Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.10.2018, Az. VIII ZR 61/18

8. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 2585

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Gegenstand

(Eigenbedarfsmotive „Familienbande, Kultur und Empfang von Besuch“)


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des [X.] - 14. Zivilkammer - vom 24. Januar 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an eine andere Kammer des [X.] zurückverwiesen.

Der Streitwert für das [X.] wird auf 9.240 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die [X.]en, die seit September 2009 durch ein Mietverhältnis über eine im fünften Obergeschoss eines mit einem Fahrstuhl versehenen Mehrfamilienhauses in M.    gelegene Drei-Zimmer-Wohnung verbunden sind, streiten über die Wirksamkeit einer von der [X.] erklärten Eigenbedarfskündigung. Die Kaltmiete für die rund 78 qm große Wohnung beträgt monatlich 730 € zuzüglich 40 € für einen Kfz-Stellplatz. Das Verhältnis zwischen den [X.]en ist durch eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten und wechselseitigen Strafanzeigen geprägt.

2

Die mittlerweile 79-jährige Beklagte und deren über 80-jähriger Ehemann haben ihren Hauptwohnsitz in [X.] - ca. zwei Autofahrstunden vom streitgegenständlichen Anwesen entfernt. Für Besuche in M.      zu kulturellen und familiären Zwecken sowie zum Besuch von Heimspielen des [X.]           nutzten sie in den Jahren 2001 bis 2006 eine Drei-Zimmer-Wohnung im ersten Obergeschoss und danach eine 45 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss.

3

Mit anwaltlichem Schreiben vom 14. April 2016 kündigte die Beklagte wegen Eigenbedarfs und führte darin zur Begründung unter anderem aus:

"Die geringe Größe der ([X.].: von der [X.] gelegentlich bewohnten) 2-Zimmer-Wohnung mit einer Fläche von etwa 45 qm hat jedoch seit einiger [X.] bei der Nutzung zu Problemen geführt, sodass meine Mandantin sich in der Wohnung nicht mehr wohl gefühlt hat und sich die Zahl der Aufenthalte meiner Mandantin in M.     reduziert hat. Dies soll jedoch, insbesondere auch aus familiären Gründen wie z.B. der Intensivierung des Kontakts zu ihrer Tochter, aber auch, um am M.      Kulturleben wieder stärker teilzunehmen, wieder geändert werden. In der derzeitigen Wohnung sind weder Besuche noch längere Aufenthalte anderer Familienmitglieder, wie aktuell durch den Aufenthalt der Enkelin (...) realisiert, bei gleichzeitiger Anwesenheit der Eheleute [X.]    möglich. Die Wohnung ist außerdem relativ dunkel, ein Zustand, der sich durch den Neubau des [X.] noch verstärkt hat. (...)"

4

Das Amtsgericht hat die Eigenbedarfskündigung nach Anhörung der [X.] und Vernehmung der Tochter und des Schwiegersohns der [X.] als Zeugen für begründet erachtet und deshalb die auf Feststellung des [X.] des Mietverhältnisses gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] das Urteil des Amtsgerichts - ohne die Anhörung der [X.] und die Vernehmung der Zeugen zu wiederholen - abgeändert und der Klage stattgegeben.

II.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

6

Der Wunsch der [X.], die bereits eine Zweitwohnung im selben Anwesen innehabe und lediglich die Nutzung einer größeren und helleren Zweitwohnung anstrebe, sei angesichts des Alters der [X.] und ihres Ehemannes, der Entfernung zum Hauptwohnsitz und des zeitlichen Umfangs der Nutzung von lediglich ein bis zwei Tagen ein- bis zweimal monatlich unvernünftig, sachfremd und willkürlich. Die Tochter der [X.] habe als Zeugin angegeben, dass sich ihre Mutter lediglich zwei bis drei Nächte im Monat in der Wohnung aufhalte, auch wenn sich die Mutter "wünschen" würde, mehr [X.] dort zu verbringen.

7

Die Beklagte müsse sich entgegenhalten lassen, dass sie 2006 freiwillig von einer größeren in die kleinere Wohnung umgezogen sei. Der bloße Wunsch, künftig mehr [X.] in M.     zu verbringen, kulturelle Aktivitäten zu intensivieren und den Kontakt mit der Familie zu suchen, reiche alleine für den Ausspruch der Kündigung nicht aus. Angesichts der Rückgabe der Dauerkarte für den [X.]              durch den Ehemann der [X.] Anfang des Jahres 2016, der Abgabe der Hausverwaltung im Jahr 2012 sowie des Lebensalters der [X.] und ihres Ehemannes sei der Wunsch nach einer Intensivierung der Aufenthalte in M.     auch im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter, die beschwerliche Anreise und die bereits in den letzten Jahren sich immer mehr reduzierenden Aufenthalte nicht objektivierbar, nach der Lebenserfahrung nicht realisierbar und deshalb nicht vernünftig und auch nicht nachvollziehbar.

