Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2019, Az. I ZB 30/18

1. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 6539

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Gegenstand

Urheberrechtsstreit: Unrichtige Belehrung über das zuständige Rechtsmittelgericht


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 18. April 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 3.605,78 €

Gründe

1

I. Die Klägerin ist die [X.], die Beklagte betreibt einen Verlag. Die Parteien schlossen am 5. Oktober 2010 einen [X.]. Die Klägerin verlangt mit der vorliegenden Klage Rückzahlung des aufgrund der Gutschrift vom 8. Dezember 2014 an die Beklagte ausgezahlten Ausschüttungsbetrags in Höhe von 3.605,78 € und macht geltend, die Auszahlung sei ohne rechtlichen Grund erfolgt.

2

Das [X.] hat der Klage mit Urteil vom 21. November 2017 stattgegeben. In der Rechtsbehelfsbelehrung hat das Amtsgericht das [X.] als Berufungsgericht benannt.

3

Die Beklagte hat gegen das ihr am 1. Dezember 2017 zugestellte amtsgerichtliche Urteil mit einem beim [X.] am 29. Dezember 2017 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb des vom [X.] gewährten Verlängerungszeitraums begründet.

4

Das [X.] hat die Beklagte mit Beschluss vom 8. März 2018 darauf hingewiesen, dass die Berufung der Beklagten nicht zulässig sein dürfte, weil gemäß § 1 der Landesverordnung über die landgerichtliche Zuständigkeit in [X.]n des [X.] (UrhZustV-SH) für die Berufung das [X.] zuständig sein dürfte. Die Beklagte hat daraufhin die Abgabe des Rechtsstreits an das funktionell zuständige [X.] beantragt. Mit Beschluss vom 18. April 2018 hat das [X.] gemäß § 522 Abs. 1 ZPO die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

5

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des [X.] und die Zurückverweisung der Sache an das zuständige Gericht beantragt.

6

II. Das [X.] ist von seiner Unzuständigkeit ausgegangen und hat die Berufung deshalb als unzulässig angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

7

Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handele es sich um eine [X.] im Sinne von § 104 Abs. 1 [X.], für die gemäß § 1 UrhZustV-SH das [X.] ausschließlich zuständig sei. Eine Verweisung des Rechtsstreits sei im [X.] nicht möglich.

8

[X.]. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu unter [X.]) und hat auch in der Sache Erfolg. Das [X.] hat im angefochtenen Beschluss zwar mit Recht angenommen, dass es sich bei der vorliegenden Sache um eine [X.] handelt und gemäß § 1 UrhZustV-SH für die Berufung das [X.] funktionell zuständig ist (dazu unter [X.]). Gleichwohl hat das [X.] die Berufung zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Beklagte durfte aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts ihre Berufung fristwahrend auch beim [X.] einlegen. Das [X.] war deshalb gehalten, die Streitsache an das funktionell zuständige [X.] zu verweisen (dazu unter [X.] 3).

9

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil der Sache - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen unter II 2 b ergibt - grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zudem ist die Sache nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), nach dem der Zugang zu den durch die Zivilprozessordnung eröffneten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2005 - 1 BvR 1924/04, [X.], 1931, 1932 [juris Rn. 17] mwN). Dem trägt die angegriffene Entscheidung - wie sich gleichfalls aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - nicht hinreichend Rechnung.

2. Allerdings hat das [X.] mit Recht angenommen, dass für die Berufung der Beklagten im Streitfall das [X.] funktionell zuständig ist.

a) Die Bestimmung des § 105 Abs. 1 [X.] ermächtigt Landesregierungen, durch Rechtsverordnung [X.]n, für die das [X.] in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, für die Bezirke mehrerer [X.]e einem von ihnen zuzuweisen, wenn dies der Rechtspflege dienlich ist. Gemäß dieser Ermächtigung hat das [X.] in § 1 UrhZustV-SH bestimmt, dass alle [X.]n, für die die [X.]e [X.] in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig sind, dem [X.] zugewiesen sind.

[X.]n sind nach § 104 Satz 1 [X.] Rechtsstreitigkeiten, durch die ein Anspruch aus einem der im Urheberrechtsgesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird. Zweck der Konzentration von [X.]n auf den ordentlichen Rechtsweg (§ 104 Satz 1 [X.]) und der Ermächtigung zur Konzentration solcher Streitsachen bei bestimmten Amtsgerichten (§ 105 Abs. 2 [X.]) und [X.]en (§ 105 Abs. 1 [X.]) ist die besondere Sachkunde des auf [X.] spezialisierten Gerichts. Wegen dieses Zwecks ist der Begriff der [X.] weit auszulegen. Unter den Begriff fallen daher außer Streitigkeiten über Anspruchsgrundlagen aus dem Urheberrechtsgesetz, aus dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz und aus dem Verlagsgesetz auch Streitigkeiten über Angelegenheiten aus anderen Gesetzen oder Rechtsquellen, die unter Anwendung der genannten drei Gesetze zu entscheiden sind, so dass urheberrechtlichen Rechtsquellen zumindest mittelbare Relevanz zukommt ([X.], Beschluss vom 22. März 2016 - [X.], [X.], 636 Rn. 13 = [X.], 728 - Gestörter Musikvertrieb, mwN).

