Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.08.2010, Az. I ZB 61/09

1. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 4037

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Gegenstand

Markenrecht: Absehen des Beschwerdegerichts von einer eigenen Sachentscheidung bei wesentlichen Verfahrensmängeln; Berücksichtigung ähnlicher Anmeldungen oder Voreintragungen bei Prüfung der Unterscheidungskraft - FREIZEIT Rätsel Woche


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des 29. Senats ([X.]) des [X.] vom 10. Juni 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Anmelderin hat am 27. April 2004 die Eintragung des Zeichens

Abbildung

als farbige Wort-/Bildmarke für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen der Klassen 16, 35 und 41 beantragt.

2

Die Markenstelle des [X.] hat die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft für folgende Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen:

[X.], Druckschriften, Zeitschriften, Zeitungen, Bücher, Poster, Kalender; Veröffentlichung und Herausgabe von [X.]n, insbesondere von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, sowie von Lehr- und Informationsmaterial, jeweils einschließlich gespeicherter Ton- und Bildinformationen, auch in elektronischer Form und auch im [X.]; Online-Publikationen, insbesondere von elektronischen Büchern und Zeitschriften (nicht herunterladbar); Dienstleistungen eines Ton- und Fernsehstudios, nämlich Produktion von Ton- und Bildaufzeichnungen auf Ton- und Bildträgern; Vorführung und Vermietung von Ton- und Bildaufzeichnungen; Produktion von Fernseh- und Rundfunksendungen; Zusammenstellen von Fernseh- und Rundfunkprogrammen; Unterhaltung, insbesondere Rundfunk- und Fernsehunterhaltung; Durchführung von Unterhaltungsveranstaltungen, kulturellen und sportlichen Live-Events sowie kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, soweit in Klasse 41 enthalten.

3

Das [X.] hat den Beschluss des [X.] auf die Beschwerde der Anmelderin aufgehoben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist, und hat das Verfahren an das [X.] zurückverwiesen ([X.], Beschluss vom 10. Juni 2009 - 29 W(pat) 3/06, [X.], 1173).

4

Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die Anmelderin gegen den Beschluss des [X.]s, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

5

II. Das [X.] hat ausgeführt, der Beschluss der Markenstelle sei unter Zurückverweisung der Sache an das [X.] aufzuheben, weil er nicht den Vorgaben des Beschlusses des Gerichtshofs der [X.] vom 12. Februar 2009 in den verbundenen Rechtssachen [X.]/08 und [X.]/08 (Slg. 2009, [X.] = [X.], 667 - Bild digital GmbH & Co KG u. [X.]/Präsident des [X.]) entspreche.

6

Danach müsse eine nationale Behörde bei der Prüfung einer Anmeldung die zu ähnlichen Anmeldungen ergangenen früheren Entscheidungen berücksichtigen und dabei besonderes Augenmerk auf die Frage richten, ob im gleichen Sinne zu entscheiden sei oder nicht. Es bestehe nicht nur die Verpflichtung zur Einbeziehung von Vorentscheidungen in die Entscheidungsfindung als solche, sondern diese Überlegungen müssten für den Adressaten auch erkennbar sein. Dazu bedürfe es entsprechender Ausführungen in der die Anmeldung zurückweisenden Entscheidung. Der Beschluss des [X.] enthalte keine derartige Begründung. Insoweit liege ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, so dass das Verfahren nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 [X.] zur vergleichenden Würdigung der Vorentscheidungen in materiell-rechtlicher Hinsicht und zur Nachholung der Begründung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 [X.] zurückverwiesen werde. Bei der Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere hinsichtlich der Existenz vergleichbarer Voreintragungen und Zurückweisungen einschließlich gerichtlicher Vorentscheidungen, habe die Anmelderin mitzuwirken und ihren diesbezüglichen Sachvortrag entsprechend zu [X.]. Dieser Mitwirkungspflicht sei die Anmelderin bisher noch nicht zur Gänze nachgekommen, so dass auch aus diesem Grund die Sache an das [X.] zurückzuverweisen sei.

7

III. [X.] hat Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das [X.] gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 [X.] von einer eigenen Sachentscheidung abgesehen und die Sache an das [X.] zurückverwiesen hat.

