Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.09.2015, Az. 9 W (pat) 49/10

9. Senat | REWIS RS 2015, 4756

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Gegenstand

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Ventileinrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeuges" – zur Zulässigkeit neuer Widerrufsgründe, die durch den Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren eingeführt wurden


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2006 006 439

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Dipl.-Ing. Hilber sowie [X.], [X.] und Dipl.-Ing. Sandkämper

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Juli 2010 aufgehoben und das Patent 10 2006 006 439 widerrufen.

Gründe

I.

1

Die [X.] des [X.] hat nach Prüfung des Einspruchs das am 13. Februar 2006 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

2

"Ventileinrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeuges"

3

mit Beschluss vom 13. Juli 2010 in vollem Umfang aufrechterhalten. Nach Prüfung des Einspruchs und einer Anhörung ist sie zu der Überzeugung gelangt, dass die erfindungsgemäße Ventileinrichtung gegenüber dem Stand der Technik patentfähig sei und hat dies im Einzelnen begründet.

4

en (Plural) einrast- und entriegelbar sei. Im Gegensatz dazu solle das Bedienelement laut der erteilten Fassung aber nur in einer Stellung, nämlich der Stellung Senken, einrast- und entriegelbar sein.

5

Dieser Sachverhalt sei entscheidungsrelevant und bereits Gegenstand des inzwischen rechtskräftig erledigten Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens zwischen den Beteiligten gewesen in der Sache des parallelen [X.] 1 986 874; die unzulässige Erweiterung sei dort festgestellt worden. Obwohl dies weder vorgreiflich sei noch eine unzulässige Erweiterung Thema im [X.] Einspruchsverfahren gewesen sei, könne es nicht im Interesse aller Beteiligten sein, diesen [X.] im laufenden [X.] unberücksichtigt zu lassen. Denn dadurch würde das Streitpatent unter Umständen in einer nichtigen Fassung aufrechterhalten.

6

Außerdem vertritt die Beschwerdeführerin weiterhin die bereits im Einspruchsverfahren vorgetragene Meinung, der Streitgegenstand sei nicht patentfähig gegenüber dem Stand der Technik. Dabei bezieht sie sich auf folgende Druckschriften:

7

[X.] [X.] 199 13 380 C1 (im Prüfungsverfahren ermittelt)

8

D2 [X.] 42 02 729 C2 (ursprünglich von der Anmelderin genannt)

9

D3 [X.] 26 23 235 C3

[X.] [X.] 41 20 824 C1

D5 EP 0 536 124 B1 und

D6 [X.] 195 10 792 C1

[X.] WO 92/12021 [X.] und die

D8 FR 2 733 942 A (mit [X.]: [X.] Übersetzung)

[X.] Druckdatenblatt „Drehschieberventil“, [X.] aus 01/99

[X.]0 [X.] 24300, Blatt 5 aus März 1966.

Nach einer Vorberatung des Senats ist den Beteiligten mit richterlichem Hinweis vom 27. August 2015 mitgeteilt worden, der Beschwerde sei voraussichtlich stattzugeben. Hinsichtlich der erteilten Fassung bestünden Zulässigkeitsbedenken, weil eine Arretierbarkeit des [X.] in ausschließlich einer einzigen Stellung ursprünglich nicht offenbart sein dürfte. Unabhängig davon sei die Patentfähigkeit eines möglicherweise auf seine Ursprungsoffenbarung zurückgeführten Streitgegenstandes fraglich gegenüber den Druckschriften [X.] mit [X.]. Anlass für deren Zusammenschau könne die zum Anmeldetag des [X.] im einschlägigen Fachbereich hinlänglich bekannte Sicherheitsproblematik sein, wonach das Belassen des Bedienhebels eines beispielsweise für ein luftgefedertes Fahrzeug aus [X.] bekannten Drehschieberventils in einer Funktionsstellung ein Sicherheitsrisiko darstelle. Dieses Problem sei nicht nur beschrieben in [X.], sondern außerdem auch in den [X.], [X.] bis [X.] sowie [X.].

Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin hat dem widersprochen. Der [X.] der unzulässigen Erweiterung nach § 21 (1) Nr. 4 [X.] sei nicht Gegenstand des Einspruchs gewesen und folglich verspätet vorgetragen. Deshalb hat die Beschwerdegegnerin unter Verweis auf die [X.]-Entscheidung „[X.]“ die Ansicht vertreten, das [X.] sei nicht befugt, seine Entscheidung im [X.] auf diesen [X.] zu stützen. Einer Berücksichtigung dieses [X.]es verweigert sie deshalb ausdrücklich die Zustimmung.

Unabhängig davon verteidigt sie das Streitpatent im erteilten Umfang nach Hauptantrag und mit geänderten Anspruchsfassungen nach [X.] 1 und 2, die sie für zulässig und auch patentfähig erachtet. Sie beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen,

hilfsweise das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten mit folgenden Unterlagen:

Patentanspruch 1 bis 15 gemäß neuem Hilfsantrag 1 vom 28.09.2015, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 28.09.2015,

Beschreibung und Zeichnungen Figuren wie Patentschrift,

weiter hilfsweise, - Patentansprüche 1 bis 15 gemäß neuem Hilfsantrag 2 vom 28.09.2015, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2015,

Beschreibung und Zeichnungen Figuren jeweils wie Patentschrift.

Außerdem regt die Patentinhaberin an, die Rechtsbeschwerde zu der Frage zuzulassen:

„Ist das [X.] befugt, im [X.] neue Widerrufsgründe, die nicht Gegenstand des [X.] vor dem [X.] waren, aufzugreifen und hierauf seine Entscheidung zu stützen?“

Die Einsprechende und Beschwerdeführerin stellt den Antrag,

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Sie widerspricht der Patentinhaberin vollumfänglich und meint, die angezogene [X.]-Entscheidung „[X.]“ sei nicht einschlägig, sondern betreffe einen anderen Sachverhalt.

Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet:

Ventileinrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeuges, mit einem Gehäuse (1) sowie einem gegenüber dem Gehäuse (1) durch Betätigung eines Hebels (3) bewegbaren Bedienelement (2), bei der das Bedienelement (2) mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar ist und das Bedienelement (2) zur Verhinderung einer Drehbewegung wenigstens in der [X.] mittels einer mechanischen [X.] (12, 26), die zwischen dem Bedienelement (2) und dem Gehäuse (1) wirkt, einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) vorgesehen ist, welche bei Anlegen eines elektrischen und/oder pneumatischen Signals die Rastwirkung der [X.] (12, 26) aufhebt, wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.

Diesem Patentanspruch nachgeordnet sind die erteilten Patentansprüche 2 bis 15.

Hilfsantrag 1 vom 28. September 2015 lautet der geltende Patentanspruch 1 (Unterschiede zum Wortlaut des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sind fett gedruckt):

in verschiedene Stellungen stellbar ist und in vorbestimmten Stellungen mittels einer mechanischen [X.] einrastbar ist, wobei das Bedienelement (2) mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar ist und das Bedienelement (2) zur Verhinderung einer Drehbewegung wenigstens in der [X.] mittels einer mechanischen [X.] (12, 26), die zwischen dem Bedienelement (2) und dem Gehäuse (1) wirkt, einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) vorgesehen ist, welche bei Anlegen eines elektrischen und/oder pneumatischen Signals die Rastwirkung der [X.] (12, 26) aufhebt, wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.

Diesem Patentanspruch 1 nachgeordnet sind Patentansprüche 2 bis 15 gemäß Hilfsantrag 1 vom 28. September 2015.

Hilfsantrag 2 vom 28. September 2015 lautet der geltende Patentanspruch 1 (Unterschiede zum Wortlaut des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sind fett gedruckt):

in verschiedene Stellungen stellbar ist und in vorbestimmten Stellungen mittels einer mechanischen [X.] einrastbar und entriegelbar ist, wobei das Bedienelement (2) mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar ist und das Bedienelement (2) zur Verhinderung einer Drehbewegung wenigstens in der [X.] mittels der mechanischen [X.] (12, 26), die zwischen dem Bedienelement (2) und dem Gehäuse (1) wirkt, einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) vorgesehen ist, welche bei Anlegen eines elektrischen und/oder pneumatischen Signals die Rastwirkung der [X.] (12, 26) aufhebt, wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.

