Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2022, Az. VII ZB 5/22

7. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 5279

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Gegenstand

Pfändbarkeit eines Pkw bei psychischer Erkrankung des Schuldners


Leitsatz

Zum Verbot der Pfändung eines Pkw bei einer psychischen Erkrankung des Schuldners.

Tenor

Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 18. November 2021 - 3 [X.]/21 - gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der vorgenannte Beschluss mit Ausnahme der darin enthaltenen Prozesskostenhilfeentscheidung aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Gläubiger betreibt gegen den S[X.]huldner die Zwangsvollstre[X.]kung aus einem Vollstre[X.]kungsbes[X.]heid des [X.]            vom 2. November 2020.

2

Der unter Betreuung stehende S[X.]huldner leidet an einer psy[X.]his[X.]hen Erkrankung in Form einer paranoiden S[X.]hizophrenie und an einer Epilepsie.

3

Aufgrund des Vollstre[X.]kungsauftrags des Gläubigers vom 22. März 2021 pfändete die [X.]am 30. Juni 2021 den Pkw S.        des S[X.]huldners.

4

Hiergegen hat si[X.]h der S[X.]huldner mit der Erinnerung gewandt und geltend gema[X.]ht, das gepfändete Fahrzeug sei von ihm 2017 für 10.440 € überwiegend mit Mitteln aus dem Fonds "Heimerziehung in der [X.] in den Jahren 1949 bis 1990" (im Folgenden: Fonds "Heimerziehung in der [X.]") erworben worden. Da Ansprü[X.]he gegen den Fonds unpfändbar seien, sei au[X.]h das Fahrzeug selbst der Pfändung entzogen.

5

Die Unpfändbarkeit des Pkw folge außerdem daraus, dass er auf das Fahrzeug angewiesen sei, um von seinem Wohnort in [X.]aus regelmäßig Arzttermine in [X.]                wahrnehmen zu können. Er sei aufgrund seiner psy[X.]his[X.]hen Erkrankung dort seit Jahren bei der Ärztin [X.]in Therapie, zu der er ein Vertrauensverhältnis aufgebaut habe. Nur bei ihr habe er das Gefühl, dass ihm geholfen werden könne. In akuten Phasen su[X.]he er seine Therapeutin [X.]a. zweimal wö[X.]hentli[X.]h, in lei[X.]hteren Phasen einmal wö[X.]hentli[X.]h auf. Hierfür sei er auf seinen Pkw angewiesen. Insbesondere in akuten Phasen seiner Erkrankung könne er keine öffentli[X.]hen Verkehrsmittel nutzen, da er si[X.]h dann von anderen Mens[X.]hen bedroht fühle und ohne Anlass aggressiv reagiere. S[X.]hließli[X.]h sei er au[X.]h ni[X.]ht in der Lage, die Fahrtkosten für den öffentli[X.]hen Personennahverkehr aufzubringen.

6

Das Amtsgeri[X.]ht hat die Erinnerung des S[X.]huldners zurü[X.]kgewiesen und die Verwertung des Pkw bis zur Re[X.]htskraft der Ents[X.]heidung ausgesetzt.

7

Hiergegen hat der S[X.]huldner sofortige Bes[X.]hwerde erhoben, wel[X.]he das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht unter Aufre[X.]hterhaltung der Anordnung zur Verwertungsaussetzung bis zur Re[X.]htskraft der Ents[X.]heidung zurü[X.]kgewiesen hat.

8

Mit der zugelassenen Re[X.]htsbes[X.]hwerde verfolgt der S[X.]huldner sein Begehren weiter.

II.

9

1. Dem S[X.]huldner ist auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Re[X.]htsbes[X.]hwerde zu gewähren. Der S[X.]huldner war aufgrund seiner zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe führenden Mittellosigkeit gemäß § 233 ZPO ohne Vers[X.]hulden daran gehindert, die Re[X.]htsbes[X.]hwerde innerhalb der Frist von einem Monat na[X.]h Zustellung der angefo[X.]htenen Ents[X.]heidung einzulegen (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zu begründen (§ 575 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO). Er hat die Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Re[X.]htsbes[X.]hwerde und in die Frist zur Begründung der Re[X.]htsbes[X.]hwerde jeweils fristgere[X.]ht na[X.]h Behebung des Hindernisses beantragt und die versäumten Verfahrenshandlungen na[X.]hgeholt (§ 234 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO; vgl. zu den insoweit maßgebli[X.]hen Fristen au[X.]h [X.], Bes[X.]hluss vom 27. April 2021 - [X.]/20 Rn. 3 ff., NJW 2021, 2660).

2. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und - na[X.]h Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - au[X.]h im Übrigen zulässige Re[X.]htsbes[X.]hwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefo[X.]htenen Bes[X.]hlusses und zur Zurü[X.]kverweisung der Sa[X.]he an das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht.

a) Das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht hat zur Begründung seiner Ents[X.]heidung - soweit für das Re[X.]htsbes[X.]hwerdeverfahren von Interesse - im Wesentli[X.]hen Folgendes ausgeführt:

Die Pfändung des Pkw sei zu Re[X.]ht erfolgt.

Au[X.]h wenn der Vortrag des S[X.]huldners zutreffe, dass er insgesamt 10.000 € aus dem Fonds "Heimerziehung in der [X.]" für den Autokauf erhalten habe, re[X.]htfertige dies keine Abänderung der angegriffenen Ents[X.]heidung. Es könne als ri[X.]htig unterstellt werden, dass die Forderungen gegen den Fonds gemäß § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 BGB unpfändbar seien. [X.] worden sei vorliegend jedo[X.]h keine Forderung gegen den Fonds, da diese dur[X.]h die Auszahlung der Leistungen dur[X.]h Erfüllung erlos[X.]hen sei. [X.] worden sei vielmehr ein Pkw, das heißt eine "körperli[X.]he Sa[X.]he". Mithin sei insbesondere § 851 ZPO, na[X.]h dem hö[X.]hstpersönli[X.]he Forderungen unpfändbar seien, ni[X.]ht auf den vorliegenden Sa[X.]hverhalt anwendbar.

Der Pkw sei au[X.]h ni[X.]ht na[X.]h § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO in der zum Zeitpunkt der Ents[X.]heidung des [X.] geltenden Fassung unpfändbar. Die Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] (Bes[X.]hluss vom 19. März 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 789), na[X.]h wel[X.]her der Pkw eines außergewöhnli[X.]h gehbehinderten S[X.]huldners im Regelfall ni[X.]ht der Pfändung unterliege, sei auf den vorliegenden Fall ni[X.]ht anwendbar. Anders als bei einem außergewöhnli[X.]h gehbehinderten Mens[X.]hen, dem erst die Benutzung eines [X.]fahrzeugs die Chan[X.]e gebe, überhaupt angemessen am Leben in der Gesells[X.]haft teilzunehmen, sei der S[X.]huldner aufgrund seiner psy[X.]his[X.]hen Krankheit zur Pflege seiner allgemeinen [X.] Kontakte grundsätzli[X.]h ni[X.]ht auf das Auto angewiesen. Aus dem Umstand, dass er si[X.]h seit vielen Jahren in dem etwa 90 Fahrkilometer von seinem Wohnort entfernten [X.]                  in Therapie befinde, ergebe si[X.]h keine andere Bewertung. Denn selbst wenn er zu seiner dortigen Ärztin über die Jahre hinweg ein Vertrauensverhältnis aufgebaut habe, sei es ni[X.]ht ausges[X.]hlossen, dass der S[X.]huldner au[X.]h dur[X.]h einen ortsnahen Arzt suffizient behandelt werden könne. Alternativ sei es ihm angesi[X.]hts der langen Therapiedauer und hohen Frequenz der Arztbesu[X.]he au[X.]h zumutbar, na[X.]h [X.]                umzuziehen. Auf die Frage, ob der S[X.]huldner angesi[X.]hts seiner Krankheitssymptome in akuten Krankheitsphasen überhaupt fahrtaugli[X.]h sei, komme es bei dieser Sa[X.]hlage ni[X.]ht mehr an.

b) Diese Ausführungen halten re[X.]htli[X.]her Na[X.]hprüfung ni[X.]ht in allen Punkten stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Pfändungsverbot bezügli[X.]h des s[X.]huldneris[X.]hen Pkw ni[X.]ht verneint werden.

aa) Zutreffend hat das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht allerdings angenommen, dass der Pkw ni[X.]ht deshalb einem Pfändungsverbot unterliegt, weil er na[X.]h dem Vorbringen des S[X.]huldners überwiegend mit Mitteln aus dem Fonds "Heimerziehung in der [X.]" erworben worden ist.