8

1. Nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 [X.] kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem Patent- und Markenamt an einem wesentlichen Mangel leidet. Von einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 70 Abs. 3 Nr. 2 [X.] kann - wie bei § 79 Abs. 3 Nr. 2 [X.], dem die Vorschrift nachgebildet ist (vgl. Begründung zu § 70 [X.], [X.] Sonderheft 1994, [X.]; vgl. ferner § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - nur ausgegangen werden, wenn ein so erheblicher [X.] gegeben ist, dass es an einer ordnungsgemäßen Grundlage für eine Sachentscheidung fehlt (vgl. [X.], Urteil vom 24. Oktober 1961 - [X.], [X.], 86, 87 - Fischereifahrzeug, zur entsprechenden Anwendung von §§ 539, 540 ZPO a.F.; Büscher in Büscher/[X.]/[X.], Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl., § 70 [X.] Rn. 20; Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 70 Rn. 10; [X.] in Ströbele/[X.], [X.], 9. Aufl., § 70 Rn. 7; vgl. ferner zur Regelung in der ZPO: [X.], Urteil vom 26. September 2002 - [X.], NJW-RR 2003, 131 mwN; Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 538 Rn. 9; [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 538 Rn. 11; zu § 79 [X.]: [X.], [X.], 10. Aufl., § 79 Rn. 28; zu § 130 VwGO: Meyer-Ladewig/Rudisile in [X.]/[X.]/[X.], VwGO, 18. Aufl., § 130 Rn. 7). Ob ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt, ist in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des [X.] zur entsprechenden Regelung in der Zivilprozessordnung allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts der Vorinstanz zu beurteilen, auch wenn dieser verfehlt ist oder das Beschwerdegericht ihn für verfehlt erachtet (vgl. [X.], Urteil vom 12. Januar 1983 - [X.], [X.]Z 86, 218, 221; Urteil vom 13. Juli 2010 - [X.]/09 Rn. 8, juris; [X.]/[X.] aaO § 538 Rn. 10, jeweils mwN). Ein wesentlicher Verfahrensmangel, der zum Fehlen einer ordnungsgemäßen Entscheidungsgrundlage führt, kann ferner nur angenommen werden, wenn er sich auf das Ergebnis der Entscheidung rechtlich ausgewirkt hat (vgl. [X.], Urteil vom 19. Oktober 1989 - [X.], [X.], 68, 69 = [X.], 274 - [X.]; Urteil vom 9. Mai 1996 - [X.], NJW 1996, 2155 jeweils mwN, zu § 539 ZPO).

9

2. Entgegen der Auffassung des [X.] leidet das Verfahren vor dem [X.] nicht an einem solchen Mangel. Die Markenstelle war nicht gehalten, im Hinblick auf eingetragene vergleichbare Marken im Einzelnen Gründe für eine differenzierte Beurteilung anzugeben oder darzulegen, dass es die Voreintragungen für rechtswidrig halte.

a) Maßgebliche Grundlage für die Entscheidung, ob die Eintragung des angemeldeten Zeichens als Marke für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu versagen ist, ist die Prüfung, ob eines der in § 8 Abs. 1 und 2 [X.] genannten [X.] gegeben ist. Diese Prüfung darf nicht abstrakt erfolgen. Sie hat sich vielmehr auf die Eigenschaften der Marke zu beziehen, deren Eintragung begehrt wird, und hängt in jedem Einzelfall von besonderen, im Rahmen ganz bestimmter Umstände anwendbaren Kriterien ab, anhand deren ermittelt werden soll, ob das angemeldete Zeichen unter eines der [X.] fällt (vgl. [X.], [X.], 667 Rn. 14 f. - Bild digital u.a./Präsident [X.]). Etwaige Entscheidungen über ähnliche Anmeldungen sind zwar, soweit sie bekannt sind, im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht; sie sind jedoch keinesfalls bindend ([X.] aaO Rn. 17, 19). Denn für die Entscheidung, ob der Markenanmeldung ein Eintragungshindernis entgegensteht, kommt es allein darauf an, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines der gesetzlich geregelten Schutzhindernisse gegeben sind. Der Umstand, dass identische oder ähnliche Zeichen als Marken eingetragen worden sind, ist demgegenüber nicht maßgebend ([X.] aaO Rn. 15, 18 f.).

