Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2016, Az. VIII ZR 178/15

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 6435

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:230816BVIIIZR178.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZR 178/15
vom

23. August 2016

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 103 Abs. 1
Unterstellt ein Gericht nur einen unwesentlichen Teil eines zusammenhängenden Vortrags einer [X.] als wahr, während es den wesentlichen, entscheidungserhebli-chen Vortrag und den hierzu erfolgten Beweisantritt übergeht, liegt darin eine Ge-hörsverletzung.

[X.], Beschluss vom 23. August 2016 -
VIII ZR 178/15 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der VIII.
Zivilsenat des [X.] hat am 23. August 2016
durch die
Vorsitzende
Richterin [X.], [X.] [X.], die Richterin
Dr.
[X.] sowie die Richter Dr. Bünger
und Kosziol
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der [X.] wird das Urteil des [X.]s [X.] -
Zivilkammer VII -
vom 10. Juli 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das [X.] werden nicht erhoben.
Der Streitwert für das [X.] wird auf 7.902

Gründe:
I.
Die [X.] sind seit dem 1. September 2000 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Vierzimmerwohnung des [X.] in K.

. Der Mietvertrag wurde mit der im Jahr 2010 verstorbenen Mutter des [X.] abgeschlossen; der Kläger ist als ihr Alleinerbe in den Miet-vertrag eingetreten.
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-
3
-

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2012 kündigte der Kläger das Mietver-hältnis wegen Eigenbedarfs zum 31. Juni 2013. Die Kündigung wurde vom Klä-ger damit begründet, sein damals 22 Jahre alter [X.], der ein Studium an der Dualen Hochschule in K.

aufgenommen habe
und im September 2013 von einem dreimonatigen Auslandspraktikum in [X.] zurückgekehrt sei,
beab-sichtige,
nun auch in [X.] einen eigenen Hausstand zu gründen und mit mindestens einem Mitbewohner zusammenzuziehen.
Die [X.] akzeptierten die Kündigung nicht. Daraufhin hat der Kläger Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung erhoben und ergänzend angeführt, sein [X.] wolle die Wohnung mit seinem langjährigen Freund
M.

M.

beziehen, der ein ähnliches Studium absolviere. Das Amtsge-richt hat der Klage nach Vernehmung des [X.]es des [X.] stattgegeben. Auf die Berufung der [X.] hat das [X.] die Klage mit der [X.] abgewiesen, es liege ein weit überhöhter und damit rechtsmissbräuchli-cher Wohnbedarf vor,
die Absicht,
eine Wohngemeinschaft einzugehen, recht-fertige keinen höheren Eigenbedarf und schließlich sei von einem nur auf die Dauer des Studiums
bezogenen, vorübergehenden
Bedarf auszugehen.
Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.]
die Revi-sion gegen dieses Urteil zugelassen
und anschließend unter Aufhebung der Entscheidung den Rechtsstreit mit Urteil vom 4. März 2015 ([X.], [X.]Z 204, 216) an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwie-sen. Dabei hat er
dem Berufungsgericht aufgegeben, die im [X.] bislang unterbliebenen Feststellungen zu der Frage der Ernsthaftigkeit des [X.]es und zu dem von den [X.] geltend gemachten Ein-wand
nachzuholen, für die Befriedigung des Eigenbedarfswunsches habe eine vor dem 1. Mai 2012 freigewordene, baugleiche
Vierzimmerwohnung im [X.] desselben Anwesens zur Verfügung gestanden.
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-

Im erneuten Berufungsverfahren haben die [X.] hinsichtlich der von ihnen angeführten Möglichkeit, die freigewordene und am 1. Mai 2012 wei-tervermietete Erdgeschosswohnung zur Befriedigung des Eigenbedarfs heran-zuziehen, ergänzend ausgeführt, aus den Bekundungen des in erster Instanz vernommenen Zeugen [X.]

sei abzuleiten, dass schon längere [X.] vor dem Freiwerden dieser Wohnung im Rahmen eines Gesprächs mit seinem Freund M.

M.

der Entschluss gefasst worden sei, von zu Hause aus-
und zusammenzuziehen, und dies auch mit dem Kläger besprochen worden sei. Zum Nachweis dieser
Behauptung haben sie sich im Berufungsverfahren erst-mals auf das Zeugnis von Herrn M.

berufen. Das [X.] hat von einer Beweisaufnahme abgesehen und die Berufung der [X.] gegen das [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hier-gegen wenden sich die [X.] mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige [X.] hat in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserhebli-cher Weise den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.
1
GG).

