Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.07.2010, Az. 4 StR 164/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4727

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafbarkeit der Nichtrückgabe von Unterlagen


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. November 2009,

a) soweit es die Angeklagte [X.] betrifft,

aa) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen [X.] bis [X.] 4. sowie [X.] 10., [X.] 11. und [X.] 14. der Urteilsgründe

bb) sowie in den Aussprüchen über die in diesen Fällen und in dem Fall [X.] 13. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe aufgehoben,

b) soweit es den Angeklagten A. betrifft,

aa) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen [X.] bis [X.] 4. sowie [X.] 6. und [X.] 10. der Urteilsgründe

bb) sowie in den Aussprüchen über die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte [X.] wegen Untreue in acht Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung, Unterschlagung in vier Fällen, Betruges und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der Angeklagte [X.] wurde wegen Untreue in sechs Fällen, Unterschlagung in zwei Fällen, Betruges und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

2

Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten jeweils die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

3

1. Die Schuldsprüche wegen Unterschlagung in den Fällen [X.], 10., 11. und 14. der Urteilsgründe haben keinen Bestand.

4

a) Nach den Feststellungen zu den Tatkomplexen der Unterschlagung haben beide Angeklagte ihrem Arbeitnehmer [X.] auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses die Lohnsteuerkarten für die Jahre 2004 und 2005 nicht ausgehändigt (Fall [X.] der Urteilsgründe) bzw. hat die Angeklagte [X.] diverse Unterlagen, welche die Mandanten ihr zur Wahrnehmung von deren Interessen zur Verfügung gestellt hatten, diesen nicht wieder zurückgegeben (Fälle [X.] 11. und [X.] 14. der Urteilsgründe). Anlass für das Zurückhalten der Lohnsteuerkarten bzw. der Unterlagen war jeweils eine Verärgerung über das Verhalten des Angestellten bzw. der Mandanten. Zu dem Fall [X.] 10. der Urteilsgründe hat die Kammer festgestellt, dass die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft [X.] in einem gegen die Angeklagte [X.] geführten Verfahren, die dem Angeklagten [X.] als Verteidiger zur Akteneinsicht übersandt wurden, nicht mehr an die Behörde zurück gesandt wurden. Hierzu hatten sich die Angeklagten entschlossen, weil ihnen die unbeabsichtigte Versäumung der Rückgabefrist unangenehm war.

5

b) Die bisherigen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Unterschlagung in diesen Fällen nicht. Allein dem Unterlassen der Rückgabe lässt sich eine Zueignung im Sinne des § 246 Abs. 1 StGB nicht entnehmen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 9. Januar 2007 – 3 [X.] Rn. 2), insbesondere wenn dies geschieht, um den Eigentümer bzw. [X.] zu ärgern ([X.], Urteil vom 10. Juli 1980 – 4 [X.]; [X.], [X.] 1982, 808, 810; [X.], StGB, 57. Aufl. § 242 Rn. 36; [X.]/[X.] § 242 Rn. 48, jeweils m.w.[X.]).

6

Das [X.] wird jedoch eine Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung, im Fall [X.] 10. zudem wegen [X.] und hinsichtlich des Angeklagten [X.] gegebenenfalls auch wegen versuchter Strafvereitelung zu prüfen haben.

