Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.03.2022, Az. AK 6/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 786

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Gegenstand

Kriegsverbrechen gegen Personen durch entwürdigende oder erniedrigende Behandlung bei Leichenschändung im syrischen Bürgerkrieg


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 18. August 2021 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 6. August 2021 (10 [X.] 38/21) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

2

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe in der [X.] von Dezember 2013 bis [X.] 2015 in [X.] im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend und erniedrigend behandelt, sich in zwei Fällen als Mitglied an einer [X.] im Ausland beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet gewesen sei, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 [X.]) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 [X.]) zu begehen, und dabei in einem Fall tateinheitlich die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen beruht habe oder eine Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a [X.] erstattet worden sei, strafbar gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 9 [X.], § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6, § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 [X.]. Teil B Abschnitt V Nr. 32 der Anlage zu § 1 Abs. 1 [X.], §§ 52, 53 StGB, §§ 1, 105 JGG.

3

Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 4. Februar 2022 Anklage gegen den Angeschuldigten beim [X.] erhoben.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. Gegenstand des [X.] nach §§ 121, 122 StPO ist der vollzogene Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.]s vom 6. August 2021, zu dessen Anpassung oder Erweiterung nur das gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständige [X.] befugt ist. Die Haftprüfung ist grundsätzlich auf den in dem Haftbefehl erhobenen Vorwurf beschränkt. Dem [X.] ist es jedenfalls verwehrt, anhand der Ermittlungsergebnisse die im Haftbefehl umschriebene prozessuale Tat auszutauschen oder den Haftbefehl über diese hinaus in tatsächlicher Hinsicht zu erweitern (s. [X.], Beschlüsse vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 6; vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 3). Auf den dem Angeschuldigten mit der Anklageschrift vom 4. Februar 2022 angelasteten weiteren Vorwurf des Verstoßes gegen das [X.] am 7. März 2014 (Tat zu Ziffer 4 der Anklage) erstreckt sich die Haftprüfung somit nicht.

6

2. Der Angeschuldigte ist der ihm im vollzogenen Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

7

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

8

aa) Die in [X.] seit Februar 2011 gegen die Regierung von [X.] schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens [X.] Sicherheitskräfte, Milizen sowie der [X.] gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten [X.], der Anfang 2012 schließlich weitere Teile des [X.] erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete.

9

Nach Ausbruch des [X.] kämpfte der Angeschuldigte zunächst auf Seiten der Freien Syrischen [X.] ([X.]) gegen das Assad-Regime. Im Dezember 2013 kam es in der Ortschaft [X.]im [X.]    zu einem Gefecht zwischen den [X.] der [X.] Regierung und Angehörigen der [X.] um das örtliche Kraftwerk.

Im Zusammenhang mit diesem Gefecht stießen der damals 19-jährige Angeschuldigte und mindestens ein weiterer Kämpfer der [X.] auf den Leichnam eines getöteten Soldaten der [X.]. Der Angeschuldigte ließ sich dabei filmen, wie er dem getöteten Soldaten mit dem Fuß in den Bauch trat, mit dem Fuß das Gesicht des Toten berührte oder eine solche Berührung zumindest andeutete und ihn dabei als "Hund" beschimpfte. Ferner posierte der Angeschuldigte gemeinsam mit einem weiteren Kämpfer seiner Gruppierung für ein Lichtbild mit - mutmaßlich demselben - getöteten [X.] Soldaten. Der Getötete lag dabei auf dem Bauch, der Angeschuldigte und eine weitere Person standen dahinter. Letztere war mit einem Gewehr bewaffnet und setzte den rechten Fuß nach Art eines Großwildjägers, der ein Tier erlegt hatte, auf den Rücken des Toten. Schließlich stellte der Angeschuldigte seinen linken Fuß auf die Brust des nunmehr auf dem Rücken liegenden Leichnams ab und ließ sich in dieser Pose ebenfalls ablichten.

bb) Nachdem der Angeschuldigte noch im Dezember 2013 als Kämpfer des [X.]-nahen Regimentes der Eroberer (Fawj al-Fatiheen) an den Gefechten um die Stadt [X.].   teilgenommen hatte, schloss er sich im [X.] zunächst den islamistischen [X.] und sodann ab Februar 2014 bis zu seiner Ausreise im [X.] 2016 dem [X.] als Kämpfer an.

