Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.07.2010, Az. VI ZB 31/08

6. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5140

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Gegenstand

Prozesskostenhilfe im Verkehrsunfallprozess mit dem Vorwurf einer Unfallmanipulation: Mutwilligkeit der Rechtsverteidigung unter Einschaltung eines eigenen Rechtsanwalts des beklagten Kraftfahrzeughalters nach Beitritt seiner Kfz-Haftpflichtversicherung als Streithelfer


Leitsatz

Ein Versicherungsnehmer, der sich im Verkehrsunfallprozess gegen den von seinem mitverklagten Haftpflichtversicherer gegen ihn erhobenen Vorwurf eines versuchten Versicherungsbetrugs verteidigen will, handelt nicht mutwillig im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO, wenn er Prozesskostenhilfe für die Vertretung durch einen eigenen Anwalt begehrt, obwohl ihm der Haftpflichtversicherer als Streithelfer beigetreten ist und dessen Prozessbevollmächtigter auf diesem Wege auch für ihn Klageabweisung beantragt hat .

Tenor

Der Beklagten zu 2 wird für die Verfolgung ihrer Rechte im Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. M. beigeordnet.

Auf die Rechtsmittel der Beklagten zu 2 werden der Beschluss des 12. Zivilsenats des [X.] vom 17. April 2008 - 12 W 1/08 - aufgehoben und der Beschluss des [X.] vom 10. Dezember 2007 abgeändert.

Der Beklagten zu 2 wird für die Rechtsverteidigung im erstinstanzlichen Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung von Rechtsanwalt [X.] bewilligt.

Gründe

I.

1

Der Kläger hat die Beklagte zu 2 als Fahrerin und die Beklagte zu 1 als Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz wegen eines behaupteten Verkehrsunfalls am 23. November 2006 in Anspruch genommen. Die Beklagte zu 1 hat der [X.] zu 2 und dem Kläger [X.] vorgeworfen. Der Rechtsanwalt der [X.] zu 1 hat sich vor dem [X.] nicht für die Beklagte zu 2 bestellt, vielmehr ist die Beklagte zu 1 der [X.] zu 2 als Streithelferin beigetreten und ihr Prozessbevollmächtigter hat auf diesem Wege auch für diese Klageabweisung beantragt. Mit Schriftsatz vom 20. November 2007 hat die Beklagte zu 2 Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines eigenen Rechtsanwalts gestellt und gegen die Inanspruchnahme durch den Kläger - anders als die Beklagte zu 1 - eingewandt, dass das Unfallereignis zwar nicht manipuliert, die im Prozess geltend gemachten Schäden jedoch durch den Unfall nicht verursacht worden seien.

2

Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom 10. Dezember 2007 mit der Begründung abgewiesen, eine Vielzahl von Beweisanzeichen begründeten eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine [X.]; außerdem stehe fest, dass der Pkw des [X.] erheblich vorbeschädigt gewesen sei. Zugleich hat es der [X.] zu 2 die Bewilligung der nachgesuchten Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit verweigert.

3

Das [X.] hat die gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe erhobene sofortige Beschwerde der [X.] zu 2 durch den angefochtenen Beschluss (veröffentlicht in [X.], 519) zurückgewiesen. Es hat das Verlangen der [X.] zu 2 nach Beiordnung eines eigenen Prozessbevollmächtigten im Wege der Prozesskostenhilfe ebenfalls als mutwillig im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO erachtet, da angesichts der streitgenössischen [X.] durch die anwaltlich vertretene Beklagte zu 1 dem Interesse der [X.] zu 2 an ihrer Rechtsverteidigung hinreichend Genüge getan sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der die Beklagte zu 2 ihre Anträge weiterverfolgt.

II.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 ZPO zugelassen hat. Im Rahmen der Zulassung der Rechtsbeschwerde in [X.] können lediglich Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung beantwortet werden (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2005 - [X.]/04 - [X.], 718; [X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 - [X.] 118/07 - juris, Rn. 2; vom 9. Februar 2005 - [X.]/04 - NJW-RR 2005, 1018 und vom 20. Januar 2005 - [X.]/04 - [X.] 2005, 210).

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Vorinstanzen haben der [X.] zu 2 rechtsfehlerhaft die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung gegen die Klage unter Beiordnung eines eigenen Rechtsanwalts verweigert. Entgegen der Auffassung des [X.] war der entsprechende Antrag der [X.] zu 2 nicht mutwillig.

6

a) Das Beschwerdegericht geht zutreffend davon aus, dass Mutwilligkeit im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO voraussetzt, dass eine verständige, nicht hilfsbedürftige [X.] ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (vgl. etwa [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 114 Rn. 30; Musielak/[X.], ZPO, 7. Aufl., § 114 Rn. 30).

7

b) Das Beschwerdegericht meint, diese Voraussetzungen lägen vor, weil durch die [X.] der [X.] zu 1 die Beklagte zu 2 nicht nur davor geschützt sei, dass ein Versäumnisurteil gegen sie ergehen könne, sondern infolge der materiell-rechtlichen Anknüpfung der Haftung des Versicherers an diejenige des Fahrzeughalters als Versicherungsnehmer der Versicherer ein Interesse daran habe, alle Ansprüche wegen behaupteter Schadensereignisse durch ein bei ihm versichertes Kraftfahrzeug in gleicher Weise abzuwehren wie der Fahrzeughalter oder der Fahrer. Eine verständige [X.] würde im wirtschaftlichen Interesse daher davon absehen, ungeachtet des über den Versicherer bestehenden Rechtsschutzes kostenpflichtig einen weiteren Anwalt zu mandatieren (vgl. in diesem Sinne auch [X.], 1550, 1551; [X.], 947; 2006, 717, 718; [X.] VersR 2010, 274, 275 m. [X.]. [X.], [X.] 4/2010 [X.]. 3).