(1) Es kann dahinstehen, ob ein Anspru[X.]h gegen den Fonds "Heimerziehung in der [X.]", wel[X.]her das Ziel hat, ehemaligen Heimkindern, denen Unre[X.]ht und Leid während ihrer Heimunterbringung in der ehemaligen [X.] zugefügt wurde, finanzielle Hilfen zu gewähren, na[X.]h § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB unpfändbar ist, weil die Leistung an einen anderen als den ursprüngli[X.]hen Gläubiger ni[X.]ht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen könnte (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 22. Mai 2014 - [X.] Rn. 17 ff., NJW-RR 2014, 1009 zum Anspru[X.]h auf Ents[X.]hädigung für Opfer sexuellen Missbrau[X.]hs aufgrund des Bes[X.]hlusses der [X.] vom 2. März 2011). Des Weiteren kann offenbleiben, ob si[X.]h die Unpfändbarkeit eines entspre[X.]henden Anspru[X.]hs ohne Weiteres an dem zu dessen Erfüllung Geleisteten fortsetzt oder ob Unpfändbarkeit insoweit nur dann besteht, wenn dies für das Geleistete anderweitig angeordnet ist (vgl. [X.], ZPO, 23. Aufl., § 851 Rn. 7 unter Bezugnahme auf § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a.F., § 850k ZPO a.F. und auf § 765a ZPO; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 17. Aufl., Rn. [X.]; vgl. ferner [X.], Bes[X.]hluss vom 16. Juli 2004 - [X.], [X.] 2004, 740, juris Rn. 10 zum Pfändungss[X.]hutz von Arbeitseinkommen na[X.]h § 850[X.] ZPO). Entgegen der Auffassung der Re[X.]htsbes[X.]hwerde würde si[X.]h eine etwaige Unpfändbarkeit des Anspru[X.]hs gegen den Fonds "Heimerziehung in der [X.]" jedenfalls ni[X.]ht an dem Pkw fortsetzen. Es kann entgegen der Auffassung der Re[X.]htsbes[X.]hwerde ni[X.]ht davon ausgegangen werden, dass ein Anspru[X.]h gegen den Fonds "Heimerziehung in der [X.]" dur[X.]h die Lieferung des Pkw erfüllt worden ist; der Pkw ist vielmehr na[X.]h dem Vorbringen des S[X.]huldners aufgrund eines zwis[X.]hen ihm und einem Händler ges[X.]hlossenen Kaufvertrags überwiegend mit Mitteln aus dem genannten Fonds erworben worden. Besondere Vors[X.]hriften, wel[X.]he zur Unpfändbarkeit des Pkw gerade wegen der Unpfändbarkeit eines gegen den Fonds "Heimerziehung in der [X.]" geri[X.]hteten Anspru[X.]hs führen würden, sind ni[X.]ht ersi[X.]htli[X.]h.

(2) Die von der Re[X.]htsbes[X.]hwerde herangezogene Ents[X.]heidung des [X.] (Bes[X.]hluss vom 22. Mai 2014 - [X.], NJW-RR 2014, 1009) steht dem ni[X.]ht entgegen. Zwar hat der [X.] in diesem Bes[X.]hluss ausgeführt, dass eine Ents[X.]hädigungszahlung, die der dortige S[X.]huldner vom [X.] erhalten hatte, ni[X.]ht Gegenstand der Insolvenzmasse geworden ist, weil ein entspre[X.]hender Anspru[X.]h des dortigen S[X.]huldners na[X.]h § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB ni[X.]ht pfändbar war (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 22. Mai 2014 - [X.] Rn. 14, Rn. 17 ff., NJW-RR 2014, 1009). Die dieser Ents[X.]heidung zugrundeliegende Fallkonstellation ist jedo[X.]h mit derjenigen im Streitfall, bei der der etwaige Anspru[X.]h gegen den Fonds "Heimerziehung in der [X.]" dur[X.]h die Auszahlung des betreffenden Betrags und ni[X.]ht dur[X.]h die Lieferung des Pkw erfüllt worden ist, ni[X.]ht verglei[X.]hbar.

bb) Der re[X.]htli[X.]hen Na[X.]hprüfung hält die Ents[X.]heidung des [X.] jedo[X.]h ni[X.]ht stand, soweit es die Unpfändbarkeit des Pkw im Zusammenhang mit der psy[X.]his[X.]hen Erkrankung des S[X.]huldners abgelehnt hat.