Diesem Patentanspruch 1 nachgeordnet sind Patentansprüche 2 bis 15 gemäß Hilfsantrag 1 vom 28. September 2015.

Zum Anspruchswortlaut der [X.] sowie zum Akteninhalt im Einzelnen wird auf die Akten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache auch begründet, denn der mit ihr geltend gemachte [X.] gemäß § 21 (1) Nr. 4 [X.], wonach der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist, greift durch. Dies gilt sowohl für die erteilte Fassung des [X.] als auch für die Fassungen nach den [X.]. Das Streitpatent ist daher insgesamt zu widerrufen.

1. Der [X.] gemäß § 21 (1) Nr. 4 [X.] ist im vorliegenden [X.] hinsichtlich der erteilten Fassung des [X.] (Hauptantrag) zu berücksichtigen. Denn obwohl dieser [X.] nicht Gegenstand des vorhergehenden [X.] war, ist er von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung vom 20. Juli 2015 in das Verfahren eingeführt worden. Damit hat die Beschwerdeführerin von ihrer Verfügungsbefugnis über das Beschwerdeverfahren in zulässiger Weise Gebrauch gemacht und der Senat hat erst daraufhin antragsgemäß entschieden.

Ihre gegenteilige Auffassung stützt die Beschwerdegegnerin auf die Entscheidung „[X.]“ in [X.], 333 ff. Demnach sei der angefochtene Beschluss vom [X.] nur im Umfang des erstinstanzlichen Streitgegenstandes zu prüfen und ein neuer Einspruchsgrund, der nicht als Grundlage für die Entscheidung der Einspruchsabteilung gedient hätte, dürfe ohne Zustimmung der Beschwerdegegnerin grundsätzlich nicht mehr in das Verfahren eingeführt werden (vgl. a. a. [X.]. 43/47).

von Amts wegen zur Prüfung anderer Widerrufsgründe befugt zu sein. Für dieses Prüfen neuer Widerrufsgründe „von Amts wegen“ hat der [X.] keine Rechtsgrundlage gesehen. In seiner ausführlichen Urteilsbegründung unterscheidet er zwischen der weitgehenden Prüfungskompetenz des [X.], das im verwaltungsrechtlich angelegten Einspruchsverfahren wegen des hier uneingeschränkt geltenden Untersuchungsgrundsatzes von Amts wegen neue Widerrufsgründe berücksichtigen könne, und dem rechtskontrollierenden Charakter der Beschwerde zum [X.], dem das Aufgreifen neuer Widerrufsgründe „von Amts wegen erstmalig“ versagt sei.

von Amts wegen eingeführt werden dürfen.

Unabhängig davon hält der Senat die Berücksichtigung des [X.] gemäß § 21 (1) Nr. 4 [X.] auf Antrag der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall auch aus anderen Gründen für geboten.

