Bundessozialgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. B 14 AS 164/11 R

14. Senat | REWIS RS 2012, 3768

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Entschädigungszahlungen für einen Nichtvermögensschaden wegen Benachteiligung eines schwerbehinderten Menschen im Bewerbungsverfahren - Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - arbeitsgerichtlicher Vergleich


Leitsatz

Entschädigungszahlungen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind in der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Schmerzensgeld einzustufen und daher von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Juli 2011 aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem [X.] ([X.]) für die [X.] vom 1.12.2009 bis zum [X.]. Streitig ist, ob das beklagte Jobcenter bei der Leistungsberechnung Zahlungen als Einkommen berücksichtigen durfte, die der Kläger aus arbeitsgerichtlichen Vergleichen erhalten hat.

2

Der 1955 geborene Kläger ist gelernter Bibliothekar. Er ist schwerbehindert mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 60 vH. Seit Juli 2008 stand er bei dem Beklagten im Leistungsbezug. Er erhielt Leistungen in unterschiedlicher Höhe, zuletzt änderte der Beklagte mit Bescheid vom [X.] die Bewilligung für die Monate Juli bis Dezember 2009 und gewährte 581,13 [X.], bestehend aus einer Regelleistung von 359 [X.] und anerkannten monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 222,13 [X.]. Ab November 2009 setzte der Kläger den Beklagten von verschiedenen Vergleichen in arbeitsgerichtlichen Verfahren in Kenntnis, aus denen er Entschädigungen empfangen habe, weil seine Bewerbungen bei verschiedenen öffentlich-rechtlichen Körperschaften abgelehnt worden seien, ohne dabei seinen Status als Schwerbehinderten hinreichend zu berücksichtigen. Der Kläger teilte folgende [X.] mit:

3

- Arbeitsgericht [X.], [X.]. 2 Ca 2521/09, Vergleich vom 30.10.2009: Zahlung von 3708 [X.], am 2.12.2009 dem Konto des [X.] gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht [X.], [X.]. 6 Ca 540/09, Vergleich vom 25.11.2009: Zahlung von 1300 [X.], dem Konto des [X.] am [X.] gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht [X.], [X.]. 10 Ca 217/09, Vergleich vom [X.]: Zahlung von 1800 [X.], dem Konto des [X.] am [X.] gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht [X.], [X.]. 15 Ca 7409/09, Vergleich vom [X.]: Zahlung von 2900 [X.], dem Konto des [X.] am 1.4.2010 gutgeschrieben.
- Zahlung von 2300 [X.] aufgrund einer außergerichtlichen Einigung wegen Ablehnung der Bewerbung des [X.] als Bibliothekar, der Betrag wurde dem Konto des [X.] am 6.12.2010 gutgeschrieben.
- Arbeitsgericht [X.], [X.]. 15 Ca 2227/10, Vergleich über eine Zahlung von 4000 [X.], dem Konto des [X.] am 17.12.2010 gutgeschrieben.

4

Der Beklagte bewertete diese aus den Vergleichen zugeflossenen Zahlungen als anrechenbares Einkommen des [X.] und berücksichtigte die Einnahmen jeweils verteilt auf zwölf Monate. Vorliegend geht es um die Berücksichtigung der bis zum [X.] zugeflossenen Zahlungen. Mit Bescheid vom 18.2.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger für Dezember 2009 unter teilweiser Aufhebung des Bewilligungsbescheides zunächst Leistungen in Höhe von 193,80 [X.]. Er ging dabei - wie zuvor - von einem Bedarf des [X.] in Höhe von 581,13 [X.] aus und berücksichtigte 417,33 [X.] als Einkommen abzüglich einer Pauschale von 30 [X.] für private Versicherungen. Mit Bescheid vom [X.] korrigierte der Beklagte die Leistungsbewilligung auf 302,13 [X.] im Monat und berücksichtigte nur noch Einkommen des [X.] in Höhe von 309 [X.]. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom [X.] als unbegründet zurückgewiesen, der Kläger hat daraufhin Klage erhoben.