Die Ents[X.]heidung des [X.] kann bereits deshalb keinen Bestand haben, weil sie die Vors[X.]hrift des § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO ni[X.]ht berü[X.]ksi[X.]htigt. Diese ist zwar erst na[X.]h Erlass der Ents[X.]heidung des [X.] in [X.] getreten, jedo[X.]h im weiteren Verfahren glei[X.]hwohl zeitli[X.]h anwendbar. Dana[X.]h unterliegen der Pfändung ni[X.]ht Sa[X.]hen, die der S[X.]huldner oder eine Person, mit der er zusammen in einem gemeinsamen Haushalt lebt, aus gesundheitli[X.]hen Gründen benötigt. Diese Vors[X.]hrift, die den bisherigen § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. unter Erweiterung seines Anwendungsberei[X.]hs ersetzt (vgl. BT-Dru[X.]ks. 19/27636, [X.]), ist dur[X.]h das am 1. Januar 2022 in [X.] getretene Gesetz zur Verbesserung des S[X.]hutzes von Geri[X.]htsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstre[X.]kungsre[X.]htli[X.]her Vors[X.]hriften und zur Änderung des Infektionss[X.]hutzgesetzes (BGBl. 2021 [X.] ff.) eingeführt worden. Maßstab für die Überprüfung der Bes[X.]hwerdeents[X.]heidung im Re[X.]htsbes[X.]hwerdeverfahren auf Re[X.]htsfehler ist die Re[X.]htslage im Zeitpunkt der Ents[X.]heidung des Re[X.]htsbes[X.]hwerdegeri[X.]hts. Zu berü[X.]ksi[X.]htigen ist daher au[X.]h ein na[X.]h Erlass der Bes[X.]hwerdeents[X.]heidung ergangenes neues Gesetz, sofern es na[X.]h seinem zeitli[X.]hen Geltungswillen das streitige Re[X.]htsverhältnis erfasst (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 21. Juni 2017 - [X.] Rn. 5, [X.] 2017, 174; Bes[X.]hluss vom 20. Januar 2005 - [X.] 134/04, NJW 2005, 1508, juris Rn. 12). Das ist hier der Fall. Das genannte Gesetz enthält keine Übergangsregelung und ist auf ni[X.]ht abges[X.]hlossene Pfändungsmaßnahmen wie im Streitfall anwendbar.

[X.][X.]) Die Ents[X.]heidung des [X.] stellt si[X.]h insoweit au[X.]h ni[X.]ht aus anderen Gründen als ri[X.]htig dar (vgl. § 577 Abs. 3 ZPO), weil auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ni[X.]ht von vornherein ausges[X.]hlossen werden kann, dass für den Pkw des S[X.]huldners ein Pfändungsverbot na[X.]h § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO besteht. Zwar resultieren aus der vom S[X.]huldner für nötig era[X.]hteten Nutzung des Fahrzeugs zum Aufsu[X.]hen seiner in [X.]                praktizierenden ärztli[X.]hen Therapeutin für si[X.]h genommen keine "gesundheitli[X.]hen Gründe" im Sinne der Vors[X.]hrift (siehe unten (1)). Ni[X.]ht von vornherein ausges[X.]hlossen ist es aber, dass si[X.]h die Unpfändbarkeit des Pkw na[X.]h § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO daraus ergibt, dass der S[X.]huldner den Pkw benötigt, um damit die aus seiner psy[X.]his[X.]hen Erkrankung herrührenden Na[X.]hteile teilweise zu kompensieren und seine Eingliederung in das öffentli[X.]he Leben wesentli[X.]h zu erlei[X.]htern (siehe unten (2)).