Der [X.] ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im [X.] sowie das Regime des [X.] Präsidenten [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die [X.] als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der [X.], die sich mit der Ausrufung des "Kalifats" am 29. Juni 2014 von "[X.] im [X.] und in Großsyrien" ([X.]IG) in "[X.]" ([X.]) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hatte seit 2010 bis zu seiner Tötung im Oktober 2019 [X.] inne. Bei der Ausrufung des Kalifats war [X.] von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "[X.]" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "[X.]". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "[X.]" produziert und über die Medienstelle "[X.]" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein [X.] nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der [X.] besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift "[X.] - [X.] - [X.]" auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem [X.] Glaubensbekenntnis. Die - zeitweilig mehreren tausend - Kämpfer sind dem "[X.]" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Seine Ziele setzte der [X.] durch offenen militärischen Bodenkampf im [X.] und in [X.] sowie durch Sprengstoff- und Selbstmordanschläge, aber auch durch Entführungen, Erschießungen und spektakulär inszenierte, grausame Hinrichtungen durch. Die [X.] teilte von ihr besetzte Gebiete in [X.] ein und errichtete einen [X.]; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der [X.] und [X.] [X.], aber auch in Gegnerschaft zum [X.] stehender Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des [X.] in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom [X.] zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging der [X.] immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er auch für Anschläge in [X.], etwa in [X.], [X.], [X.] und [X.], die Verantwortung.

Im [X.] gelang es dem [X.] im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt [X.], die bis zu der Offensive der von [X.] unterstützten [X.] [X.] Ende 2016 der zentrale Ort seiner [X.] [X.] war. In den Jahren 2013 und 2014 gelang es dem [X.] zudem, weite Teile im Norden und Osten [X.]s unter seine Gewalt zu bringen.

Seit Januar 2015 wurde die [X.] schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von [X.], die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der [X.] aus seiner letzten nord[X.] [X.]chburg in [X.] verdrängt; im Frühjahr 2019 verlor er auch die von ihm zuletzt noch kontrollierten Gebiete im Norden [X.]s. Der Anführer und selbsternannte "Kalif" des [X.] [X.] wurde in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 im Rahmen einer [X.] Militäraktion im Nordwesten [X.]s getötet. Zu seinem Nachfolger berief der [X.] kurz darauf [X.]. Heute hat der [X.] sein ehemaliges Herrschaftsgebiet in [X.] und im [X.] verloren, ohne dass aber die [X.] als solche zerschlagen wäre.

Der Angeschuldigte ordnete sich in Kenntnis aller Umstände aus freien Stücken den Zielen des [X.] unter und gliederte sich in die hierarchische Struktur der [X.] ein. So absolvierte er in der von der Organisation kontrollierten Stadt [X.]        , in der er mehrere Monate lebte, ein 15-tägiges Religionstraining des [X.]. Daneben verrichtete er an dessen Checkpoints Wachdienste, war für die [X.] als Fahrer tätig, handelte für diese mit Öl und nahm als bewaffneter Kämpfer an Kampfhandlungen teil, in deren Verlauf er eine Schussverletzung am Bein erlitt. Im [X.] 2015 verließ der Angeschuldigte [X.] und reiste am 20. November 2015 in die [X.] ein.

Im Frühjahr 2014, vermutlich am 17. Februar 2014, verfügte der Angeschuldigte für den [X.] in [X.]        über ein großkalibriges, [X.] 23mm-Geschütz, welches auf der Ladefläche eines mit [X.]-Symbolen bemalten und beflaggten Pick-ups, montiert war. Hiermit ließ sich der Angeschuldigte auf einer Serie von Lichtbildern ablichten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl Bezug genommen.