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung,
so-weit für das
[X.] von Interesse, im [X.] ausgeführt:
Dem geltend gemachten Eigenbedarf stehe
nicht entgegen, dass [X.] vor dem 1. Mai 2012 eine gleichwertige Alternativwohnung im Erd-5
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-

geschoss des streitgegenständlichen Anwesens
zur Verfügung gestanden ha-be. Denn den
glaubhaften Angaben des Zeugen [X.]

lasse sich entnehmen, dass in ihm der Wunsch, eine eigene Wohnung in Gemeinschaft mit einem gu-ten Freund zu beziehen, erst im September 2012 nach seinem Auslandsaufent-halt in [X.] und den dort gemachten Erfahrungen gereift sei. Allein die Be-hauptung der [X.], der Zeuge [X.]

habe sich mit seinem Freund
M.

M.

schon im Jahre 2012 über etwaige Auszugsabsichten unter-halten, bedeute nicht, dass bereits vor seiner Abreise nach [X.] ein fester Entschluss gefasst worden wäre, für den es schon eine konkrete Planung ge-geben hätte. Im September 2012, dem
[X.]punkt, in dem der Nutzungsent-schluss gefasst worden sei, sei
die Erdgeschosswohnung aber schon seit [X.] fünf Monaten weitervermietet
gewesen.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass die angefochtene Entscheidung den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs.
1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Einvernahme des Zeugen M.

zur Behauptung
nicht nachgegangen ist, der Entschluss zur Gründung einer Wohn-gemeinschaft mit dem Zeugen M.

sei schon vor dem 1. Mai 2012 gefasst worden.
a) Die Nichterhebung
eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (st.
Rspr.; siehe etwa [X.] 50, 32, 36; 65, 305, 307; 69, 141, 144; [X.], [X.], 671, 672; [X.], Beschluss vom 14. März 2013 -
1 BvR 1457/12, juris Rn. 10 mwN; [X.], Beschlüsse
vom 21. Oktober 2014
-
VIII ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 13; vom 16. Juni 2016
-
V [X.], juris Rn. 5;
jeweils mwN).
So liegen die Dinge hier. Die Vernehmung des Zeugen M.

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konnte weder aus den von dem Berufungsgericht angestellten Erwägungen
noch aus anderen Gründen zurückgewiesen werden.
[X.]) Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag in seinen Urteilsgründen nicht ausdrücklich abgelehnt. Seinen Ausführungen lässt sich jedoch
entneh-men, dass es die zum Beweis gestellte -
und offenbar als wahr unterstellte -
Tatsachenbehauptung für unerheblich gehalten hat. Es hat die Auffassung ver-treten, die Behauptung der [X.], der Zeuge [X.]

habe sich mit seinem Freund M.

schon im Jahr 2012 über etwaige Auszugsabsichten unterhalten, bedeute nicht, dass es schon vor der Rückkehr aus [X.] eine
konkrete Pla-nung gegeben hätte und ein fester Entschluss über die Gründung einer Wohn-gemeinschaft gefasst worden wäre.
Hierbei missachtet das Berufungsgericht die Grundsätze der Wahrunterstellung und verletzt damit den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör.
(1) Voraussetzung einer zulässigen Wahrunterstellung ist, dass die Be-hauptung so übernommen wird, wie die [X.] sie aufgestellt hat ([X.], [X.] vom 24. September 2015 -
IX ZR 266/14, juris Rn. 8). Eine Auslegung des im erneuten Berufungsverfahren gestellten Beweisantrages ergibt aber, dass die [X.] den Zeugen M.

zum Beweis der Tatsache benannt ha-ben, der Entschluss zur Gründung einer Wohngemeinschaft sei vom Zeugen [X.]

bereits vor dem Freiwerden der zum 1. Mai 2012 weitervermieteten Wohnung im Erdgeschoss fest getroffen worden. Die [X.] haben in ihrem in zweiter Instanz ergänzten Vorbringen ausgeführt, der Zeuge [X.]

habe bei seiner Vernehmung in erster Instanz angegeben, er habe mit seinem Freund M.

