Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2021, Az. XII ZR 21/20

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 9154

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Berufungsverfahren: Gegenüber der Vorinstanz abweichende Beurteilung der Glaubwürdigkeit oder Aussage eines Zeugen


Leitsatz

Das Berufungsgericht ist zur erneuten Vernehmung eines Zeugen verpflichtet, wenn es dessen Glaubwürdigkeit anders beurteilen oder dessen Aussage anders verstehen will als die Vorinstanz. Unterlässt es dies, verletzt es das rechtliche Gehör der benachteiligten Partei (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 21. März 2012 - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 und vom 21. Oktober 2020 - XII ZR 114/19, NJW-RR 2020, 1519).

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des [X.] vom 17. Februar 2020 zugelassen, soweit darin zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist.

Auf die Revision des Beklagten wird das vorgenannte Urteil im Kostenpunkt und im Umfang der zugelassenen Revision aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 49.175 €

Gründe

I.

1

Die Parteien lebten von 2007 bis 2017 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Der Beklagte erwarb im Jahr 2011 zum Preis von 47.000 € ein Hausgrundstück zu Alleineigentum, das die Parteien nach Renovierung mit einem Kostenaufwand von rund 120.000 € gemeinsam bewohnten. Die Einkünfte der Klägerin aus einer Witwenrente, einer Erwerbsminderungsrente sowie einer privaten Pflegezusatzversicherung wurden unmittelbar auf das Konto des Beklagten überwiesen und beliefen sich im [X.]raum vom 1. Januar 2015 bis zur Trennung der Parteien am 28. Juni 2017 insgesamt auf rund 77.675 €. Der Beklagte überwies auf das Konto der Klägerin monatlich 300 € mit dem Verwendungszweck „Haushalt“. Darüber hinaus wurde Pflegegeld in Höhe von monatlich 545 € unmittelbar auf das Konto der Klägerin ausbezahlt. Der Beklagte hatte eigene Renteneinkünfte in Höhe von rund 2.024 € monatlich und leistete für die Finanzierung des Anwesens eine monatliche Annuität in Höhe von 988 €.

2

Die Klägerin hat den Beklagten im Berufungsverfahren noch auf Zahlung von 49.174,80 € nebst Zinsen in Anspruch genommen und diesen Betrag errechnet, indem sie von ihren im [X.]raum 1. Januar 2015 bis 28. Juni 2017 auf dem Konto des Beklagten eingegangenen Einkünften die monatlichen Überweisungen „Haushalt“ in Höhe von 300 € und eine monatliche Miete in Höhe von 650 € abgezogen hat. Das [X.] hat die Klage nach Vernehmung der Tochter der Klägerin abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] der Klage ohne erneute Beweisaufnahme bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen stattgegeben und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

II.

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Zulassung der Revision und zur Aufhebung des angegriffenen Urteils sowie insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

4

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

5

Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB. Aufgrund der gesamten Umstände, insbesondere der Gestaltung und des Ablaufs der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Parteien, habe der gemeinschaftsbezogenen Zuwendung der Klägerin die übereinstimmende Vorstellung einer lebenslangen gemeinschaftlichen Nutzung des Hauses durch die Parteien zugrunde gelegen. Dem Vorbringen der Klägerin, sie habe in der Erwartung des [X.] der nichtehelichen Lebensgemeinschaft und mit Rücksicht auf die bis zu ihrem Lebensende mögliche Mitnutzung der Immobilie die Zahlungen auf das [X.] zur Finanzierung des Anwesens im Innenverhältnis geleistet, sei der Beklagte nicht entgegengetreten. Dieser habe lediglich eine Übereinkunft der Parteien in Bezug auf den gemeinsamen Erwerb der Immobilie bestritten, ihren Willen zur Nutzung als gemeinsame Wohnung und Alterssitz zur Sicherung der gemeinsamen Altersversorgung aber bestätigt. Dass sich die Klägerin mit der Anweisung der Zahlung auf das Konto des Beklagten nach Vorstellung beider Parteien an der Hausfinanzierung habe beteiligen wollen, belege auch die Aussage der in erster Instanz vernommenen Zeugin. Damit habe der Beklagte das lebenslange Wohnrecht als Zweck der Leistungen der Klägerin erkannt und diese entgegengenommen, ohne zu widersprechen. Der Beklagte sei auch dem Vorbringen der Klägerin, dass mit den Geldeingängen auf seinem Konto die auf dem Haus lastenden Annuitäten bedient werden sollten, nicht substanziiert entgegengetreten. Vielmehr lasse sich seinem eigenen Vortrag die Vereinbarung entnehmen, zur Sicherstellung dieser Zahlungsverpflichtungen alle finanziellen Eingänge auf sein Konto leiten zu lassen. In diese Richtung deute zudem die Aussage der in erster Instanz vernommenen Zeugin.

6

2. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungserheblicher Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG zugrunde liegt, weil es die Aussage der vom [X.] vernommenen Zeugin abweichend gewürdigt hat, ohne sie erneut zu vernehmen.

7

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist allerdings eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Das gilt insbesondere für die erneute Vernehmung von Zeugen, die grundsätzlich gemäß § 398 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts steht. Das Berufungsgericht ist deshalb verpflichtet, einen in erster Instanz vernommenen Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es seine Glaubwürdigkeit anders als die Vorinstanz beurteilt (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 2002 - [X.] - juris Rn. 15) oder die protokollierte Aussage anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will. Unterlässt es dies, so verletzt es das rechtliche Gehör der benachteiligten Partei (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. März 2012 - [X.] - NJW-RR 2012, 704 Rn. 6 mwN und vom 21. Oktober 2020 - [X.] - NJW-RR 2020, 1519 Rn. 6). Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen (d. h. seine Glaubwürdigkeit) noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit (d. h. die Glaubhaftigkeit) seiner Aussage betreffen (Senatsurteil vom 30. Oktober 2002 - [X.] - juris Rn. 15; Senatsbeschlüsse vom 21. März 2012 - [X.] - NJW-RR 2012, 704 Rn. 7 mwN und vom 21. Oktober 2020 - [X.] - NJW-RR 2020, 1519 Rn. 6; [X.] NJW 2017, 3218 Rn. 57 mwN).

