Bundessozialgericht, Urteil vom 11.11.2021, Az. B 14 AS 15/20 R

14. Senat | REWIS RS 2021, 1157

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Entschädigung bei unangemessener bzw überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens


Leitsatz

Die Entschädigung wegen eines infolge der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens erlittenen immateriellen Nachteils ist als zweckbestimmte öffentlich-rechtliche Leistung von der Einkommensberücksichtigung bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II ausgenommen.

Tenor

Das Urteil des [X.] vom 26. November 2019 wird aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. September 2018 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist die Aufhebung und Erstattung von [X.] für Juni bis September 2017 wegen der Anrechnung einer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens gezahlten Entschädigung für einen Nichtvermögensnachteil.

2

Die Klägerin lebt zusammen mit ihrem Ehemann, der seit 2015 Leistungen nach dem [X.] bezieht. Zwischen ihnen und dem hier beklagten Jobcenter war in der Vergangenheit die Höhe der zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung streitig gewesen. Nach Abschluss eines dazu geführten Gerichtsverfahrens (im Folgenden: Ausgangsverfahren) klagten die Klägerin und ihr Ehemann wegen der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens (L 10 SF 7/16 [X.]). Dieser Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, in dem sich das dort beklagte Land verpflichtete, an die Klägerin und ihren Ehemann jeweils eine Entschädigung für immaterielle Nachteile iHv 2100 Euro auf das Konto des Prozessbevollmächtigten zu zahlen. Dem Konto der Klägerin wurden davon im Mai 2017 3000 Euro gutgeschrieben.

3

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2016 hatte der [X.] der Klägerin [X.] von Januar bis Dezember 2017 iHv monatlich 206,74 Euro bewilligt. Auf die Anpassung ihrer Erwerbsminderungsrente zum 1.7.2017 hatte er ua für Juli bis September 2017 nur noch monatlich 199,49 Euro zuerkannt sowie für Juli und August 2017 die Erstattung des [X.] verlangt (Bescheide vom 27.7.2017).

4

Nach Erhalt der Kontoauszüge über die Gutschrift der 3000 Euro hörte der [X.] die Klägerin zur beabsichtigten vollständigen Aufhebung der Bewilligung für Juni bis September 2017 und Erstattung der Leistungen an. Die angekündigten Entscheidungen setzte er gestützt auf § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] um (Bescheid vom 18.9.2017; Widerspruchsbescheid vom 2.11.2017).

5

Das [X.] hat den Bescheid vom 18.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.11.2017 aufgehoben (Urteil vom 24.9.2018). Das L[X.] hat die Entscheidung des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Die Zahlung wegen der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens sei anzurechnendes Einkommen. § 11a Abs 2 [X.]B II sei nicht entsprechend anzuwenden, weil die Entschädigung nach § 198 [X.] nicht für die Verletzung eines der von § 253 Abs 2 BGB erfassten Rechtsgüter oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gezahlt werde. Sie sei nicht zweckbestimmt iS von § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II, weil sie nicht final "zu etwas" geleistet werde und die Klägerin in ihrer Verwendungsentscheidung frei sei. Ein Auswechseln der Rechtsgrundlage zu § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 [X.]B X für Juli bis September 2017 sei zulässig.

6

Mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 11a Abs 3 [X.]B II.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 26. November 2019 aufzuheben und die Berufung des [X.]n gegen das Urteil des [X.] vom 24. September 2018 zurückzuweisen.

8

Der [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 [X.]G). Das Urteil des [X.] ist aufzuheben und die Berufung des [X.]n gegen das Urteil des [X.] zurückzuweisen. Der [X.] hat die Bewilligung von [X.] zu Unrecht aufgehoben und dessen Erstattung verlangt. Die Zahlung wegen der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens hat sich auf die Hilfebedürftigkeit der [X.]lägerin nicht ausgewirkt.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des [X.]n vom 18.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.11.2017, mit dem der [X.] der [X.]lägerin für Juni bis September 2017 bewilligtes [X.] ganz aufgehoben und die Erstattung der überzahlten Leistungen gefordert hat. Die [X.]lägerin erstrebt die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, infolge der sie das zuletzt mit Bescheid vom 26.11.2016 für Juni 2017 sowie mit Bescheid vom [X.] für Juli bis September 2017 bewilligte [X.] behalten könnte. Gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wendet sich die [X.]lägerin statthaft mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 [X.]G).

