Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.05.2022, Az. 2 AZR 467/21

2. Senat | REWIS RS 2022, 3250

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) UNTERNEHMEN KÜNDIGUNG ARBEITSAMT

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Gegenstand

Massenentlassungsanzeige - Fehlen der sog. Soll-Angaben


Leitsatz

Das Fehlen der sog. Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers gegenüber der Agentur für Arbeit.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten zu 1. wird das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2021 - 14 [X.] 1228/20 - aufgehoben, soweit darin zu ihren Lasten erkannt worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die [X.]che zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte zu 1. (im Folgenden Beklagte) beschäftigte in ihrem Betrieb regelmäßig mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmer. In der [X.] vom 18. Juni bis zum 18. Juli 2019 kündigte sie insgesamt 17 Arbeitsverhältnisse, darunter das der Klägerin.

3

Diese hat mit der vorliegenden Klage ua. geltend gemacht, die ihr am 18. Juni 2019 zugegangene Kündigung sei nach § 134 BGB nichtig, weil die Beklagte - als solches unstreitig - nicht zuvor gegenüber der [X.] die Angaben gemäß § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG gemacht habe.

4

Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Interesse - sinngemäß beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. Juni 2019 aufgelöst worden ist.

5

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Auf den Einspruch der Klägerin hat es dem Kündigungsschutzantrag unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils entsprochen. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Antrag weiter, die Kündigungsschutzklage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das [X.] ihre Berufung gegen das dem Kündigungsschutzantrag auf den zulässigen Einspruch der Klägerin (§ 59 [X.]rbGG, § 340 ZPO) unter teilweiser [X.]ufhebung des klageabweisenden Versäumnisurteils stattgebende erstinstanzliche Urteil nicht zurückweisen. Das [X.] hat die Kündigung vom 18. Juni 2019 rechtsfehlerhaft für nichtig gehalten. Ob das [X.]rbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung aufgelöst worden ist, kann der [X.] nicht selbst entscheiden. Das führt zur [X.]ufhebung des Berufungsurteils (§ 562 [X.]bs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 563 [X.]bs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses zulasten der Beklagten erkannt hat.

7

I. Das Berufungsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag zu Unrecht mit der Begründung entsprochen, die streitbefangene Kündigung sei gemäß § 17 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] iVm. § 134 [X.] nichtig, weil die Beklagte vor deren Zugang nicht gegenüber der [X.] die [X.]ngaben nach § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] gemacht habe.

8

1. Den vom [X.] getroffenen Feststellungen lässt sich schon nicht entnehmen, dass die Klägerin im Zuge einer nach § 17 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] anzeigepflichtigen Massenentlassung entlassen worden ist.

9

a) Dazu müsste die Beklagte innerhalb eines [X.]raums von 30 Kalendertagen mehr als fünf [X.]rbeitnehmer entlassen haben, darunter die Klägerin. [X.]ls Entlassung gilt der Zugang einer Kündigungserklärung (vgl. [X.] 27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 39; [X.] 27. Januar 2022 - 6 [X.] ([X.]) - Rn. 27).

b) Das Berufungsgericht hat nur festgestellt, dass die Beklagte „in der [X.] vom 18. Juni 2019 bis zum 18. Juli 2019“ insgesamt 17 [X.]rbeitsverhältnisse „gekündigt“ hat. Dies lässt nicht eindeutig erkennen, wann die weiteren Kündigungen den betreffenden [X.]rbeitnehmern zugegangen sind. Zudem erscheint es wenigstens möglich, dass das [X.] den 18. Juli 2019 in seine Betrachtung eingeschlossen hat. Dann aber handelte es sich - unter Einbezug des 18. Juni 2019 - um einen [X.]raum von 31 Kalendertagen, wobei die Möglichkeit offenbleibt, dass die Beklagte mehr als elf Kündigungen erst am letzten Tag hat zugehen lassen.

