tarifvertragsschließenden [X.] abhängt, spricht bereits der Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.]. [X.]er notwendigen Mitbestimmung in [X.] Angelegenheiten bedarf es nur dann nicht mehr, wenn die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bereits durch Gesetz oder Tarifvertrag beschränkt werden und damit die Arbeitnehmer angemessen geschützt sind. Zwar mag dem Gesetzgeber bei der Gleichstellung von gesetzlichen und tariflichen Regelungen im [X.] bewusst gewesen sein, dass letztere nur denjenigen umfassend normativ vor einer einseitigen Gestaltung der Arbeitsbedingungen bewahren, der sich mit seinem [X.]sbeitritt dieses Schutzes bedienen will ([X.] 24. Februar 1987 - 1 [X.] - zu [X.]I 6 c der Gründe, [X.]E 54, 191). [X.]er Gesetzgeber konnte jedoch auch davon ausgehen, dass bei den erst aufgrund eines kollektiven Bezugs mitbestimmungspflichtigen Sachverhalten des § 87 Abs. 1 [X.] eine abschließende tarifvertragliche Regelung faktisch zugleich die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer schützt. [X.]ie Katalogtatbestände des § 87 Abs. 1 [X.] betreffen nicht vorrangig individuelle Rechtspositionen, sondern die Beziehungen zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft oder jedenfalls Teilen von ihr. [X.]as Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers einen kollektiven Tatbestand erfüllt. Es muss sich daher grundsätzlich eine Regelungsfrage stellen, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer berührt und keine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung zum Gegenstand hat (vgl. [X.] 24. April 2007 - 1 [X.] - Rn. 19, [X.]E 122, 127). Solche Angelegenheiten müssen zwar nicht notwendig für alle betriebszugehörigen Arbeitnehmer einheitlich geregelt werden. Eine allein an der [X.] orientierte [X.] ist jedoch sowohl den Betriebsparteien wie auch dem Arbeitgeber selbst typischerweise verwehrt, was der Gesetzgeber auch in § 75 Abs. 1 [X.] zum Ausdruck bringt.

bb) Eine Auslegung, die den Schutz vor einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers im Bereich der Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 [X.] von einem Beitritt zu einer bestimmten [X.] abhängig macht, greift zudem in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit des Einzelnen ein und beschränkt diese unverhältnismäßig.

[X.]ie individuelle Koalitionsfreiheit schließt auch das Recht ein, einer Koalition fernzubleiben oder aus ihr auszutreten (vgl. [X.] 19. September 2006 - 1 [X.] - Rn. 13, [X.]E 119, 275). Zwar ist nicht jeder tatsächliche [X.]ruck, einer Koalition beizutreten oder in dieser zu verbleiben, bereits ein unzulässiger Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit (vgl. [X.] 10. [X.]ezember 2002 - 1 [X.]/02 - zu [X.] 3 b bb der Gründe, [X.]E 104, 155; 18. März 2009 - 4 [X.] - Rn. 31 ff., [X.]E 130, 43). Ein Verständnis des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.], wonach der Schutz des Arbeitnehmers von der Zugehörigkeit zu einer vom Arbeitgeber oder seinem Verband als tarifvertragsschließende [X.] akzeptierten [X.] abhängt, verstößt aber gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Es verlangt vom Arbeitnehmer - will er wie andere tarifgebundene Betriebsangehörige vor einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers geschützt werden - darauf zu verzichten, einer [X.] fernzubleiben, und darüber hinaus, sich seiner grundrechtlich geschützten Freiheit zu begeben, einer seinen Vorstellungen entsprechenden Arbeitnehmerkoalition beizutreten, in ihr zu verbleiben oder in eine andere Arbeitnehmerkoalition zu wechseln. [X.]enn nur eine dauerhafte Mitgliedschaft in der vom Arbeitgeber ausgewählten tarifschließenden [X.] würde ihn vor dessen einseitiger Gestaltungsmacht im Bereich der [X.] Mitbestimmung bewahren.

e) [X.]ie aus der spezifischen normativen Wirkung tariflicher Inhaltsnormen folgende mitbestimmungsrechtliche [X.] widerspricht aber der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers, alle betriebszugehörigen Arbeitnehmer in den [X.] Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 [X.] vor der einseitigen Gestaltungsmacht des Arbeitgebers zu schützen. Sie ist dementsprechend nach dem Zweck des jeweiligen [X.] zu schließen. Im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung führt dies zur Verpflichtung des Arbeitgebers, das tarifliche Entlohnungssystem auch gegenüber nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern anzuwenden, soweit dessen Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] unterliegen ([X.] FS Kreutz S. 263, 272 f.). [X.]ie Transparenz der betrieblichen Lohngestaltung und die Beachtung der Verteilungsgerechtigkeit erfordern eine vergleichende Bewertung des gesamten betrieblichen Entgeltgefüges. [X.]er mit dem Beteiligungsrecht beabsichtigte Schutz wird verfehlt, wenn die Zuordnung der Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Entlohnungssystemen allein nach der [X.]szugehörigkeit erfolgt. Eine daraus resultierende Aufteilung der Belegschaft ist nicht - wie § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] verlangt - tätigkeitsbezogen ([X.] 18. November 2003 - 1 [X.] - zu I 3 c [X.] [1] der Gründe, [X.]E 108, 299). Ihr fehlt es an einem Sachgrund; eine den gesamten Betrieb in Blick nehmende, vergleichende Bewertung des [X.] lässt sie nicht zu.