2. Der Aufhebungsbescheid des [X.]n ist zwar formell rechtmäßig (dazu a). Dass der [X.] die Bewilligung von [X.] auch für Juli bis September 2017 wegen einer Veränderung der Einkommensverhältnisse aufgehoben hat, schadet nicht (dazu b). Allerdings wäre er zu einer Aufhebung bzw Rücknahme der Bewilligungsbescheide nicht berechtigt gewesen, weil kein Einkommen wegen der Zahlung aus dem Vergleich anzurechnen war, den [X.] die [X.]lägerin aufgrund der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens geschlossen hatte (dazu c).

a) Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.11.2017 ist formell rechtmäßig. [X.] ist, dass der [X.] die [X.]lägerin für alle streitbefangenen Monate allein zum verschuldensunabhängigen Aufhebungstatbestand des § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B X angehört hat. Für die formelle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bezogen auf die Anhörung ist die Rechtsauffassung der Behörde maßgeblich (vgl B[X.] vom 29.11.2012 - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 112, 221 = [X.] 4-1300 § 45 [X.], Rd[X.]1; B[X.] vom 8.12.2020 - B 4 [X.]/20 R - Rd[X.]0, zur Veröffentlichung in B[X.]E 131, 128 und [X.] 4-1300 § 45 [X.] vorgesehen).

b) Zwar hat der [X.] die Aufhebung seines vorangegangenen Änderungsbescheids vom [X.] fehlerhaft auf § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B X gestützt. Mit diesem Bescheid hatte er den Bescheid vom 26.11.2016 [X.] für Juli bis September 2017 aufgehoben. Dies führt jedoch nicht zum Erfolg des [X.]lagebegehrens.

Stützt eine Behörde ihre Entscheidung auf eine falsche Rechtsgrundlage, sind aber für den Erlass des Verwaltungsakts die Voraussetzungen der zutreffenden Rechtsgrundlage erfüllt, handelt es sich bei gebundenen Verwaltungsakten (vgl B[X.] vom [X.] AS 21/10 R - B[X.]E 108, 258 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]5-36) lediglich um eine unzutreffende Begründung (vgl zuletzt B[X.] vom 8.12.2020 - B 4 [X.]/20 R - Rd[X.]1 mwN, zur Veröffentlichung in B[X.]E 131, 128 und [X.] 4-1300 § 45 [X.] vorgesehen). Weil die §§ 45, 48 [X.]B X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, gerichtet sind, ist das "Auswechseln" dieser Rechtsgrundlagen durch das Gericht grundsätzlich zulässig (vgl B[X.] vom [X.] AS 21/10 R - B[X.]E 108, 258 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]4 mwN; B[X.] vom 29.11.2012 - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 112, 221 = [X.] 4-1300 § 45 [X.], Rd[X.]; B[X.] vom 24.6.2020 - B 4 AS 10/20 R - [X.] 4-1300 § 45 [X.] Rd[X.]5).

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids richtet sich für Juni 2017 nach § 40 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.]) iVm § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B X und § 40 Abs 2 [X.]B II iVm § 330 Abs 3 Satz 1 [X.]B III. Für diesen Monat hat der [X.] mit Bescheid vom 26.11.2016 zuletzt die Ansprüche der [X.]lägerin auf [X.] geregelt. Mit der im Mai 2017 zugeflossenen Zahlung hätte die [X.]lägerin nach Erlass dieses Bescheids Einkommen erzielt, das Einfluss auf ihren Anspruch gehabt haben könnte. Für Juli bis September 2017 ist Ausgangspunkt der Prüfung § 40 Abs 1 Satz 1 [X.]B II iVm § 45 Abs 1, Abs 2 bis 4 [X.]B X und § 40 Abs 2 [X.]B II iVm § 330 Abs 2 [X.]B III, weil der Änderungsbescheid vom [X.] bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen wäre, wenn die Entschädigungszahlung zu berücksichtigen war.

