Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2011, Az. II ZR 304/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1421

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Gegenstand

Vereinsrecht: Haftungsprivilegierung eines Vereinsmitglieds bei grob fahrlässiger Verursachung eines Schadens des Vereins


Leitsatz

Verursacht ein Vereinsmitglied durch grob fahrlässiges Handeln einen Schaden des Vereins, kommt eine Haftungsprivilegierung des Mitglieds auch bei unentgeltlicher Tätigkeit nicht in Betracht.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.] vom 24. September 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 573.932 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt als Gebäudeversicherer des [X.] (im Folgenden: Verein) den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Schadenersatz in Höhe von 573.932 € wegen eines Brandschadens am Vereinsheim in Anspruch. Der Beklagte, der ebenso wie der Streithelfer den Beruf eines Schlossers erlernt hat, war Mitglied des Vereins. Aufgrund eines Vorstandsbeschlusses vom 24. Januar 2005 führte er unter Mithilfe des Streithelfers auf dem Dach des Vereinsheims unentgeltlich Schweißarbeiten durch. Im Zuge der Arbeiten entfernte er teilweise die auf der Holzschalung des Flachdaches aufgebrachte [X.], befestigte die an dem - für den [X.] hergestellten - Wasserkasten angebrachten Laschenbleche am Holzdach, verschweißte mit einem Elektroschweißgerät den Kasten an einem Eisenträger und brachte schließlich auf einer Fläche von etwa 0,5 qm eine neue [X.] auf, die er zuvor mit einem Propangasbrenner erhitzte. Zur [X.] stellten der Beklagte und der Streithelfer, der vom Boden aus Handreichungen erledigte und auf Funkenflug achten sollte, zwei Feuerlöscher und einen Eimer mit Wasser bereit. Nach Abschluss der Arbeiten bemerkte der Beklagte, dass sich unter der Holzschalung die Dämmung entzündet hatte. Trotz sofortiger Löschversuche brannte das Vereinsheim vollständig ab.

2

Die Klägerin zahlte zur Regulierung des Schadens an den Verein eine Versicherungsleistung in Höhe von 573.932 €. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten lehnte eine Eintrittsverpflichtung ab.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ([X.], NJW-RR 2010, 957) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

4

II. Die Beschwerde ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5

1. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).

6

Die Klägerin hat im Verfahren erster Instanz vorgetragen, der Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt, weil er bei der aus Holz bestehenden Dachkonstruktion mit offener Flamme Klebearbeiten an Bitumenbahnen ausgeführt habe; es sei verboten, Heißbitumenarbeiten an Holzdächern mit offener Flamme durchzuführen. Diesen Vortrag hat sie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin unter Bezugnahme auf dieses Vorbringen gerügt, dass sich das [X.] damit nicht auseinandergesetzt habe und ihre Beweisangebote übergangen worden seien. Das Berufungsgericht hat, ohne sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen, angenommen, der Beklagte habe allenfalls leicht fahrlässig gehandelt; ein grob fahrlässiges Verhalten sei nicht zu erkennen. Es hat seine Beurteilung unter anderem darauf gestützt, dass die Handlungsweise des Beklagten nicht unverantwortlich sei, weil nach allgemeiner Lebenserfahrung Bitumenbahnen als Dachbelag von Holzdächern häufig Verwendung fänden und das Dach des Vereinsheims bereits zuvor mit verschweißten Bitumenbahnen gedeckt gewesen sei.

7

Damit hat das Berufungsgericht einen fachspezifischen Sachverstand für sich in Anspruch genommen, der ihm nicht ohne weiteres zukommt. Es hätte, ohne den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu verletzen, nur dann gemäß § 286 ZPO zu dieser Einschätzung kommen dürfen, wenn es dargelegt hätte, dass es über hinreichende Sachkunde verfügte, um den von der Klägerin behaupteten Verstoß gegen handwerkliche Regeln und Vorschriften zu beurteilen (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Juni 2008, - [X.], [X.], 1453 Rn. 3; Urteil vom 22. Februar 2011 - [X.], [X.], 766 Rn. 25). Dazu enthält das Berufungsurteil keine Ausführungen.