Zunächst unterliegt es keinem Zweifel, dass bei der Entscheidung über die [X.], welche den hier maßgeblichen Wortlaut für die aufgegriffene unzulässige Erweiterung umfassen, der [X.] nach § 21 Abs.1 Nr. 4 [X.] zu berücksichtigen ist. Denn bei der Verteidigung des Patents in veränderter Fassung im Einspruchs- und [X.] muss die Zulässigkeit dieser Fassung ohne Beschränkung auf die gesetzlichen oder die geltend gemachten Widerrufsgründe geprüft werden (vgl. [X.] GRUR 1998, 901 f. – Polymermasse). Sollte im vorliegenden Fall der Senat hinsichtlich der Frage der unzulässigen Erweiterung zu derselben Auffassung wie die Einspruchsabteilung des [X.] im parallelen [X.] Verfahren gelangen, hätte dies zur Konsequenz, dass die [X.], in denen die streitige Passage enthalten ist, jedenfalls wegen unzulässiger Erweiterung keinen Erfolg haben könnten, der Hauptantrag trotz der identischen Passage aber schon. Diese Diskrepanz aus rein verfahrensrechtlichen Gründen erscheint dem Senat nicht hinnehmbar, da es sich beim Einspruchsverfahren zwar um ein zweiseitiges, aber auch der [X.] verpflichtetes Überprüfungsverfahren handelt, mit dem im Interesse der Allgemeinheit ungerechtfertigt erteilte Patente als möglicher Störfaktor im Wettbewerb aus dem Register entfernt werden sollen. Nachdem die Einspruchsabteilung nicht an die vom Einsprechenden geltend gemachten Widerrufsgründe gebunden ist, um dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung zu Unrecht erteilter Patente nachzukommen, muss in der nachfolgenden Beschwerde die Überprüfung möglich sein, ob die Einspruchsabteilung dieses Allgemeininteresse durch Berücksichtigung aller einschlägigen Widerrufsgründe korrekt wahrgenommen hat. Ohne Berücksichtigung der in der Beschwerde erstmals geltend gemachten und auch berechtigten Widerrufsgründe muss der Beschwerdeführer ein wesentlich aufwändigeres [X.] anstrengen. Die Privilegierung des [X.] durch die Festlegung des Verfahrensgegenstandes bei der [X.] verträgt sich nicht mit dem durch das Einspruchsverfahren angestrebte Ziel, über die Bestandskraft des erteilten Patents insgesamt zu entscheiden. Damit wäre es zu sehr dem [X.] angenähert und büßt seinen präventiven Charakter ein (vgl. [X.], GRUR 1996, [X.] (398)). Um dies zu verhindern, ist aus dem Schrifttum die Ansicht vertreten worden, dass im [X.] entgegen der Ansicht des [X.] ein bisher nicht geltend gemachter [X.] sogar von Amts wegen eingeführt und berücksichtigt werden könne; denn es handele sich bei den einzelnen [X.] nicht um selbständige Streitgegenstände, sondern nur um verschiedene rechtliche Gesichtspunkte eines einheitlichen Streitgegenstandes im Einspruchsverfahren (vgl. [X.] a. a. O., S. 396 f.). Zudem ist geltend gemacht worden, dass es sich bei der Entscheidung der [X.]/Einspruchsabteilung nicht um eine erste gerichtliche Instanz im prozessrechtlichen Sinne handele, vielmehr unterliege sie erst im [X.] erstmalig einer gerichtlichen Kontrolle und Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG, wo der angefallene Streitstoff sämtliche Widerrufsgründe umfassen müsse, auch wenn das Patentamt diese nicht ausdrücklich behandelt habe (vgl. [X.]/[X.], [X.]. 2000, 446 (454)). Aus dem Untersuchungsgrundsatz ergebe sich eine umfassende Prüfungskompetenz des [X.]s als Beschwerdegericht, die ihm auch ermöglichen müsse, von sich aus sämtliche Widerrufsgründe des § 21 [X.] aufzugreifen (vgl. Busse/[X.], [X.], 7. Aufl. 2013, § 79 Rdn. 36, 37; [X.], [X.], 9. Aufl. 2014, [X.]. [X.] ff.(26); van Hees/[X.], Verfahrensrecht in [X.], 4. Aufl. 2010, Rdn. 529 ff. 606 ff. 611; wohl zustimmend (durch Hinweis auf „beachtliche Argumente“) [X.]/Schwarz in [X.], [X.], 11. Aufl. 2016, § 79 Rdn. 23). Dies muss umso mehr gelten, wenn es sich um einen recht offensichtlichen Fall einer unzulässigen Erweiterung handelt, der – aus welchen Gründen auch immer – im Einspruchsverfahren nicht bemerkt worden ist. Manchmal kann sich dieser [X.] aber auch erst im Laufe des Verfahrens herausstellen, wenn die Auslegung des Patentgegenstandes ergibt, dass dieser über die [X.] hinausreicht. Der Einsprechende wäre dann wegen der Begründungsfrist des § 59 Abs. 1 [X.] gehindert, die unzulässige Erweiterung geltend zu machen. Um hier Abhilfe zu schaffen, wird zumindest eine Prüfung von [X.] im [X.] für zulässig erachtet, wenn diese schon nach dem ersten Anschein hoch relevant seien (vgl. [X.], zitiert von [X.] GRUR 1996, 265). Hingegen kommt eine Zurückverweisung gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 [X.] an die [X.] mit der Begründung, es liege mit der Nichtbehandlung eines einschlägigen [X.]es ein Ermessensfehlgebrauch vor, nicht in Betracht, denn dies würde zumindest eine Geltendmachung vor der [X.] voraussetzen (vgl. [X.] GRUR 1997, 875 (877)), was im vorliegenden Fall gerade unterblieben ist.

