Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.08.2021, Az. X ZR 25/20

10. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 2966

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Gegenstand

Ausgleichszahlung für Flugannullierung: Anrechnung auf Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten


Leitsatz

Eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO ist auf einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten, die für die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs angefallen sind, nicht anzurechnen.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Kläger werden das Urteil der 22. Zivilkammer des [X.] vom 2. März 2020 insoweit aufgehoben und das Urteil des [X.] vom 22. Juli 2019 insoweit abgeändert, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Kläger erkannt hat.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger von [X.] ihres Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 334,75 Euro freizustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger buchten für den 6. Mai 2018 einen Flug mit der Beklagten von [X.] über [X.] nach [X.] ([X.]) und zurück. Die Beklagte annullierte den Hinflug. Die Kläger erreichten [X.] mit einem Ersatzflug einen Tag später als geplant. Auf dem Rückweg annullierte die Beklagte den Anschlussflug von [X.] nach [X.]. Mit dem stattdessen durchgeführten Ersatzflug erreichten die Kläger [X.] mit einer Verspätung von über zehn Stunden.

2

Mit ihrer Klage haben die Kläger Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 2.400 Euro sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 Euro begehrt.

3

Wegen des Ausgleichsanspruchs für den Hinflug haben die Parteien den Rechtsstreit in erster Instanz nach einer Zahlung der Beklagten übereinstimmend für erledigt erklärt. Wegen des [X.] hat das Amtsgericht die Beklagte zur Zahlung von jeweils 250 Euro an jeden der beiden Kläger verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.

4

Auf die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von insgesamt jeweils 600 Euro pro Kläger verurteilt. Hinsichtlich des ebenfalls weiter verfolgten [X.] hat es die Berufung zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, der die Beklagte entgegentritt.

Entscheidungsgründe

5

Die zulässige Revision ist begründet und führt zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.

6

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergebe sich nicht aus § 280 und § 286 BGB. Die Beklagte sei erstmals durch das [X.] zur Leistung aufgefordert worden und habe sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Verzug befunden.

8

Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 280 Abs. 1 BGB und Art. 5 Abs. 1 und 7 [X.]. Eine Verletzung der Informationspflicht aus Art. 14 [X.] begründe nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Erstattung einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr. Fluggäste müssten nach Art. 14 [X.] nicht über ihre Rechte unterrichtet werden, sondern lediglich über die Regeln, nach denen solche Leistungen geltend gemacht werden könnten. Aus Erwägungsgrund 20 der Verordnung ergebe sich nichts Abweichendes. Aus diesen Gründen sei bei einer Verletzung der Informationspflicht allenfalls eine Gebühr für eine Erstberatung im Sinne von § 34 RVG erstattungsfähig, nicht aber eine Geschäftsgebühr.

9

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung haben die Kläger ihre Berufung auch hinsichtlich des Anspruchs auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ordnungsgemäß begründet.

a) Nach § 524 Abs. 2 und § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Danach müssen die rechtlichen Aspekte dargelegt werden, die der Berufungsführer als unzutreffend beurteilt ansieht, und die tatsächlichen oder rechtlichen Gründe angegeben werden, aus denen er die Fehlerhaftigkeit der rechtlichen Beurteilung und die Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ableiten will ([X.], Beschluss vom 24. November 2020 - [X.]/20, NJW-RR 2021, 189 Rn. 10; Urteil vom 13. November 2013 - [X.], [X.], 206 Rn. 10 - Einkaufskühltasche). Die Berufungsbegründung muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen ([X.], Beschluss vom 23. Oktober 2012 - [X.], [X.], 174 Rn. 10).

b) Diesen Anforderungen wird die Berufung der Kläger gerecht.

Mit ihrer Berufungsbegründung haben die Kläger geltend gemacht, die Rechtsansicht des Amtsgerichts finde in der Rechtsprechung keine Stütze. Um dies zu belegen, haben sie Urteile zitiert, von denen das erstinstanzliche Urteil abweicht.

Damit haben die Kläger hinreichend deutlich die Verletzung materiellen Rechts gerügt.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht den Klägern ein Anspruch auf Freistellung von den angefallenen vorgerichtlichen Anwaltskosten gemäß § 280 Abs. 1 BGB und Art. 5 Abs. 1 und 7 [X.] zu.

a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, hat der [X.] bereits entschieden, dass das ausführende Luftverkehrsunternehmen einem Fluggast, dem ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 [X.] zusteht, grundsätzlich auch die Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts erstatten muss, wenn es die ihm gemäß Art. 14 Abs. 2 [X.] obliegende Informationspflicht verletzt hat ([X.], Urteil vom 12. Februar 2019 - [X.], NJW 2019, 1373 Rn. 6 f.).

Diese Rechtsprechung hat der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils nochmals bestätigt ([X.], Urteil vom 1. September 2020 - [X.], [X.], 291 Rn. 21 ff.). Das dort zur Überprüfung stehende Urteil stammt von derselben Kammer des Berufungsgerichts und beruht im Wesentlichen auf denselben Erwägungen wie das im Streitfall angefochtene Urteil.