c) Der [X.] folgt nicht einer im Schrifttum vertretenen [X.]uffassung, wonach sich die „30-Tage-Frist“ des § 17 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.] gemäß § 187 [X.]bs. 1 iVm. § 188 [X.]bs. 1 [X.] berechne, so dass der Tag, an dem die streitbefangene Kündigung zuging, unberücksichtigt bleibe (vgl. [X.]/Spelge 5. [X.]ufl. § 121 Rn. 81). Richtigerweise geht es nicht um die Berechnung einer Frist iSd. §§ 186 ff. [X.], sondern darum, ob der [X.]rbeitgeber innerhalb eines [X.]raums, der 30 Kalendertage (00:00 Uhr bis 24:00 Uhr) umfasst, eine bestimmte [X.]nzahl von Entlassungen vorgenommen hat (a[X.] [X.] 25. [X.]pril 2013 - 6 [X.] - Rn. 155, dort indes unter [X.]nwendung von § 187 [X.]bs. 2, § 188 [X.]bs. 1 [X.], die vorliegend zu einer [X.]spanne vom 18. Juni 2019 bis zum 17. Juli 2019 führte). Jedenfalls geht § 17 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.] einer [X.]nwendung von § 187 [X.]bs. 1 und § 193 [X.] vor. [X.]ndernfalls könnte der im Gesetz eindeutig bestimmte 30-Tage-[X.]raum auf einen deutlich längeren ausgedehnt werden (vgl. [X.]/[X.] [X.] 16. [X.]ufl. § 17 Rn. 55).

2. Sollte die Klägerin - wohin eine Erklärung der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] deutet - im Zuge einer anzeigepflichtigen Massenentlassung entlassen worden sein, wäre die streitbefangene Kündigung nicht deshalb nach § 134 [X.] nichtig, weil die Beklagte vor ihrem Zugang nicht gegenüber der [X.] die [X.]ngaben nach § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] gemacht hat.

a) § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] ist nach dem im Gesetzeswortlaut, in der Gesetzessystematik und in den Gesetzesmaterialien zum [X.]usdruck gebrachten Willen des - nationalen - Gesetzgebers eindeutig nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige ausgestaltet. Nur das Fehlen einer wirksamen [X.]nzeige könnte aber in unionsrechtskonformer [X.]uslegung von § 17 [X.]bs. 3 [X.] gemäß § 134 [X.] zur Nichtigkeit einer im Rahmen der betreffenden Massenentlassung erklärten Kündigung führen (vgl. [X.] 22. November 2012 - 2 [X.] - Rn. 20 ff., [X.]E 144, 47).

aa) Bei § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] handelt es sich um eine an den [X.]rbeitgeber adressierte [X.]. Die Verletzung von an Private gerichteten Sollbestimmungen führt regelmäßig nicht zur Unwirksamkeit der betreffenden Rechtshandlung (vgl. BayObLG 14. Juli 1981 - [X.] 32/81 - zu II 3 a (1) der Gründe; [X.]/[X.] 81. [X.]ufl. § 134 Rn. 6a; [X.]/[X.] [X.] 18. [X.]ufl. § 134 Rn. 10 [X.]). Diese Regel wird für die Massenentlassungsanzeige bestätigt in der Begründung des [X.] vom 19. Oktober 1977 für das [X.] zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes vom 27. [X.]pril 1978 ([X.]l. I S. 550), durch das der jetzige [X.]bs. 3 in § 17 [X.] eingefügt wurde. Danach ist der Inhalt der [X.]nzeige in Bezug auf die in Satz 5 vorgesehenen [X.]ngaben „nur in einer Sollbestimmung festgelegt“ ([X.]. 8/1041 S. 5).

[X.]) Entscheidend tritt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 17 [X.]bs. 3 Satz 4 [X.] eine Mussregelung getroffen und in der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung vom 2. März 1995 für das Gesetz zur [X.]npassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das [X.]-Recht vom 20. Juli 1995 ([X.]l. I S. 946), durch den § 17 [X.]bs. 3 Satz 4 [X.] zur Erweiterung der Unterrichtungs- und [X.]nzeigepflichten bei Massenentlassungen im Zuge der Umsetzung der [X.]/[X.] vom 24. Juni 1992 ([X.]) seine gegenwärtige Fassung erhalten hat, ausgeführt hat: „Diese Vorschrift stellt - wie bisher - sicher, daß das [X.]rbeitsamt alle für die [X.]rbeitsverwaltung bestimmten Informationen auch dann erhält, wenn kein Betriebsrat vorhanden ist, dessen Unterrichtung dem [X.]rbeitsamt durch eine [X.]bschrift der Mitteilung zur Kenntnis gebracht werden könnte“ ([X.]. 13/668 S. 14). Danach soll - entsprechend der Trennung in eine Mussbestimmung und eine [X.] (vgl. [X.] 29. September 2005 - 8 [X.] - zu II 1 b [X.] (3) der Gründe, [X.]E 116, 78; 25. Oktober 1994 - 3 [X.] - zu [X.] 2 c aa der Gründe) - zwar § 17 [X.]bs. 3 Satz 4 [X.], nicht aber § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] eine Regelung zum zwingenden Inhalt der Massenentlassungsanzeige treffen (vgl. [X.]/[X.] 2022, 41, 47 f.; siehe auch [X.]/Salamon Kündigungsschutz Kap. 3 Rn. 100).