7

Ergänzend weist der [X.] für den Fall [X.] 10. der Urteilsgründe darauf hin, dass nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum eine [X.] im Sinne des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB zwar nicht durch die Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs begründet wird, da insoweit kein "anderer" benachteiligt wird ([X.], Beschluss vom 27. März 1990, [X.]R StGB § 274 Nachteil 2; BayObLG, [X.], 213, 214; [X.] 1989, 81; [X.], [X.] 1989, 477; [X.]/[X.] § 274 Rn. 21; [X.]/Kühl, StGB, 26. Aufl., § 274 Rn. 7; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 274 Rn. 16). Es sind aber ergänzende Feststellungen dahingehend möglich, dass dem Anzeigeerstatter im Ermittlungsverfahren 32 Js 547/07 durch die Angeklagten ein Nachteil zugefügt werden sollte. Der zu Benachteiligende braucht auch nicht Eigentümer der Urkunde bzw. mit dem [X.] identisch zu sein ([X.] Kommentar/[X.], StGB, 12. Aufl., § 274 Rn. 60; [X.] aaO § 274 Rn. 6; [X.] aaO § 274 Rn. 21, [X.]/[X.] aaO § 274 Rn. 17, jeweils m.w.[X.]). Das [X.] wird auch eine Strafbarkeit wegen Verwahrungsbruchs zu erwägen haben. Die zweite Alternative des § 133 Abs. 1 StGB erfasst Gegenstände, die dem Täter oder einem Dritten aufgrund dienstlicher Anordnung in Verwahrung gegeben worden sind. In dienstlicher Verwahrung befinden sich hiernach die dem Verteidiger nach § 147 [X.] übergebenen Verfahrensakten ([X.]/[X.] § 133 Rn. 7; [X.], in: [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 133 Rn. 10). Für den Angeklagten [X.] kommt gegebenenfalls bei Vorliegen eines Vereitelungsansatzes eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung in Betracht (vgl. [X.]/Ruhmannseder, [X.], 2. Aufl., Rn. 103 m.w.[X.]). 

8

2. Die Verurteilung wegen Untreue im Fall [X.] 2. der Urteilsgründe hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen belegen nicht das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht. Nach § 2 Abs. 7 des fünften Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Fünftes Vermögensbildungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. März 1994 ([X.]) sind vermögenswirksame Leistungen arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehalts. Die Pflicht des Arbeitgebers, für seine Arbeitnehmer vermögenswirksame Leistungen zu entrichten, ist lediglich eine dem Arbeitsverhältnis entspringende Nebenpflicht und bildet nicht den wesentlichen Inhalt des Vertragsverhältnisses ([X.], Urteil vom 5. Oktober 1954 – 2 StR 447/53, [X.]St 6, 314, 318 hinsichtlich der Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Teil des [X.] zum Kleben so genannter "Urlaubsmarken" zu verwenden; [X.], NJW 1976, 1903 f.). Auch enthält die aus dem Arbeitsvertrag entspringende Pflicht zur ordnungsgemäßen Lohnzahlung nicht schon von sich aus die Verpflichtung, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen ([X.] aaO).

9

Die bisherigen Feststellungen legen vielmehr eine Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 3 StGB nahe, wobei für jeden Fälligkeitszeitpunkt eine Tat vorliegen würde ([X.], [X.], 236, 237; NStZ-RR 1999, 104; [X.], [X.], 324; [X.] aaO § 266a Rn. 36).

3. Im Fall [X.] 3. der Urteilsgründe ist das [X.] rechtsfehlerhaft von einem Fall des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB ausgegangen. Bei [X.] der Beiträge an mehreren Fälligkeitsterminen liegt Tatmehrheit vor ([X.], [X.], 236, 237; NStZ-RR 1999, 104; [X.], [X.], 324; [X.] aaO § 266a Rn. 36). Auch lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, ob lediglich Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß § 266a Abs. 1 StGB oder auch Arbeitgeberanteile von Beiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB vorenthalten wurden.

4. Die getroffenen Feststellungen zu Fall [X.] 6. der Urteilsgründe tragen eine Verurteilung des Angeklagten [X.] wegen Untreue nicht. Die bisherigen Feststellungen belegen nur eine Vertretung der Geschädigten durch die Angeklagte [X.] Ergänzende Feststellungen erscheinen jedoch möglich. Sollte der neue Tatrichter eine Beauftragung beider Angeklagter nicht feststellen, weist der [X.] darauf hin, dass für den Angeklagten [X.] auch eine Beihilfe zur Untreue der Angeklagten [X.] in Betracht kommt.