c) Der Bescheid des [X.]n vom 18.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.11.2017 hat in der Sache keinen Bestand. Aus der Zahlung auf den wegen der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens geschlossenen Vergleich hat die [X.]lägerin weder nach Erlass des Bescheids vom 26.11.2017 für Juni 2017 nach dem [X.]B II zu berücksichtigendes Einkommen erzielt, noch hat der [X.] im Bescheid vom [X.] für die weiteren Monate rechtswidrig kein Einkommen angerechnet. Daher scheiden Aufhebung und Rücknahme der vorangegangenen Bewilligungen aus und ist dem [X.] (§ 50 Abs 1 Satz 1 [X.]B X) die Grundlage entzogen.

Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] erfüllte die [X.]lägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ununterbrochen die Anspruchsvoraussetzungen auf [X.]. Sie war leistungsberechtigte Person gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II; insbesondere konnte sie mit ihrem Renteneinkommen ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend sichern (§ 7 Abs 1 Satz 1 [X.], § 9 Abs 1 [X.]B II; vgl zur gemischten Bedarfsgemeinschaft B[X.] vom 15.4.2008 - [X.]/7b [X.]/06 R - [X.] 4-4200 § 9 [X.]). Ein [X.] lag nicht vor.

Weitere Einnahmen der [X.]lägerin sind nicht zu berücksichtigen. Die im Mai 2017 erhaltenen 3000 Euro sind unabhängig von ihrer Aufteilung auf die [X.]lägerin und ihren Ehemann gemäß § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II bei der [X.]lägerin in voller Höhe anrechnungsfrei.

Gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (idF durch das [X.] zur Änderung des [X.] - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom [X.], [X.] 1824) sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen. Nach § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II (idF der Neubekanntmachung des [X.]B II vom 13.5.2011, [X.]) sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen.

Die Entschädigung wegen eines infolge der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens erlittenen immateriellen Nachteils wurde aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift gezahlt (dazu [X.]). Zahlungen aufgrund des § 198 Abs 2 Satz 1 [X.] werden zu einem ausdrücklichen Zweck erbracht (dazu [X.]). Der Ausgleich des immateriellen Nachteils unterfällt nicht der Rückausnahme des § 11a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]B II (dazu cc).

[X.]) Die Zahlung von 3000 Euro ist als Einnahme in Geld (§ 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II) nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) in voller Höhe für den Ausgleich eines immateriellen Nachteils durch die unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens erbracht worden.

Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird gemäß § 198 Abs 1 Satz 1 [X.] angemessen entschädigt. Vorgesehen ist auch der Ausgleich von immateriellen Nachteilen. Dafür wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist 198 Abs 2 Satz 1 und 2 [X.]; vgl zum Verhältnis von Wiedergutmachung auf andere Weise gegenüber derjenigen durch Zahlung B[X.] vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113 ,75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], RdNr 45 f; [X.], Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 [X.], 2018, 222 ff).

Bei § 198 Abs 1, Abs 2 Satz 1 [X.] handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Vorschrift. Öffentlich-rechtliche Vorschriften iS des § 11a Abs 3 [X.]B II sind solche, die einen Träger öffentlich-rechtlicher Verwaltung zur Leistung ermächtigen oder verpflichten (vgl Söhngen in jurisP[X.]-[X.]B II, § 11a Rd[X.]7, Stand 29.7.2021; zu § 83 [X.]B XII S. [X.] in jurisP[X.]-[X.]B XII, § 83 Rd[X.], Stand 1.2.2020). Die Norm ist Rechtsgrundlage eines st[X.]tshaftungsrechtlichen "Entschädigungsanspruchs" (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf der [X.]esregierung eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks 17/7217 [X.]; zur Auslegung des Begriffs Entschädigung [X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Teil 2, [X.] § 198 Rd[X.]), der ein Land bzw den [X.] (§ 200 [X.]) zu st[X.]tlicher Ersatzleistung verpflichtet, weil bei einem Beteiligten Nachteile aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eingetreten sind.