cc) Zudem ist in gesetzessystematischer Hinsicht zu beachten, dass § 17 [X.]bs. 3 Satz 4 [X.] vom [X.]rbeitgeber zwar die [X.]ngabe der Zahl und der Berufsgruppen sowie der vorgesehenen Kriterien für die [X.]uswahl der zu entlassenden [X.]rbeitnehmer verlangt, nicht hingegen die Individualisierung der Betroffenen (a[X.] - insoweit nicht tragend - [X.] 13. Juni 2019 - 6 [X.] - Rn. 25, [X.]E 167, 102). Dann aber können die „personenbezogenen“ [X.]ngaben nach § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] keine „Muss-[X.]ngaben“ sein. Dies gilt auch, wenn der [X.]rbeitgeber sie bei Erstattung der Massenentlassungsanzeige bereits machen könnte.

dd) Damit läuft § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] nicht leer. Der Gesetzgeber des [X.] zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes hat den nach seiner Vorstellung über die damals in nationales Recht umzusetzenden Vorgaben der Richtlinie 75/129/[X.] vom 17. Februar 1975 zur [X.]ngleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen hinausgehenden ([X.]. 8/1041 S. 5) Zweck der Bestimmung, die [X.]rbeitsvermittlung der Betroffenen zu fördern, aufgrund der Beschlussempfehlung des [X.] in den Gesetzestext aufgenommen ([X.]. 8/1546 S. 8). [X.]usweislich des Zusatzes „für die [X.]rbeitsvermittlung“, der sich in § 17 [X.]bs. 3 Satz 4 [X.] nicht findet, hat § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] einen rein sozialrechtlichen Regelungsgehalt. Indem die Vorschrift den [X.]rbeitgeber (im Einvernehmen mit dem Betriebsrat) zur Mitwirkung veranlasst, um so im Sinne der Solidargemeinschaft den Eintritt des Versicherungsfalls der [X.]rbeitslosigkeit möglichst zu vermeiden oder doch dessen Dauer zu begrenzen, geht sie über eine lediglich programmatische Zielvorstellung des Gesetzgebers hinaus (vgl. [X.] 29. September 2005 - 8 [X.] - zu II 1 b [X.] (3) der Gründe, [X.]E 116, 78 zu § 2 [X.]bs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III). Das trifft in abgeschwächter Form auch noch unter Geltung von § 38 [X.]bs. 1 SGB III zu.

ee) Nach alledem spielt es keine Rolle, dass der [X.] die in § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] vorgesehenen [X.]ngaben nur „im Einvernehmen mit dem Betriebsrat“ zu unterbreiten sind. [X.]llerdings ist die [X.]nnahme des Gesetzgebers, der [X.]rbeitgeber könne diese [X.]ngaben [X.] („etwa“) deshalb „häufig … noch nicht machen“, weil dadurch die Verhandlungen mit dem Betriebsrat belastet würden ([X.]. 8/1041 S. 5), nicht überholt (a[X.] [X.]/Spelge 5. [X.]ufl. § 121 Rn. 189). Zwar wird das [X.] nach § 17 [X.]bs. 2 [X.] - so es infolge einer zuständigen [X.]rbeitnehmervertretung geboten ist - bei Erstattung der Massenentlassungsanzeige abgeschlossen sein. Doch hatte der Gesetzgeber gerade auch die Interessenausgleichsverhandlungen gemäß §§ 111 ff. [X.] (vgl. [X.]. 8/1041 aaO). Diese können aber noch andauern, wenn der [X.]rbeitgeber eine Massenentlassungsanzeige erstattet. Im [X.] besteht weder ein Einigungszwang noch ist der [X.]rbeitgeber verpflichtet, die Einigungsstelle anzurufen. Demgegenüber kann der Betriebsrat ihn im Verfahren nach §§ 111 ff. BetrVG über die Einigungsstelle dazu zwingen, einen Interessenausgleich wenigstens zu versuchen (§ 112 [X.]bs. 2 Satz 2, [X.]bs. 3 BetrVG). Mit der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige zwischen dem Ende der Konsultationen und dem ausreichenden Versuch eines Interessenausgleichs beginnt der [X.]rbeitgeber auch nicht iSv. § 113 [X.]bs. 3 BetrVG mit der Betriebsänderung. Die [X.]nzeige zwingt ihn nicht zum [X.]usspruch von Kündigungen ([X.] 14. [X.]pril 2015 - 1 [X.] 794/13 - Rn. 25).

b) § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] ist auch nicht im Hinblick auf die Vorgaben der [X.]/[X.] vom 20. Juli 1998 zur [X.]ngleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ([X.]), geändert durch die Richtlinie ([X.]) 2015/1794 vom 6. Oktober 2015, als eine die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige bestimmende Mussvorschrift zu verstehen. Davon hat der [X.] ohne ein darauf bezogenes Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] (im [X.]) gemäß [X.]rt. 267 [X.]bs. 3 [X.][X.]V auszugehen.

aa) Zum einen ist eine entsprechende richtlinienkonforme [X.]uslegung von § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] nicht möglich. Die Entscheidung des [X.] Gesetzgebers, in § 17 [X.]bs. 3 Satz 4 und Satz 5 [X.] zwischen „Muss-[X.]ngaben“ und „Soll-[X.]ngaben“ zu trennen, die nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Massenentlassungsanzeige sind, sondern allein die [X.]rbeitsvermittlung der Betroffenen fördern sollen, ist - wie gezeigt - eindeutig und weder nach Wortlaut, Systematik, Zweck noch Gesetzeshistorie lückenhaft oder unvollständig (zutreffend [X.] NZ[X.] 2022, 26, 28; ebenso [X.]/[X.] 2022, 41, 47 f.). Mit einer Uminterpretation von § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] in eine kündigungsrechtliche Mussvorschrift würden die nationalen Gerichte sich aus der Rolle des [X.] und die Grenze zu einer normsetzenden Instanz überschreiten (vgl. [X.] 23. Mai 2016 - 1 BvR 2230/15 [X.] - Rn. 36 ff. und 49; 26. September 2011 - 2 [X.][X.] - Rn. 50 und 56). Die Pflicht zur Verwirklichung eines - vermeintlichen - Richtlinienziels darf aber nicht als Grundlage für eine [X.]uslegung des nationalen Rechts contra legem dienen ([X.] 12. Mai 2022 - [X.]/20 - [[X.]] Rn. 57; 15. Januar 2014 - [X.]/12 - [[X.]] Rn. 39; [X.] 17. November 2017 - 2 BvR 1131/16 - Rn. 37; 26. September 2011 - 2 [X.] [X.] - Rn. 47). Wann letzteres der Fall ist, haben allein die nationalen Gerichte zu beurteilen (vgl. [X.] 21. Januar 2021 - [X.]/19 - [[X.]] Rn. 62 ff.; 16. Juli 2009 - [X.]/08 - [Mono Car Styling] Rn. 62 ff.; [X.] 10. Dezember 2014 - 2 BvR 1549/07 - Rn. 31). Ein diesbezügliches Vorabentscheidungsersuchen wäre unzulässig. Der Gerichtshof ist nicht befugt, das Recht eines Mitgliedstaats auszulegen ([X.] 26. Januar 2021 - [X.]/19 - [[X.]] Rn. 31; 21. September 2017 - [X.]/16 - [[X.] [X.]] Rn. 23).

[X.]) Zum anderen ist eine richtlinienkonforme [X.]uslegung von § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] als eine die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige regelnde Mussvorschrift nicht geboten. Durch die - aufgrund ihrer präjudiziellen Wirkung ([X.] 28. Juli 2021 - 10 [X.] 397/20 ([X.]) - Rn. 35 ff.) vom [X.] zugrunde zu legende - Rechtsprechung des Gerichtshofs ist geklärt, dass die betreffenden [X.]ngaben nicht gemäß [X.]rt. 3 [X.]bs. 1 Unterabs. 4 [X.] in der [X.]nzeige enthalten sein müssen.

