Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 97/22 B

7. Senat | REWIS RS 2023, 1488

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss vor Ablauf der gerichtlich gesetzten Anhörungsfrist - unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts - absoluter Revisionsgrund - Zurückverweisung


Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 10. Februar 2022 gewährt.

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird der Beschluss des [X.] vom 10. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe

1

I. Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens waren [X.] und [X.] des [X.] im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem [X.] II.

2

Auf die am 7.12.2021 eingegangene Berufung hörte die Berichterstatterin beim [X.] mit Schreiben vom [X.] den Kläger zur Zurückweisung der Berufung an. Der 7. Senat halte die Berufung einstimmig für unbegründet und beabsichtige, diese durch Beschluss zurückzuweisen. Es bestehe Gelegenheit, sich binnen zwei Wochen nach Zugang des Schreibens zu äußern. Die Anhörung hat der Kläger am [X.] erhalten. Mit beim [X.] am 6.2.2022 eingegangenem Schreiben hat er die [X.]innen und [X.] des 7. Senats des [X.] abgelehnt, sinngemäß den Geschäftsverteilungsplan angefordert, sich gegen das Schreiben vom [X.] gewandt und erklärt, eine Begründung werde zurückgestellt. Mit Beschluss vom 10.2.2022 hat das [X.] die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.

3

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger ua die unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, weil das [X.] vor Ablauf der [X.] entschieden hat.

4

II. Dem Kläger wird antragsgemäß Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist gewährt (§ 67 Abs 1 SGG) wegen der fristgerechten Stellung eines [X.] durch ihn und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung seiner Prozessbevollmächtigten nach der Bewilligung der PKH durch den Senat.

5

Die zulässige Beschwerde des [X.] führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

6

Der Kläger hat einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Bezogen auf die Verletzung seines Anspruchs auf den gesetzlichen [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) hat er den Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Weil bei der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts dessen Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 [X.] 1 ZPO), kommt es auf Ausführungen zu einer möglichen Kausalität zwischen [X.] und [X.] nicht an ([X.] R 110/22 B - Rd[X.] 11).

7

Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 SGG wird jeder Senat beim [X.] in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen [X.]n tätig. Zu Entscheidungen des Gerichts in hiervon abweichender Besetzung, zB wie hier durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG, an dem die ehrenamtlichen [X.] nicht mitwirken (§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 SGG), muss angehört werden. Für die Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG ergibt sich das unmittelbar aus § 153 Abs 4 Satz 2 SGG.

8

Fehler im Rahmen des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG können sich unterschiedlich auswirken. Eine unterbliebene Anhörung führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern. Dagegen tritt diese Wirkung bei nur nicht ordnungsgemäß durchgeführter Anhörung nicht in jedem Fall ein (BSG vom 26.11.2020 - [X.] [X.]/19 R - Rd[X.] 10 mwN). Nach der Rechtsprechung des BSG darf das [X.] vor Ablauf einer selbst gesetzten [X.] die Berufung grundsätzlich nicht nach § 153 Abs 4 SGG zurückweisen (vgl nur BSG vom 20.8.2009 - [X.] [X.]/09 B - Rd[X.] 6). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend geäußert hat (so schon [X.] [X.] [X.] 48/16 B - Rd[X.] 7) und weitere Stellungnahmen nach Lage der Dinge nicht zu erwarten sind (BSG vom [X.] KR 28/16 B - Rd[X.] 8; BSG vom [X.] [X.] 96/20 B - Rd[X.] 7 mwN). Ob solche Gründe vorliegen, ist ausgehend vom dargestellten [X.] nach strengen Maßstäben zu bewerten. Anderenfalls ist die Entscheidung vor Fristablauf vergleichbar mit einer unterbliebenen Anhörung (BSG vom 24.2.2016 - [X.] R 341/15 B - Rd[X.] 6; BSG vom 27.1.2021 - [X.] [X.] B - Rd[X.] 6).

9

Die Entscheidung des [X.] vor Ablauf der [X.] am [X.] durch Beschluss vom 10.2.2022 ist einer unterbliebenen Anhörung gleichzustellen. Ein Ausnahmefall, der die verfahrensfehlerfreie Entscheidung vor Ablauf der [X.] ermöglichen könnte, liegt nicht vor. Insoweit hat der Kläger auf die Anhörung (erneut) vorgebracht, über Anträge aus dem Klageverfahren sei noch gar nicht entschieden, worauf das Anhörungsschreiben der Berichterstatterin nicht eingegangen war. Ungeachtet dessen hatte der Kläger die [X.] des 7. Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zu ihrer namentlichen Benennung den Geschäftsverteilungsplan des [X.] angefordert. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass weitere Stellungnahmen nicht zu erwarten waren.

Da die Sache schon wegen der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen wird (§ 160a Abs 5 SGG), ist nicht darüber zu entscheiden, ob die Entscheidung des Berufungsgerichts für ein Vorgehen nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ermessensfehlerhaft gewesen ist (zum [X.] vom [X.] - B 2 U 29/00 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 13).

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

S. Knickrehm

Harich

Neumann

Meta

B 7 AS 97/22 B

08.03.2023

Bundessozialgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG München, 19. August 2021, Az: S 13 AS 130/20

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 33 Abs 1 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 97/22 B (REWIS RS 2023, 1488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1488

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