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der drei Taten beruht auf Folgendem:

aa) Die Behandlung eines augenscheinlich Getöteten zeigen eine Videosequenz und zwei Lichtbilder, die auf Datenträger des Angeschuldigten gefunden worden sind. Diese Erkenntnisse werden durch Angaben dreier Zeugen, einen islamwissenschaftlichen Vermerk vom 19. März 2021 sowie ein Lichtbildvergleichsgutachten des Hessischen [X.]kriminalamts vom 13. November 2020 ergänzt.

bb) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen [X.] "[X.]" einschließlich der Lage im [X.] [X.] beruht auf Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere des [X.], die sich in zahlreichen Auswerteberichten und islamwissenschaftlichen Sachverständigengutachten finden.

Der Angeschuldigte hat zwar bestritten, Mitglied der [X.] gewesen zu sein, jedoch in Übereinstimmung mit den vorgenannten Erkenntnissen eingeräumt, sich in [X.]        für vier Monate aufgehalten und an einem 15-tägigen Training des [X.] teilgenommen zu haben, bei dem ihm erklärt worden sei, welche Länder zu bekämpfen seien und wie er mit Waffen umzugehen habe. Seine weiteren bestreitenden Angaben im Ermittlungsverfahren sind hingegen nach vorläufiger Bewertung nicht glaubhaft, da sie schon nicht konstant und in Teilen widersprüchlich sind.

Für eine Mitgliedschaft im [X.], seiner Eingliederung in die [X.]-Truppen und den Einsatz bei Kampfhandlungen spricht die Auswertung der bei ihm sichergestellten elektronischen Speichermedien. Auf den dort gesicherten Bild- und Videodateien ist der Angeschuldigte mit verschiedenen Kriegswaffen bei Kampfhandlungen zu erkennen. Gestützt werden diese Erkenntnisse durch die Angaben eines Zeugen im Ermittlungsverfahren. Ihm gegenüber hat der Angeschuldigte mehrfach davon berichtet, dass er ein 15-tägiges Religionstraining beim [X.] absolviert, für diesen Öl verkauft und mit Waffen gehandelt sowie auf Seiten des [X.] gekämpft und dabei eine Schussverletzung erlitten habe. Der Zeuge habe den Angeschuldigten im April 2014 in [X.] an einem Checkpoint des [X.] gesehen. Er hat den Angeschuldigten auf zwei Lichtbildvorlagen wiedererkannt. Bestätigt werden die Erkenntnisse zur Beteiligung des Angeschuldigten an unterschiedlichen Kampfeinheiten zudem durch die Angaben weiterer Zeugen, einen sichergestellten Chatverlauf vom 8. Juli 2019 mit seinem Bruder sowie die Vermerke vom 19. März und 5. August 2021 des [X.].     .

cc) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des Verstoßes gegen das [X.] beruht auf einer Serie von Lichtbildern, den Angaben zweier Zeugen, den islamwissenschaftlichen Vermerken sowie einem Lichtbildvergleichsgutachten des Hessischen [X.]kriminalamtes.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht ergibt sich hieraus Folgendes:

aa) Der unter Gliederungspunkt 2. a) aa) geschilderte Sachverhalt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit als Kriegsverbrechen gegen Personen durch eine in schwerwiegender Weise entwürdigende oder erniedrigende Behandlung zu werten (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 [X.]).

(1) In [X.] bestand im Tatzeitraum ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 [X.] zwischen dem [X.] Regime mit offizieller [X.], Polizei, Sicherheitskräften sowie zivilen Milizen und einer Vielzahl kämpfender Gruppierungen, unter anderem der Freien Syrischen [X.] ([X.], Beschluss vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 24; Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 11 [X.]).

(2) Bei dem Geschädigten handelte es sich um eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person. Das ergibt sich aus § 8 Abs. 6 Nr. 2 [X.], wonach in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt insbesondere solche Personen als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende anzusehen sind, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden. Dazu gehören unter anderem feindliche Kämpfer, die außer Gefecht sind ([X.], Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 13 [X.]). Hierzu zählte mithin auch der getötete Soldat der [X.] Regierungstruppen.

