Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.11.2016, Az. X ZB 1/16

X. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 2789

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:081116BXZB1.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X [X.]
vom
8.
November 2016
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

[X.]
[X.] §§ 21 Abs. 1, 59, 73, 79
a)
Das Patentgericht ist nicht befugt, im [X.] von
Amts wegen neue Widerrufsgründe, die nicht Gegenstand des Einspruchs-verfahrens vor dem Patentamt waren, aufzugreifen und hierauf seine Ent-scheidung zu stützen (Bestätigung von [X.], Beschluss vom 10.
Januar 1995 -
X
ZB
11/92, [X.]Z 128, 280 = GRUR 1995, 333

Aluminium-Trihydroxid).
b)
Wenn eine das Patent aufrechterhaltende Entscheidung des [X.] in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten ist, darf der Einspre-chende im Beschwerdeverfahren zusätzliche Widerrufsgründe geltend ma-chen, die nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gehören.
[X.], Beschluss vom 8. November 2016 -
X [X.] -
[X.]
-
2
-
Der X. Zivilsenat des [X.] hat am 8.
November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Meier-Beck, die Richter [X.], Dr.
Bacher und Dr.
Deichfuß sowie die Richterin Dr.
Kober-Dehm
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss
des 9.
[X.]s ([X.]) des [X.] vom 28.
September 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

