Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.02.2020, Az. 4 StR 583/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1606

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Gegenstand

Sukzessive Mittäterschaft beim Totschlag: Zurechnung bereits verwirklichter Tatumstände vor Hinzutreten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten P.     wird das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2019, auch soweit es die Mitangeklagten [X.]        und [X.].    betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig sind,

b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten P.     , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten P.     wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten M.     - dessen Revision der [X.] durch gesonderten Beschluss vom heutigen Tage verworfen hat - , [X.]    , [X.]und [X.].    wegen Totschlags zu Jugendstrafen verurteilt und die Unterbringung der Angeklagten [X.]        und [X.]in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten [X.]führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs, auch soweit die nicht revidierenden Angeklagten [X.]        und [X.].   betroffen sind. Die weiter gehende Revision des Angeklagten [X.]ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und [X.]rtungen getroffen:

3

Am 20. März 2017 trafen sich die Angeklagten und       S.    am Bahnhof in [X.]         . Auf Vorschlag des Angeklagten M.      fuhr man mit Fahrrädern in ein Naturgebiet. Hier kam es zu einem Streit zwischen dem Angeklagten M.     und S.     über Geldschulden aus Drogenkäufen. Als S.    äußerte, nicht zahlen zu wollen, beschloss der Angeklagte M.     , ihn zu töten. Er nahm einen Baseballschläger, holte damit beidhändig über seinen Kopf aus und schlug mit erheblicher Wucht gegen [X.]. S.     fiel zu Boden und kam auf dem Rücken zu liegen. M.     schlug nun unmittelbar vor ihm stehend mit erheblicher Wucht acht- bis zehnmal mit dem Baseballschläger auf [X.] ein. [X.]wurde schwer verletzt, sein Gesicht war kaum noch als solches zu erkennen. M.     warf den Baseballschläger weg und rief den anderen Angeklagten zu: „Macht auch was!“. Der Angeklagte [X.]       kniete sich neben S.     und stach mit einem Messer mit etwa 10 cm langer Klinge fünf- bis zehnmal heftig in dessen Bauch- und Brustbereich. Während der Stiche gab S.     aufgrund von Bluteinatmung wegen der Zertrümmerung der Nasennebenhöhlen laut gurgelnde und blubbernde Geräusche von sich. Auch nach den Messerstichen waren diese Geräusche hörbar, die Angeklagten erkannten, dass S.     noch lebte. Einer rief: „Macht was, damit das aufhört!“. Nun traten die Angeklagten [X.]     und [X.].   jeweils drei- bis viermal kräftig auf den Oberkörper von S.     ein. Nach etwa zwei Minuten hörten die Atemgeräusche auf. S.      verstarb entweder aufgrund des erlittenen [X.] oder durch Ersticken infolge Bluteinatmung oder aufgrund innerer Blutungen durch die Messerstiche. Die genaue Todesursache konnte nicht mehr ermittelt werden, weil der skelettierte Leichnam des S.     erst am 30. August 2018 gefunden wurde.

4

Das [X.] hat alle vier Angeklagten wegen Totschlags verurteilt. Der Angeklagte M.     habe mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt. Die Messerstiche und Tritte der anderen Angeklagten hätten unmittelbar an seinen Tatbeitrag angeknüpft und seien ihm auch subjektiv zuzurechnen. Die Angeklagten [X.]     , [X.]        und [X.].    hätten in [X.] Mittäterschaft gehandelt. Sie hätten nach konkreter Aufforderung durch den Angeklagten M.    selbst einen für die Tatbestandsverwirklichung ursächlichen Beitrag geleistet. Das Opfer sei erst nach der letzten Einwirkung durch den Angeklagten [X.]    verstorben, womit [X.] auf den Tatablauf Einfluss genommen habe.

5

2. Der Schuldspruch wegen Totschlags begegnet im Hinblick auf den Angeklagten [X.]und die Nichtrevidenten [X.]        und [X.].   durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Annahme des [X.]s, [X.] dieser Angeklagten habe auf den Todeseintritt Einfluss besessen, wird von den Feststellungen nicht getragen. Die Annahme von [X.] Mittäterschaft begegnet daher durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

6

a) Sukzessive Mittäterschaft liegt vor, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des von einem anderen begonnenen tatbestandsmäßigen Handeln in das tatbestandsmäßige Geschehen als Mittäter eingreift. Eine Zurechnung bereits verwirklichter Tatumstände ist jedoch nur dann möglich, wenn der Hinzutretende selbst einen für die Tatbestandsverwirklichung ursächlichen Beitrag (in Person oder durch einen anderen) leistet. Kann der Hinzutretende die weitere Tatausführung dagegen gar nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs schon alles getan ist und weil [X.] des Eintretenden auf den weiteren Ablauf des tatbestandsmäßigen Geschehens ohne jeden Einfluss bleibt, kommt eine mittäterschaftliche Mitwirkung trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (vgl. [X.], Urteil vom 7. August 1984 - 1 [X.], [X.], 548 f.; Beschluss vom 9. Juni 2009, [X.], 631, 632; Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, [X.], 699, 702; Beschluss vom 10. April 2019 - 4 StR 102/19, NStZ-RR 2019, 205, 206 jeweils mwN) .