III.

8

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist der [X.] nach § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO erreicht. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat die Anhörung der [X.] sowie die Vernehmung der Zeugen nicht wiederholt, obwohl es deren Bekundungen anders gewürdigt hat als das Amtsgericht. Diese rechtsfehlerhafte Anwendung der § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO verletzt den Anspruch der [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. [X.], NJW 2005, 1487; [X.], Beschlüsse vom 5. April 2006 - [X.], [X.], 949 Rn. 1 f.; vom 14. Juli 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; vom 30. November 2011 - [X.]/11, juris Rn. 4 f.; vom 15. März 2012 - [X.], juris Rn. 6 mwN; st. Rspr.).

9

1. Das Berufungsgericht ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten [X.] gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Insbesondere verpflichtet das grundrechtsgleiche Recht auf Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) das Berufungsgericht, die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO zu vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz. Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Juli 2009 - [X.], aaO Rn. 5; vom 2. August 2017 - [X.], NJW-RR 2017, 1101 Rn. 14; jeweils mwN). Gleiches gilt bezüglich einer [X.]anhörung (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. September 2017 - [X.], NJW-RR 2018, 249 Rn. 12; vom 21. März 2018 - [X.], NJW 2018, 2334 Rn. 11; jeweils mwN).

Das Amtsgericht hat die Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen und die Angaben der [X.] bei ihrer Anhörung dahin gewürdigt, dass der Wunsch der [X.], ihre Besuche in M.    auszudehnen und hierfür die größere Wohnung des [X.] nutzen zu wollen, um dort auch (Übernachtungs-)Besuche zu empfangen, tatsächlich bestand und auch - ungeachtet der Entfernung zum Hauptwohnsitz sowie des Alters der [X.] und ihres Ehemannes - realisierbar sei.

Demgegenüber hat das Berufungsgericht den Wunsch der [X.] nach einer intensiveren Nutzung der Wohnung als nicht realisierbar angesehen, ohne sich durch eine Anhörung der [X.] und erneute Vernehmung der Zeugen einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Indem das Berufungsgericht gemeint hat, aus Erwägungen der allgemeinen Lebenserfahrung zu einem anderen Ergebnis als das Amtsgericht zu gelangen, hat es die Wahrheitsliebe und/oder die Urteilsfähigkeit der Zeugen und der [X.] anders beurteilt als das erstinstanzliche Gericht. Einer der Ausnahmefälle, in denen das Berufungsgericht ohne erneute Vernehmung der Zeugen beziehungsweise Anhörung der [X.] entscheiden darf, liegt somit nicht vor.

2. Eine nochmalige Anhörung der [X.] sowie Einvernahme der Zeugen war im Übrigen auch mit Blick auf die erst zweitinstanzlich vorgebrachten Umstände des vormaligen Umzuges von einer größeren in die jetzige Wohnung geboten.

a) Das Berufungsgericht hat der [X.] die Berufung auf die nunmehr aus ihrer Sicht zu geringe Wohnungsgröße versagt, da diese im [X.] von einer größeren Wohnung im ersten Obergeschoss des Anwesens freiwillig in die streitgegenständliche Wohnung umgezogen ist. Dieser Umstand ist bei der Frage, ob der [X.] von der [X.] ernsthaft verfolgt wird, von Bedeutung. Die Beklagte hat in der Kündigungserklärung ausgeführt, die Wohnung sei für den Empfang von (Übernachtungs-)Besuch zu klein. Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung kann jedoch mit Rücksicht darauf, dass die näheren Beweggründe, die Umstände sowie der Anlass des damaligen Verhaltens in die Betrachtung mit einzubeziehen sind, erst nach Anhörung der Vermieterin und gegebenenfalls der Vernehmung von Zeugen beurteilt werden, ob dieser frühere Umzug einer Ernsthaftigkeit des jetzigen [X.]s entgegensteht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es - wie die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zutreffend ausführt - für die Beurteilung des Vorliegens eines Eigenbedarfs maßgeblich auf die Umstände zum [X.]punkt der Kündigungserklärung ankommt.

b) Das Berufungsgericht durfte den Aspekt der Wohnungsgröße mit Blick auf den vormaligen Umzug und die beabsichtigte Nutzungsintensität auch nicht als "bereits objektiv nicht nachvollziehbar" ansehen. Dies verkennt wesentliche, bei der Beurteilung des Eigenbedarfs zu berücksichtigende Belange des Vermieters.