bereits 2012 darüber gesprochen, dass sie von zu
Hause ausziehen wollten. Aus diesen Angaben und dem Umstand dass zwischen der Weiterver-mietung der freigewordenen Erdgeschosswohnung und der Eigenbedarfskündi-gung für die Obergeschosswohnung nur ein [X.]raum von rund
fünf Monaten 11
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lag, ziehen sie den in das Wissen des Zeugen M.

gestellten Rückschluss, dass "der Entschluss von [X.] längere [X.] vor dem Freiwerden der Wohnung im [X.] stattgefunden und gefasst worden und vom Zeugen [X.]

mit seinem Vater, dem Kläger, bespro-chen worden sein [müsse]". Hieraus ergibt sich, dass der Zeuge M.

nicht nur -
wie vom Berufungsgericht angenommen -
für ein bloßes Gespräch über etwaige Auszugsabsichten angeboten wurde, sondern zum Beweis der [X.], dass zu diesem [X.]punkt der Entschluss, eine Wohngemeinschaft zu gründen, bereits endgültig gefasst war.
(2) Eine Wahrunterstellung, die es erlaubt hätte, auf die Vernehmung des Zeugen M.

zu verzichten, hätte also auch die Behauptung umfassen müs-sen, dass schon vor dem 1. Mai 2012 der Entschluss zur Gründung der Wohn-gemeinschaft gefallen sei. Das Berufungsgericht hat demgegenüber -
wie sich aus dem auf Seite 5 seines Urteils verkürzt wiedergegebenen Vortrag der [X.] ergibt -
den Beweisantrag allein auf ein zwischen dem Zeugen [X.]

und dem Zeugen M.

geführtes Gespräch über etwaige Absichten,
[X.] eine Wohnung zu beziehen, verengt und dann entgegen der Behauptung der [X.] und ohne Vernehmung des
Zeugen M.

festgestellt, der end-gültige Entschluss sei erst nach der Rückkehr des Zeugen [X.]

aus [X.] getroffen worden.
(3) Die
von den [X.] aufgestellte Tatsachenbehauptung kann nicht als wahr unterstellt werden, weil die zwischen den [X.]en streitige und bislang nicht hinreichend geklärte Frage, wann der [X.] des [X.]es des [X.] endgültig feststand und dem
Kläger bekannt gegeben worden war
-
nach Darstellung des [X.] erst im September 2012, nach der Auffassung der [X.] schon vor der Weitervermietung der Erdgeschosswohnung -
für die Wirksamkeit der ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung eine entschei-13
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dende Rolle spielt. Der [X.]punkt des endgültigen Entstehens des Nutzungs-wunsches kann sowohl für die -
vom Kläger nachzuweisende -
Frage der Ernst-haftigkeit der auf die Wohnung im ersten Obergeschoss bezogenen Nutzungs-absicht (bei einem
vor dem 1. Mai 2012 bestehenden
[X.] hätte möglicherweise ein Bezug der freigewordenen Erdgeschosswohnung [X.]) als auch unter dem Gesichtspunkt einer -
von
den [X.] zu bewei-senden -
Rechtsmissbräuchlichkeit der Kündigung wegen einer vor dem 1. Mai 2012 beziehbaren gleichwertigen Alternativwohnung von Bedeutung sein.
(a) Zwar gehört zu der sich aus dem Eigentumsgrundrecht ergebenden Befugnis des Vermieters auch die Entscheidung darüber, von welchem [X.]-punkt an ein Wohnbedarf Anlass für eine Eigenbedarfskündigung geben soll ([X.], [X.], 659, 660; Senatsurteil vom 4. Februar 2015 -
VIII ZR 154/14, [X.]Z 204, 145 Rn. 31). Dabei ist auch zu beachten, dass der Wunsch, eine bestimmte Wohnung zu nutzen, sich nicht ausschließen oder in erster Linie an objektiven Kriterien messen lässt ([X.] 79, 292, 305; [X.], NJW 1994, 309, 310; Senatsurteil vom 4. Februar 2015 -
VIII ZR 154/14, [X.]O).
Dies bedeutet aber nicht, dass in dem Falle, in dem -
wie hier -
wenige Monate vor dem geltend gemachten Eigenbedarf eine geeignete Alternativwoh-nung frei geworden ist, nicht der Frage nachzugehen wäre, wann der die [X.]situation auslösende Nutzungsentschluss konkret gefasst worden ist. Denn wenn ein bereits endgültig feststehender Nutzungsentschluss nicht in einer vergleichbaren und freigewordenen Wohnung im selben Anwesen reali-siert, sondern erst nach der Weitervermietung einer solchen Alternativwohnung in die Tat umgesetzt worden wäre, könnte dies Zweifel an der vom Tatrichter unter Würdigung aller Gesamtumstände zu prüfenden Ernsthaftigkeit des [X.] aufkommen lassen. Anders lägen die Dinge, wenn es plausible Gründe für das Hinausschieben der Umsetzung eines feststehenden Nutzungs-15
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entschlusses gäbe oder die Nutzungsabsicht aus nachvollziehbaren Gründen erst zu einem [X.]punkt endgültig gefasst worden wäre, als eine geeignete Al-ternativwohnung nicht mehr zur Verfügung stand.
(b) Im Falle eines schon vor der Weitervermietung einer freigewordenen geeigneten Alternativwohnung endgültig gefassten Nutzungsentschlusses käme zudem eine Rechtsmissbräuchlichkeit der ausgesprochenen Eigenbedarfskün-digung in Betracht. Zwar ist bei der Kündigung einer Mietwohnung wegen [X.] grundsätzlich die Entscheidung des Vermieters, welche der ihm gehörenden Wohnungen er nutzen will, zu respektieren (Senatsurteile vom 13.
Oktober 2010
-
VIII ZR 78/10, NJW
2010, 3775 Rn.
14; vom 9. Juli 2003