(3) Dieser unterfiel auch nach seinem Tod dem Schutzbereich des § 8 Abs. 1 Nr. 9 [X.]. Die danach strafbewehrte schwerwiegende entwürdigende oder erniedrigende Behandlung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person erfasst auch Verstorbene; die Vorschrift dient insoweit dem Schutz der Totenehre bzw. der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen ([X.], Urteile vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, juris Rn. 91 [insoweit in [X.]St 65, 286 nicht abgedruckt]; vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 15 f.; Beschluss vom 8. September 2016 - StB 27/16, [X.]R [X.] § 8 Abs. 1 Nr. 9 Zu schützende Person 1 - Verstorbener; [X.]/Epik [X.], 261, 262; MüKoStGB/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 8 [X.] Rn. 204 [X.]).

(4) Das Verhalten des Angeschuldigten stellt sich als schwerwiegende entwürdigende und erniedrigende Behandlung des getöteten Soldaten dar.

Der Angeschuldigte behandelte den Getöteten in dieser Weise, indem er sich dabei filmen ließ, wie er ihm mit dem Fuß in den Bauch trat, anschließend mit dem Fuß dessen Gesicht berührte oder eine solche Berührung zumindest andeutete, ihn dabei als "Hund" beschimpfte und sodann seinen Fuß auf dessen Rücken abstellte (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 35 ff. [X.]).

Die entwürdigende und erniedrigende Behandlung des getöteten Soldaten durch den Angeschuldigten war schwerwiegend im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 9 [X.]. Dieses Merkmal bedarf im Hinblick auf den Verbrechenscharakter der Norm und der damit verbundenen Mindeststrafandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots schuldangemessenen Strafens einer einschränkenden Auslegung. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich der Norm auf solche Taten zu beschränken, durch welche die Würde des Betroffenen in einem Ausmaß verletzt wird, dass sich die Tat aus Sicht eines objektiven Beobachters unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes des Opfers als Gräueltat darstellt. Dies kommt im Zusammenhang mit der entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung Verstorbener vor allem bei Verstümmelungen oder anderen körperlichen Einwirkungen in Betracht. Bloße Beschimpfungen, Beleidigungen oder sonstige nicht mit physischer Einwirkung verbundene entwürdigende oder erniedrigende Behandlungen Verstorbener sind demgegenüber grundsätzlich nicht geeignet, als Gräueltat angesehen zu werden. Etwas Anderes kann nur gelten, wenn ein derartiges Verhalten ausnahmsweise gleichermaßen grauenhaft bzw. grauenerregend erscheint wie eine durch körperliche Einwirkung begangene Gräueltat (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 48 ff. [X.]).

[X.], das Berühren des Gesichts - oder zumindest dessen Andeutung - mit dem Fuß und das Abstellen des Fußes auf dessen Rücken stellt für sich genommen bereits eine schwerwiegende entwürdigende und erniedrigende Behandlung dar. Hinzu kommt, dass sich der Angeschuldigte hierbei filmen und fotografieren ließ. Hierdurch präsentierte er den getöteten Soldaten als Trophäe und vermittelte damit seine Überlegenheit und Gnadenlosigkeit, statt den Leichnam beizusetzen oder an den Gegner zu überstellen.

(5) Schließlich beging der Angeschuldigte die Tat auch im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt (vgl. zu den Voraussetzungen [X.], Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 55 f., [X.]; Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 29). Dies versteht sich hier von selbst.

bb) Mit Blick auf den unter 2. a) bb) geschilderten Sachverhalt hat sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland strafbar gemacht (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB), indem er sich dem [X.] anschloss und sich für ihn auf verschiedene Weise betätigte. Dies gilt sowohl unter Zugrundelegung des früher nach der Rechtsprechung des [X.] maßgeblichen [X.]sbegriffs als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 [X.]. § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung (s. zu den Voraussetzungen der mitgliedschaftlichen Beteiligung im Einzelnen [X.], Beschluss vom 14. Juli 2021 - AK 37/21, juris Rn. 34 ff.). Die dem Angeschuldigten vorgeworfenen Aktivitäten - u.a. als Kämpfer - im [X.]-Herrschaftsgebiet stellen aktive Beteiligungshandlungen dar.

