Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 01.03.2019, Az. 2 BvR 305/19

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2019, 9718

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Vollziehung eines Zuschlagsbeschlusses im Zwangsversteigerungsverfahren - akute Suizidgefahr des Räumungsschuldners bei endgültigem Eigentumsverlust - Folgenabwägung


Tenor

Die Vollziehung des [X.] - Zweigstelle [X.] - vom 7. September 2017 - 513 K 125/14 - wird einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens auf die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.

Gründe

1

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

2

Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, die der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen [X.] anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des [X.] muss das [X.] die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungs-beschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 76, 253 <255>; [X.] 99, 57 <66>; stRspr).

3

2. Die Verfassungsbeschwerde erscheint nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand jedenfalls weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass die angegriffenen Entscheidungen des [X.] den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen.

4

3. Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten des Beschwerdeführers aus.

5

Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte der [X.] vollzogen werden. Dadurch könnten nicht rückgängig zu machende schwerwiegende Folgen für Leben und Gesundheit des Beschwerdeführers eintreten. Das vom [X.] - Zweigstelle [X.] - eingeholte nervenfachärztliche Gutachten vom 1. Februar 2018 gelangt zu der Einschätzung, dass eine Fortführung des [X.] das Leben des Beschwerdeführers akut gefährden würde. Der Sachverständige hegt keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer den von ihm für den Fall des endgültigen Eigentumsverlusts angekündigten Suizid tatsächlich verüben würde. Danach ist bei Vollziehung des [X.]es von einer akuten Suizidgefahr für den Beschwerdeführer auszugehen.

6

Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung, bliebe die Verfassungsbeschwerde später aber ohne Erfolg, könnte die Gläubigerin, die gleichzeitig Ersteherin des Zwangsversteigerungsobjekts ist, die Zwangsvollstreckung in der Zwischenzeit nicht weiter betreiben. Auch dieser Nachteil hat Gewicht. Da die Gläubigerin, eine Bank, die Immobilie jedoch offenkundig nicht zur eigenen Nutzung benötigt und auch nicht ersichtlich ist, dass die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu einer wesentlichen Verschlechterung ihrer Aussichten, aus dem Grundstück [X.] zu erlangen, führen wird, müssen ihre Interessen an einer sofortigen weiteren Vollziehung des [X.]es angesichts der auf Seiten des Beschwerdeführers drohenden irreparablen Nachteile für Leben und Gesundheit zurücktreten.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 305/19

01.03.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Neubrandenburg, 9. Januar 2019, Az: 2 T 122/18, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 BVerfGG, § 765a Abs 1 S 1 ZPO, § 765a Abs 3 ZPO, § 885 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 01.03.2019, Az. 2 BvR 305/19 (REWIS RS 2019, 9718)

Papier­fundstellen: WM2019,1694 NJW 2019, 2995 REWIS RS 2019, 9718


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 305/19

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 305/19, 04.02.2020.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 305/19, 08.08.2019.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 305/19, 01.03.2019.


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