b) Von diesen Grundsätzen ist auch die Markenstelle in ihren Beschlüssen ausgegangen. Sie hat zu Recht die Prüfung, ob das angemeldete Zeichen für die einzelnen beanspruchten Waren und Dienstleistungen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] von der Eintragung ausgeschlossen ist, maßgeblich darauf gerichtet, ob dem Zeichen insoweit jegliche Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift fehlt. Den Rechtsbegriff der Unterscheidungskraft hat die Markenstelle rechtsfehlerfrei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] und des [X.] im Sinne der konkreten Eignung des Zeichens bestimmt, die Waren und Dienstleistungen, für die die Eintragung begehrt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 21. Januar 2010 – [X.]8/08 P, [X.], 228 Rn. 33 - [X.] [Vorsprung durch Technik], mwN; [X.], Beschluss vom 19. November 2009 - [X.], [X.], 637 Rn. 12 = [X.], 888 - Farbe gelb). Zutreffend ist sie weiter davon ausgegangen, dass die Unterscheidungskraft zum einen im Hinblick auf die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen ist, wobei auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (vgl. [X.] aaO Rn. 34 - [X.] [Vorsprung durch Technik], mwN). Sodann hat sie die Wahrnehmung der von den hier beanspruchten Waren und Dienstleistungen angesprochenen Verkehrskreise ermittelt und auf dieser Grundlage für die im Einzelnen angeführten Waren und Dienstleistungen die Voraussetzungen des [X.]s nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] bejaht. Dabei hat die Markenstelle ausgeführt, dass die von der Anmelderin angeführten Entscheidungen und Voreintragungen zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten.

c) Darin kann entgegen der Auffassung des [X.]s kein wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne von § 70 Abs. 3 Nr. 2 [X.] gesehen werden. Von dem für die Anwendung des § 70 Abs. 3 Nr. 2 [X.] maßgeblichen (oben unter [X.]) materiell-rechtlichen Standpunkt der Markenstelle kam es allein darauf an, dass nach ihrer Beurteilung die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des [X.]s des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft hinsichtlich der von ihr im Einzelnen angeführten Waren und Dienstleistungen vorliegen. Bei dieser Beurteilung hat sie das Vorbringen der Anmelderin zu ähnlichen Anmeldungen und Voreintragungen hinreichend im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] berücksichtigt. Die Markenstelle musste, da sie die Voraussetzungen des [X.]s nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] bejaht hat, auf dieses Vorbringen auch deshalb nicht näher eingehen, weil zum einem (nicht begründeten) Eintragungen anderer Marken keine weiter gehenden Informationen im Hinblick auf die Beurteilung der konkreten Anmeldung entnommen werden können und zum anderen auch unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht von einer den rechtlichen Vorgaben entsprechenden Entscheidung abgesehen werden darf ([X.] aaO Rn. 18 - Bild digital, mwN). Das [X.] hätte somit schon aus diesem Grunde nicht gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 3 [X.] von einer eigenen Entscheidung absehen dürfen.

IV. Auf die Rechtsbeschwerde ist der angefochtene Beschluss daher aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 Satz 1 [X.]), das im Rahmen seiner eigenen umfassenden Prüfungsbefugnis (vgl. § 73 Abs. 1 [X.]) die erforderlichen Feststellungen zum Vorliegen des Schutzhindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] nachzuholen hat. Sollte das [X.] dabei zu dem Ergebnis gelangen, der Beurteilung der vorliegenden Anmeldung durch die Markenstelle liege eine rechtlich fehlerhafte Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zugrunde, sind in diesem Fall etwaige Voreintragungen gleichfalls ohne Bedeutung, weil dann schon die auf die konkrete Anmeldung beschränkte fehlerfreie Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zur Eintragung führt.

Bornkamm                                          Pokrant                                         Büscher

                            Bergmann                                       [X.]

Meta

I ZB 61/09

17.08.2010

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BPatG München, 10. Juni 2009, Az: 29 W (pat) 3/06, Beschluss

§ 8 Abs 1 MarkenG, § 8 Abs 2 MarkenG, § 70 Abs 3 Nr 2 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.08.2010, Az. I ZB 61/09 (REWIS RS 2010, 4037)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4037


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 29 W (pat) 3/06

Bundespatentgericht, 29 W (pat) 3/06, 07.03.2012.


Az. I ZB 61/09

Bundesgerichtshof, I ZB 61/09, 17.08.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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