Das beklagte Land als Beteiligter des Verfahrens L 10 SF 7/16 [X.] hat die Zahlung auch aufgrund einer sich aus § 198 Abs 2 Satz 1 [X.] ergebenden Pflicht zum Nachteilsausgleich erbracht. Das [X.] hat als Vergleichsinhalt [X.] die Zahlung einer Entschädigungssumme für die immateriellen Nachteile der [X.]lägerin festgehalten und auf die Begründung des [X.] hin eine Verzögerung von 21 Monaten in Beziehung gesetzt zu der Entschädigungssumme von 2100 Euro pro Person (vgl zur anteiligen monatsweisen Berechnung gemäß § 198 Abs 2 Satz 3 [X.] B[X.] vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], RdNr 47). Insoweit hat das [X.] frei von [X.] den Schluss gezogen, dass der im Vergleich vereinbarte Zahlbetrag allein dem Ausgleich immaterieller Nachteile zu dienen bestimmt war.

[X.]) Die nach § 198 Abs 2 Satz 1 und 3 [X.] gezahlte Entschädigung dient einem ausdrücklich genannten Zweck, nämlich der Wiedergutmachung immaterieller Nachteile durch die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens.

Eine Zahlung dient einem ausdrücklich genannten Zweck iS des § 11a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]B II, wenn jedenfalls in der öffentlich-rechtlichen Vorschrift, aufgrund derer sie erbracht wird, ein über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehender Zweck der Leistung ausdrücklich genannt ist (so schon zu § 77 [X.] - der Vorgängervorschrift von § 83 Abs 1 [X.]B XII, dem die Neufassung von § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II entspricht - B[X.] vom 3.4.1990 - 10 [X.] 29/89 - [X.] 3-5870 § 11a [X.] S 5; zur normativen Zweckbestimmung B[X.] vom 18.2.2010 - [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]7; weitergehend zur Dokumentation des Zwecks in der Entstehungsgeschichte B[X.] vom 16.6.2015 - B 4 A[X.]7/14 R - [X.] 4-4200 § 27 [X.] Rd[X.]9 unter Bezugnahme auf B[X.] vom [X.] [X.] 17/09 R - B[X.]E 106, 62 = [X.] 4-3500 § 82 [X.], Rd[X.] ff; zu möglichen Formulierungen [X.] vom 12.4.1984 - 5 C 3.83 - [X.]E 69, 177, 181 = [X.] 436.0 § 77 [X.] Nr 7 [X.]). Der Verwendung des Worts "Zweck" bedarf es dabei nicht. Der ausdrückliche Zweck kommt schon durch Worte wie "zur Sicherung" oder "zum Ausgleich" ausreichend deutlich zum Ausdruck. Es kann auch genügen, dass die Zweckbestimmung aus den Voraussetzungen für die Leistungsgewährung folgt, soweit sich aus dem Gesamtzusammenhang die vom Gesetzgeber gewollte Zweckbindung eindeutig ableiten lässt (zur Grundrente nach § 31 [X.] als "in der Sache" zweckbestimmte Leistung [X.] vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - juris RdNr 44; zu § 83 Abs 1 [X.]B XII B[X.] vom [X.] [X.] 17/09 R - B[X.]E 106, 62 = [X.] 4-3500 § 82 [X.], Rd[X.] mwN). Ein abstrakt-generelles Ziel für eine Vielzahl von Einzelleistungen oder nur eine [X.]ategorisierung von Leistungen, die der Orientierung bei der Auslegung der Vorschriften über die allgemeinen und die besonderen Leistungen dient, genügt andererseits nicht (zu Leistungen "zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben" B[X.] vom [X.] [X.] 17/09 R - B[X.]E 106, 62 = [X.] 4-3500 § 82 [X.], Rd[X.]; zum allgemeinen Begriff "Entschädigung" im Rahmen des § 77 Abs 1 [X.] [X.] vom 12.4.1984 - 5 C 3.83 - [X.]E 69, 177, 182 = [X.] 436.0 § 77 [X.] [X.] 4).

