Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.04.2021, Az. 1 BvR 2552/18, 1 BvR 65/19, 1 BvR 132/19, 1 BvR 202/19, 1 BvR 292/19, 1 BvR 716/19, 1 BvR 854/19, 1 BvR 855/19, 1 BvR 2280/19, 1 BvR 2312/19, 1 BvR 2555/19, 1 BvR 2642/19, 1 BvR 396/20, 1 BvR 939/20

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2021, 6828

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Rechtsschutzgarantie vermittelt keinen Anspruch auf Verbescheidung von Eingaben, die missbräuchlich, offensichtlich wiederholend oder sinnlos vorgebracht werden - sowie zu Aufklärungspflichten bei Zweifeln an der Prozessfähigkeit eines Beteiligten - Verwerfung offensichtlich unzulässiger Ablehnungsgesuche


Tenor

Die [X.] in den Verfahren 1 BvR 202/19 und 1 BvR 2280/19 gegen die Richterin [X.], die Richterin [X.] und [X.] werden als unzulässig verworfen.

Die [X.] werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin lehnt die für den Beschluss der Kammer verantwortlichen [X.]innen und [X.] ab. Die pauschale Ablehnung einer ganzen Kammer ist jedoch ebenso offensichtlich unzulässig wie die Ablehnung einer [X.]in, die - wie hier die [X.]in [X.] - nicht zur Mitwirkung in diesem Verfahren berufen ist (vgl. [X.] 46, 200 sowie [X.], Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 3. Juli 2013 - 1 BvR 782/12 -, Rn. 4, und der [X.] des Zweiten Senats vom 22. Mai 2019 - 2 BvR 750/19 -, Rn. 4). Einer dienstlichen Stellungnahme zu solchen Ablehnungsgesuchen bedarf es nicht und die Betroffenen sind nicht von der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ausgeschlossen (vgl. [X.] 131, 239 <252 f.>; 133, 377 <405 Rn. 69>; ferner [X.]K 8, 59 <60>).

II.

2

Die [X.] sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, denn sie sind weitgehend unzulässig und im Übrigen unbegründet.

3

1. Die Beschwerdeführerin wendet sich in dem Verfahren 1 BvR 2552/18 insbesondere dagegen, dass das [X.] ihr mit Beschlüssen vom 21. Juni 2018 und 27. Juni 2018 mitgeteilt hat, künftig über ihre zahlreichen Anträge zu in der Sache entschiedenen Verfahren nicht mehr zu entscheiden. Hintergrund seien die Substanzlosigkeit und offensichtliche Aussichtslosigkeit der sich vielfach nur wiederholenden Anträge.

4

2. Diese Vorgehensweise ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

5

a) Verfassungsrechtlich ist es grundsätzlich nicht zulässig, Anträge oder Eingaben schlicht nicht mehr zu bescheiden. Dies würde die Rechtsschutzgarantie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen, denn sie umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten und auf eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche Entscheidung in der Sache (vgl. [X.] 54, 277 <291>; 85, 337 <345>; 107, 395 <401>). Die Gerichte sind verpflichtet, auch über unzulässige Anträge ausdrücklich zu befinden.

6

Im Ausgangspunkt muss sich ein Gericht mit jedem Vorbringen inhaltlich befassen, wenn sich dem Verhalten der Prozesspartei entnehmen lässt, dass es zumindest auch um ein von der prozessrechtlich eingeräumten Befugnis gedecktes Anliegen geht. Das gilt selbst dann, wenn Gerichte vielfach immer wieder und in ähnlichen Fällen angerufen werden, denn die Rechtsschutzgarantie ist nicht mengenmäßig begrenzt.

7

b) Erscheinen Anträge einer Prozesspartei jedoch nicht nur offensichtlich aussichtslos, sondern folgen zudem immer demselben Muster, verlängern nur eine bereits förmlich entschiedene Auseinandersetzung und belasten die handelnde Person selbst mit Nachteilen wie den Prozesskosten, gilt dies so allerdings nicht. Gerichte sollen durch eine offensichtlich sinnlose Inanspruchnahme ihrer Arbeitskapazitäten nicht bei der Erfüllung ihrer Aufgaben behindert werden, auch weil sie dann anderen Rechtsuchenden den ihnen zukommenden Rechtsschutz nur verzögert gewähren können. Ein prozessökonomischer Umgang mit hartnäckig auf ihrer Auffassung zu Sach- und Rechtsfragen insistierenden, aber von wiederholten begründeten Entscheidungen der Gerichte nicht erreichbaren Parteien liegt insofern im Interesse der Rechtspflege insgesamt. Für die Gerichte bewirken derartige sich wiederholende Anträge Mehrarbeit und für die Betroffenen gehen damit oftmals psychische und auch ökonomische Belastungen einher. In eng umgrenzten Fällen darf ein Gericht daher zwar nicht von der Prüfung, aber von einer förmlichen Bescheidung weiterer Eingaben absehen.