5

Mit vorläufigem Bescheid vom [X.] gewährte der Beklagte dem Kläger für die Monate Januar bis Juni 2010 zunächst wiederum Leistungen in Höhe von 193,80 [X.] monatlich. Diese Leistungsbewilligung wurde, wie für den Monat Dezember 2009, auf 302,13 [X.] endgültig festgesetzt, wobei wiederum Einkommen in Höhe von 309 [X.] berücksichtigt wurde. Der insoweit eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid ebenfalls vom [X.] als unbegründet zurückgewiesen.

6

Nach Eingang der Zahlung von 1800 [X.] am [X.] aus dem Rechtsstreit 10 Ca 217/09 vor dem Arbeitsgericht [X.] und Eingang von 2900 [X.] am 1.4.2010 aus dem Verfahren 15 Ca 7409/09 vor dem Arbeitsgericht [X.] änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Monate Januar bis Juni 2010 nochmals ab. Zuletzt wurden mit Bescheid vom [X.] für die Monate Januar bis März 2010 152,13 [X.] gewährt und weitere Leistungen für die Monate April bis Juni ganz versagt. Bei der Berechnung berücksichtigte der Beklagte die Summen aus den zuvor genannten Vergleichen und legte sie jeweils auf zwölf Monate um. Dagegen hat der Kläger nochmals Widerspruch eingelegt und sodann im Juni 2010 Klage erhoben.

7

Zuvor hatte er einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, der vor dem Sozialgericht ([X.]) ohne Erfolg geblieben ist. Die eingelegte Beschwerde war bei dem [X.] ([X.]) teilweise erfolgreich. Bei der erhaltenen Zahlung handele es sich um eine anrechnungsfreie Entschädigungsleistung für einen Nichtvermögensschaden wegen Missachtung der spezifischen Rechte als Schwerbehinderter im Bewerbungsverfahren. Das [X.] hat sodann die beiden zuvor genannten Klageverfahren verbunden und ist mit dem angegriffenen Urteil vom 14.7.2011 der Begründung des [X.] gefolgt. Unter Abänderung der angefochtenen Bescheide hat es den Beklagten verurteilt, dem Kläger monatlich Leistungen in Höhe von 581,13 [X.] zu gewähren. Von der Berücksichtigung als Einkommen seien gemäß § 11 Abs 3 Nr 2 [X.] aF Einnahmen ausgenommen, soweit sie als Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geleistet werden. Es sei dabei davon auszugehen, dass es sich bei den zugeflossenen Summen aus den jeweiligen Vergleichen um Ausgleichszahlungen nach § 15 Abs 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ([X.]) handele, die unter § 253 Abs 2 BGB zu fassen seien, weil Schmerzensgeld auch bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts gewährt werde.

8

Mit der von ihm eingelegten Sprungrevision macht der Beklagte geltend, die im [X.] vom 1.12.2009 bis [X.] zugeflossenen [X.] seien leistungsmindernd als Einkommen zu berücksichtigen. Das [X.] habe zu Unrecht ohne Weiteres unterstellt, dass es sich dabei jeweils um einen Anspruch aus § 15 Abs 2 [X.] gehandelt habe. Tatsächlich sei den arbeitsgerichtlichen Verfahren keine Feststellung zu entnehmen, ob und inwieweit überhaupt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft des [X.] im Sinne des [X.] vorgelegen habe. Es handele sich damit um normale Vergleiche nach § 779 BGB. Selbst wenn Rechtsgrundlage sämtlicher geschlossener Vergleiche tatsächlich § 15 Abs 1 und 2 [X.] sei, seien die Zahlungen auf dieser Grundlage dennoch nicht von der Einkommensberechnung auszunehmen. Dies sei nur ein Aspekt von mehreren, es sei deshalb auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B[X.]) zur Anrechnung von Abfindungszahlungen wegen Verlustes des Arbeitsplatzes abzustellen. Danach sei eine Berücksichtigung als Einkommen zulässig, obwohl den [X.] sowohl ein materieller als auch ein immaterieller Charakter zukomme. Schließlich scheitere eine Privilegierung selbst für den Fall, dass man die Einnahmen des [X.] als Entschädigung iS von § 11 Abs 3 Nr 2 [X.] aF ansehe, an der sogenannten Gerechtfertigkeitsprüfung.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 14. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des [X.] für zutreffend und verweist zusätzlich darauf, dass mit dem Verbot der Diskriminierung nach dem [X.] und der Einführung des [X.] europarechtliche Vorgaben umgesetzt worden seien. § 15 [X.] sei die zentrale Haftungsnorm wegen einer Verletzung des arbeitsrechtlichen [X.]. Im Übrigen treffe es nicht zu, dass er es von vornherein darauf angelegt habe, Entschädigungszahlungen zu erhalten, er sei seit 2004 arbeitslos und bemühe sich seitdem ernsthaft um freigewordene Stellen.

