Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.12.2018, Az. B 1 SF 2/15 S

1. Senat | REWIS RS 2018, 324

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Amtsenthebung eines ehrenamtlichen Richters - grobe Amtspflichtverletzung - Verurteilung wegen Bestechlichkeit


Tenor

[X.] wird seines Amtes enthoben.

Gründe

1

I.  C. ist [X.] beim BSG. Er wird seit dem 30.7.2015 aufgrund des Beschlusses des erkennenden Senats vom gleichen Tag bis zur Entscheidung über seine Amtsenthebung nicht mehr als [X.] herangezogen. Das [X.] verurteilte [X.] wegen Bestechlichkeit von [X.]n (§ 332 Abs 2 Strafgesetzbuch ) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten ohne Bewährung. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass [X.] unter Bezugnahme auf sein Amt von einem Verfahrensbeteiligten an Kündigungsschutzverfahren als Gegenleistung für eine sachfremde Beeinflussung von Entscheidungen des [X.], an dem er als [X.] tätig war, 130 Packungen Zigaretten und mehrere hochwertige Geschenke (zB Lederschreibmappen, Tischuhren oder Kugelschreiber) konkludent gefordert hatte (Urteil vom 10.10.2017 - 21 [X.]). Im auf das Strafmaß beschränkten Berufungsverfahren verurteilte das [X.] [X.] rechtskräftig wegen Bestechlichkeit unter Einbeziehung eines Urteils des [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die es zur Bewährung aussetzte (Urteil vom [X.] - 26 (b) [X.]/17).

2

Der Senat hat [X.] zu seiner beabsichtigten Amtsenthebung angehört (§ 22 Abs 2 [X.] iVm § 47 [X.] [X.]). Er hat daraufhin mitgeteilt, sein Amt als [X.] aus persönlichen Gründen niederzulegen.

3

II. [X.] ist seines Amtes zu entheben.

4

Nach Art 97 Abs 2 S 1 [X.] können [X.] wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben werden. Sinn und Zweck der hierdurch gewährleisteten persönlichen Unabhängigkeit ist die Sicherung der sachlichen Unabhängigkeit des [X.]s, die ihrerseits der Unparteilichkeit der Rspr dient (vgl [X.] 14, 56, 69 f; 14, 156, 162). Seinem Wortlaut nach bezieht sich die Vorschrift nur auf die "hauptamtlich und planmäßig angestellten [X.]". Aber auch [X.]n ist als ein Mindestmaß an persönlicher Unabhängigkeit garantiert, dass sie vor Ablauf ihrer Amtszeit gegen ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur unter den im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen aus ihrem Amt abberufen werden können ([X.] 14, 56, 70; 18, 241, 254 f; 26, 186, 198 f; 27, 312, 322 = [X.] [X.] zu Art 101 [X.] S Ab 3 R; [X.] ; 42, 206, 209 f; 87, 68, 85). Dieser Grundsatz wird in § 44 Deutsches [X.]gesetz ([X.]) und für die Sozialgerichtsbarkeit in § 22 [X.] einfachrechtlich ausgeformt (vgl [X.] 27, 312, 322 = [X.] [X.] zu Art 101 [X.] S Ab 3 R).

5

Nach § 22 Abs 1 [X.] iVm § 47 [X.] [X.] ist ein [X.] am [X.] zu entheben, wenn er seine Amtspflichten grob verletzt. Die Amtsenthebung bedarf keines Antrags; es genügt bereits das Bekanntwerden eines Enthebungsgrundes bei dem nach § 22 Abs 2 iVm § 47 [X.] [X.] zuständigen Senat (vgl [X.], 4 = [X.] 1500 § 22 [X.]). Der für das Amtsenthebungsverfahren geschäftsplanmäßig zuständige 1. Senat des BSG entscheidet durch Beschluss ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen [X.]. Da nach § 22 Abs 2 iVm § 47 [X.] [X.] keine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, kann die Entscheidung nach § 124 Abs 3 [X.] außerhalb der mündlichen Verhandlung durch Beschluss ergehen. Entscheidungen durch Beschluss ergehen, soweit die Hinzuziehung [X.] nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl etwa § 160a Abs 4 S 1 [X.]), ohne deren Hinzuziehung (vgl zum Ganzen ausführlich [X.], 4 = [X.] 1500 § 22 [X.]).

6

Eine grobe Amtspflichtverletzung iSd § 22 Abs 1 [X.] [X.] liegt grundsätzlich nur bei einer schwerwiegenden Zuwiderhandlung gegen die Pflichten eines ehrenamtlichen [X.]s vor (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - 2 BvR 225/13 - NZ[X.]014, 105 = Juris Rd[X.]1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 22 RdNr 7; [X.] Zeihe/[X.], [X.], Stand April 2018, § 22 [X.]). Die Verletzung einer Amtspflicht ist dann gröblich, wenn sie nach der Intensität der Handlung oder deren Häufigkeit schwerwiegend ist und die Ungeeignetheit des [X.]s für sein Amt belegt (vgl [X.] Beschluss vom 10.10.2011 - 1 P 147/11 - Juris Rd[X.]; OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 28.2.2008 - OVG 4 E 3.08 - Juris Rd[X.]). Wann das erforderliche Maß der Pflichtverletzung erreicht ist, ist eine Frage der Umstände des konkreten Einzelfalls. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist grundsätzlich zunächst von dem Mittel des Ordnungsgeldes (§ 21 [X.]) Gebrauch zu machen, bevor eine Amtsenthebung zu erwägen ist. In besonderen Fällen kann aber auch ohne die vorherige Verhängung von [X.] eine Amtsenthebung zulässig sein.