-
3
-
Gründe:
A.
Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des Patents 10
2006
006
439, das am 13.
Februar 2006
angemeldet wurde und eine Ventil-einrichtung zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeugs betrifft. Patentanspruch
1 lautet:
[X.] zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefeder-ten Fahrzeuges, mit einem Gehäuse (1) sowie einem gegenüber dem Gehäuse (1) durch Betätigung eines Hebels (3) bewegbaren Bedienelement (2), bei der das Bedienelement (2) mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar ist und das Bedienelement (2) zur Verhinderung einer Drehbe-wegung wenigstens in der [X.] mittels einer mechanischen Arre-tiervorrichtung (12, 26), die zwischen dem Bedienelement (2) und dem [X.] (1) wirkt, einrastbar ist, und bei der eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) vorgesehen ist, welche bei Anlegen eines elektrischen und/oder pneumatischen Signals die [X.] der [X.] (12, 26) [X.], wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.
Die Einsprechende hat im Verfahren vor dem Patentamt geltend [X.], der Gegenstand des Schutzrechts sei nicht patentfähig.
Das Patentamt hat das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten. Mit ih-rer dagegen gerichteten Beschwerde hat die Einsprechende ergänzend geltend gemacht, der Gegenstand des Patents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus,
und hierzu auf eine Entscheidung des Euro-päischen [X.] über einen Einspruch gegen das [X.] Patent 1
986
874 Bezug genommen, das die Priorität des Streitpatents in Anspruch nimmt. Die Patentinhaberin hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in zwei geänderten Fassungen verteidigt.
1
2
3
-
4
-
Das Patentgericht hat das Patent mit der Begründung widerrufen, der Gegenstand des Schutzrechts gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus. Dagegen wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer vom Patentgericht zugelas-senen Rechtsbeschwerde, der die Einsprechende entgegentritt.
B.
Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.
I.
Das Patent betrifft eine [X.] zur manuellen Veränderung der Niveaulage eines luftgefederten Fahrzeugs.
1.
Nach der Beschreibung des Patents waren im Stand der Technik [X.] bekannt, die in fünf unterschiedliche Stellungen gebracht werden können, um luftgefederte Fahrzeuge während des Stands anzuheben oder abzusenken. Die [X.]elstellung diene als [X.], in der die [X.] mit der Luftfederungsanlage des Fahrzeugs verbunden seien. Rechts und links daran schließe sich eine [X.] an, in der die [X.] abgesperrt seien, so dass der vorhandene Luftdruck gehalten werde. Durch Weiterdrehen des [X.] werde eine Heben-Stellung
bzw. eine [X.] erreicht, bei der die [X.] aus einem Vorratsbehälter mit Druckluft befüllt bzw. über eine hierzu vorgesehene Vorrichtung entlüftet [X.].
Nach den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften müsse das Dreh-schieberventil bei bestimmten Fahrzeugen mit einer so genannten [X.] ausgestattet sein, die sicherstelle, dass der Bedienhebel aus der He-ben-
oder [X.] automatisch in die angrenzende [X.] zu-rückkehre, wenn er nicht mehr betätigt werde.
Bei den im Stand der Technik bekannten [X.]n führe dies dazu, dass je eine gesonderte Ver-sion mit und ohne Totmannfunktion vorgesehen werden müsse.
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-
5
-
Das Patent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine [X.] zur Verfügung zu stellen, die mit geringem [X.] wahlweise mit oder ohne Totmannfunktion realisiert werden kann.
2.
Zur Lösung dieses Problems schlägt das Patent eine Ventileinrich-tung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1.
Die [X.] dient zur manuellen Veränderung der Ni-veaulage eines luftgefederten Fahrzeuges und umfasst
a)
ein
Gehäuse (1)
und
b)
ein gegenüber dem Gehäuse (1) durch Betätigung eines He-bels (3) bewegbares Bedienelement (2).