(1) Nach [X.]rt. 3 [X.]bs. 1 Unterabs. 1 [X.] hat der [X.]rbeitgeber der zuständigen Behörde „alle beabsichtigten Massenentlassungen … anzuzeigen“. Das Tatbestandsmerkmal, dass ein [X.]rbeitgeber Massenentlassungen „beabsichtigt“, entspricht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einem Fall, in dem noch keine Entscheidung getroffen worden ist ([X.] 10. Dezember 2009 - [X.]/08 - [[X.] [X.]] Rn. 48; 27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 36). Die [X.]nzeigepflichten entstehen nach seiner inzwischen gefestigten [X.]uffassung vor einer Entscheidung des [X.]rbeitgebers zur Kündigung von [X.]rbeitsverträgen ([X.] 21. September 2017 - [X.]/16 - [[X.] [X.]] Rn. 32; 21. September 2017 - C-149/16 - [X.] [X.]] Rn. 29; 10. Dezember 2009 - [X.]/08 - aaO; 10. September 2009 - [X.]/08 - [[X.] Keskusliitto [X.]EK [X.]] Rn. 38; 27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 37). Danach verlangt die [X.] nicht, „dass die Kündigung im [X.]punkt der Erstattung der [X.]nzeige auf den einzelnen [X.]rbeitnehmer ‚heruntergebrochen‘, die Entscheidung, ... welche [X.]rbeitnehmer zu entlassen sind, also bereits gefallen ist“ (so aber - jeweils nicht tragend - [X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] 146/19 - Rn. 71, [X.]E 169, 362; 13. Juni 2019 - 6 [X.] - Rn. 31, [X.]E 167, 102). Es ist im Gegenteil unionsrechtlich mindestens zulässig, dass der [X.]rbeitgeber die Massenentlassungsanzeige bereits erstattet, wenn die Identität der (voraussichtlich) zu entlassenden [X.]rbeitnehmer noch nicht feststeht, also im Sinne der Rechtsprechung des [X.] noch keine Entscheidung über die Beendigung bestimmter [X.]rbeitsverhältnisse getroffen wurde. Dem entspricht es, dass der aus [X.]rt. 2 [X.]bs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b [X.] übernommene Katalog von [X.]ngaben, die „insbesondere“ in der Massenentlassungsanzeige enthalten sein müssen, in [X.]rt. 3 [X.]bs. 1 Unterabs. 4 [X.] nicht einmal die Kategorien der zu entlassenden [X.]rbeitnehmer umfasst, sondern nur deren Zahl. Wenn aber die [X.] nicht verlangt, dass die konkret zu entlassenden Mitarbeiter bei Erstattung der [X.]nzeige bereits feststehen, können auf bestimmte [X.]rbeitnehmer bezogene [X.]ngaben - wie diejenigen gemäß § 17 [X.]bs. 3 Satz 5 [X.] - keine unionsrechtlich gebotene Voraussetzung für die Wirksamkeit der [X.]nzeige sein ([X.]/[X.] 2022, 41, 44; vgl. insoweit auch [X.] 13. Juni 2019 - 6 [X.] - Rn. 25, [X.]E 167, 102).

(2) Der [X.] weist nur ergänzend darauf hin, dass es gleichwohl der zuständigen Behörde iSv. [X.]rt. 4 [X.]bs. 2 [X.] ermöglicht wird, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen (zu diesem Zweck der Massenentlassungsanzeige [X.] 27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 47), also die besonderen sozioökonomischen [X.]uswirkungen zu bewältigen, die solche Entlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten [X.] Umgebung hervorrufen können (vgl. [X.] 13. Mai 2015 - [X.]/13 - [[X.] [X.]] Rn. 32; 15. Februar 2007 - C-270/05 - [[X.]] Rn. 28). Hierfür genügt es, dass sie sich auf die Entlassung einer größeren [X.]nzahl von [X.]rbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen kann (insoweit zutreffend [X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] 146/19 - Rn. 71 und 109, [X.]E 169, 362).