5. Hinsichtlich des Falles [X.] 13. der Urteilsgründe hat die Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten [X.] ergeben. Das Rechtsmittel führt jedoch insoweit zur Aufhebung des Strafausspruchs. Das [X.] hat den Strafrahmen des § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB lediglich gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Es hat zum einen nicht bedacht, dass das Vorliegen eines vertypten [X.] bereits für sich allein oder zusammen mit den festgestellten sonstigen Milderungsgründen einen minder schweren Fall begründen kann ([X.], Beschluss vom 7. Juni 2005 – 4 [X.]; [X.] aaO § 50 Rn. 4 m.w.[X.]). Zum anderen hat das [X.] die Vorschriften der §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB nicht im Blick gehabt. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs; einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es insofern jedoch nicht. Der [X.] kann nicht mit der gebotenen Sicherheit ausschließen, dass das [X.] ohne die aufgezeigten Rechtsfehler auf eine niedrigere [X.] erkannt hätte.

6. In Bezug auf das weitere Revisionsvorbringen verweist der [X.] auf die zutreffenden Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 13. April 2010.

7. Mit den Aufhebungen in den genannten Fällen entfallen auch die insoweit verhängten [X.]n sowie die Gesamtstrafe.

Für die neue Verhandlung weist der [X.] darauf hin, dass sich das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 [X.]) lediglich auf Art und Höhe der Rechtsfolgen, nicht aber auf eine Veränderung und Verschärfung des Schuldspruchs bezieht (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.], 6. Aufl., § 358 Rn. 18; [X.], [X.], 6. Aufl., § 331 Rn. 2; [X.], [X.], 53. Aufl., § 358 Rn. 11, § 331 Rn. 8, jeweils m.w.[X.]). Der neue Tatrichter wäre daher nicht daran gehindert, den Schuldspruch in den Fällen [X.] 2. und 3. dahingehend zu ändern, dass die Angeklagten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 26 Fällen schuldig sind. In diesem Fall würde das Verschlechterungsverbot aber dazu führen, dass die Summe der [X.]n, die dann jeweils zu verhängen wären, die in dem betreffenden Fall bisher verhängte [X.] nicht überschreiten darf ([X.], Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 – 4 [X.] Rn. 14; vom 25. Oktober 2001 - 3 [X.]; vom 16. September 1986 – 4 StR 479/86, [X.]R [X.] § 331 Abs. 1 [X.], fehlende 1).

Im Hinblick auf die neu festzusetzenden [X.]n weist der [X.] ferner darauf hin, dass entgegen der Annahme des [X.]s eine Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB nicht in Betracht kommt, weil es den Angeklagten bei ihren Bemühungen um Schadenswiedergutmachung ersichtlich nicht um den Ausgleich immaterieller Folgen ging (vgl. [X.], Urteil vom 18. November 1999 – 4 [X.], [X.], 205; vgl. auch [X.] aaO § 46a Rn. 10 m.w.[X.]). Eine Anwendung von § 46a Nr. 2 StGB setzt neben einem vollständigen oder überwiegenden Schadensausgleich voraus, dass die Leistung Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist. Das versteht sich bei den zum Teil erst nach Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen geleisteten Zahlungen oder bei am letzten Hauptverhandlungstag dem Verteidiger zur Schadenswiedergutmachung zur Verfügung gestellten Geldbeträgen nicht von selbst.

[X.]                                                Solin-Stojanović                                    Roggenbuck

                            Mutzbauer                                                      Bender

Meta

4 StR 164/10

15.07.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 3. November 2009, Az: II-2 KLs - 32 Js 239/08 - 9/09, Urteil

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 133 Abs 1 StGB, § 246 Abs 1 StGB, § 258 StGB, § 266 StGB, § 274 Abs 1 Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.07.2010, Az. 4 StR 164/10 (REWIS RS 2010, 4727)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4727

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 164/10 (Bundesgerichtshof)


1 StR 111/10 (Bundesgerichtshof)

Betrug und Vorenthalten von Arbeitsentgelt: Konkludente Täuschung der zuständigen Sozialversicherungsträger durch Unterlassen der Meldung von …


1 StR 199/10 (Bundesgerichtshof)

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt: Notwendige Tatsachenfeststellungen im Strafurteil zur Höhe vorenthaltener Sozialversicherungsbeträge; Schätzung des …


1 StR 150/17 (Bundesgerichtshof)

Verhängung kurzer Freiheitsstrafen bei einer Tatserie von Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und …


1 StR 58/19 (Bundesgerichtshof)

Strafverfolgungsverjährung: Verjährungsbeginn bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.