2.
Das Bedienelement (2) ist
a)
mittels einer Drehbewegung wenigstens in eine [X.] stellbar und
b)
zur Verhinderung einer Drehbewegung wenigstens in der [X.] mittels einer mechanischen Arretiervorrich-tung (12, 26) einrastbar.
3.
Die mechanische [X.] (12, 26)
a)
wirkt zwischen dem Bedienelement (2) und dem Gehäuse (1)
und
b)
weist eine Entriegelungsvorrichtung (13, 22; 24, 27, 28, 34) auf, die die [X.] der [X.] (12, 26) durch Anlegen eines elektrischen oder pneumatischen Signals [X.], wodurch eine Rückstellung des [X.] (2) in eine [X.] ermöglicht wird.
9
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6
-
II.
Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Einsprechende sei nicht gehindert, im Beschwerdeverfahren einen zusätzlichen [X.] geltend zu machen. Die Rechtsprechung des [X.], wonach das Patentgericht im Beschwerdeverfahren nicht befugt sei, von Amts wegen zusätzliche Widerrufsgründe zu prüfen, stehe dem nicht entgegen. Sie beruhe auf dem Grundsatz, dass der Gegenstand des Be-schwerdeverfahrens allein durch den Beschwerdeführer bestimmt werden [X.].
Unabhängig davon sei die Berücksichtigung des zusätzlich geltend [X.]en [X.]s schon deshalb geboten, weil er für die Zulässigkeit der Hilfsanträge ausschlaggebend sei und eine unterschiedliche Beurteilung des [X.] nicht hinnehmbar erscheine. Zudem müsse in der [X.] die Überprüfung möglich sein, ob das Patentamt das Interesse der Allgemeinheit am Widerruf ungerechtfertigt erteilter Patente korrekt wahrge-nommen habe. Anderenfalls sei der Einsprechende gezwungen, ein wesentlich aufwendigeres [X.] anzustrengen. Dies vertrage sich nicht mit dem durch das Einspruchsverfahren angestrebten Ziel, über die Bestandskraft des Patents insgesamt zu entscheiden. Das Einspruchsverfahren werde damit zu sehr dem [X.] angenähert und büße seinen präventiven Charakter ein.
Der Gegenstand des Schutzrechts gehe in allen von der Patentinhaberin verteidigten Fassungen über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterla-gen hinaus. Zum Gegenstand von Patentanspruch
1 gehöre eine Ventileinrich-tung mit einem Bedienelement, das nur in einer Stellung einrastbar sei. In den ursprünglichen Unterlagen seien hingegen ausschließlich Bedienelemente of-fenbart, die in einer Mehrzahl von Stellungen einrastbar seien.
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-
7
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III.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
1.
Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der von der [X.] im Beschwerdeverfahren zusätzlich geltend gemachte [X.] zu berücksichtigen war.
a)
Entgegen der Auffassung des Patentgerichts hätte dieser [X.] allerdings nicht von Amts wegen geprüft werden dürfen.
Nach der Rechtsprechung des [X.]s sind die Prüfungs-
und Entschei-dungsbefugnisse, die dem Patentamt nach einem Einspruch gegen ein erteiltes Patent und dem Patentgericht in einem sich daran anschließenden Beschwer-deverfahren zukommen, nicht deckungsgleich
([X.], Beschluss vom 10.
Januar 1995 -
X
ZB
11/92, [X.]Z 128, 280, 284
ff. = GRUR 1995, 333, 335
ff. -
Alumi-nium-Trihydroxid).
[X.])
Das mit einem Einspruch eingeleitete Verfahren vor dem Patentamt unterliegt nicht der alleinigen Verfügungsbefugnis des [X.] oder des [X.].
Das Patentamt muss zwar alle Einspruchsgründe prüfen, die von den Beteiligten ordnungsgemäß vorgebracht und begründet worden sind ([X.]Z 128, 280, 292
= GRUR 1995, 333, 337
-
Aluminium-Trihydroxid). Es darf das Patent zudem nur dann in einer geänderten Fassung aufrechterhalten, wenn der Patentinhaber ausdrücklich oder konkludent sein Einverständnis erklärt hat
([X.], Beschluss vom 3.
November 1988 -
X
ZB
12/86, [X.]Z 105, 381, 382
ff. = GRUR 1989, 103, 104 -
Verschlussvorrichtung für Gießpfannen; Beschluss vom 27.
Juni 2007 -
X
ZB
6/05, [X.]Z 173, 47 = GRUR 2007, 862 Rn.
20
ff.