Zu der sich aus dem Eigentumsgrundrecht ergebenden Befugnis des Vermieters gehört auch die Entscheidung darüber, von welchem [X.]punkt an ein Wohnbedarf Anlass für eine Eigenbedarfskündigung sein soll. Dabei ist zu beachten, dass der Wunsch, eine bestimmte Wohnung zu nutzen, sich nicht ausschließlich oder in erster Linie an objektiven Kriterien messen lässt, sondern vielmehr eng mit dem bisherigen Lebensweg eines Menschen, seinen Zukunftsplänen und seinen persönlichen Vorstellungen und Bedürfnissen zusammenhängt (vgl. [X.], NJW 1994, 309, 310; [X.], 659, 660; Senatsurteil vom 4. Februar 2015 - [X.], [X.]Z 204, 145 Rn. 31; Senatsbeschluss vom 23. August 2016 - [X.], NJW-RR 2017, 72 Rn. 15). Der im [X.] erfolgte Auszug der [X.] aus der größeren Wohnung im ersten Obergeschoss kann der [X.] somit nicht auf unabsehbare [X.] entgegengehalten werden. Sie ist dadurch nicht gehindert, ihre Wohnsituation zehn Jahre später erneut zu beurteilen und nunmehr zu einer anderen Einschätzung zu gelangen.

3. Die dem Berufungsgericht mit der unterbliebenen Wiederholung der Beweisaufnahme unterlaufene Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach Anhörung der [X.] und erneuter Vernehmung der Zeugen zu einer anderen Beurteilung des von der [X.] geltend gemachten Eigenbedarfs gelangt wäre.

IV.

Bei der Zurückverweisung an das Berufungsgericht macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch, der auf den Fall einer Zurückverweisung nach § 544 Abs. 7 ZPO entsprechend anwendbar ist ([X.], Beschlüsse vom 1. Februar 2007 - [X.], NJW-RR 2007, 1221 Rn. 12; vom 3. Juli 2018 - [X.], juris Rn. 81 mwN, zur Veröffentlichung in [X.]Z vorgesehen).

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Frage, ob der vom Vermieter zur Begründung der Kündigung angegebene Erlangungswunsch "nachvollziehbar und vernünftig" ist, nicht - wie es die zunächst mit der Sache befasste Berufungskammer getan hat - mit der weiteren Frage vermengt werden darf, ob der vom Vermieter geltend gemachte Eigenbedarf auch tatsächlich besteht und realisierbar ist.

Dass die von der [X.] für ihren [X.] angegebenen Gründe, die Aufenthalte in M.    im Hinblick auf familiäre Kontakte und die Wahrnehmung kultureller Veranstaltungen künftig auszudehnen und in der (größeren) Wohnung auch [X.] zu empfangen, "vernünftig und nachvollziehbar" sind, liegt auf der Hand.

Das Berufungsgericht wird deshalb vorrangig zu prüfen haben, ob das tatsächliche Bestehen dieses [X.]es zu seiner Überzeugung nachgewiesen ist. Dazu gehört insbesondere, dass der [X.] auch ernsthaft verfolgt wird, er also nicht - etwa um einen "unliebsamen" Mieter aus der Wohnung zu entfernen - bloß "vorgeschoben" ist. Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Vernehmung der Zeugen und erneuter Anhörung der [X.] zu der Einschätzung gelangen, der [X.] der [X.] sei nicht realisierbar, wird dies - je nach dem Inhalt der weiteren Feststellungen - bereits im Rahmen der fehlenden Ernsthaftigkeit des Eigennutzungswunschs oder gegebenenfalls auch unter dem weiteren Gesichtspunkt des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zu würdigen sein.

Dr. Milger     

        

Dr. Hessel     

        

Dr. Bünger

        

Kosziol     

        

Dr. [X.]     

        

Meta

VIII ZR 61/18

23.10.2018

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG München I, 24. Januar 2018, Az: 14 S 9552/17, Urteil

§ 242 BGB, § 573 Abs 2 Nr 2 BGB, Art 103 Abs 1 GG, § 26 Nr 8 ZPOEG, § 398 ZPO, § 529 ZPO, § 544 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.10.2018, Az. VIII ZR 61/18 (REWIS RS 2018, 2585)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2585


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VIII ZR 61/18

Bundesgerichtshof, VIII ZR 61/18, 23.10.2018.


Az. 14 S 9552/17

LG München I, 14 S 9552/17, 24.01.2018.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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