Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.05.2022, Az. B 5 R 11/22 BH

5. Senat | REWIS RS 2022, 3804

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - unverschuldetes Fristversäumnis bei verspäteter Zustellung eines mittels Einschreiben bei der Deutschen Post AG aufgegebenen Briefes


Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 4. Januar 2022 - L 14 R 455/19 - vor dem [X.] Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 4. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens den Wechsel von der ihr mit einem Abschlag gewährten Altersrente für Frauen in eine abschlagsfreie Altersrente.

2

Nach Aufforderung des Jobcenters des [X.] beantragte die 1950 geborene Klägerin im Dezember 2012 eine Altersrente für Frauen. Mit Bescheid vom [X.] bewilligte die Beklagte ihr ab dem 1.3.2013 die begehrte Rente. Wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme wurde die Rente mit einem Abschlag [X.] von 7,2 % versehen. Seit März 2013 bezieht die Klägerin die Rente fortlaufend. Widerspruch und Klage hinsichtlich der Rentenhöhe blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom [X.], Rücknahme der Klage vor dem [X.] - [X.] R 1345/13 - im Erörterungstermin am 14.1.2014).

3

Mit Schreiben vom 18.2.2015 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Rentenbescheids nach § 44 [X.]B X. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Die von der Klägerin eingereichten Unterlagen seien nicht geeignet, weitere Zeiten zu belegen. Für einen Beratungsmangel bei der Aufnahme des [X.] seien keine Anhaltspunkte ersichtlich (Bescheid vom 17.11.2015). Den Widerspruch wies die Beklagte zurück. Weder sei eine Änderung der [X.] noch eine höhere Rentenleistung aufgrund Anerkennung weiterer rentenrechtlicher Zeiten möglich (Widerspruchsbescheid vom 13.5.2016). Mit Urteil von [X.] hat das [X.] die lediglich noch auf Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente gerichtete Klage abgewiesen. Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom [X.]). Der Klägerin sei ein Wechsel von der zum 1.3.2013 bestandskräftig bewilligten und seitdem auch durchgehend bezogenen Altersrente für Frauen mit Abschlag in eine andere Altersrentenart - ohne Abschlag - verwehrt.

4

Mit Schreiben vom [X.] (aufgegeben als Einschreiben bei der [X.] am [X.], eingegangen beim B[X.] am 16.2.2022) hat die Klägerin Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des L[X.] vom [X.] erhoben sowie zugleich Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

5

II. 1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.

6

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für ein Verfahren vor dem B[X.] PKH nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

7

Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin stehen einer Bewilligung von PKH für das von ihr beabsichtigte Beschwerdeverfahren nicht entgegen.

8

Es fehlt jedoch an hinreichenden Erfolgsaussichten für die von der Klägerin beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde. Der Klägerin wäre zwar Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des L[X.] zu gewähren, weil sie ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist gehindert war (§ 67 Abs 1 [X.]G). Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist allerdings nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 [X.]G zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.

9

Voraussetzung der PKH ist nach der Rechtsprechung des B[X.] und der anderen obersten Gerichtshöfe des [X.], dass sowohl der (grundsätzlich formlose) Antrag auf PKH als auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 73a Abs 1 [X.]G iVm § 117 Abs 2 und 4 ZPO) bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden (vgl B[X.] Beschluss vom 11.1.2018 - B 9 SB 87/17 B - juris Rd[X.]; B[X.] Beschluss vom 13.1.2021 - B 5 R 16/20 BH - juris Rd[X.]). Das ist hier nicht geschehen. Bis zum Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist, die am 11.2.2022 endete (§ 160a Abs 1 Satz 2, § 64 Abs 2, § 63 Abs 2 [X.]G, § 180 ZPO), hat die Klägerin weder den Antrag gestellt noch die Erklärung eingereicht. Ihr Schreiben vom [X.] samt der erforderlichen Unterlagen ist erst am 16.2.2022 beim B[X.] eingegangen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Klägerin ohne Verschulden verhindert war, den Antrag rechtzeitig zu stellen und den Vordruck einzureichen. Die Klägerin hat alles ihr Zumutbare unternommen, um innerhalb der Beschwerdefrist PKH zu erlangen.