Informationsübermittlungsverfahren
II).
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20
-
8
-
Das Patentamt ist aber befugt, von Amts wegen weitere Widerrufsgründe zu prüfen. Gemäß §
61 Abs.
1 Satz
2 [X.] hat es das Verfahren sogar dann von Amts wegen fortzusetzen, wenn der Einspruch zurückgenommen wird. [X.] umfassende Prüfungsbefugnis entspricht, wie auch das Patentgericht im An-satz zutreffend ausgeführt hat, der Zielrichtung des [X.], das Patent in einem unmittelbar an seine Erteilung anschließenden, einfach gestal-teten Verfahren zu überprüfen ([X.]Z 128, 280, 291 = GRUR 1995, 333, 336

Aluminium-Trihydroxid).
[X.])
Die Beschwerde zum Patentgericht ist demgegenüber ein echtes Rechtsmittel, mit dem die Entscheidung des [X.] zur Überprüfung ge-stellt wird.
Die Verfügungsbefugnis über den Gegenstand des [X.] liegt ausschließlich beim Beschwerdeführer. Eine Entscheidung über die Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn das Rechtsmittel wirksam zurückge-nommen wurde.
Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wird nach der Rechtspre-chung des [X.]s auch durch die Widerrufsgründe bestimmt, die Gegenstand des [X.] vor dem Patentamt waren. Deshalb ist es dem [X.] verwehrt, von Amts wegen andere Widerrufsgründe in das Verfahren einzuführen ([X.]Z 128, 280, 293 = GRUR 1995, 333, 337 -
Aluminium-Trihydroxid).
Diese Rechtsprechung hat von verschiedener Seite Kritik erfahren. Der [X.] hält
sie dennoch weiterhin für zutreffend.
(1)
Die
Befugnis des Beschwerdeführers, den Gegenstand des Be-schwerdeverfahrens zu bestimmen, hindert das Patentgericht zwar nicht daran, 21
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26
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9
-
innerhalb des damit vorgegebenen Rahmens den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen

87 Abs.
1 [X.]) und -
wie jedes Gericht -
die einschlägigen Rechtsvorschriften unabhängig von Vorbringen der Parteien heranzuziehen. Der Rückgriff auf zusätzliche Widerrufsgründe im Beschwerdeverfahren kann aber nicht als bloße Erforschung des
Sachverhalts oder Rechtsanwendung an-gesehen werden.
Entgegen einer in der Literatur geäußerten Auffassung (Sedemund-Treiber, GRUR
Int.
1996, 390, 396) wird der Gegenstand des Beschwerdever-fahrens nicht allein durch das auf Widerruf des Patents gerichtete Begehren des [X.] bestimmt. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen zur Festlegung des Streit-
oder Verfahrensgegenstands ist vielmehr auch der Lebenssachverhalt von Bedeutung, auf den dieses Begehren gestützt wird. Die einzelnen Widerrufsgründe, die das Gesetz in §
21 Abs.
1 [X.] vorsieht, bilden -
ebenso wie die in §
22 Abs.
1 [X.] vorgesehenen Nichtigkeitsgründe -
einen jeweils unterschiedlichen Lebenssachverhalt.
Aus der besonderen Zielsetzung des [X.] können in-soweit keine Unterschiede abgeleitet werden. Dieser Zielsetzung hat der Ge-setzgeber durch die besondere Ausgestaltung des Verfahrens vor dem Patent-amt und die diesem zustehenden weitreichenden Prüfungsbefugnisse Rech-nung getragen. Für ein auf die Entscheidung des
[X.] nachfolgendes Beschwerdeverfahren hat er hingegen keine besonderen Regelungen vorgese-hen. Damit sind für das Beschwerdeverfahren die allgemeinen Grundsätze über die Bestimmung des Verfahrensgegenstands maßgeblich.
Zum Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens gehören folglich nur die-jenigen Widerrufsgründe, die zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden. Dies sind grundsätzlich nur diejenigen Widerrufsgründe, die die Beteiligten im Einspruchsverfahren vor dem Patentamt geltend gemacht haben oder die das 27
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-
Patentamt von Amts wegen aufgegriffen hat, nicht aber sonstige Widerrufs-gründe, die das Patentamt aufgrund seiner umfassenden Prüfungsbefugnis ebenfalls hätte aufgreifen können.
(2)
Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Sedemund-Treiber, GRUR
Int.
1996, 390, 395
f., 398; [X.]/[X.], [X.]. 2000, 446, 454; Busse/[X.], 8.
Aufl., Vor §
73
[X.] Rn.
77; vermittelnd [X.], [X.], 9.
Aufl., Einleitung Rn.
27) ergibt sich weder aus Art.
19 Abs.
4 GG noch aus sonstigen Vorschriften, dass der Prüfungsumfang des Beschwerdeverfahrens sich mit dem
möglichen Prüfungsumfang des [X.] vor dem Patentamt decken muss.
Aus Art.
19 Abs.
4 GG und aus §
74 Abs.
1 [X.] ist allerdings abzulei-ten, dass das Patentgericht die Entscheidung des [X.] insoweit auf Rechtsfehler zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu überprüfen hat, als die Entscheidung angefochten ist. Hierzu gehört im Falle der Aufrechterhaltung des Patents insbesondere die Prüfung, ob das Patentamt alle vom [X.] geltend gemachten Widerrufsgründe berücksichtigt und fehlerfrei beurteilt hat. Die darüber hinaus gehenden Prüfungsbefugnisse des [X.] dienen demgegenüber nicht dem individuellen Rechtsschutz des [X.], sondern den Interessen
der Allgemeinheit. Dementsprechend ist es weder aus verfassungsrechtlichen noch aus sonstigen Gründen geboten, eine Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung der Frage vorzusehen, ob das Patentamt von diesen
weitergehenden Prüfungsbefugnissen rechtsfehlerfrei Gebrauch [X.] hat. Erst recht ist es nicht geboten, dem Patentgericht die Befugnis ein-zuräumen, nach eigenem Ermessen über die Einführung zusätzlicher Wider-rufsgründe zu entscheiden.
30
31
-
11
-
b)
Zutreffend hat das Patentgericht jedoch angenommen, dass ein [X.], den der Einsprechende erstmals im Beschwerdeverfahren gel-tend gemacht hat, nach Maßgabe von §
263 ZPO
zu berücksichtigen ist.
[X.])
Der [X.] hatte sich mit dieser Fragestellung bislang nicht zu [X.]. Seine Rechtsprechung, wonach die
Berücksichtigung zusätzlicher Wider-rufsgründe im Beschwerdeverfahren grundsätzlich ausgeschlossen ist, bezieht sich, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, auf den Fall der [X.] wegen.
Der dafür maßgebliche Gesichtspunkt der Dispositionsbefugnis steht einer
Berücksichtigung von zusätzlichen [X.], die der Einspre-chende geltend macht, nicht entgegen. Gerade weil es Sache des [X.] ist, den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens zu bestimmen, er-scheint es
im Ansatz sogar konsequent, einen zusätzlichen [X.], den der Einsprechende als Beschwerdeführer oder im Rahmen einer An-schlussbeschwerde geltend macht, zum Verfahrensgegenstand zu zählen.
[X.])
Eine abweichende Beurteilung könnte allenfalls dann geboten sein, wenn ein Beschwerdeführer gehindert wäre, den Gegenstand des [X.] der angefochtenen Entscheidung hinaus zu ändern oder zu erweitern. Ein solches Änderungsverbot lässt sich aber weder dem [X.] noch sonstigen Vorschriften entnehmen.
Das [X.] enthält keine besonderen Regelungen darüber, ob und in welchem Umfang neue Angriffs-
oder Verteidigungsmittel sowie eine
Ände-rung des Verfahrensgegenstands in der Beschwerdeinstanz zulässig sind. Die für das Berufungsverfahren in [X.] geltenden Bestimmungen in §
116 Abs.
2 und §
117 [X.] und die darin in Bezug genommenen Vorschriften der Zivilprozessordnung können für das Beschwerdeverfahren nicht entspre-32
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-
12
-
chend herangezogen werden, weil dieses -
anders als das [X.] -
nicht als Parteiprozess ausgestaltet ist.
Die gemäß §
99 Abs.
1 [X.] entsprechend
anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung sehen für das Beschwerdeverfahren ebenfalls keine einschränkenden Regelungen vor. Neue Angriffs-
und Verteidigungsmittel wer-den in §
571 Abs.
2 Satz
1 ZPO sogar ausdrücklich zugelassen. Hinsichtlich der Frage, ob eine Änderung des Verfahrensgegenstands zulässig ist, fehlt es zwar an einer vergleichbaren Vorschrift. Der [X.] erachtet aber [X.] für Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts eine Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz nach allgemeinen Regeln für zulässig, weil die Beschwerdeinstanz eine vollwertige Tatsacheninstanz ist ([X.],
Beschluss vom 21.
Dezember 2006 -
IX
ZB
81/06, [X.], 166 Rn.
20; ebenso [X.].ZPO/[X.], 5.
Aufl., §
571 Rn.
15; Musielak/Ball, 13.
Aufl., §
571 ZPO Rn.
5; Prütting/Gehrlein, 8.
Aufl., §
571 ZPO Rn.
3; [X.]/[X.], 31.
Aufl., §
567 ZPO Rn.
8, §
571 ZPO Rn.
3).