7

b) So liegt der Fall hier: Die Todesursache konnte nicht aufgeklärt werden. Nach den Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen, die die [X.] den Feststellungen zugrunde gelegt hat, starb das Tatopfer am ehesten an dem durch die Schläge mit dem Baseballschläger verursachten Schädel-Hirn-Trauma, oder aber durch Bluteinatmung wegen der ebenfalls dadurch verursachten Zertrümmerung der Nasennebenhöhlen. Bei beiden Alternativen tritt der Tod - wie hier - im [X.] ein. Diese beiden möglichen Todesursachen hat allein der Angeklagte M.     vor dem Hinzutreten der drei anderen Angeklagten gesetzt. Nicht ausschließbar war zwar auch ein Todeseintritt durch inneres Verbluten aufgrund der Messerstiche. Diese Möglichkeit kann jedoch nicht zu Lasten der Angeklagten [X.]     , [X.]        und [X.].    zugrunde gelegt werden; vielmehr ist nach dem [X.] davon auszugehen, dass dem Geschädigten die zum Tode führenden Verletzungen schon im ersten Teil des Geschehens ausschließlich vom Angeklagten M.     beigebracht wurden.

8

Es gibt auch keine Feststellungen dazu, dass die von den anderen drei Angeklagten vorgenommenen Gewalthandlungen den Todeseintritt des [X.] beschleunigt haben oder sonst mitursächlich für das konkrete Versterben geworden sind. Allein der Umstand, dass diese drei Angeklagten die von ihnen beobachtete vorangegangene Gewaltanwendung durch den Angeklagten M.      billigten und sich zur Teilnahme an der Tötung des S.     entschlossen, führt nicht dazu, dass ihnen die bereits vor ihrem Entschluss, sich der Tat anzuschließen, durch M.     allein verwirklichten Tatumstände zuzurechnen wären.

9

3. Der Rechtsfehler liegt nicht nur bei dem revidierenden Angeklagten [X.]     vor, sondern betrifft in gleicher [X.]ise auch die Angeklagten [X.]        und [X.].   , was zur Erstreckung der [X.]sentscheidung auf diese beiden Angeklagten führt (§ 357 StPO).

Der [X.] schließt angesichts der Beweislage aus, dass der Tatrichter in einer erneuten Verhandlung noch Feststellungen zur Todesursächlichkeit der Handlungen der Angeklagten [X.]     , [X.]        und [X.].     treffen könnte. Desgleichen ist das Vorliegen einer Schuldunfähigkeit zur Tatzeit bei den drei Angeklagten auszuschließen. Der [X.] hat deshalb selbst den Schuldspruch umgestellt auf versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Die Angeklagten [X.]und [X.].   haben die Körperverletzung zumindest gemeinschaftlich begangen (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB), hinsichtlich des Angeklagten [X.]        ist jedenfalls die Tatvariante des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch den Messereinsatz erfüllt.

4. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der an sich bei allen drei Angeklagten angemessenen und auf den [X.] gestützten Strafen sowie - mit Blick auf § 5 Abs. 3 [X.] - auch der Unterbringung in der Entziehungsanstalt bei den Angeklagten [X.]und [X.]      . Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzend das Vorliegen weiterer Tatvarianten des § 224 Abs. 1 StGB festzustellen und gegebenenfalls bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Der neue Tatrichter wird hinsichtlich des Angeklagten [X.]Gelegenheit haben festzustellen, ob die Geldstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 27. April 2016 zum Zeitpunkt des ersten tatrichterlichen Urteils vollstreckt war ([X.], Beschlüsse vom 13. November 1991 - 2 StR 463/91, [X.]R [X.] § 31 Abs. 2 Einbeziehung 6; vom 31. März 2011 - 2 StR 8/11, [X.], 288, 289). Der [X.] weist darauf hin, dass die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe jegliche Erfolgsabwendungs- oder Rettungsbemühungen unterlassen und die Tat nicht nur zusehend und billigend geschehen lassen, sondern sich daran beteiligt, auch im Jugendstrafrecht nicht unbedenklich ist.

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Cierniak

        

Bender     

        

Quentin     

        

Meta

4 StR 583/19

11.02.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 11. Februar 2020, Az: 4 StR 583/19, Beschluss

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 52 StGB, § 212 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 4 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.02.2020, Az. 4 StR 583/19 (REWIS RS 2020, 1606)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1606


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 583/19

Bundesgerichtshof, 4 StR 583/19, 11.02.2020.


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