6. [X.]anach ist der Arbeitgeber im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung zur Anwendung einer tariflichen Regelung iSd. § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] selbst dann verpflichtet, wenn es sich hierbei um eine Inhaltsnorm handelt.

a) An einer Gestaltung eines für alle Arbeitnehmer geltenden betrieblichen Vergütungssystems sind die Betriebsparteien wegen des [X.] gehindert. Mit dem damit verbundenen Ausschluss des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] korrespondiert für den tarifgebundenen Arbeitgeber deshalb die Verpflichtung, die tarifliche Vergütungsordnung, soweit sie ohne den Tarifvorbehalt dem Beteiligungsrecht des Betriebsrats unterliegen würde, im Betrieb anzuwenden. [X.]ies schließt die sich aus § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] ergebende Verpflichtung ein, die vom Geltungsbereich der Vergütungsordnung erfassten Tätigkeiten der Arbeitnehmer unabhängig von deren Tarifbindung den ausgebrachten Vergütungsgruppen zuzuordnen und zu dieser Entscheidung die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.

b) [X.]ie Bindung des Arbeitgebers an die tarifliche Entgeltstruktur begründet indes keinen Anspruch der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer auf den Tariflohn. [X.]ies würde zu einer unzulässigen Erstreckung von tariflich geregelten Arbeitsbedingungen auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer führen, die nicht mit der [X.] gerechtfertigt werden kann, die auf der Beschränkung des Mitbestimmungsrechts aufgrund des [X.] beruht. Wird die Mitbestimmung des Betriebsrats im Bereich des § 87 Abs. 1 [X.] durch tarifliche Inhaltsnormen ausgeschlossen, ist der Arbeitgeber nur insoweit zur Beachtung der Tarifregelung verpflichtet, wie diese das erzwingbare Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beschränkt. [X.]ies führt nicht dazu, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die tariflich bestimmte Vergütung erhält. Zwar ist der Arbeitgeber nach der Senatsrechtsprechung aufgrund des Arbeitsvertrags verpflichtet, die Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden [X.]n zu vergüten (zuletzt [X.] 17. Mai 2011 - 1 [X.] - Rn. 30, EzA [X.] 2001 § 87 [X.] Nr. 25). [X.]as Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] erstreckt sich aber nicht auf die [X.], sondern umfasst nur die Bildung von Entgeltgruppen nach abstrakten Kriterien einschließlich der Festsetzung der [X.] nach Prozentsätzen oder anderen Bezugsgrößen. [X.]er tarifgebundene Arbeitgeber kann daher für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer die Höhe des Entgelts unter Beachtung der in der tariflichen Vergütungsordnung enthaltenen Verteilungsgrundsätze festlegen.

7. [X.]anach erweist sich der Feststellungsantrag des Betriebsrats als begründet. Es kann offenbleiben, ob die Arbeitgeberin in der Vergangenheit sämtliche im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nach der durch § 3 [X.] vorgegebenen Entgeltstruktur vergütet hat, was zwischen den Beteiligten streitig geblieben ist. [X.]ie aufgrund des Anerkennungstarifvertrags an die Tarifverträge für den Einzelhandel in [X.] gebundene Arbeitgeberin war jedoch im Verhältnis zu ihrem Betriebsrat verpflichtet, auch die Tätigkeit der ab November 2008 eingestellten Arbeitnehmer den Vergütungsgruppen des § 3 [X.] zuzuordnen und an dieser Entscheidung den Betriebsrat zu beteiligen. [X.]a der Betriebsrat mit seinem Feststellungsantrag bereits aus diesem Grund durchdringt, bedarf es keiner Entscheidung, ob die von der Arbeitgeberin getroffene Maßnahme, die überwiegend in einem befristeten Arbeitsverhältnis beschäftigten Arbeitnehmerinnen nach einer von ihr festgelegten Entgeltstruktur zu vergüten, gegen § 4 Abs. 2 [X.] verstößt.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Brocker    

        

    N. Schuster    

                 

Meta

1 ABR 34/10

18.10.2011

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 7. Oktober 2009, Az: 4 BV 28/09, Beschluss

§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 99 Abs 1 S 1 BetrVG, § 101 BetrVG, Art 9 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.10.2011, Az. 1 ABR 34/10 (REWIS RS 2011, 2324)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2324


Verfahrensgang

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Az. 1 ABR 34/10

Bundesarbeitsgericht, 1 ABR 34/10, 18.10.2011.


Az. 4 BV 28/09

Arbeitsgericht Düsseldorf, 4 BV 28/09, 07.10.2009.


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Referenzen
Wird zitiert von

4 TaBV 135/15

9 TaBV 86/14

2 Sa 745/12

10 TaBV 3/12

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