grundsätzlich nicht mehr in das Verfahren eingeführt werden“ dürfen. Dies versteht der Senat dahingehend, dass hiervon Ausnahmen im Einzelfall möglich sind, den er in der vorliegenden Konstellation für gegeben erachtet, so dass die Berücksichtigung des neuen [X.] auch nicht von der Zustimmung der Patentinhaberin abhängig ist.

2. Hinsichtlich der hilfsweise verteidigten Fassungen des [X.] ([X.] 1 und 2) ist der [X.] gemäß § 21 (1) Nr. 4 [X.] im vorliegenden [X.] ebenfalls zu berücksichtigen. Angesichts der neu formulierten, geltenden Patentansprüche 1 bis 15 nach den beiden [X.] erstreckt sich die durchzuführende Prüfung auf sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen und damit insbesondere auch auf die Prüfung einer unzulässigen Erweiterung gegenüber der ursprünglichen Anmeldung, [X.] „Polymermasse“ in GRUR 1998, 901-904. Dies hat die Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt. Sie hat sich vielmehr auf die Erörterung dieses [X.]es im Zusammenhang mit den [X.] ausführlich eingelassen und daraufhin in der mündlichen Verhandlung entsprechende Änderungen der [X.] vorgenommen. Dies wird als ihr konkludentes Einverständnis mit der Prüfung dieses [X.]es zumindest im Umfang der [X.] angesehen, wobei es auf dieses Einverständnis nicht mehr ankommt (vgl. [X.] GRUR 1998,901 (902)).

III.

Einvernehmlich mit den Beteiligten sieht der Senat als Durchschnittsfachmann auf dem Gebiet des [X.] einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik an, der bei einem Kraftfahrzeughersteller oder –zulieferer mit der Entwicklung von luftgefederten Fahrwerken bzw. deren Bauteilen befasst ist und der insbesondere über berufliche Erfahrung und Kenntnisse auf dem Gebiet der LKW-Pneumatik verfügt. An diesen Fachmann richtet sich das Streitpatent mit seiner Lehre und dieser Fachmann erkennt den angemeldeten Gegenstand anhand der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen.

1. Zum Hauptantrag

Eine streitpatentgemäße Ventileinrichtung ist definiert durch die im erteilten Patentanspruch 1 enthaltenen Merkmale. Demnach beinhaltet das Streitpatent eine Ausführungsform der Ventileinrichtung, bei der das Bedienelement auch ausschließlich in einer [X.] einrast- und entriegelbar sein kann. Im nachstehend wiedergegebenen Wortlaut des Patentanspruchs 1 ist diese Ausführungsform durch Unterstreichungen kenntlich gemacht:

Ventileinrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeuges, mit einem Gehäuse (1) sowie einem gegenüber dem Gehäuse (1) durch Betätigung eines Hebels (3) bewegbaren Bedienelement (2), bei der das Bedienelement (2) mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar ist und das Bedienelement (2) zur Verhinderung einer Drehbewegung wenigstens in der [X.] mittels einer mechanischen [X.] (12, 26), die zwischen dem Bedienelement (2) und dem Gehäuse (1) wirkt, einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) vorgesehen ist, welche bei Anlegen eines elektrischen und/oder pneumatischen Signals die Rastwirkung der [X.] (12, 26) aufhebt, wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.