(1) Dass der S[X.]huldner den Pkw, wie er geltend ma[X.]ht, benötigt, um seine langjährige, in [X.]                praktizierende ärztli[X.]he Therapeutin aufzusu[X.]hen, rei[X.]ht für si[X.]h genommen für eine Unpfändbarkeit na[X.]h § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO ni[X.]ht aus. Dabei handelt es si[X.]h ni[X.]ht um "gesundheitli[X.]he Gründe" im Sinne dieser Vors[X.]hrift.

(a) Die Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO dienen dem S[X.]hutz des S[X.]huldners im öffentli[X.]hen Interesse und bes[X.]hränken die Dur[X.]hsetzbarkeit von Ansprü[X.]hen mit Hilfe staatli[X.]her Zwangsvollstre[X.]kungsmaßnahmen. Sie sind Ausfluss der in Art. 1 und Art. 2 GG garantierten Mens[X.]henwürde beziehungsweise allgemeinen Handlungsfreiheit und enthalten eine Konkretisierung des verfassungsre[X.]htli[X.]hen Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Dem S[X.]huldner soll dadur[X.]h die wirts[X.]haftli[X.]he Existenz erhalten werden, um - unabhängig von Sozialhilfe - ein bes[X.]heidenes, der Würde des Mens[X.]hen entspre[X.]hendes Leben führen zu können (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 16. Juni 2011 - [X.] Rn. 7, NJW-RR 2011, 1367; Bes[X.]hluss vom 19. März 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 789, juris Rn. 8).

(b) In diesem [X.] steht au[X.]h die Vors[X.]hrift des § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO als Na[X.]hfolgebestimmung von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F., wona[X.]h künstli[X.]he Gliedmaßen, Brillen und andere wegen körperli[X.]her Gebre[X.]hen notwendige Hilfsmittel unpfändbar waren, soweit diese Gegenstände zum Gebrau[X.]h des S[X.]huldners und seiner Familie bestimmt waren. Der Wortlaut des § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO ist na[X.]h der Neufassung weiter, so dass die Vors[X.]hrift nun allgemein Hilfs- und Therapiemittel erfasst, die zum Ausglei[X.]h oder zur Minderung einer gesundheitli[X.]hen Beeinträ[X.]htigung benötigt werden (vgl. Be[X.]kOK ZPO/[X.], Stand: 1. Juli 2022, § 811 Rn. 23; [X.]/ Voit/Flo[X.]kenhaus, ZPO, 19. Aufl., § 811 Rn. 19). Mit der Neufassung gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO sollen etwa au[X.]h Sa[X.]hen ges[X.]hützt sein, die der S[X.]huldner aufgrund einer psy[X.]his[X.]hen Erkrankung - wie beispielsweise eine Staffelei im Rahmen einer Kunsttherapie - benötigt (vgl. BT-Dru[X.]ks. 19/27636, [X.] f.); die in § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. enthalten gewesene Bes[X.]hränkung auf körperli[X.]he Gebre[X.]hen ist entfallen (vgl. [X.], [X.] 2021, 253, 255). Die neugefasste Vors[X.]hrift soll den veränderten re[X.]htli[X.]hen und wirts[X.]haftli[X.]hen Gegebenheiten sowie den gewandelten gesells[X.]haftli[X.]hen Realitäten Re[X.]hnung tragen (vgl. BT-Dru[X.]ks. 19/27636, S. 1 f.). Der Normzwe[X.]k hat si[X.]h dur[X.]h die Neufassung vom Grundsatz her hingegen ni[X.]ht geändert: Er liegt darin, eine gesundheitli[X.]he Beeinträ[X.]htigung zu behandeln beziehungsweise die aus einer gesundheitli[X.]hen Beeinträ[X.]htigung resultierenden Na[X.]hteile auszuglei[X.]hen oder zu verringern und dem S[X.]huldner so ein angemessenes Leben in der Gesells[X.]haft zu ermögli[X.]hen (vgl. au[X.]h [X.], Bes[X.]hluss vom 16. Juni 2011 - [X.] Rn. 8, NJW-RR 2011, 1367; Bes[X.]hluss vom 19. März 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 789, juris Rn. 11; jeweils zum Aspekt des Na[X.]hteilsausglei[X.]hs im Rahmen der Vorgängerregelung des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F.). Dem S[X.]huldner sollen die dafür notwendigen Gegenstände belassen werden.