b) Nach diesem Maßstab handelt es sich bei der vorliegenden Sache um eine Urheberechtsstreitsache, auch wenn die Klägerin die Beklagte aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB in Anspruch nimmt. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Berechtigung einer Ausschüttung, die die Klägerin der Beklagten gemäß dem zwischen den Parteien geschlossenen urheberrechtlichen [X.] geleistet hat. In dem [X.] hat die Beklagte der Klägerin als Treuhänderin die ihr aus übertragenen urheberrechtlichen Nutzungsrechten oder Vergütungsansprüchen an Werken von bildenden Künstlern und Bildautoren gegenwärtig zustehende oder künftig anfallenden Ansprüche zur Wahrnehmung und Einziehung übertragen. [X.] Rechtsquellen kommt damit für den geltend gemachten [X.] zumindest mittelbare Relevanz zu.

c) Die vom Landesgesetzgeber gemäß § 105 [X.] vorgenommene Zuständigkeitsbestimmung betrifft die funktionelle Zuständigkeit des maßgeblichen Gerichts ([X.], [X.], 636 Rn. 11 - Gestörter Musikvertrieb; [X.], Beschluss vom 7. Juni 2018 - [X.], [X.], 1294 Rn. 12 = [X.], 80 - [X.]).

3. Die von der Beklagten danach gegenüber dem [X.] als dem zuständigen Berufungsgericht einzuhaltenden Fristen zur Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 1 ZPO) und zu deren Begründung (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO) sind im Streitfall durch die im Streitfall fristgerechte Einreichung der Berufung und der Berufungsbegründung beim funktionell unzuständigen [X.] gewahrt worden. Dieses ist gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO gemäß dem Antrag der Beklagten an das zuständige [X.] zu verweisen.

a) Allerdings kann die Berufung fristwahrend grundsätzlich nur bei dem nach der Zuständigkeitskonzentration zuständigen Gericht eingereicht werden, wenn die gesetzliche Regelung zur Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren eindeutig ist (vgl. [X.], [X.], 636 Rn. 18 - Gestörter Musikvertrieb, mwN). Die hier in Rede stehende Regelung zur Zuständigkeit für die Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung in [X.]n lässt jedoch nicht stets mit hinreichender Sicherheit erkennen, ob über das Rechtsmittel das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht oder aber das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hat, das nach der Spezialregelung zuständig ist, durch die die Zuständigkeit bei einem bestimmten Rechtsmittelgericht konzentriert worden ist. Mit der Frage, ob eine [X.] vorliegt, können schwierige [X.] verbunden sein. Diese können dazu führen, dass für die Parteien die Beurteilung, bei welchem Gericht Berufung einzulegen ist, zweifelhaft erscheinen kann. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit, nach dem für die Parteien zweifelsfrei erkennbar sein muss, welches Rechtsmittel für sie in Betracht kommt und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist ([X.]E 108, 341, 349; [X.], Beschluss vom 19. November 2015 - [X.], [X.] 2016, 1580 Rn. 2; [X.], [X.], 636 Rn. 19 - Gestörter Musikvertrieb), gebietet in einem solchen Fall die Zulassung der fristwahrenden Berufungseinlegung und -begründung beim allgemein zuständigen Rechtsmittelgericht ([X.], [X.], 636 Rn. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb; [X.], 1294 Rn. 14 - [X.]). Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen ([X.], [X.], 1294 Rn. 15 - [X.], mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - das erstinstanzliche Gericht in seiner Rechtsmittelbelehrung unzutreffend das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht angegeben hat (vgl. [X.], [X.], 636 Rn. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb; [X.], 1294 Rn. 15 - [X.]).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung der Beklagten beim [X.] fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das [X.] war gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO antragsgemäß an das funktional zuständige [X.] zu verweisen.

IV. Nach alledem kann der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss des [X.]s keinen Bestand haben. Er ist deshalb aufzuheben, die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das [X.] wird die Sache gemäß dem Antrag der Beklagten entsprechend § 281 ZPO an das zuständige [X.] zu verweisen haben.

Koch     

        

Schaffert     

        

Löffler

        

Schwonke     

        

Feddersen     

        

Meta

I ZB 30/18

06.06.2019

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Itzehoe, 18. April 2018, Az: 9 S 118/17

§ 104 UrhG, § 105 UrhG, § 281 ZPO, § 574 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, § 1 UrhZustV SH

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2019, Az. I ZB 30/18 (REWIS RS 2019, 6539)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 6539

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