Soweit nach der Rechtsprechung der für das [X.]B II zuständigen Senate des B[X.] auch im Rahmen des § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II eine "finale" Zweckbestimmung gefordert worden ist, um eine Einnahme als (ganz oder teilweise) zweckbestimmt im Sinne dieser Vorschrift ansehen zu können (vgl B[X.] vom [X.] [X.]/16 R - [X.] 4-4200 § 11b [X.]0), ist hieran weiterhin festzuhalten. Anders als vom [X.] angenommen lässt sich ein Verwendungszweck der Formulierung des § 198 Abs 2 [X.] entnehmen.

Die Entschädigung für einen immateriellen Nachteil wird zur Wiedergutmachung der Folgen eines überlangen Verfahrens geleistet. Das ergibt sich aus § 198 Abs 2 Satz 2 [X.], der die Wiedergutmachung durch Entschädigung als Zweck der Zahlung einer Möglichkeit der Wiedergutmachung "auf andere Weise" gegenüberstellt. Insofern ist es ohne Bedeutung, dass der Begriff Wiedergutmachung im Wortlaut des Satzes nicht doppelt verwendet wird. Vielmehr wird hinreichend deutlich, dass der Zweck der Wiedergutmachung eines Nachteils, der nicht Vermögensnachteil ist, auf mehrere Arten erreicht werden kann, von denen eine die Zahlung der Entschädigung ist.

Allerdings entzieht sich beim finanziellen Ausgleich zur Wiedergutmachung immaterieller Nachteile der Nachweis der Erfüllung des Verwendungszwecks regelhaft einer objektivierbaren [X.]ontrolle: Auf welche Art und Weise die ausgleichsberechtigte Person eine Zahlung zum Ausgleich ihres immateriellen Nachteils verwendet, zeigt sich erst in einem weiteren Schritt (zB dem eigennützigen oder fremdnützigen Verbrauch oder dem "Aufbewahren" des [X.]). Dieser weitere Schritt hat keinen Einfluss auf die vorangehend festgelegte finale Zweckbestimmung (vgl schon zu § 77 Abs 1 [X.] [X.] vom [X.] - 5 B 27.89 - [X.] 436.0 § 77 [X.] [X.]). Anderenfalls wäre der auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften beruhende Ausgleich eines immateriellen Nachteils - der nicht wie privatrechtliche Ansprüche § 11a Abs 2 [X.]B II unterfällt (vgl zu § 15 AGG B[X.] vom 22.8.2012 - [X.] AS 164/11 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]4; zum [X.] [X.] in LP[X.]-[X.] 6. Aufl 2003, § 77 Rd[X.]) - als Einkommen zu berücksichtigen. Sofern die öffentlich-rechtliche Vorschrift den [X.] vorgibt, ist eine solche Differenzierung nicht gerechtfertigt.

Vorgaben hinsichtlich der tatsächlichen Verwendung einer zweckbestimmten, aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbrachten Zahlung ergeben sich aus § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II nicht. Weder nach dem Wortlaut des § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II noch aufgrund der Angleichung der Vorschrift an § 83 Abs 1 [X.]B XII ist die Notwendigkeit einer zweckbestimmten Verwendung zu erkennen.