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig (§ 161 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>) und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Verweisung an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung 170 Abs 2 und 4 [X.]G) begründet. Der [X.] konnte nicht abschließend entscheiden, denn es fehlt sowohl an ausdrücklichen Feststellungen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 [X.]B II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.] ([X.] 1706) als auch an Feststellungen zur Angemessenheit der [X.]osten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs 1 [X.]B II, die nach dem Antrag des [X.] vor dem [X.] vom Streitgegenstand umfasst sind. Insbesondere hat das [X.] nicht ausreichend festgestellt, ob es sich bei den Zahlungen aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen um Entschädigungszahlungen nach § 15 Abs 2 AGG gehandelt hat.

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom [X.], mit dem Leistungen nach dem [X.]B II vom 1.10.2009 bis 31.12.2009 bewilligt worden sind, und der Änderungsbescheid vom [X.], mit dem die Leistungen abgesenkt wurden, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], sowie der Bescheid vom [X.], mit dem vorläufig Leistungen für die Monate Januar bis Juni 2010 bewilligt worden sind, mit (endgültigem) Änderungsbescheid vom [X.], beide in Gestalt eines Widerspruchsbescheids ebenfalls vom [X.]. Hinzu kommt ein weiterer während des Laufs der [X.]lagefrist ergangener Änderungsbescheid vom [X.], nochmals betreffend die Monate Januar bis März 2010 und sodann April bis Juni 2010, für diese letzten drei Monate wurden keine Leistungen mehr bewilligt, weil aufgrund der Höhe des angerechneten Einkommens kein Leistungsanspruch verblieb. Diese Bescheide hat der [X.]läger in zulässiger Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage angegriffen (§ 54 Abs 4 [X.]G). Bei der Antragstellung ist allerdings ebenso wenig wie in der Tenorierung des [X.] berücksichtigt worden, dass von Dezember 2009 bis März 2010 jeweils Teilleistungen gewährt wurden, die von dem beantragten Betrag von 581,13 Euro in Abzug zu bringen gewesen wären. Dieser Betrag besteht aus der Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro und offenbar unstreitigen und anerkannten [X.]osten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 222,13 Euro. Es geht vorliegend um die Differenz zwischen dem Betrag von 581,13 Euro und den bewilligten Beträgen, die sich ergibt, wenn der [X.] aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen anteilig als Einkommen berücksichtigt wird.

2. Ob der Beklagte die Zuflüsse aus den geschlossenen Vergleichen, soweit sie für den vorliegenden streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.12.2009 bis zum [X.] maßgeblich sind, gemäß § 11 Abs 1 [X.]B II (in der bis zum [X.] unveränderten Fassung durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954, im Folgenden: [X.]B II aF) als Einkommen berücksichtigen durfte, konnte nicht abschließend entschieden werden.