-
VIII ZR 276/02, NJW
2003, 2604 unter [X.]). Ausnahmsweise ist eine (berech-tigte) Eigenbedarfskündigung aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn dem [X.] eine vergleichbare andere Wohnung zur Verfügung steht, in der er sei-nen Wohnbedarf ohne wesentliche Abstriche befriedigen kann (Senatsurteil vom 4.
März 2015 -
[X.], [X.]Z 204, 216 Rn. 15; [X.], NJW 1994, 309, 310; NJW 1993, 1637, 1638; NJW 1994, 994 f.; NJW 1995, 1480, 1481).
[X.]) Der
Beweisantritt
hätte auch nicht aus anderen Gründen zurückge-wiesen werden dürfen.
(1) Die erstmalige Benennung des Zeugen M.

im Berufungsverfahren ist zwar -
im Gegensatz zu dem unter Beweis gestellten Vorbringen an sich -
ein neues Verteidigungsmittel und damit nur unter den Voraussetzungen des §
531 Abs. 2 ZPO berücksichtigungsfähig. Denn auch nach der [X.] eines Rechtsstreits darf das Berufungsgericht neue Angriffs-
und [X.] nur in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen ([X.], Urteil vom 2. April 2004 -
V [X.], [X.], 2382 unter II 4 a), es sei denn, es handelt sich um unstreitiges Vorbringen (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteil vom 17
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10
-

20. Mai 2009 -
VIII ZR 247/06, [X.], 2532 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2015 -
VIII [X.], [X.], 98 Rn. 11; jeweils mwN). Dieses hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung ohne weiteres gemäß § 529 Abs.
1 ZPO zugrunde zu legen.
(a)
Neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO ist ein Angriffs-
oder [X.], wenn es bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster In-stanz nicht vorgebracht worden und daher im erstinstanzlichen Urteil unberück-sichtigt geblieben ist ([X.], Urteil vom 2.
April 2004 -
V [X.], [X.]O
unter II
1 a; Beschluss vom 15.
Juli 2014
-
VI [X.], juris
Rn. 3).
Gleiches gilt für Vorbringen, das einen sehr allgemein gehaltenen oder nur angedeuteten Vor-trag im ersten Rechtszug erstmals substantiiert ([X.], Urteil
vom 8. Juni 2004
-
VI [X.], [X.]Z 159, 245, 251; Beschluss vom 15. Juli 2014 -
VI [X.], [X.]O). Dagegen ist Vortrag in zweiter Instanz dann nicht neu, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz durch weitere Tatsachenbe-hauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 15. Juli 2004 -
VI [X.], [X.]O; vom 21. Dezember 2011
-
VIII [X.], NJW-RR 2012, 341
Rn. 15; vom 19. Februar 2016
-
V
ZR 216/14, NJW 2016, 2315
Rn. 27; Beschluss vom 10. Mai 2016 -
VIII ZR 214/15, [X.], 426
Rn. 18; jeweils mwN).
(b) Gemessen daran ist der dem Beweisantrag zugrunde liegende Vor-trag der [X.] ohne die Beschränkungen des § 531 Abs. 2 ZPO berück-sichtigungsfähig.
Die [X.] haben bereits
im erstinstanzlichen Verfahren behauptet, schon bei der Weitervermietung der Erdgeschosswohnung zum 1.
Mai 2012 habe festgestanden, dass der [X.] des [X.] aus [X.] zurück-kehre, so dass er diese
Wohnung hätte beziehen können. Diese Behauptung haben sie
in zweiter Instanz dahin konkretisiert, aus den erstinstanzlichen An-gaben des Zeugen [X.]