Besonderheiten des Beschwerdeverfahrens in Patentsachen stehen einer
entsprechenden Anwendung dieser Grundsätze nicht entgegen (ebenso [X.]/[X.]/[X.], 11.
Aufl., §
79 [X.] Rn.
43; zweifelnd Busse/[X.], 8.
Aufl., §
73 [X.] Rn.
120). Aufgrund der Dispositionsbefugnis der Parteien ist der Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens zwar enger als der Gegenstand eines [X.] vor dem Patentamt. Selbst im Nichtig-keitsverfahren ist eine Klageänderung in zweiter Instanz aber nach Maßgabe der auch für den Zivilprozess geltenden Voraussetzungen zulässig. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, eine Änderung des [X.] auch im Beschwerdeverfahren anhand der für den Zivilprozess gelten-den Vorschriften zu beurteilen. [X.] ist mithin §
263 ZPO.
37
38
-
13
-
Die für die Einlegung der Beschwerde in §
73 Abs.
2 Satz
1 [X.] vorge-sehene Frist steht einer Änderung des Verfahrensgegenstands nach Fristablauf nicht generell entgegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter [X.]n Voraussetzungen es zulässig ist, eine zunächst nur gegen einen Teil der angefochtenen Entscheidung gerichtete Beschwerde nach Ablauf der Frist auf andere Teile der Entscheidung zu erweitern (ablehnend für Beschwerdeverfah-ren in Markensachen B[X.], [X.], 362, 364). Nach den für den [X.] geltenden Regeln ist es jedenfalls statthaft, ein zulässiges Rechtsmittel mit einer Erweiterung des in der Vorinstanz verfolgten Begehrens zu verbinden ([X.], Urteil vom 11.
Oktober 2000 -
VIII
ZR
321/99, NJW 2001, 226; Urteil vom 14.
März 2012 -
XII
ZR
164/09, NJW-RR 2012, 516 Rn.
17).
c)
Bei Anlegung dieses Maßstabs war der von der [X.] erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemachte [X.] zu be-rücksichtigen.
[X.])
Die Beschwerde der [X.] war zulässig, weil diese ihr vor dem Patentamt geltend gemachtes Begehren weiterverfolgt hat. Dieses zuläs-sige Rechtsmittel durfte die Einsprechende nach den oben aufgezeigten Grundsätzen mit einer Erweiterung ihres Angriffs gegen das Patent verbinden.
[X.])
Ob die Berücksichtigung des weiteren [X.]s sachdienlich im Sinne von §
263 ZPO war, ist nach der ebenfalls entsprechend anwendba-ren Regelung in §
268 ZPO einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogen.
Unabhängig davon war die Berücksichtigung des [X.]s auch aus Sicht des [X.]s sachdienlich, weil dies
eine umfassende Entscheidung über den Bestand des Patents ermöglicht.
39
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-
14
-
2.
Entgegen der Auffassung des Patentgerichts geht der Gegenstand des Patents nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus.
a)
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s gelten für die Beur-teilung der identischen [X.] die Prinzipien der Neuheitsprüfung. [X.] ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete techni-sche Lehre den Ursprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann ([X.], Urteil vom 11.
Februar 2014 -
X
ZR
107/12, [X.]Z 200, 63 =
GRUR 2014, 542 Rn.
22 -
Kommunikati-onskanal). Bei der Ausschöpfung des [X.] sind auch Verall-gemeinerungen ursprungsoffenbarter
Ausführungsbeispiele zulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbei-spiels, die
zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfin-dungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines
oder nur einzelne in den [X.] aufgenommen worden sind
([X.]Z 200, 63 = GRUR 2014, 542 Rn.
24

