Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.08.2022, Az. B 9 SB 4/22 B

9. Senat | REWIS RS 2022, 5999

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Vertretungserfordernis vor dem Bundessozialgericht - unveränderte Übernahme der Formulierungen eines Mandantenschreibens durch den Bevollmächtigten - Unzulässigkeit der Beschwerde - Verfahrensfehler - Amtsermittlungspflicht - Übergehen eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags - unvertretener Beteiligter - hinreichend konkretes Sachaufklärungsverlangen - Angebot einer Zeugenaussage als unbestimmtes Beweisangebot - rechtliches Gehör - Fragerecht gegenüber dem Sachverständigen - Darlegungsanforderungen


Tenor

Der Antrag des [X.], ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 13. Oktober 2021 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K aus S, zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrte die rückwirkende Zuerkennung eines GdB von 50 für die Zeit vor dem 28.10.1991 und die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und RF.

2

Das [X.] hat den Anspruch auf rückwirkende Feststellung sowie auf die begehrten Merkzeichen ebenso wie vor ihm der Beklagte und das [X.] nach medizinischer Beweisaufnahme verneint (Urteil vom 13.10.2021).

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum B[X.] eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt. Das [X.] habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 [X.]G) und zur Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

4

II. Der Antrag des [X.] auf PKH ist abzulehnen. Damit scheidet auch die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten als Teil der PKH aus (§ 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 121 Abs 1 ZPO).

5

1. Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Verfahren vor dem B[X.] nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier.

6

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G).

7

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung dieses Mangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

8

a) In dieser Hinsicht fehlt es bereits an der zwingend erforderlichen zusammenhängenden, vollständigen, chronologisch geordneten und aus sich heraus verständlichen Darstellung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom [X.] festgestellten Sachverhalts und damit der Tatumstände, die nach der maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung des [X.] zu weiterer Sachaufklärung Anlass hätten geben können (vgl stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 11.4.2022 - B 9 SB 59/21 B - juris Rd[X.] 6; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9 V 48/16 B - juris Rd[X.] 10). Es ist nicht Aufgabe des B[X.], sich im [X.] die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil und/oder den Gerichts- und Verwaltungsakten selbst herauszusuchen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9 V 14/19 B - juris Rd[X.] 4; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9 SB 51/18 B - juris Rd[X.] 23).

9

Die von der Prozessbevollmächtigten des [X.] eingereichte Beschwerdeschrift gibt den Verfahrensgang sowie den vom [X.] festgestellten Sachverhalt lediglich bruchstückhaft, ungeordnet und teilweise in laienhaften Formulierungen wieder, auch weil sie ganze Passagen des vorab übersandten [X.] des [X.] vom [X.] wörtlich übernommen hat. Daraus ergibt sich ein weiterer Grund für die Unzulässigkeit der Beschwerde. Die bloße Vorlage eines vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten, sonst unveränderten Schriftsatzes des Beteiligten stellt keine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung dar, soweit der Bevollmächtigte die Durchsicht und Gliederung des Streitstoffs unterlassen hat (B[X.] Beschluss vom 3.11.2010 - B 5 R 282/10 B - juris Rd[X.] 9; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, Stand: 1.8.2022, § 160a Rd[X.] 46 mwN; zur Verfassungsmäßigkeit [X.] Beschluss vom 19.11.1992 - 1 BvR 1233/92 - juris Rd[X.] 6).

Auch im Übrigen ist die behauptete Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Wird - wie vom Kläger - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]G) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen [X.], dem das [X.] nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des [X.], aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen s B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9 SB 67/18 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

Diese Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge verfehlt die Beschwerde. Dies gilt zunächst für die nach Ansicht des [X.] prozessordnungswidrig unterbliebene Vernehmung des Zeugen M. In dieser Hinsicht hat der Kläger bereits keinen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnet, dem das [X.] nicht gefolgt ist. Der Kläger gibt lediglich an, der Zeuge habe in der mündlichen Verhandlung "eine Aussage unter [X.] angeboten". Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines [X.] verminderte Anforderungen zu stellen, wenn der Kläger - wie hier - in der Berufungsinstanz noch nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - B 1 KR 3/18 B - juris Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 1 Rd[X.] 6). Auch ein [X.] Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass und welchen Aufklärungsbedarf er noch sieht (vgl B[X.] Beschluss vom 3.11.2021 - [X.] AS 186/21 B - juris Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 1 KR 3/18 B - juris Rd[X.] 5). Ein solches hinreichend konkretes Sachaufklärungsverlangen - und nicht lediglich ein unbestimmtes Beweisangebot - hat die Beschwerde nicht dargelegt. Auch zeigt sie nicht auf, dass es sich aus dem Urteil des [X.] ergibt.

Ebenso wenig legt die Beschwerde hinreichend dar, warum das [X.] sich auf dem Boden seiner Rechtsauffassung zu der beantragten Vernehmung des benannten Zeugen zum Gesundheitszustand des [X.] hätte gedrängt sehen müssen. Dies wäre umso gehaltvoller zu begründen gewesen, als das [X.] zum Gesundheitszustand des [X.] bereits umfassend medizinisch ermittelt hatte.

Auch soweit der Kläger die unterbliebene Vernehmung weiterer Zeugen rügen möchte, fehlt es schon an der Bezeichnung [X.] und an der stichhaltigen Darlegung, warum sich dem Berufungsgericht weitere Ermittlungen durch Vernehmung dieser Zeugen hätten aufdrängen sollen.

b) Der Kläger zeigt auch keine Verletzung rechtlichen Gehörs in Form des gesetzlichen Fragerechts aus § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO auf. Er rügt, das [X.] habe sein gesetzliches Recht auf Befragung des Sachverständigen [X.] verletzt. Die Ausübung des Fragerechts an den Sachverständigen setzt indes einen rechtzeitigen Antrag auf Befragung und eine hinreichend konkrete Bezeichnung der noch erläuterungsbedürftigen Punkte voraus (stRspr; B[X.] Beschluss vom [X.] - juris Rd[X.] 14 mwN).

Zu beiden Voraussetzungen des Fragerechts legt die Beschwerde nichts dar. Der Kläger trägt lediglich vor, das [X.] hätte den Sachverständigen [X.] zur Beurteilung "seiner Glaubwürdigkeit" anhören müssen, anstatt die Beurteilung auf die Einschätzung anderer Sachverständiger zu stützen. Letztlich wendet sich der Kläger damit gegen die Beweiswürdigung des [X.], die § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. [X.] der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (B[X.] Beschluss vom 1.7.2020 - B 9 SB 5/20 B - juris Rd[X.] 10 mwN).

Soweit der Kläger schließlich möglicherweise andeuten möchte, er halte [X.] des [X.] wegen "Freunderlwirtschaft" für befangen, kann er mit diesem Vortrag im Beschwerdeverfahren schon deshalb nicht gehört werden, weil er nicht dargelegt hat, beim [X.] einen Befangenheitsantrag nach § 60 Abs 1 [X.]G iVm § 42 Abs 2 ZPO gestellt zu haben.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 [X.]G).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

[X.]                 [X.]                 [X.]

Meta

B 9 SB 4/22 B

25.08.2022

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Landshut, 15. April 2020, Az: S 15 SB 411/18, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 62 SGG, § 73 Abs 4 SGG, § 103 SGG, § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.08.2022, Az. B 9 SB 4/22 B (REWIS RS 2022, 5999)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5999

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Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - gerügte Verkennung des Rechtsmittel- bzw Streitgegenstands


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