Daneben hat sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe gemäß § 22a Abs. 1 Nr. 6, § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 [X.] [X.]. Teil B Abschnitt V Nr. 32 der Anlage zu § 1 Abs. 1 zum [X.] strafbar gemacht.

cc) [X.] ergibt sich hieraus Folgendes:

Die mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der [X.] oder ihren sonstigen Interessen dienen, stehen gemäß § 52 Abs. 1 Alternative 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung, jedoch - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen [X.] ([X.], Beschlüsse vom 20. April 2021 - AK 30/21, juris Rn. 50; vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, [X.]St 60, 308 Rn. 23 ff.).

Das [X.] stellt zugleich eine mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung im Sinne der § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB dar und ist daher für sich in Tateinheit im Sinne des § 52 StGB zur Mitgliedschaft verwirklicht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, juris Rn. 48; vom 9. Juni 2020 - AK 12/20, juris Rn. 31; vom 4. März 2020 - StB 7/20, Rn. 45; vom 15. Mai 2019 - AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 30). In [X.] (§ 53 StGB) dazu treten jeweils die Gesamtheit der fortdauernden, keinen weiteren Straftatbestand erfüllenden mitgliedschaftlichen [X.] (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. April 2021 - AK 30/21, juris Rn. 52; vom 17. Oktober 2019 - StB 26/19, juris Rn. 30 ff. [X.]) sowie das Kriegsverbrechen, das unabhängig von der Eingliederung in den [X.] und dem [X.] verwirklicht ist.

dd) [X.] Strafrecht ist anwendbar. Dies folgt für das Kriegsverbrechen gegen Personen aus § 1 Satz 1 [X.] und für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland zumindest aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 35; vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, [X.]R StGB § 129b Anwendbarkeit 1 - Auslandstaten [X.]; vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 35 f.). Der [X.] an eine terroristische Organisation ist gemäß Art. 1 und 3 des [X.] Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012, das die zuvor geltenden Vorschriften über die Strafbarkeit einer Mitgliedschaft in einer terroristischen [X.] nach Art. 304 bis 305 des [X.] Strafgesetzbuches ersetzt hat, auch in [X.] mit Strafe bedroht ([X.], Beschlüsse vom 20. April 2021 - AK 30/21, juris Rn. 53; vom 30. Juni 2020 - AK 14/20, juris Rn. 27). Daneben steht das Tragen bzw. der Besitz von Schusswaffen ohne Waffenschein nach den §§ 39, 41 des [X.] [X.] [X.] vom 24. September 2001 am Tatort ebenfalls unter Strafe ([X.], Beschluss vom 8. September 2016 - StB 27/16, NJW 2016, 3604 Rn. 23).

ee) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des [X.] vor.

3. Es bestehen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. im Einzelnen [X.], Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) - derjenige der [X.].

a) Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, da es bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls wahrscheinlicher ist, dass sich der Angeschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.

Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Jugend- oder Freiheitsstrafe zu rechnen. Er ist eines Kriegsverbrechens gegen Personen, der Mitgliedschaft in einer terroristischen [X.] im Ausland und eines Verstoßes gegen das [X.] dringend verdächtig. Sämtliche Delikte sind als Verbrechen im Erwachsenenstrafrecht mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht.

Dem mithin gegebenen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden flucht-hindernden Umstände entgegen. Der Angeschuldigte ist [X.] Staatsangehöriger. Nach Ablehnung seines Asylantrags verfügte er lediglich über eine bis zum 15. Januar 2022 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Diesbezüglich ist in Anbetracht der Tatvorwürfe zudem beim [X.] ein Widerrufsverfahren anhängig. Neben dem unsicheren Aufenthaltsstatus unterhält der Angeschuldigte weiterhin Verbindungen in sein Heimatland, wo einer seiner Brüder und [X.] leben. Seine Eltern und weitere Geschwister halten sich im [X.] auf. Daneben sind auch die in [X.] lebenden engen Familienmitglieder, insbesondere seine Lebensgefährtin, Stieftochter und Tochter, ausschließlich ausländische Staatsangehörige. Diese Gesamtumstände erleichtern ihm deutlich, seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlagern.