7

So liegt es hier. [X.] wurde rechtskräftig wegen Bestechlichkeit von [X.]n (§ 332 Abs 2 StGB) verurteilt. Dies stellt eine so schwerwiegende Verletzung seiner Amtspflichten dar, dass sie ohne Weiteres die Ungeeignetheit des ehrenamtlichen [X.]s für sein Amt belegt und die vorherige Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht in Betracht kommt. Die nach § 45 [X.] auch für ehrenamtliche [X.] geltende Neutralität und Unparteilichkeit des [X.]s ist der wichtigste und wesensprägende Grundsatz der [X.] im gewaltengeteilten Rechtsstaat nach dem [X.]. Das [X.] gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen [X.] zu stehen, der die [X.] und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl [X.] 4, 412, 416; 21, 139, 145 f; 23, 321, 325; 82, 286, 298; 89, 28, 36 = [X.] 3-1500 § 60 [X.]. Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des [X.]s (Art 97 Abs 1 und 2 [X.]) ist es wesentliches Kennzeichen der Rspr im Sinne des [X.], dass die richterliche Tätigkeit von einem "nicht beteiligten [X.]" ausgeübt wird (vgl [X.] 3, 377, 381; 4, 331, 346; 21, 139, 145; 27, 312, 322 = [X.] [X.] zu Art 101 [X.] S Ab 3; [X.]; 48, 300, 316; 87, 68, 85; 103, 111, 140). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen "[X.]" und "Gericht" untrennbar verknüpft (vgl [X.] 4, 331, 346; 60, 175, 214; 103, 111, 140). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (vgl [X.] 21, 139, 146; 103, 111, 140). Das Recht auf den gesetzlichen [X.] (Art 101 Abs 1 [X.] [X.]) gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem [X.], den [X.] sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden [X.] (vgl [X.] 89, 28, 36 = [X.] 3-1500 § 60 [X.], sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem [X.] steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (vgl [X.] 21, 139, 146; 89, 28, 36). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des [X.]s ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl [X.] 3, 377, 381; 37, 57, 65; 133, 168 RdNr 62).

8

Ein [X.], der unter Bezugnahme auf sein Amt von einem Verfahrensbeteiligten einen Vorteil für eine sachwidrige Beeinflussung von Gerichtsentscheidungen fordert, lässt eine die verfassungsmäßige Ordnung grundsätzlich in Frage stellende Einstellung erkennen und bietet nicht die Gewähr für eine den oben dargestellten Grundsätzen entsprechenden Amtsführung. Ua wegen eines solchen Fehlverhaltens wurde [X.] rechtskräftig wegen Bestechlichkeit von [X.]n zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Er bestreitet die Tat gegenüber dem erkennenden Senat nicht. Vielmehr hat er auf die Anhörung des Senats zur Amtsenthebung mitgeteilt, sein Amt als [X.] "aus persönlichen Gründen" niederzulegen. Das Fehlverhalten ist so schwerwiegend, dass der Schutz von Neutralität und Unparteilichkeit künftiger Entscheidungen des BSG und des Vertrauens der Öffentlichkeit hierauf nicht angemessen durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes gewährleistet werden kann. Der Amtsenthebung steht auch nicht entgegen, dass [X.] die Verfehlungen nicht bei der Ausübung seines Amtes als [X.] beim BSG, sondern als [X.] beim [X.] begangen hat. Denn sie stellen die richterliche Integrität des ehrenamtlichen [X.]s generell in Frage. Wenn selbst außerdienstliches Verhalten als grobe Amtspflichtverletzung angesehen werden kann, wenn dadurch das Vertrauen in die Integrität des [X.]s erschüttert wird oder negative Rückschlüsse auf die Pflichterfüllung des Betroffenen als [X.] gezogen werden können (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - 2 BvR 225/13 - NZ[X.]014, 105 = Juris Rd[X.]1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 22 RdNr 7; [X.] Zeihe/[X.], [X.], Stand April 2018, § 22 [X.]), gilt dies erst recht für Verfehlungen bei der Ausübung des [X.]amtes an einem anderen Gericht.

9

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 22 Abs 2 S 3 iVm § 47 [X.] [X.]).

Meta

B 1 SF 2/15 S

17.12.2018

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

Art 97 Abs 2 S 1 GG, § 21 SGG, § 22 Abs 1 S 2 SGG, § 22 Abs 2 SGG, § 47 S 2 SGG, § 332 Abs 2 StGB, § 44 Abs 2 DRiG, § 45 DRiG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.12.2018, Az. B 1 SF 2/15 S (REWIS RS 2018, 324)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 324

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2 BvR 225/13

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