Der vorstehend unterstrichene Text definiert somit eine Ventileinrichtung mit einem Bedienelement, bei der das Bedienelement wenigstens und damit auch ausschließlich in der [X.] einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung vorgesehen ist, welche die Rastwirkung der [X.] nur in dieser [X.] aufhebt. Eine derartige Ventileinrichtung ist nicht ursprungsoffenbart.

Als ursprüngliche Anmeldungsunterlagen sind beim [X.] am 13. Februar 2006 eine achtzehnseitige Beschreibung, dreizehn Patentansprüche und Zeichnungen, Figuren 1 bis 12 hinterlegt worden. Aus diesen Anmeldungsunterlagen geht ausschließlich ein Bedienelement hervor, das in einer Mehrzahl von Stellungen einrastbar ist und dessen Entriegelungsvorrichtung folglich dafür ausgebildet ist, die Rastwirkung der [X.] aus einer Mehrzahl von Raststellungen aufzuheben. Insoweit definiert der ursprüngliche Patentanspruch 1 ein Bedienelement, das „in vorbestimmten Stellungen“ einrastbar ist, vgl. insb. Oberbegriff, und eine Entriegelungsvorrichtung, „welche ……. die Rastwirkung der [X.] (12, 26) aufhebt.“, vgl. insb. Kennzeichen. Damit übereinstimmend offenbaren sämtliche Ausführungsbeispiele betreffend ein rastbares Bedienelement neben einer Einrastbarkeit in der [X.] immer auch eine Einrastbarkeit in mehreren, nämlich vier weiteren Stellungen (Heben, Stopp nach dem Heben, Fahrt und Stopp nach dem Senken), vgl. insb. Figuren 6 und 8 bis 11 mit zugehöriger Beschreibung.

Die übrigen Ausführungsbeispiele gemäß den Figuren 7 und 12 mitsamt Beschreibung offenbaren keine Einrastbarkeit in der [X.], weil dies in den Ausführungsbeispielen für eine Totmannschaltung funktionsbedingt gerade nicht vorgesehen ist. Trotzdem sind auch in diesen Ausführungsbeispielen mehrere, nämlich drei einrastbare Stellungen (Stopp nach dem Heben, Fahrt und Stopp nach dem Senken) des [X.] vorgesehen.

Mithin hat der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung keinen Bestand.

Dies gilt folgerichtig auch für die erteilten [X.], denn sie bilden eine Ventileinrichtung weiter, die nicht ursprungsoffenbart ist.

2. Zum Hilfsantrag 1

Die vorgenommenen, fett hervorgehobenen Änderungen im Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber seiner erteilten Fassung beseitigen die festgestellte unzulässige Erweiterung nicht. Demnach beinhaltet der geltende Patentanspruch 1 weiterhin eine Ausführungsform der Ventileinrichtung, bei der das Bedienelement auch ausschließlich in einer [X.] einrast- und entriegelbar sein kann. Im nachstehend wiedergegebenen Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 ist diese Ausführungsform wiederum durch Unterstreichungen kenntlich gemacht:

Ventileinrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeuges, mit einem Gehäuse (1) sowie einem gegenüber dem Gehäuse (1) durch Betätigung eines Hebels (3) bewegbaren Bedienelement (2), bei der das Bedienelement mittels einer Drehbewegung in verschiedene Stellungen stellbar ist und in vorbestimmten Stellungen mittels einer mechanischen [X.] einrastbar ist, wobei das Bedienelement (2) mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar ist und das Bedienelement (2) zur Verhinderung einer Drehbewegung wenigstens in der [X.] mittels einer mechanischen [X.] (12, 26), die zwischen dem Bedienelement (2) und dem Gehäuse (1) wirkt, einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) vorgesehen ist, welche bei Anlegen eines elektrischen und/oder pneumatischen Signals die Rastwirkung der [X.] (12, 26) aufhebt, wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.

Der vorstehend unterstrichene Text definiert somit weiterhin eine Ventileinrichtung mit einem Bedienelement, bei der das Bedienelement wenigstens und damit auch ausschließlich in der [X.] einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung vorgesehen ist, welche die Rastwirkung der [X.] nur in dieser [X.] aufhebt. Eine derartige Ventileinrichtung ist nicht ursprungsoffenbart. Zur Begründung gelten die Ausführungen zum Hauptantrag gleichermaßen.