([X.]) Dabei ist ein dahingehender Zusammenhang, dass der unpfändbare Gegenstand selbst bereits das Hilfs- oder Therapiemittel bezügli[X.]h der gesundheitli[X.]hen Beeinträ[X.]htigung sein muss, indes ni[X.]ht entbehrli[X.]h und die Vors[X.]hrift entspre[X.]hend eins[X.]hränkend auszulegen. Die Vorgängerregelung in § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. war insofern von ihrem Wortlaut her eindeutig ("künstli[X.]he Gliedmaßen, Brillen und andere wegen körperli[X.]her Gebre[X.]hen notwendige Hilfsmittel"). Es ist ni[X.]ht ersi[X.]htli[X.]h, dass der Gesetzgeber diesen Zusammenhang im Zuge der Neufassung der Vors[X.]hrift aufgeben wollte. Vielmehr ist zu berü[X.]ksi[X.]htigen, dass es si[X.]h bei § 811 ZPO um eine Ausnahmevors[X.]hrift handelt, die ni[X.]ht entspre[X.]hend angewandt oder zu weit ausgelegt werden darf (vgl. [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 43. Aufl., § 811 Rn. 1). Es rei[X.]ht daher ni[X.]ht aus, dass - wie der S[X.]huldner geltend ma[X.]ht - der Pkw ledigli[X.]h als Beförderungsmittel dazu dienen soll, an den Ort zu gelangen, an dem die Therapeutin praktiziert. Eine entspre[X.]hende Auslegung würde den Anwendungsberei[X.]h von § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO übermäßig ausdehnen. So müsste dann etwa au[X.]h ein vom S[X.]huldner [X.] Geldbetrag für den Erwerb eines Pkw für Arztbesu[X.]he oder au[X.]h jeder anderweitige Gegenstand, den der S[X.]huldner zu veräußern beabsi[X.]htigt, um aus dem Erlös einen so zu verwendenden Pkw zu finanzieren, "aus gesundheitli[X.]hen Gründen" unpfändbar sein. Ein derart weitgehendes Verständnis kann der Vors[X.]hrift ni[X.]ht entnommen werden und würde zudem zu kaum überwindbaren Abgrenzungs- und Na[X.]hweisproblemen führen.

(2) Die Unpfändbarkeit des Pkw kann si[X.]h aber daraus ergeben, dass ihn der S[X.]huldner benötigt, um damit die aus seiner psy[X.]his[X.]hen Erkrankung herrührenden Na[X.]hteile teilweise zu kompensieren und seine Eingliederung in das öffentli[X.]he Leben wesentli[X.]h zu erlei[X.]htern.

(a) So unterliegt der Pkw eines gehbehinderten S[X.]huldners na[X.]h der bereits zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. ergangenen Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] ni[X.]ht der Pfändung, wenn die Benutzung des Pkw erforderli[X.]h ist, um die Gehbehinderung teilweise zu kompensieren und die Eingliederung des S[X.]huldners in das öffentli[X.]he Leben wesentli[X.]h zu erlei[X.]htern. Die Pfändung eines Fahrzeugs hat demna[X.]h zu unterbleiben, wenn sie dazu führt, dass der S[X.]huldner in seiner Lebensführung stark einges[X.]hränkt und im Verglei[X.]h zu einem ni[X.]ht behinderten Mens[X.]hen ents[X.]heidend bena[X.]hteiligt wird ([X.], Bes[X.]hluss vom 16. Juni 2011 - [X.] Rn. 8, NJW-RR 2011, 1367; Bes[X.]hluss vom 19. März 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 789, juris Rn. 11). Diese Re[X.]htspre[X.]hung kann angesi[X.]hts des erweiterten sa[X.]hli[X.]hen Anwendungsberei[X.]hs der Neuregelung in § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO nunmehr au[X.]h bei psy[X.]his[X.]hen Erkrankungen anwendbar sein: Ist dem S[X.]huldner wegen einer psy[X.]his[X.]hen Erkrankung die Benutzung öffentli[X.]her Verkehrsmittel unzumutbar, kann au[X.]h dies zur Unpfändbarkeit eines Pkw des S[X.]huldners "aus gesundheitli[X.]hen Gründen" führen, wenn die Benutzung des Pkw erforderli[X.]h ist, um die Erkrankung teilweise zu kompensieren und die Eingliederung des S[X.]huldners in das öffentli[X.]he Leben, wozu au[X.]h das etwa nötige Aufsu[X.]hen von Ärzten gehört, wesentli[X.]h zu erlei[X.]htern (vgl. - bereits zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. - La[X.]kmann in [X.], Privatinsolvenz, 1. Aufl., § 811 ZPO Rn. 27).