Nach § 11 Abs 1 [X.]B II aF sind grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen. Ausnahmen gibt es zum einen nach § 11 Abs 3 Nr 1 [X.]B II aF für die vorliegend ersichtlich nicht einschlägigen zweckbestimmten Einnahmen und für Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege. Darüber hinaus sind von der Berücksichtigung als Einkommen gemäß § 11 Abs 3 Nr 2 [X.]B II aF nur Entschädigungen freigestellt, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 [X.] geleistet werden. Zu den Entschädigungen nach § 253 Abs 2 [X.] zählen im Ergebnis auch auf der Grundlage von § 15 Abs 2 AGG geleistete Zahlungen.

a) Dies ergibt sich allerdings nicht aus der aktuellen zivilrechtlichen Systematik. Zum [X.] hat der Gesetzgeber in § 253 [X.] einen einheitlichen Schmerzensgeldanspruch geschaffen, der bisherige Wortlaut wurde als Abs 1 vorangestellt, Abs 2 ersetzt § 847 [X.] aF. Die Neuregelung bezweckte einen stärkeren Opferschutz (BT-Drucks 14/7752, [X.]). Die Regelung gilt jedoch nur für die ausdrücklich in § 253 Abs 2 [X.] aufgezählten Rechtsgüter; diese Aufzählung hat abschließenden Charakter ([X.] in [X.] [X.]ommentar, [X.], Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl 2007, § 253 RdNr 27). Damit sind von einer Entschädigung nach § 253 Abs 2 [X.] nicht nur das Eigentum und diesem vergleichbar absolut geschützte Vermögensrechte ausgenommen, sondern auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sofern dieses nicht über den Tatbestand der sexuellen Selbstbestimmung erfasst wird. Der Gesetzgeber ist damit der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) gefolgt, der einen Anspruch auf Ersatz eines ideellen Schadens wegen einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ursprünglich auf eine Analogie zu § 847 [X.] aF gestützt hatte. Später wurde ein Anspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedoch in ständiger Rechtsprechung unmittelbar aus § 823 [X.] iVm Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) hergeleitet (vgl zB [X.], Urteil vom 5.10.2004 - [X.]/03 - [X.]Z 160, 298). Der Gesetzgeber hat § 253 Abs 2 [X.] ausdrücklich nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht erstreckt (BT-Drucks 14/7752, [X.]). Soweit daher für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ersatz eines immateriellen Schadens verlangt wird, ist grundsätzlich weiter § 823 [X.] iVm Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1 GG unter Ausschluss des § 253 Abs 2 [X.] Anspruchsgrundlage ([X.] in [X.], [X.], 71. Aufl 2012, § 253 RdNr 10). Eine Entschädigungszahlung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterliegt somit auch weiterhin den von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen ([X.] in jurisP[X.]-[X.], § 253 RdNr 44 mit Bezug auf [X.], Beschluss vom 19.12.1991 - 1 BvR 382/85 - NJW 1992, 815, 816). Der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, § 253 Abs 2 [X.] bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts analog anzuwenden (vgl [X.] in [X.] [X.]ommentar, [X.], Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl 2007, § 253 RdNr 27). Es sollte vielmehr bei diesem komplexen Rechtsgut die umfassende Prüfung mit Güter- und Interessenabwägung aufrechterhalten werden.

b) Der Gesetzgeber hat allerdings diesen aktuellen systematischen Ansatz aus dem zivilrechtlichen Bereich nicht in das Sozialrecht übernommen. Bereits zu Zeiten der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes ([X.]) ist in den Materialien zum Entwurf von § 77 [X.] (BT-Drucks 7/308 vom [X.] zu [X.]) festgehalten worden, dass "der neue Absatz 2 (des § 77 [X.]) den Anwendungsbereich des § 847 [X.] insgesamt erfassen (soll), also auch die Fälle, in denen die Rechtsprechung in Anlehnung an § 847 [X.] einen Schmerzensgeldanspruch zuerkennt …".

Für das [X.]B II strebte der Gesetzgeber keine Veränderung zur Rechtslage nach dem [X.] an, sondern lehnte sich ausdrücklich an die Regelungen der Einkommensberücksichtigung an, wie sie im Sozialhilferecht gegolten hatten. Im Entwurf des [X.] am Arbeitsmarkt (BT-Drucks 15/1516 vom [X.], [X.] zu § 11) heißt es im Hinblick auf die Ausnahmebestimmung in § 11 Abs 3 [X.]B II aF in der dortigen Fassung: "Absatz 3 orientiert sich ebenfalls am Sozialhilferecht und nimmt bestimmte Einnahmen wegen ihres Charakters oder der Zweckbestimmung von der Einkommensberücksichtigung aus." Ausgehend von dieser Willensbekundung des Gesetzgebers sollte sowohl die Auslegung von § 11 Abs 3 Nr 2 [X.]B II aF als auch die nun ab dem 1.4.2011 geltende Vorschrift des § 11a Abs 2 [X.]B II nF, in der § 11 Abs 3 Nr 2 [X.]B II aF aufgegangen ist, an die Vorgängernorm § 77 Abs 2 [X.] anknüpfen.