Mithin ist der Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung des [X.] 1 nicht zulässig.

Dies gilt folgerichtig auch für die geltenden [X.], denn sie bilden eine Ventileinrichtung weiter, die nicht ursprungsoffenbart ist.

3. Hilfsantrag 2

Die vorgenommenen, fett hervorgehobenen Änderungen im Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber seiner erteilten Fassung beseitigen die festgestellte unzulässige Erweiterung ebenfalls nicht. Demnach beinhaltet der geltende Patentanspruch 1 weiterhin eine Ausführungsform der Ventileinrichtung, bei der das Bedienelement auch ausschließlich in einer [X.] einrast- und entriegelbar sein kann. Im nachstehend wiedergegebenen Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 ist diese Ausführungsform wiederum durch Unterstreichungen kenntlich gemacht:

Ventileinrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeuges, mit einem Gehäuse (1) sowie einem gegenüber dem Gehäuse (1) durch Betätigung eines Hebels (3) bewegbaren Bedienelement (2), bei der das Bedienelement mittels einer Drehbewegung in verschiedene Stellungen stellbar ist und in vorbestimmten Stellungen mittels einer mechanischen [X.] einrastbar und entriegelbar ist, wobei das Bedienelement (2) mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar ist und das Bedienelement (2) zur Verhinderung einer Drehbewegung wenigstens in der [X.] mittels der mechanischen [X.] (12, 26), die zwischen dem Bedienelement (2) und dem Gehäuse (1) wirkt, einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) vorgesehen ist, welche bei Anlegen eines elektrischen und/oder pneumatischen Signals die Rastwirkung der [X.] (12, 26) aufhebt, wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.

Der vorstehend unterstrichene Text definiert somit weiterhin eine Ventileinrichtung mit einem Bedienelement, bei der das Bedienelement wenigstens und damit auch ausschließlich in der [X.] einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung vorgesehen ist, welche die Rastwirkung der [X.] nur in dieser [X.] aufhebt. Eine derartige Ventileinrichtung ist nicht ursprungsoffenbart. Zur Begründung gelten die Ausführungen zum Hauptantrag gleichermaßen.

Mithin ist der Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung des [X.] 2 nicht zulässig.

Dies gilt folgerichtig auch für die geltenden [X.], denn sie bilden eine Ventileinrichtung weiter, die nicht ursprungsoffenbart ist.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Allerdings ist die von der Patentinhaberin formulierte Rechtsfrage nicht einschlägig. Denn im vorliegenden Fall hat der Senat den weiteren [X.] nicht von Amts wegen, sondern auf das entsprechende Vorbringen der Einsprechenden aufgegriffen. Dieser Fall ist in der genannten Entscheidung des [X.] mit keinem Wort angesprochen, obwohl dies nahe gelegen hätte; es ist lediglich die Konstellation erwähnt, aber offen gelassen worden, dass der Patentinhaber der Berücksichtigung des neuen [X.]es zustimmt. Diese Möglichkeit ist in der Entscheidung aber nicht als einzige Ausnahme herausgestellt worden. Das „Schweigen“ zu der vorliegenden Konstellation kann als Hinweis verstanden werden, dass dies anders zu beurteilen ist. Es kann aber auch bedeuten, dass dies einer eigenen Grundsatzentscheidung vorbehalten sein sollte.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde daher zu der Frage zu, ob die Entscheidung ([X.], 333 - „[X.]“) ohne Ausnahme auch auf den Fall anzuwenden ist, dass der neue [X.] vom Einsprechenden in das Beschwerdeverfahren ohne Zustimmung des [X.] eingeführt worden ist.

Meta

9 W (pat) 49/10

28.09.2015

Bundespatentgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.09.2015, Az. 9 W (pat) 49/10 (REWIS RS 2015, 4756)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4756


Verfahrensgang

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Az. X ZB 1/16

Bundesgerichtshof, X ZB 1/16, 08.11.2016.


Az. 9 W (pat) 49/10

Bundespatentgericht, 9 W (pat) 49/10, 28.09.2015.


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