Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.04.2022, Az. B 2 U 10/21 BH

2. Senat | REWIS RS 2022, 6000

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG - geklärte Rechtsfrage - Arbeitsunfall aufgrund eines vorsätzlichen Angriffs - sachlicher Zusammenhang - betrieblicher Grund - persönlicher Grund - kein Revisionszulassungsgrund: Auferlegung von Missbrauchskosten gem § 192 Abs 1 Nr 2 SGG)


Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. Juni 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

1

I. Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung eines Ereignisses vom 5.1.2017 als Arbeitsunfall im Wege eines Überprüfungsverfahrens.

2

Die Klägerin war als Servicekraft/Kellnerin in einer Gaststätte beschäftigt. Während ihrer Arbeitsschicht am 5.1.2017 kam es zu einem Zusammentreffen der Klägerin mit einem Arbeitskollegen sowie dessen Ehefrau und Tochter. Als diese der Klägerin im Eingangsbereich begegneten, kam es zu Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten der Eheleute gegen die Klägerin. Diese wurde an der Halswirbelsäule und am Schädel verletzt.

3

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab, weil die zum Unfall führende Tätigkeit persönlichen Zwecken gedient habe. Die dagegen erhobene Klage nahm die Klägerin zurück ([X.]). Auf Antrag der Klägerin leitete die Beklagte ein Überprüfungsverfahren ein, beschied dies aber abschlägig. Klage- und Berufungsverfahren sind für die Klägerin ebenfalls ohne Erfolg geblieben ([X.] vom 29.9.2020, L[X.] vom 16.6.2021).

4

Gegen die vorinstanzliche Entscheidung hat die Klägerin privatschriftlich "Prozess- und Verfahrenshilfe" beantragt sowie "Revision" eingelegt.

5

II. 1. Die Eingaben der Klägerin fasst der Senat als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ([X.]) für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] unter Beiordnung eines Rechtsanwalts auf. Soweit die Klägerin auch "Revision" eingelegt hat, umschreibt sie damit lediglich das weitere, indirekt mit dem [X.] verfolgte, künftige Rechtsschutzziel. Denn die Revision wird erst nach ihrer Zulassung statthaft.

6

2. Der Antrag auf Bewilligung von [X.] für ein noch zu führendes Beschwerdeverfahren ist abzulehnen.

7

Nach § 73a [X.]G iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem [X.] nur dann [X.] bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Es ist indes nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 [X.]G) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen.

8

Nach § 160 Abs 2 [X.]G ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat ([X.]), das Urteil des [X.] von einer Entscheidung des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ([X.]) oder des [X.] abweicht und auf dieser Abweichung beruht ([X.]), oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann ([X.] 3). Solche Zulassungsgründe sind nach summarischer Prüfung des Streitstoffs auf der Grundlage des Inhalts der Gerichtsakten sowie unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin nicht erkennbar.

9

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 20.7.2021 - [X.] U 8/21 BH - juris Rd[X.] 4 mwN; [X.] Beschluss vom [X.] - B 9 V 22/21 B - juris Rd[X.] 5 mwN). Das [X.] hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass nach den konkreten Umständen ein innerer Zusammenhang des tätlichen [X.]s mit der versicherten Tätigkeit und der konkreten Verrichtung nicht bestanden habe. Der [X.] habe seinen Ursprung in privaten Gründen gehabt, namentlich der Eifersucht der Ehefrau des Arbeitskollegen. In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen auch ein vorsätzlicher [X.] einen Arbeitsunfall begründen kann. Erforderlich ist, dass der [X.] während der Ausübung einer versicherten Tätigkeit - sei es auf der Betriebsstätte oder auf einem versicherten Weg - erfolgt. Eine Anerkennung scheidet jedoch aus, wenn der [X.] in keiner sachlichen Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten steht, sondern zB aufgrund einer persönlichen Feindschaft erfolgt und keine der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Verhältnisse (zB Dunkelheit, Dämmerung, einsam gelegener Tatort, örtliche Gegebenheiten) den Überfall wesentlich begünstigt haben (B[X.] vom [X.] U 10/12 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 47 Rd[X.]9; B[X.] vom 26.6.2001 - [X.] U 25/00 R - [X.] 3-2200 § 548 [X.] 42 Rd[X.]4, jeweils mwN). Hiervon ausgehend ist nicht erkennbar, welche Fragen zur Einordnung eines tätlichen [X.]s als Arbeitsunfall hier noch weiterer Klärung bedürfen. Dass die Klägerin die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, geht dagegen über eine im [X.] unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus (vgl [X.] Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris Rd[X.] 6).

Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das [X.] tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das [X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des [X.], des [X.] oder des [X.] aufgestellt hat. Davon kann nicht ausgegangen werden, nachdem sich die Vorinstanz gerade auf die höchstrichterliche Rechtsprechung bezogen hat. Eine - hier nicht greifbare - Verkennung ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall begründet keine Divergenz (zB [X.] Beschluss vom [X.] - B 9 SB 71/19 B - juris Rd[X.] 6 mwN; [X.] Beschluss vom [X.] - B 7 [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.] 34).

Schließlich ist nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 1 [X.]G). Ein Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 2 [X.]G).

Soweit die Klägerin auf weitere Zeugen für den Hergang des Ereignisses am 5.1.2017 verweist, besteht kein Anhalt für eine unzureichende Sachaufklärung (§ 103 [X.]G), die im [X.] noch gerügt werden könnte. Hierfür wäre ua erforderlich, dass das [X.] einem bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag nicht gefolgt ist. Zwar sind an die Formulierung und Präzision eines Beweisantrags bei vor dem [X.] unvertretenen Beteiligten - wie der Klägerin - verminderte Anforderungen zu stellen. Auch ein unvertretener Beteiligter muss aber einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens vor dem [X.] noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese aufzuklären (zB [X.] Beschluss vom 21.12.2021 - B 9 SB 55/21 B - juris Rd[X.] 7 mwN). Hierzu ist auch unter Einbeziehung des Protokolls vom 16.6.2021 nichts ersichtlich.

Unabhängig hiervon ist nicht ersichtlich, dass nach Rechtsauffassung des [X.] bestimmte Tatfragen durch Zeugenvernehmung klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen (zB [X.] Beschluss vom 30.1.2020 - [X.] U 152/19 B - juris Rd[X.] 9 mwN; [X.] Beschluss vom [X.] - B 2 U 122/19 B - juris Rd[X.] 6 mwN). Ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des [X.] zum Ausschluss eines Arbeitsunfalls bei persönlichen Beweggründen des tätlichen Angreifers kam es auf die von der Klägerin angegebene Handlungstendenz auf dem Weg zur Garderobe ohnehin nicht an.

Allein aus der Auferlegung von Missbrauchskosten nach § 192 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G kann kein Revisionszulassungsgrund abgeleitet werden. Lediglich wegen der Kostenentscheidung im Berufungsurteil kann die Revision nicht zugelassen werden, wie sich aus einer analogen Anwendung des § 165 [X.]G iVm § 144 Abs 4 [X.]G ergibt (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - B 1 KR 31/17 B - juris Rd[X.]4 mwN). Der Ausschluss eines Rechtsmittels allein wegen der Kosten soll nicht zuletzt verhindern, dass das Rechtsmittelgericht die nicht mehr anfechtbare Hauptsacheentscheidung zumindest inzident mit nachprüfen muss, weil von dieser letztlich auch die Kostenentscheidung abhängt ([X.] Beschluss vom 13.7.2004 - [X.] U 84/04 B - juris Rd[X.]3 mwN). Gleichwohl weist der Senat die Klägerin darauf hin, dass sie beim [X.] und [X.] die Niederschlagung bzw Nichterhebung der Missbrauchskosten (§ 21 Abs 1 Satz 1 GKG analog) beantragen kann.

3. Da der Klägerin nach alledem [X.] nicht zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der [X.] (§ 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 121 Abs 1 ZPO).

[X.]                [X.]

Meta

B 2 U 10/21 BH

12.04.2022

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Würzburg, 29. September 2020, Az: S 5 U 147/20

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 8 Abs 1 SGB 7, § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG, § 165 SGG, § 144 Abs 4 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.04.2022, Az. B 2 U 10/21 BH (REWIS RS 2022, 6000)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6000

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 V 51/15 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Bestellung eines Notanwalts zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde - substantiierte Darlegung einer unverschuldeten …


B 9 V 11/16 B (Bundessozialgericht)

(Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopferentschädigung - Anwendung des § …


B 9 V 15/19 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - soziales Entschädigungsrecht - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Gewaltopferentschädigung - Vernachlässigung eines Kindes …


B 2 U 10/12 R (Bundessozialgericht)

Gesetzliche Unfallversicherung - Wegeunfall - sachlicher Zusammenhang - Überfall - Vergewaltigung - Garage - Motiv …


B 9 V 19/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Beiordnung eines Notanwalts - Aussichtslosigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopfer …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 U 122/19

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.