Zwar verfügt der Angeschuldigte über einen festen Wohnsitz in [X.]    sowie über familiäre und berufliche Bindungen, die jedoch im konkreten Fall angesichts der Schwere der erhobenen Vorwürfe keine hinreichenden fluchthindernden Umstände darstellen. Hinzu kommt, dass das Verhältnis zu seiner Lebensgefährtin und seiner Stieftochter angesichts der von ihnen erhobenen Körperverletzungsvorwürfe sowie des im Nachgang ausgesprochenen Kontakt- und Annäherungsverbots als belastet anzusehen ist. Schließlich ging der Angeschuldigte bis zu seiner Inhaftierung lediglich einer geringfügigen Beschäftigung im Rahmen einer Aufstockungsmaßnahme der Agentur für Arbeit nach.

Der Annahme von Fluchtgefahr steht auch nicht entgegen, dass der Angeschuldigte bereits seit der Durchsuchungsmaßnahme im Mai 2020 von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren weiß. Denn zum einen war dem Angeschuldigten nicht bekannt, dass die weiteren Ermittlungen den gegen ihn gerichteten Anfangsverdacht zu einem dringenden Tatverdacht erhärtet haben, zum anderen ist das Verfahren wegen eines Kriegsverbrechens erst im [X.] an die vorgenannte Durchsuchungsmaßnahme eingeleitet worden.

b) Daneben besteht der Haftgrund der [X.]. Der Angeschuldigte ist der Mitgliedschaft in einer terroristischen [X.] im Ausland, mithin einer Katalogtat des § 112 Abs. 3 StPO dringend verdächtig. Nach den vorgenannten Umständen des Einzelfalls ist eine Fluchtgefahr jedenfalls nicht im Sinne der Rechtsprechung des [X.] ausgeschlossen (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Dezember 1965, NJW 1966, 243; [X.], Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.).

c) Dieser Gefahr kann durch andere fluchthemmende Maßnahmen nicht genügend begegnet werden, weshalb der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden kann.

4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer.

Es handelt sich um umfangreiche und zeitintensive Ermittlungen. Insbesondere hat sich die Auswertung des defekten Mobiltelefons des Angeschuldigten nicht nur technisch schwierig und inhaltlich aufwendig gestaltet, sondern es hat auch ein Dolmetscher für die [X.] hinzugezogen werden müssen. Letztlich ist der entsprechende Bericht über die Auswertung dieses und eines weiteren Mobiltelefons Mitte Dezember 2021 fertiggestellt worden. Daneben ist die Einholung eines forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens sowie die in diesem Zusammenhang stehende vorläufige Unterbringung des Angeschuldigten gemäß § 81 StPO erforderlich gewesen. Inzwischen hat die Generalstaatsanwaltschaft Anklage beim [X.] erhoben. Die Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 StPO läuft am 24. März 2022 ab. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Gang des Ermittlungsverfahrens wird auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in der [X.] vom 4. Februar 2022 Bezug genommen. Insgesamt ist danach das Verfahren ausreichend gefördert worden.

5. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

III.

Soweit der Angeschuldigte eine mündliche Haftprüfung vor dem Senat (§ 122 Abs. 2 Satz 2, Abs. 7 StPO) beantragt, sind Gründe hierfür weder ersichtlich noch vorgetragen. Die Entscheidung über die weiterhin begehrte Übersetzung der Anklageschrift (§ 187 GVG) obliegt dem [X.].

Berg                       Wimmer                       [X.]

Meta

AK 6/22

09.03.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 8 Abs 1 Nr 9 VStGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.03.2022, Az. AK 6/22 (REWIS RS 2022, 786)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 786

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 57/17

3 StR 564/19

3 StR 537/14

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