Wie der [X.] in der zuletzt angeführten Entscheidung ebenfalls nochmals näher dargelegt und begründet hat, gehört zu dem im Falle einer Verletzung der Informationspflicht nach Art. 14 Abs. 2 [X.] zu ersetzenden Schaden auch eine Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Vertretung ([X.], [X.], 291 Rn. 34 ff.).

b) Der Streitfall weist keine Besonderheiten auf, die insoweit zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ergibt sich aus dem Schutzzweck des Art. 14 Abs. 2 [X.] nicht, dass nach einer Verletzung der Informationspflicht nur die Kosten einer anwaltlichen Beratung zu ersetzen sind.

Art. 14 Abs. 2 [X.] dient zwar dem Zweck, dem Fluggast die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen zu ermöglichen. Wenn dieser Zweck mangels ordnungsgemäßer Information nicht erreicht wird, ist es unter schadensersatzrechtlichen Gesichtspunkten aber in der Regel nicht zu beanstanden, wenn der Fluggast einen anderen Weg sucht, um seine Rechte geltend zu machen. Hierzu gehört die Beauftragung eines Anwalts mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche ([X.], [X.], 291 Rn. 38).

III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO).

1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die geschuldete Ausgleichszahlung nicht auf den geltend gemachten Schaden anzurechnen.

a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] wird mit dem Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung eine pauschalierte Entschädigung für die Unannehmlichkeiten gewährt, die einem Fluggast mit der Annullierung eines Flugs entstehen ([X.], Urteil vom 23. Oktober 2012 - [X.]/10 und [X.]/10, [X.], 671 Rn. 74 - [X.]). Nicht erfasst sind hiervon individuelle Schäden, die der Fluggast über die allgemeinen Unannehmlichkeiten hinaus erlitten hat ([X.], Beschluss vom 28. Mai 2020 - [X.]/19, [X.], 190 Rn. 35 - [X.]).

Das zuständige nationale Gericht kann die nach der Verordnung gewährte Ausgleichszahlung auf einen weitergehenden Schadensersatzanspruch anrechnen. Es ist aber nicht dazu verpflichtet. Die Fluggastrechteverordnung gibt dem nationalen Gericht auch keine Bedingungen für die Anrechnung vor ([X.], Beschluss vom 28. Mai 2020 - [X.]/19, [X.], 190 Rn. 32 - [X.]; Urteil vom 29. Juli 2019 - [X.]/18, [X.] 2019, 280 Rn. 44 ff. - Rusu).

b) Nach den im [X.] Recht maßgeblichen Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind.

Hierbei soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet ([X.], Urteil vom 1. Juni 2021 - [X.], [X.], 993 Rn. 17; Urteil vom 30. September 2014 - [X.], NJW 2015, 553 Rn. 14; Urteil vom 28. Juni 2007 - [X.], [X.]Z 173, 83 Rn. 18).

2. Die Voraussetzungen für eine Anrechnung sind im Streitfall nicht gegeben.

Der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten betrifft nicht die Schäden, deren Kompensation die Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung dient. Er ist vielmehr auf Ausgleich von Schäden gerichtet, die im Zusammenhang mit der Durchsetzung entsprechender Ausgleichsansprüche des Reisenden entstanden sind.

Eine Anrechnung stünde weder mit dem Zweck des Ausgleichsanspruchs noch mit dem Zweck des Art. 14 Abs. 2 [X.] in Einklang. Sie würde dazu führen, dass ein Verstoß gegen die Informationspflicht für das Luftverkehrsunternehmen folgenlos bliebe, obwohl dem Fluggast dadurch ein zusätzlicher Schaden entstanden ist.

IV. [X.] ist zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

1. Nach den tatbestandlichen Feststellungen der Vorinstanzen ist die Beklagte dem Vorbringen der Kläger, die Beklagte habe ihre Informationspflichten aus Art. 14 Abs. 2 [X.] nicht erfüllt, nicht entgegengetreten.

Die Kläger haben deshalb Anspruch auf Ersatz der Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts.

2. Die geltend gemachte Forderung, die sich aus einer 1,3 Geschäftsgebühr, der Pauschale für Post und Telekommunikation und der Umsatzsteuer zusammensetzt, ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 und § 91a ZPO.

[X.]     

      

Hoffmann     

      

Deichfuß

      

Kober-Dehm     

      

Marx     

      

Meta

X ZR 25/20

31.08.2021

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Düsseldorf, 2. März 2020, Az: 22 S 314/19

Art 7 Abs 1 EGV 261/2004, Art 12 Abs 1 EGV 261/2004, Art 14 Abs 2 EGV 261/2004, § 249 Abs 1 BGB, § 280 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.08.2021, Az. X ZR 25/20 (REWIS RS 2021, 2966)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 1381-1382 REWIS RS 2021, 2966

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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