(3) Ebenfalls lediglich weiterführend merkt der [X.] an, dass der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“ nach der aufgezeigten [X.]uslegung der [X.] auch nicht deshalb nach der Nichtigkeit der Kündigung gemäß § 134 [X.] verlangt, weil der betreffende [X.]rbeitnehmer nicht „von der Massenentlassungsanzeige erfasst“ war (so aber [X.] 28. Juni 2012 - 6 [X.] 780/10 - Rn. 50, [X.]E 142, 202) oder der [X.]rbeitgeber in der [X.]nzeige nicht einmal die „Kategorie“ (korrekt) angegeben hat, der dieser [X.]rbeitnehmer zuzurechnen ist. Sollte der [X.]rbeitgeber die angezeigte Zahl der insgesamt zu entlassenden [X.]rbeitnehmer überschreiten, dürfte dies die auf die bevorstehende Massenentlassung bezogene Tätigkeit der [X.] nur beeinflussen können, wenn es sich um eine derart erhebliche [X.]bweichung handelt, dass sie „mit einer solchen Flut“ nicht rechnen musste und deshalb ihre Vermittlungsbemühungen nicht entsprechend einrichten konnte. [X.]llenfalls dann dürfte es, um der [X.] nicht ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen, geboten sein, die Nichtigkeit - in diesem Fall aber möglicherweise aller betreffenden Kündigungen - nach § 134 [X.] anzunehmen.

II. Die Kündigung ist, selbst wenn sie im Zuge einer Massenentlassung erfolgt sein sollte, auch nicht unmittelbar wegen eines Verstoßes gegen [X.]srecht unwirksam oder nichtig, was der [X.] ebenfalls ohne ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß [X.]rt. 267 [X.]bs. 3 [X.][X.]V entscheiden kann. Dies setzte voraus, dass Primärrecht der [X.], zB die [X.] (GRC), für sich genommen dem [X.]rbeitnehmer ein subjektives, als solches geltend zu machendes und über die aufgezeigten sekundärrechtlichen Vorgaben der [X.] hinausgehendes Recht verliehe, dass in einer Massenentlassungsanzeige auf seine Person bezogene [X.]ngaben enthalten sind. Daran fehlt es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegend schon deshalb, weil - anders als etwa [X.]rt. 21 GRC (Nichtdiskriminierung) - sowohl [X.]rt. 27 GRC (Recht auf Unterrichtung und [X.]nhörung der [X.]rbeitnehmerinnen und [X.]rbeitnehmer im Unternehmen) als auch [X.]rt. 30 GRC (Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung) durch Bestimmungen des [X.]srechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden müssen, was insbesondere darin zum [X.]usdruck kommt, dass sie selbst auf die Fälle und Voraussetzungen abstellen, die nach dem [X.]srecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind ([X.] 15. Januar 2014 - [X.]/12 - [[X.]] Rn. 44 f.).

III. Der [X.] kann nicht selbst entscheiden, ob das vom [X.]rbeitsgericht erlassene Versäumnisurteil auch hinsichtlich der [X.]bweisung des Kündigungsschutzantrags aufrechtzuerhalten ist (§ 563 [X.]bs. 3, § 343 Satz 1 ZPO). Das [X.] hat dahinstehen lassen, ob die Massenentlassungsanzeige vor Zugang der streitbefangenen Kündigung bei der [X.] eingegangen ist. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, wäre die Kündigung, falls sie im Zuge einer Massenentlassung erfolgt sein sollte, gemäß § 17 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] iVm. § 134 [X.] nichtig (vgl. [X.] 27. Januar 2022 - 6 [X.] ([X.]) - Rn. 21; 21. März 2013 - 2 [X.] 60/12 - Rn. 31 ff., [X.]E 144, 366).

IV. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass die Klägerin den Hilfsantrag auf Zahlung von Urlaubsabgeltung im Revisionsverfahren mit Einwilligung der Beklagten zurückgenommen hat (§ 269 [X.]bs. 1 bis 3 ZPO).

        

    Rachor    

        

    Schlünder    

        

    Niemann    

        

        

        

    Starke    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

2 AZR 467/21

19.05.2022

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 5. Februar 2020, Az: 11 Ca 4529/19, Versäumnisurteil

§ 17 KSchG, Art 3 Abs 1 EURL 2015/1794, § 134 BGB, § 187 BGB, § 188 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.05.2022, Az. 2 AZR 467/21 (REWIS RS 2022, 3250)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3250 NJW 2022, 2635 REWIS RS 2022, 3250 MDR 2022, 1102-1103 REWIS RS 2022, 3250

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8 Sa 414/21

10 Sa 975/21

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