Soweit den Materialien zu § 11a Abs 3 [X.]B II zu entnehmen ist, dass eine allgemeine Zweckrichtung nicht ausreichen solle und daran (gemeint ist: am ausdrücklichen Zweck) fehle es jedenfalls dann, wenn die Einkommensbezieherin oder der Einkommensbezieher weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert sei, die Leistungen zur Deckung von Bedarfen nach dem [X.]B II einzusetzen (vgl Gesetzentwurf der [X.]esregierung zum Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.], [X.]), knüpft dies zwar an Rechtsprechung des [X.] zu § 77 Abs 1 [X.] und der Eigenheimzulage an (vgl [X.] vom 28.5.2003 - 5 C 41.02 - [X.] 436.0 § 76 [X.] [X.]6; demgegenüber zu § 11 Abs 3 [X.]a [X.]B II B[X.] vom 30.9.2008 - B 4 A[X.]/07 R - B[X.]E 101, 281 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]4 unter Bezugnahme auf den [X.] in § 1 Abs 1 Nr 7 [X.]-V idF vom [X.]). Allerdings hatte das [X.] den Vorschriften über die Gewährung der Eigenheimzulage keinen Zweck entnehmen können. Demgegenüber ist das [X.] bei einer anerkannten Zweckbestimmung davon ausgegangen, dass § 77 Abs 1 [X.] kein Tatbestandsmerkmal enthalte, aus dem sich einerseits die Berechtigung des Trägers der Sozialhilfe zu einer Verwendungsprüfung und andererseits die Verpflichtung des Empfängers der anderen Leistung, deren Verwendung im Sinne ihrer Zweckbestimmung nachzuweisen, herleiten ließen ([X.] vom [X.] - 5 B 27.89 - [X.] 436.0 § 77 [X.] [X.]). Auch das B[X.] hat in seiner Rechtsprechung zu § 83 Abs 1 [X.]B XII eine solche Anforderung nicht aufgestellt (vgl B[X.] vom [X.] [X.] 17/09 R - B[X.]E 106, 62 = [X.] 4-3500 § 82 [X.], Rd[X.]). Für das [X.]B II ergibt sich bei gleichlautendem Wortlaut der Vorschrift nichts anderes (kritisch zur erweiternden Auslegung von § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II auch [X.] in [X.]nickrehm/[X.]/Waltermann, [X.]ommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl 2021, § 11a [X.]B II Rd[X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, 7. Aufl 2021, § 11a Rd[X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, [X.] § 11a Rd[X.]76, Stand Mai 2020; [X.] in G[X.]-[X.]B II, § 11a RdNr 47, Stand April 2021; [X.] in [X.], [X.]B II, § 11a Rd[X.]5, Stand November 2018; Söhngen in jurisP[X.]-[X.]B II, § 11a RdNr 41, Stand 29.7.2021; Striebinger in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, § 11a Rd[X.]2, Stand Dezember 2016; Strnischa in Oestreicher/[X.], [X.]B II/[X.]B XII, § 11a Rd[X.], Stand September 2021).

Eine restriktivere Auslegung des § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II ist auch aus systematischen Gründen nicht angezeigt. [X.] nachteilige Folgen eines Gerichtsverfahrens von unangemessener Dauer können neben "seelischer Unbill" durch die lange Verfahrensdauer auch körperliche Beeinträchtigungen oder Rufschädigungen sein (vgl Entwurf der [X.]esregierung zum Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks 17/3802 [X.]). Diese Gemengelage verdeutlicht, dass die an Vorgaben der EMR[X.] (Art 6 Abs 1, Art 13 EMR[X.]; EGMR vom [X.] - Individ[X.]lbeschwerde [X.]/[X.] - NJW 2006, 2389, 2390; EGMR vom [X.] - Individ[X.]lbeschwerde [X.]/[X.] - NJW 2010, 3355, 3358) anknüpfende [X.]ompensationslösung des § 198 [X.] eine Mehrzahl als ausgleichsbedürftig zu behandelnde immaterielle Nachteilslagen erfasst. Im [X.] Rechtssystem waren für den Ausgleich der Nachteile unterschiedliche Anspruchsnormen vorhanden (vgl für § 253 Abs 2 BGB und § 15 Abs 2 AGG B[X.] vom 22.8.2012 - [X.] AS 164/11 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]4) oder mussten in Anbetracht der verschuldensabhängigen St[X.]tshaftungsvorschrift des § 839 BGB sowie der von ihrem Schutz erfassten Rechtsgüter erst geschaffen werden (vgl zu rechtlichen Grundlagen einer Entschädigung allein für die Dauer des Verfahren vor Inkrafttreten des § 198 [X.] Remus, NJW 2012, 1403, 1406; [X.], Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 [X.], 2018, 72).