Ein Fristversäumnis ist unverschuldet, wenn der Beteiligte die ihm nach seinen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt beachtet, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls nach allgemeiner Verkehrsanschauung zur gewissenhaften Prozessführung vernünftigerweise erforderlich ist (B[X.] Beschluss vom 27.3.2017 - B 9 V 68/16 B - juris Rd[X.]0 mwN). Bedient sich ein Beteiligter der [X.] AG, so darf er regelmäßig darauf vertrauen, dass diese die von ihr für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten einhält. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass bei der [X.] AG im [X.]gebiet werktags aufgegebene Postsendungen entsprechend ihrer amtlichen Verlautbarungen grundsätzlich am folgenden Werktag ausgeliefert werden (B[X.] aaO; B[X.] Beschluss vom 27.11.2018 - [X.] U 17/18 B - juris RdNr 9; BVerwG Urteil vom 18.9.2014 - 5 C 18.13 - [X.] 428.43 DDR-EErfG [X.] Rd[X.]5; [X.] Beschluss 21.10.2010 - [X.] - NJW 2011, 458 - juris Rd[X.]5; [X.] Beschluss vom 4.9.2008 - I R 41/08 - juris Rd[X.]1). Dies gilt auch bei Aufgabe zur Post am Freitag (BVerwG aaO; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 67 RdNr 6a) und auch für einen mittels Einschreiben bei der [X.] AG aufgegebenen Brief (siehe auch [X.]: "Einschreiben werden in der Regel am Tag nach der Einlieferung zugestellt."; [X.]). Ausweislich des [X.] hat die Klägerin das Einschreiben bereits am [X.] (Freitag) zur Post gegeben. Mithin konnte sie davon ausgehen, dass das Schreiben ohne Weiteres innerhalb der am 11.2.2022 endenden Monatsfrist beim B[X.] eingehen werde.

Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass ein Prozessbevollmächtigter der Klägerin einen der in § 160 Abs 2 [X.]G genannten Revisionsgrund erfolgreich geltend machen könnte.

Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] R 61/19 B - juris RdNr 9). Dass ein Wechsel von einer Altersrente in eine andere (Alters-)Rente nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente ausgeschlossen ist, ergibt sich unmittelbar aus § 34 Abs 4 [X.]B VI. Das B[X.] hat sich bereits mehrfach mit der Vorschrift des § 34 Abs 4 [X.]B VI beschäftigt und auch verfassungsrechtliche Bedenken verneint (B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] 4-2600 § 236a [X.] Rd[X.]1, 27 f; B[X.] Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/19 R - [X.] 4-2600 § 77 [X.]2 RdNr 22; B[X.] Urteil vom 17.6.2020 - B 5 R 2/19 R - juris RdNr 24). Dass sich im Fall der Klägerin eine in diesem Zusammenhang noch nicht geklärte Grundsatzfrage stellen könnte, ist nicht erkennbar.

Auch ist nicht ersichtlich, dass das L[X.] einen abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des B[X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.]verfassungsgerichts aufgestellt hat (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 [X.]G).

Ebenso fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass ein Verfahrensmangel vorliegen könnte, der gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G zur Zulassung der Revision führen kann. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Es lässt sich den Akten insbesondere nicht entnehmen, dass eine Verletzung des § 153 Abs 4 [X.]G vorliegt. Vielmehr hat der Senat die Beteiligten vor Zurückweisung der Berufung mehrfach angehört (vgl § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G; zur Anhörungspflicht B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 62/21 B - juris). Zudem hat er ausgeführt, warum er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hielt (zur Ermessensausübung im Rahmen des § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G siehe B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 51/21 B - juris).

Sollte die Klägerin mit einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen wollen, der Beschluss des L[X.] sei falsch, weil das L[X.] einen Wechsel in eine abschlagsfreie Rente wegen Alters zu Unrecht verneint habe, kann darauf - die vermeintliche Fehlerhaftigkeit im Einzelfall - eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (stRspr, vgl zB B[X.] Beschluss vom 25.3.2021 - B 5 R 288/20 B - juris Rd[X.]4 mwN).

2. Die von der Klägerin selbst erhobene Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht der gesetzlichen Form. Die Klägerin konnte die Nichtzulassungsbeschwerde wirksam nur durch einen vor dem B[X.] zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 [X.]G) einlegen lassen. Hierauf hat bereits die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich hingewiesen.

3. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

[X.]

Meta

B 5 R 11/22 BH

09.05.2022

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Dortmund, 5. April 2019, Az: S 61 R 944/16, Urteil

§ 63 Abs 2 SGG, § 64 Abs 2 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 1 S 2 SGG, § 180 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.05.2022, Az. B 5 R 11/22 BH (REWIS RS 2022, 3804)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3804

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IX ZB 73/10

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