8

b) Nach diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht die vom [X.] vernommene Zeugin erneut vernehmen müssen, weil es ihre Aussage anders als der Richter der Vorinstanz verstanden und ihre Glaubwürdigkeit anders beurteilt hat.

9

Das Berufungsgericht hat „aufgrund der gesamten Umstände“ die Überzeugung gewonnen, den Zuwendungen der Klägerin habe als [X.] die übereinstimmende Vorstellung der lebenslangen gemeinsamen Nutzung des Hauses zugrunde gelegen. Es hat diese Würdigung ausdrücklich „auch“ durch die Aussage der vom [X.] vernommenen Zeugin als belegt angesehen und anschließend eine Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Zeugenaussage vorgenommen. Dabei handelt es sich auch nicht lediglich um eine andere rechtliche Würdigung einer vom [X.] festgestellten Aussage, die weder einen Bezug zur Urteilsfähigkeit, dem Erinnerungsvermögen oder der Wahrheitsliebe der Zeugin noch zur Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit ihrer Aussage aufweist. Denn das [X.] hat die Aussage eingehend gewürdigt und ausdrücklich Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin formuliert, indem es sie in den Entscheidungsgründen als „sehr unsicher“ wirkend bezeichnet hat. Dies deckt sich mit der Niederschrift der Vernehmung, wonach die Zeugin selbst auf die seit ihrer Wahrnehmung vergangene [X.] und die Schwierigkeiten, die ihr die Aussage mache, hingewiesen hat. Dem entsprechend sah sich das [X.] ausdrücklich auch unter Einbeziehung der Aussage der Zeugin - anders als das Berufungsgericht - nicht in der Lage, eine Zweckvereinbarung der Parteien gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB festzustellen.

Entgegen der von der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung vertretenen Auffassung hat das [X.] die Aussage der Zeugin auch nicht lediglich im Hinblick auf eine [X.] im Sinne eines gemeinsamen Hauserwerbs „im Innenverhältnis“ bewertet. Im Gegenteil ergibt sich aus der vom [X.] gewählten Formulierung, dass es gerade eine von der dinglichen Rechtslage losgelöste Betrachtung vorgenommen und auf den Beitrag der Klägerin zur Vermögensbildung des Beklagten abgestellt hat. Daher wäre das Berufungsgericht nur durch eine erneute Vernehmung der Zeugin in der Lage gewesen, sich ein eigenes Bild von deren Glaubwürdigkeit und der Ergiebigkeit ihrer Aussage im Hinblick auf eine Zweckvereinbarung zu machen, und hätte das Urteil nicht ohne erneute Anhörung auf die Aussage der Zeugin stützen dürfen (vgl. [X.] vom 12. Dezember 1984 - [X.] - NJW-RR 1986, 284 und vom 14. Juli 2009 - [X.] - NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4 f. mwN).

c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich und das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, wenn es die Zeugin erneut vernommen hätte, eine Zweckvereinbarung im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB nicht festgestellt hätte und deshalb insgesamt zu einer abweichenden Beurteilung gelangt wäre.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich mit dem weiteren Vorbringen im [X.] auseinanderzusetzen. Sofern das Berufungsgericht nach Beweisaufnahme erneut die von der Klägerin behauptete [X.] bejaht, wonach mit einem Teil der auf das Konto des Beklagten geflossenen Einkünfte der Klägerin die Finanzierung von Erwerb und Renovierung des lebenslang von der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu nutzenden [X.] ermöglicht werden sollte, wird es sich näher damit zu befassen haben, was der Beklagte insoweit erlangt (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB) hat. Denn nur insoweit wäre er gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Ein Bereicherungsanspruch wegen [X.] kann dabei nur bestehen, soweit die Leistungen der Klägerin beim Beklagten zu Vermögenswerten geführt haben, welche die Beendigung der Lebensgemeinschaft überdauern (vgl. Senatsurteile [X.], 133 = [X.], 1822 Rn. 39; vom 6. Juli 2011 - [X.]/08 - FamRZ 2011, 1563 Rn. 30 und vom 8. Mai 2013 - [X.]/12 - FamRZ 2013, 1295 Rn. 37). Die im streitgegenständlichen [X.]raum erfolgten Zuwendungen können mit Blick auf die von der Klägerin behauptete [X.] allenfalls in dem Umfang zu einer Bereicherung des Beklagten geführt haben, als mit ihnen die Darlehen getilgt oder eine Wertsteigerung bewirkende Renovierungen bezahlt worden sind. Hierzu ist dem Vorbringen der vortragsbelasteten Klägerin bislang nichts zu entnehmen, so dass das Berufungsgericht gegebenenfalls Gelegenheit zu weiterem Vortrag einzuräumen haben wird.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZR 21/20

27.01.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 17. Februar 2020, Az: 16 U 84/19

Art 103 Abs 1 GG, § 398 Abs 1 ZPO, § 529 Abs 1 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2021, Az. XII ZR 21/20 (REWIS RS 2021, 9154)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 600 REWIS RS 2021, 9154

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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