c) Entschädigungszahlungen nach § 15 Abs 2 AGG sind daher wegen der Entscheidung des Gesetzgebers, im Sozialrecht alle Schmerzensgeldansprüche gleich zu behandeln, auch dann unter § 11 Abs 3 Nr 2 [X.]B II aF zu subsumieren, wenn der Anspruch auf einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (§ 1 AGG) seitens des Arbeitgebers beruht und deshalb zivilrechtlich nicht unter § 253 Abs 2 [X.] fallen würde ([X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, Stand 6/2010, [X.] § 11 RdNr 689; [X.] in [X.], [X.]B II/[X.]B III, Stand 1/2009, § 11 RdNr 68; Söhngen in jurisP[X.]-[X.]B II, Stand 7/2009, § 11 RdNr 65; Brühl in LP[X.]-[X.]B II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr 71).

Dies setzt allerdings voraus, dass eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs 2 AGG tatbestandlich vorliegt, dh dass die Voraussetzung eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot positiv festgestellt worden ist (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]reikebohm/Udsching, Arbeitsrecht [X.]ommentar 2008, § 15 AGG RdNr 6 und 8). Der [X.] kann die rechtliche Bewertung im Revisionsverfahren nicht nachholen, da es an jeglichen tatsächlichen Feststellungen zu den Grundlagen und zum Inhalt der arbeitsgerichtlichen Vergleiche fehlt. Die Aussage des [X.], "nach dem Hintergrund der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen und den in den Vergleichen gewählten Formulierungen" handele es sich bei den dem [X.]läger zugeflossenen Zahlungen um Schadensersatz für Nichtvermögensschäden wegen der Missachtung seiner spezifischen Rechte als Schwerbehinderter im Bewerbungsverfahren, lässt nicht erkennen, an welche Feststellungen das [X.] seine Wertung anknüpft. Wird in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich die Zahlung eines Geldbetrages vereinbart, so kann dies nur dann als eine gemäß § 11 Abs 3 Nr 2 [X.]B II aF von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellende Entschädigung nach § 15 Abs 2 AGG gewertet werden, wenn dieser Rechtsgrund im arbeitsgerichtlichen Vergleich zum Ausdruck gekommen ist und der Vergleich nicht lediglich zur Beseitigung der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens abgeschlossen wurde.

d) Ergeben die weiteren Feststellungen, dass sich den maßgebenden Vergleichen nicht entnehmen lässt, dass sie im Hinblick auf die Regelung in § 15 Abs 2 AGG geschlossen wurden, so sind die Zahlungen an den [X.]läger ab dem jeweiligen [X.] als Einkommen gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF zu berücksichtigen und gemäß § 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II-Verordnung in der Fassung vom 18.12.2008 ([X.] 2780) auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen (B[X.] Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]; Urteil vom 28.10.2009 - [X.] AS 64/08 R) wie dies bereits im Hinblick auf die in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes (B[X.] Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 47/08 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]) bzw in Bezug auf Nachzahlungen von Arbeitsentgelt und Abfindung in Raten aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich (B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/08 R) entschieden worden ist.

Das [X.] wird schließlich noch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 14 AS 164/11 R

22.08.2012

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Köln, 14. Juli 2011, Az: S 17 AS 2387/10, Urteil

§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 11 Abs 3 Nr 2 SGB 2 vom 24.12.2003, § 253 Abs 2 BGB, § 847 BGB, § 15 Abs 2 AGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. B 14 AS 164/11 R (REWIS RS 2012, 3768)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3768

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