8

c) Die Gegenmeinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung verneint in entsprechenden Fällen die Mutwilligkeit eines Prozesskostenhilfegesuchs zum Zweck der Beiordnung eines eigenen Rechtsanwalts. Der Grund sei darin zu sehen, dass die Art der Rechtsverteidigung, insbesondere die Frage, ob der Antragsteller sich gegebenenfalls einer [X.]vernehmung zu dem Vorwurf der Begehung einer Straftat stellen müsse, von so erheblicher Bedeutung sei, dass ihm eine auf seine Person zugeschnittene anwaltliche Beratung nicht vorenthalten werden dürfe ([X.] Verkehrsrecht aktuell 2009, 165 m. [X.]. [X.], [X.] 7/2010 [X.]. 4; [X.] VersR 1997, 597, 598).

9

d) Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Der Haftpflichtversicherer, der von einer [X.] seines Versicherungsnehmers ausgeht, kann zwar auch in einem Anwaltsprozess im Wege der [X.] nach § 66 Abs. 1 ZPO für einen nicht selbst vertretenen Versicherungsnehmer Klageabweisung beantragen und dadurch ein Versäumnisurteil abwenden (vgl. Senatsurteil vom 9. März 1993 - [X.] - [X.], 625, 626). Rechtliche Bedenken gegen diese Vorgehensweise ergeben sich zunächst aus anwaltlicher Sicht. Es besteht für den Anwalt eine Interessenkollision mit der Gefahr der Strafbarkeit nach § 356 StGB, wenn sowohl der Versicherer als auch die versicherte Person vertreten werden und gegen deren Willen behauptet wird, dass diese einen Prozessbetrug versuche (vgl. [X.], aaO; Freyberger, Die Vertretung der [X.] beim gestellten Unfall aus standesrechtlicher- und prozessrechtlicher Sicht, [X.], 842, 843).

Dieser Interessenkonflikt spielt auch auf [X.] der [X.] eine Rolle bei der Frage, ob der Versicherungsnehmer, dem der Haftpflichtversicherer den Vorwurf der [X.] macht, mutwillig handelt, wenn er Prozesskostenhilfe für die Vertretung durch einen eigenen Anwalt beantragt. Insoweit sind die Interessen des beklagten Versicherungsnehmers und des beklagten [X.] nur vordergründig gleichgerichtet, auch wenn sie beide der Klage entgegentreten (vgl. [X.] aaO). Für den Versicherungsnehmer ist es von besonderem Interesse, ob die Klage - wie hier - mit der Begründung abgewiesen wird, es liege ein von ihm mitmanipulierter Unfall vor, oder aufgrund seines Einwandes, die vom Kläger geltend gemachten Schäden seien nicht auf den konkreten Verkehrsunfall zurückzuführen. Es kann deswegen nicht angenommen werden, dass eine verständige, nicht hilfsbedürftige [X.] ihre Rechte in gleicher Weise, nämlich nicht durch einen eigenen Prozessbevollmächtigten, wahrnehmen würde. Denn der Haftpflichtversicherer lässt über seinen Rechtsanwalt in einem zentralen Punkt, nämlich dem der [X.], gerade das Gegenteil dessen vortragen, was der beklagte Versicherungsnehmer vorzutragen wünscht ([X.] aaO). Entgegen der Auffassung des [X.] muss der Versicherungsnehmer, der sich im [X.] gegen den Vorwurf eines versuchten [X.] verteidigen will, diesen Vorwurf nicht ohne eigene anwaltliche Vertretung hinnehmen und sich auf eventuelle Nachfolgeprozesse verweisen lassen (so zutreffend [X.] aaO).

e) Das [X.] (aaO) weist auch mit Recht darauf hin, dass diesem Ergebnis nicht der Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Januar 2004 - [X.]/03 - [X.], 622 entgegensteht (vgl. auch [X.], aaO). Im dortigen Fall war die Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten nach § 91 ZPO für den eigenen Anwalt zu verneinen, weil es aufgrund der Sachlage im [X.] an konkreten Interessengegensätzen in der Rechtsverteidigung der als Streitgenossen auf Schadensersatz in Anspruch genommenen [X.] fehlte. Im vorliegenden Fall liegt demgegenüber - wie oben ausgeführt - ein Interessengegensatz durch die unterschiedliche Art der Rechtsverteidigung auf der Hand. Einer [X.] kann keine Rechtsverteidigung durch einen Anwalt zugemutet werden, der ihr - aus ihrer Sicht unberechtigt - einen (versuchten) Betrug vorwirft (vgl. [X.], aaO). Bei dieser Sachlage ist der Antrag einer bedürftigen [X.] auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines eigenen Rechtsanwalts auch im Hinblick auf die gegebene Erfolgsaussicht nicht mutwillig im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO.

Galke                                       Zoll                              Wellner

                   Diederichsen                            [X.]

Meta

VI ZB 31/08

06.07.2010

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 17. April 2008, Az: 12 W 1/08, Beschluss

§ 66 Abs 1 ZPO, § 114 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.07.2010, Az. VI ZB 31/08 (REWIS RS 2010, 5140)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5140

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