8

2. Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung grob fahrlässiges Handeln bejaht und zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

9

a) Wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, schließt grob fahrlässiges Handeln eine Haftungsprivilegierung des Beklagten gegenüber dem Verein auch bei unentgeltlicher Tätigkeit aus ([X.], Urteil vom 5. Dezember 1983 - II ZR 252/82, [X.]Z 89, 153, 160; Urteil vom 13. Dezember 2004 - [X.], [X.], 345, 346). [X.] fahrlässig ist ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wobei auch subjektive, in der Person des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen sind. Ob ein vorwerfbares Handeln als grob fahrlässig zu bewerten ist, ist vom Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen ([X.], Urteil vom 5. Dezember 1983 - II ZR 252/82, [X.]Z 89, 153, 160 f.; Urteil vom 13. Dezember 2004 - [X.], [X.], 345, 347). Dürfen - wie von der Klägerin behauptet - Heißbitumenarbeiten an Holzdächern mit offener Flamme nicht durchgeführt werden, stellt dies einen Umstand dar, der für die Beurteilung der Schwere des objektiven Pflichtverstoßes des Beklagten und damit auch des Fahrlässigkeitsgrades seines Handelns von maßgeblicher Bedeutung ist und deshalb nicht unberücksichtigt bleiben darf. Zwar lässt ein objektiv grober Pflichtverstoß nicht regelhaft den Schluss auf subjektive Unentschuldbarkeit zu; jedoch kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte [X.] geschlossen werden ([X.], Urteil vom 29. Januar 2003 - [X.], [X.], 1118, 1119). Umstände, die im Falle eines objektiv schweren Pflichtverstoßes den Beklagten subjektiv entlasten könnten, hat das Berufungsgericht bisher nicht festgestellt.

b) Das Beweisangebot der Klägerin ist nicht deshalb unbeachtlich, weil ein nach § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. auf die Klägerin übergegangener Anspruch des Vereins gegen den Beklagten durch einen im Versicherungsverhältnis vereinbarten [X.] ausgeschlossen ist. Hiervon kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden.

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist der vom Vermieter abgeschlossene Gebäudeversicherungsvertrag, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für eine Mitversicherung des [X.] vorliegen, ergänzend dahin auszulegen, dass ihm ein [X.] des Versicherers für die Fälle zu entnehmen ist, in denen der Mieter einen Schaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat ([X.], Urteil vom 8. November 2000 - [X.], [X.]Z 145, 393, 398; Urteil vom 13. September 2006 - [X.], [X.]Z 169, 86 Rn. 8), und zwar auch dann, wenn der Mieter eine den Schaden an gemieteten Sachen deckende Haftpflichtversicherung hat ([X.], Urteil vom 13. September 2006 - [X.], [X.]Z 169, 86 Rn. 9; Urteil vom 27. Januar 2010 - [X.], [X.]Z 184, 148 Rn. 9). Diese Grundsätze gelten auch für den Fall eines unentgeltlichen Nutzungsverhältnisses ([X.], Urteil vom 13. September 2006 - [X.], [X.], 3711 Rn. 12).

bb) Ob diese Grundsätze auch Anwendung finden, wenn - wie hier - ein versicherter Verein durch ein Vereinsmitglied geschädigt wird, kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen offen bleiben. Denn die Annahme eines [X.]s kommt - ihre Anwendbarkeit unterstellt - nur bei einfacher Fahrlässigkeit, nicht jedoch bei einem von der Klägerin geltend gemachten grob fahrlässigen Handeln des Vereinsmitglieds in Betracht. Zur Klärung der Frage, welches Maß an Fahrlässigkeit dem Beklagten vorzuwerfen ist, sind - wie ausgeführt - weitere Feststellungen erforderlich.

Bergmann                                               [X.]                                         Reichart

                              Drescher                                             Born

Meta

II ZR 304/09

15.11.2011

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 24. September 2009, Az: 11 U 156/08, Urteil

§ 27 Abs 3 BGB, § 254 Abs 1 BGB, § 670 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2011, Az. II ZR 304/09 (REWIS RS 2011, 1421)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1421

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