sei abzuleiten, dass der Entschluss, eine Wohnungs-20
21
-
11
-

gemeinschaft mit Herrn M.

zu gründen, schon vor dem Freiwerden der [X.] gefasst und mit
dem Kläger besprochen worden sei. Das ergänzte und vom Kläger bestrittene Vorbringen als solches ist damit -
weil nicht neu -
ohne weiteres gemäß § 529 Abs. 1 ZPO berücksichtigungsfähig.
(c) Dagegen stellt die
für die beschriebenen Behauptungen erst
in
der Berufungsinstanz erfolgte
Benennung des Zeugen M.

ein neues [X.] im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO dar. Ein erstmals im zweitinstanzli-chen Verfahren angetretener Zeugenbeweis für einen schon in erster Instanz gehaltenen Vortrag bildet
stets ein neues Angriffs-
oder Verteidigungsmittel, und zwar unabhängig davon, ob in erster Instanz schon ein Zeuge mit "NN"
[X.] (Musielak/[X.]/Ball, ZPO, 13. Aufl., §
531 Rn. 15; BeckOK-ZPO/Wulf, Stand: März 2016, § 531 Rn. 12) oder -
wie im Streitfall -
noch gar kein Beweis-antritt erfolgt ist.
Die
für die Konkretisierung eines bereits erbrachten Vortrags geltenden Grundsätze finden hier keine Anwendung, weil der Zeugenbeweis gemäß § 373 ZPO erst dann angetreten ist, wenn ein Zeuge benannt ist ([X.]/[X.]/[X.], [X.]O, § 373 Rn. 10; vgl. auch [X.], Beschluss
vom 4.
Dezember 2014
-
IX ZR 88/14, [X.], 191 Rn. 6).
(2) Der erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Beweisantritt ist jedoch nach § 531 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 ZPO berücksichtigungsfähig.
(a) Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs-
und [X.] im Berufungsverfahren zuzulassen, wenn sie einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt betreffen, der von dem Gericht des ersten Rechts-zugs
erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob ein neues Angriffs-
oder Verteidigungsmittel schon in erster Instanz hätte vorgebracht werden können. Denn diese Bestim-mung soll verhindern, dass Prozessparteien gezwungen werden, in der ersten 22
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24
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12
-

Instanz vorsorglich auch solche Angriffs-
und Verteidigungsmittel vorzutragen, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts unerheblich sind ([X.], Ur-teile vom 21. Dezember 2011
-
VIII [X.], [X.]O
Rn. 18; vom 14. Juni 2016 -
XI [X.], juris Rn. 18; jeweils mwN).
Allerdings findet die genannte [X.] nur unter der ungeschriebenen Voraussetzung Anwendung, dass die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre,
(mit-)
ursächlich dafür geworden ist, dass sich das [X.]vorbringen in das Beru-fungsverfahren verlagert (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 21. Dezember 2011
-
VIII [X.], [X.]O Rn. 19; vom 1. Juli 2015
-
VIII ZR 226/14, NJW 2015, 3455 Rn. 25; vom 14. Juni 2016 -
XI [X.], [X.]O; jeweils mwN). Dies ist [X.] dann anzunehmen, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die [X.] durch seine Prozessleitung oder seine erkennbare rechtliche Beurteilung des Streitverhältnisses davon abgehalten hat, zu bestimmten Gesichtspunkten (wei-ter) vorzutragen ([X.], Urteile vom 21. Dezember 2011
-
VIII [X.], [X.]O, Rn.
20;
vom 19. Februar 2004
-
III [X.], [X.], 2213 unter [X.] a).
(b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
erfüllt. Das Amtsgericht hat die zwischen den [X.]en streitige Frage, ob der [X.] des [X.] aufgrund eines schon damals im Wesentlichen abgeschlossenen Entscheidungsprozes-ses in die zum 1. Mai 2012 weitervermietete Erdgeschosswohnung hätte ein-ziehen können oder ob diese Möglichkeit deswegen ausgeschlossen war, weil der Entschluss des [X.]es des [X.] erst im September 2012 endgültig ge-fasst und an den Kläger herangetragen worden ist, ausgehend von dem von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkt
für unerheblich gehalten. Es hat in sei-nen Urteilsgründen das Freiwerden der zum 1.
Mai 2012 weitervermieteten Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss nur unter dem Gesichtspunkt in den Blick genommen, ob ein Bezug dieser baugleichen
Wohnung eine sinnvollere Alter-native für den Kläger dargestellt habe, und hat sich an einer solchen Prüfung 25
-
13
-