8

Die Rechtsschutzgarantie umfasst insofern nicht den Anspruch darauf, eine förmliche Entscheidung auch auf Eingaben zu erhalten, die missbräuchlich, offensichtlich wiederholend oder sinnlos vorgebracht werden. Gerichte müssen eindeutig missbräuchliche Anträge (zu § 34 Abs. 2 [X.]G vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 4. April 2018 - 2 BvR 412/18 -) ebenso wenig bescheiden wie ganz offensichtlich schlicht wiederholende, den Streit lediglich verlängernde Anträge derselben Sache (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 21. November 2018 - 1 BvR 1653/18 u.a. -, Rn. 6).

9

c) Danach ist das gerichtliche Vorgehen hier nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen einer förmlichen gerichtlichen Entscheidung waren nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin hat Anträge gestellt, die sich vielfach wiederholen und immer demselben Muster folgen. Sie waren formal auf neue Entscheidungen gerichtet, dienten aber offensichtlich dazu, eine andere Entscheidung in der Sache zu erwirken, über die gerichtlich bereits entschieden worden war; die Beschwerdeführerin wiederholt das bereits abgewiesene Vorbringen nur in einem neuen Gewand. Wenn das [X.] darauf mit Beschlüssen reagiert, in denen künftig in identischen Situationen keine richterliche Entscheidung mehr in Aussicht gestellt wird, verletzt dies nicht die Rechtsschutzgarantie. Denn erst im Falle tatsächlich neuer Anliegen bedarf es neuer Entscheidungen.

3. Soweit die Beschwerdeführerin etwa im Verfahren 1 BvR 2642/19 rügt, das [X.] habe in den Ausgangsverfahren Anträge wegen nicht behebbarer Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit als unzulässig verworfen, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.

a) Bestehen insoweit Zweifel an der nach § 51 Abs. 1, § 52 ZPO erforderlichen Prozessfähigkeit der Antragstellenden, muss das Gericht diese nach § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen klären. Es muss sämtliche zur Verfügung stehenden Beweismittel ausschöpfen und die Betroffenen auf die Möglichkeiten hinweisen, wie die Zweifel zu beseitigen wären (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. Juni 2016 - 1 BvR 2509/15 -, Rn. 14 m.w.[X.]). [X.] sich die Betroffenen, an weiterer Aufklärung mitzuwirken und verbleiben nach Erschöpfung aller sonstigen erschließbaren Erkenntnisse hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit, so gehen etwa noch vorhandene Zweifel zu ihren Lasten (vgl. [X.], Urteil vom 20. Januar 2000 - 2 [X.] -, juris, Rn. 23; [X.], Beschluss vom 9. November 2010 - [X.]/09 -, Rn. 4 m.w.[X.]).

b) Dem hat das [X.] Rechnung getragen. So legt es etwa im Beschluss vom 1. Oktober 2019 - 3 Sa 7/17 - ausführlich dar, aus welchen Gründen es Zweifel an der Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin hat, dass diese Zweifel wegen der Weigerung, an einer Begutachtung mitzuwirken, nicht ausgeräumt werden konnten, und die Möglichkeiten des Gerichts damit erschöpft seien; die verbleibenden Zweifel gingen dann zu Lasten der Beschwerdeführerin, so dass von ihrer Prozessunfähigkeit auszugehen sei. Hier ist nicht ersichtlich, dass dem [X.] jenseits der Begutachtung weitere Aufklärungsmittel zugänglich waren, die es nicht genutzt hätte.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2552/18, 1 BvR 65/19, 1 BvR 132/19, 1 BvR 202/19, 1 BvR 292/19, 1 BvR 716/19, 1 BvR 854/19, 1 BvR 855/19, 1 BvR 2280/19, 1 BvR 2312/19, 1 BvR 2555/19, 1 BvR 2642/19, 1 BvR 396/20, 1 BvR 939/20

19.04.2021

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BAG, 27. Juni 2018, Az: 8 AZA 95/17 (F), Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 19 Abs 1 BVerfGG, § 19 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 51 Abs 1 ZPO, § 56 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.04.2021, Az. 1 BvR 2552/18, 1 BvR 65/19, 1 BvR 132/19, 1 BvR 202/19, 1 BvR 292/19, 1 BvR 716/19, 1 BvR 854/19, 1 BvR 855/19, 1 BvR 2280/19, 1 BvR 2312/19, 1 BvR 2555/19, 1 BvR 2642/19, 1 BvR 396/20, 1 BvR 939/20 (REWIS RS 2021, 6828)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6828

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 782/12

2 BvR 750/19

2 BvR 412/18

1 BvR 2509/15

VI ZR 249/09

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