Die auf verschiedene Nachteile bezogene Gemengelage lässt es zwar im Grundsatz zu, einzelne immaterielle Nachteile oder Schäden zu identifizieren und ihnen einen bestimmten Ausgleichswert zuzuweisen. Das ermöglichte im Ausgangspunkt die Zuordnung einer Zahlung zB zu den von § 253 Abs 2 BGB geschützten Rechtsgütern, die dann ggf gesondert unter die Anrechnungsfreistellung aus § 11a Abs 2 [X.]B II fallen könnten. Indes hat sich der Gesetzgeber für einen pauschalierten finanziellen Ausgleich entschieden. Nach den Materialien lag der Frage der Bemessung der Entschädigung als Pauschale der Gedanke zugrunde, die Vorteile einer Pauschalierung unter Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Nachweis würden überwiegen (vgl Entwurf der [X.]esregierung zum Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks 17/3802 S 20).

Diese gesetzliche Grundentscheidung zur Pauschalierung hat keinen Einfluss auf die Schutzwürdigkeit des damit gewährten Ausgleichsanspruchs. Im Zusammenspiel von Ausgleichszahlung und Wiedergutmachung auf andere Weise belegt die Ausgleichszahlung, dass Wiedergutmachung auf andere Weise nicht erlangt werden kann und damit im Ausgangspunkt eine schwerere Schädigung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs 4, Art 20 Abs 3 GG und Art 6 Abs 1 EMR[X.] vorliegt. Dieser Zweck würde bei einer Anrechnung der Zahlung als Einkommen vereitelt. Denn demjenigen, dem Wiedergutmachung auf andere Weise gewährt wird, verbliebe die Wiedergutmachung. Müsste hingegen der Empfänger einer Ausgleichszahlung auf diese zurückgreifen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, verfehlte der Rechtsbehelf seine beabsichtigte kompensatorische Wirkung.

cc) Der Ausgleich eines immateriellen Nachteils durch Zahlung unterfällt vorliegend nicht - auch nicht in Teilen - der Rückausnahme des § 11a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]B II.

Gemäß § 11a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]B II ist eine zweckbestimmte öffentlich-rechtliche Einnahme gleichwohl als Einkommen berücksichtigungsfähig, soweit sie im Einzelfall demselben Zweck dient. [X.] ist nicht gegeben. Das B[X.] hat bereits entschieden, dass das [X.]B II für immaterielle Schäden keine Leistungen vorsieht (B[X.] vom 5.9.2007 - B 11b [X.] - B[X.]E 99, 47 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]3). Der immaterielle Schadensausgleich dient auch nach der Rechtsprechung des [X.] einem anderen Zweck als der Sicherung des Lebensunterhalts ([X.] vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - juris RdNr 43).

Weil die Zahlung einer immateriellen Entschädigung für die unangemessen lange Dauer eines Gerichtsverfahrens § 11a Abs 3 Satz 1 [X.]B II unterfällt, kommt es nicht darauf an, ob § 11a Abs 2 [X.]B II eine abschließende, nicht analogiefähige Sondervorschrift ist (vgl zu § 11 Abs 3 [X.] [X.]B II in der ursprünglichen Fassung durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954; B[X.] vom 5.9.2007 - B 11b [X.] - B[X.]E 99, 47 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]0 mwN auch zur Rspr des [X.] zu § 77 Abs 2 [X.]; zu § 77 Abs 2 [X.] auch B[X.] vom [X.] - B 2 U 12/02 R - B[X.]E 90, 172, 175 = [X.] 3-5910 § 76 [X.] f).

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 15/20 R

11.11.2021

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Hildesheim, 24. September 2018, Az: S 37 AS 1532/17, Urteil

§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11a Abs 2 SGB 2, § 11a Abs 3 S 1 SGB 2, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 2 GVG, § 198 Abs 2 S 3 GVG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 11.11.2021, Az. B 14 AS 15/20 R (REWIS RS 2021, 1157)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1157

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