Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.04.2015, Az. 5 StR 109/15

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 12772

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Gegenstand

Betäubungsmitteldelikt: Abgrenzung der Abgabe von Betäubungsmittel an Minderjährige und des Überlassens an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch; strafschärfende Wirkung für den "Normalfall" der Tatbestandsverwirklichung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Dezember 2014 gemäß § 349 Abs. 4 stopp

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an Minderjährige in vier Fällen und der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige schuldig ist, und

b) mit den zugehörigen Feststellungen im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen in vier Fällen und Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an einen Minderjährigen unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den Feststellungen ließ der Angeklagte an vier Tagen den im Tatzeitraum März/April 2013 15-jährigen [X.] seiner früheren Lebensgefährtin Marihuana mitrauchen, das er für den gemeinsamen [X.] in eine Pfeife bzw. einen Joint gefüllt hatte (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe). Schließlich überließ er dem Jugendlichen, der an dem [X.] inzwischen Gefallen gefunden hatte, eine Menge von 6,6 Gramm Marihuana. Davon konsumierte der Jugendliche gemeinsam mit Mitschülern am 26. April 2013, bevor das Rauschgift anschließend sichergestellt wurde (Fall 5 der Urteilsgründe).

3

2. Der Schuldspruch ist hinsichtlich der angewendeten [X.] des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG rechtsfehlerhaft und dem Antrag des [X.] entsprechend zu ändern. Danach hat der Angeklagte sich nur im Fall 5 der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige nach § 29a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 BtMG und in den ersten vier Fällen jeweils des [X.] von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Gebrauch an Minderjährige nach § 29a Abs. 1 Nr. 1 Fall 3 BtMG schuldig gemacht. Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne dieser Vorschrift bedeutet jede [X.] an eine andere Person zur freien Verfügung. An der [X.] zur freien Verfügung fehlt es aber, wenn das Betäubungsmittel, wie dies der Angeklagte getan hat, zum sofortigen Verbrauch an Ort und Stelle hingegeben wird; eine solche Fallgestaltung wird von der weiteren Tatbestandsvariante der [X.] erfasst (vgl. zur Abgrenzung [X.], Beschlüsse vom 8. Juli 1998 - 3 StR 241/98, [X.], 347, und vom 5. Februar 2014 - 1 [X.], [X.], 717; [X.] in Körner/[X.]/[X.], BtMG, 7. Aufl., § 29a Rn. 13 f.).

4

Der Richtigstellung des Schuldspruchs steht § 265 StPO nicht entgegen.

5

3. Die Strafzumessungsentscheidungen weisen durchgreifende Rechtsfehler auf.

6

a) Das [X.] hat bei den einzelnen Taten jeweils das Vorliegen eines minder schweren Falls im Sinne von § 29a Abs. 2 BtMG verneint und sowohl bei der [X.] als auch bei der konkreten Strafzumessung als strafschärfenden Umstand berücksichtigt, dass der Angeklagte als Lebensgefährte der Mutter des Jugendlichen „zu diesem in einem betreuungsähnlichen Verhältnis stand und quasi in der Rolle eines Stiefvaters war" ([X.]). Diese Bewertung steht jedoch im Widerspruch zu den Feststellungen und den weiteren Gründen des angefochtenen Urteils. Danach hat zwischen dem zur Tatzeit 25 Jahre alten Angeklagten und dem im großmütterlichen Haushalt lebenden [X.] seiner Lebensgefährtin ein „freundschaftliches Verhältnis" ([X.]) bestanden. Nach Überzeugung des [X.]s ist dem Angeklagten klar gewesen, dass der Jugendliche „ihn als den Älteren bewundert, auch und gerade wenn es sich eher um eine kumpelhafte Beziehung als um eine väterliche handelt" ([X.]). Hierfür hat sich das [X.] in der Beweiswürdigung ersichtlich auch auf die Aussage der Großmutter und gesetzlichen Vertreterin des Jugendlichen gestützt. Nach deren Beschreibung des engen freundschaftlichen Verhältnisses, die in der Sache den Bekundungen des Jugendlichen selbst entspricht, seien „die beiden wie zwei Schulfreunde gewesen, wie zwei alberne Kinder" ([X.] 11).

7

b) Bei Fall 5 hat das [X.] zudem straferschwerend gewertet, dass es sich bei den vom Angeklagten überlassenen 6,6 Gramm Marihuana nicht mehr nur um eine geringe, sondern um eine „normale" Menge gehandelt habe. Ungeachtet seiner bereits zweifelhaften Annahme, bezüglich des hier zu beurteilenden [X.] gelte eine Bruttogewichtsmenge von 6 Gramm als Obergrenze einer geringen Menge, wie sie in der Rechtsprechung für Cannabisharz (Haschisch) bisweilen angenommen worden ist (vgl. BayObLG, NJW 2003, 1681; [X.], aaO, § 29 Teil 28 Rn. 39 mwN; siehe aber auch [X.], Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 3 StR 245/95, [X.]St 42, 1, 10 f.), hat das [X.] damit einem - ohnehin nicht existenten (vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 349 ff.) - „Normalfall" der Tatbestandsverwirklichung strafschärfende Wirkung beigemessen. Hierdurch hat es gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen.

8

c) Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das [X.] bei rechtsfehlerfreier Vorgehensweise zur Anwendung des § 29a Abs. 2 BtMG und deshalb zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre.

9

d) Schon die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Überdies kann der Ausspruch über die Gesamtstrafe auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil das [X.] bezüglich der nach § 55 Abs. 1 StGB einbezogenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten aus dem Urteil des [X.] vom 2. Juli 2014 zwar das Delikt und die Tatzeit benannt, jedoch die herangezogenen wesentlichen Zumessungserwägungen nicht nachvollziehbar dargestellt hat. Das vorliegende Urteil lässt deshalb eine vollständige Überprüfung der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zu (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. Mai 2009 - 4 StR 130/09, [X.], 277, und vom 8. Februar 2011 - 4 StR 658/10; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1475 mwN; [X.], StGB, 62. Aufl., § 55 Rn. 17).

Schließlich hat das [X.] bei der Gesamtstrafenbildung strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte „im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nunmehr zweifach (vorbestraft)" gewesen sei ([X.] 14). Damit hat es rechtsfehlerhaft die einbezogene Strafe aus dem Urteil des [X.] vom 2. Juli 2014 als Vorstrafe gewertet und dabei verkannt, dass als solche nur eine Verurteilung, die vor der dem aktuellen Verfahren zugrunde liegenden Straftat erfolgt ist, in Betracht kommt.

[X.]                         Dölp                         König

                 Berger                       [X.]

Meta

5 StR 109/15

14.04.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Flensburg, 8. Dezember 2014, Az: 1 KLs 26/13

§ 29a Abs 1 Nr 1 Alt 1 BtMG, § 29a Abs 1 Nr 1 Alt 3 BtMG, § 46 Abs 1 StGB, § 46 Abs 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.04.2015, Az. 5 StR 109/15 (REWIS RS 2015, 12772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12772

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