Kommunikationskanal).
b)
Ausgehend davon ist
es nicht zu beanstanden, wenn Patentan-spruch
1 nicht vorsieht, dass das Bedienelement in mehr als einer Stellung in der näher festgelegten Weise einrastbar sein muss.
[X.])
Die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen und im Streitpatent geschilderten Ausführungsbeispiele weisen zwar durchweg Bedienelemente mit jeweils fünf unterschiedlichen Stellungen auf, von denen jeweils mindestens zwei so ausgestaltet sind, dass die [X.] durch Anlegen eines [X.] oder pneumatischen Signals aufgehoben werden kann. Aus der [X.] der Anmeldung ergibt sich jedoch unmittelbar und eindeutig, dass diese in der Beschreibung als vorteilhaft geschilderte Ausgestaltung nicht von 44
45
46
47
-
15
-
der Anzahl der Stellungen abhängt, in denen die [X.] aufgehoben wer-den kann.
Die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe wird bereits in der Anmel-dung dahin formuliert, eine [X.] zur Verfügung zu stellen, die ohne wesentliche Änderung der Konstruktion mit oder ohne Totmannfunktion ausge-bildet werden kann (Abs.
6
der Offenlegungsschrift). Die Erreichung dieses Ziels wird als Vorteil der Erfindung eingehend hervorgehoben (Abs.
8). Dem entsprechend ist die Möglichkeit einer aufhe[X.]aren [X.] bei einigen der geschilderten Ausführungsbeispiele (Abs.
34
ff.) in zwei und bei anderen in vier Stellungen möglich -
je nachdem, ob für die beiden äußeren Positionen eine Totmannfunktion realisiert ist oder nicht.
Auch wenn dies in der Anmeldung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ergibt sich daraus für den Fachmann
unmittelbar und eindeutig, dass die Zahl der Stellungen, in denen die aufhe[X.]are [X.] realisiert ist, für die Ausfüh-rung der Erfindung nicht von Bedeutung ist, sondern allein davon abhängt, [X.] Funktionen die [X.] erfüllen soll und wie viele [X.] dafür erforderlich sind. Folgerichtig enthalten die in der Anmeldung for-mulierten Ansprüche keine Festlegung auf eine bestimmte Zahl von Positionen.
[X.])
Vor diesem Hintergrund ist in der Anmeldung hinreichend deutlich of-fenbart, dass die Erfindung auch Vorrichtungen mit nur einer [X.]n Stel-lung umfasst.
Wenn es auf die konkrete Zahl solcher Stellungen nicht ankommt, wäre die Annahme, dass es mindestens zwei solcher Stellungen geben muss, aus Sicht des Fachmanns
allenfalls dann gerechtfertigt, wenn aus der Anmeldung besondere Umstände hervorgingen, die dies nahelegten. Solche Anhaltspunkte ergeben sich aus den vom Patentgericht getroffenen Feststellungen nicht. Folg-48
49
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-
16
-
lich war die Patentinhaberin nicht gehindert, von einer Übernahme des in den Ausführungsbeispielen verwirklichten Merkmals, dass es mindestens zwei ein-rastbare Stellungen gibt, in den Patentanspruch abzusehen.
cc)
Der abweichenden Auffassung der Einspruchsabteilung des Europä-ischen [X.], die das [X.] Patent 1
986
874 nur in eingeschränk-ter Fassung aufrechterhalten hat, vermag der [X.] nicht beizutreten.
Die Einspruchsabteilung stützt ihre Auffassung im Wesentlichen auf den Wortlaut der Anmeldung, in der [X.] Stellen nur im Plural erwähnt wer-den, und vermisst einen Hinweis darauf, dass das in der Anmeldung [X.] Ausführungsbeispiel durch Weglassen von vier [X.]n bzw. drei entrie-gelbaren Stellungen verallgemeinert werden kann. Diese Beurteilung berück-sichtigt nach Auffassung des [X.]s nicht hinreichend die in der Anmeldung enthaltene [X.], dass die genaue Zahl der [X.]n oder entriegel-baren Stellungen nicht ausschlaggebend ist.
IV.
Die angefochtene Entscheidung ist gemäß §
108 Abs.
1 [X.] an das Patentgericht zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung zurückzuverwei-sen. Das Patentgericht wird in der wieder eröffneten Beschwerdeinstanz zu [X.] haben, ob der Gegenstand des Streitpatents patentfähig ist.
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-
17
-
V.
Eine mündliche Verhandlung erachtet der [X.] nicht als erforderlich (§
107 Abs.
1 [X.]).
Meier-Beck
[X.]
Bacher

Deichfuß
Kober-Dehm
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 28.09.2015 -
9 W (pat) 49/10 -

55

Meta

X ZB 1/16

08.11.2016

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.11.2016, Az. X ZB 1/16 (REWIS RS 2016, 2789)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2789

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

19 W (pat) 15/17

Zitiert

X ZB 1/16

9 W (pat) 49/10

Zitieren mit Quelle:
x

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