(b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ni[X.]ht von vornherein ausges[X.]hlossen, dass für den Pkw des S[X.]huldners ein Pfändungsverbot na[X.]h § 811 Abs. 1 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] ZPO besteht. Denn na[X.]h dem in der Ents[X.]heidung des [X.] wiedergegebenen Vorbringen des S[X.]huldners, von dem mangels gegenteiliger Feststellungen des [X.] jedenfalls für die Re[X.]htsbes[X.]hwerdeinstanz auszugehen ist, kann dieser aufgrund seiner psy[X.]his[X.]hen Erkrankung insbesondere in den akuten Krankheitsphasen keine öffentli[X.]hen Verkehrsmittel benutzen, da er si[X.]h dann von anderen Mens[X.]hen bedroht fühle und ohne Anlass aggressiv reagiere. Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens des S[X.]huldners, auf das die Re[X.]htsbes[X.]hwerdebegründung rekurriert, könnte dem Pkw die Funktion zukommen, die aus seiner psy[X.]his[X.]hen Erkrankung herrührenden Na[X.]hteile teilweise zu kompensieren und ihm die Eingliederung in das öffentli[X.]he Leben eins[X.]hließli[X.]h des nötigen Aufsu[X.]hens von Ärzten wesentli[X.]h zu erlei[X.]htern.

Soweit das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht - bei der Subsumtion unter § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. - davon ausgegangen ist, dass der S[X.]huldner aufgrund seiner psy[X.]his[X.]hen Krankheit zur Pflege seiner allgemeinen [X.] Kontakte grundsätzli[X.]h ni[X.]ht auf den Pkw angewiesen sei, sind die diesbezügli[X.]hen Feststellungen jedenfalls lü[X.]kenhaft und vermögen den vom Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht gezogenen S[X.]hluss ni[X.]ht zu tragen.

III.

Der angefo[X.]htene Bes[X.]hluss kann na[X.]h alledem keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Eine eigene abs[X.]hließende Ents[X.]heidung ist dem Senat mangels hinrei[X.]hender Feststellungen ni[X.]ht mögli[X.]h (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 ZPO). Die Sa[X.]he ist deshalb an das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht zurü[X.]kzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht wird Feststellungen zu den etwaigen Auswirkungen der psy[X.]his[X.]hen Erkrankung auf die Zumutbarkeit für den S[X.]huldner, öffentli[X.]he Verkehrsmittel zu benutzen, zu treffen und si[X.]h gegebenenfalls mit der Frage zu befassen haben, ob dur[X.]h den Pkw die psy[X.]his[X.]he Erkrankung teilweise kompensiert und die Eingliederung des S[X.]huldners in das öffentli[X.]he Leben, wozu au[X.]h das nötige Aufsu[X.]hen von Ärzten gehört, wesentli[X.]h erlei[X.]htert wird. Dabei wird es si[X.]h gegebenenfalls au[X.]h mit der Frage zu befassen haben, ob der S[X.]huldner aufgrund der psy[X.]his[X.]hen Erkrankung insbesondere in akuten Krankheitsphasen überhaupt fahrtaugli[X.]h ist.

[X.]     

      

[X.]     

      

Graßna[X.]k

      

Sa[X.]her     

      

Borris     

      

Meta

VII ZB 5/22

10.08.2022

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Erfurt, 18. November 2021, Az: 3 T 310/21

§ 811 Abs 1 Nr 1 Buchst c ZPO, § 811 Abs 1 Nr 12 ZPO vom 22.11.2020

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2022, Az. VII ZB 5/22 (REWIS RS 2022, 5279)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5279 MDR 2022, 1501-1502 REWIS RS 2022, 5279 NJW 2023, 227 REWIS RS 2022, 5279

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