gehindert gesehen, weil aus Art. 14 GG folge, dass dem Vermieter nicht vorge-schrieben werden könne, welche Wohnung er nutzen wolle.
Dementsprechend hat es weder im Rahmen der Befragung des Zeugen [X.]

ausreichend [X.], wie weit dessen Pläne, mit dem Zeugen M.

eine Wohngemeinschaft zu gründen, schon vor der Abreise nach [X.] gediehen waren,
noch weitere Beweisantritte zu dieser Frage für erforderlich gehalten.

Die Rechtsansicht des
Amtsgerichts, das der aufgeworfenen
Streitfrage keine rechtliche Bedeutung beigemessen hat, ist damit auch (mit-)ursächlich dafür geworden, dass die [X.] nicht bereits in erster Instanz ihr Vorbrin-gen zu einem schon frühzeitig gefassten Nutzungsentschluss des [X.]es des [X.] konkretisiert und durch Benennung des Zeugen M.

unter Beweis gestellt haben.
b) Die in der unterbliebenen Beweiserhebung
liegende Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung des Zeugen M.

und einer -
dann gegebenenfalls gebotenen -
ergänzenden Anhörung des Zeugen [X.]

zu ei-ner anderen Beurteilung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des [X.]es oder der Möglichkeit, den Eigenbedarf in der zum 1. Mai 2012 weitervermiete-ten Erdgeschosswohnung zu befriedigen, gelangt wäre.
3. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde weiter gerügten Gehörsver-stöße liegen dagegen nicht vor. Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht unter Verletzung des Anspruchs der [X.] auf rechtliches Gehör
deren erstmals nach der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht erfolgtes Bestreiten des -
bislang von allen Instanzen ihren Entscheidungen als unstreitig zugrunde gelegten -
Mitnutzungswillens des Studienkollegen M.

und die von den [X.] angeführten Indizien für einen vorgeschobenen Ei-26
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14
-

genbedarf unberücksichtigt gelassen. Von einer näheren Begründung wird ge-mäß § 544 Abs.
4 Satz
2 Halbs.
2 ZPO abgesehen.

III.
Das Urteil
des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO), damit dieses durch Vernehmung des
Zeugen M.

(und gegebenenfalls einer ergänzenden Anhörung des Zeugen [X.]

) der streitigen Frage
nachgeht, ob die Entschei-dung, eine Wohnungsgemeinschaft zu gründen, erst im September 2012 gefal-len oder bereits vor dem 1. Mai 2012 getroffen worden ist. Der Senat macht dabei von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch, der auch im Beschlussverfahren nach § 544 Abs. 7 ZPO entsprechend herangezogen wer-den kann ([X.], Beschluss vom 1. Februar 2007 -
V
ZR 200/06, NJW-RR 2007,

29
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15
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1221 Rn. 12). Gerichtskosten für das [X.] werden gemäß § 21 GKG nicht erhoben.
[X.]
Dr. [X.]
Dr. [X.]

Dr. Bünger
Kosziol
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.01.2014 -
4 C 371/13 -

LG [X.], Entscheidung vom 10.07.2015 -
7 S 35/15 -

Meta

VIII ZR 178/15

23.08.2016

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2016, Az. VIII ZR 178/15 (REWIS RS 2016, 6435)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6435

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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