Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 03.09.2014, Az. 1 BvR 3048/13, 1 BvR 1195/14

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2014, 3151

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung von Art 5 Abs 3 S 1 durch die an einen Fachhochschullehrer gerichtete Anweisung zur Übernahme von fachbereichsfremden Lehrverpflichtungen


Gründe

1

Der Beschwerdeführer ist Fachhochschulprofessor und wendet sich mit seinen Verfassungsbeschwerden gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen im Eilverfahren, mit denen seine Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche gegen Verfügungen der Dekanin seines Fachbereichs abgelehnt wurden.

2

1. Der Beschwerdeführer vertritt am Fachbereich Informatik der [X.] das Fach "Mikroprozessortechnik, Digitaltechnik" in Lehre und Forschung. Er wurde wie bereits zuvor auch im Sommersemester und im Wintersemester 2013 durch die Dekanin seines Fachbereichs jeweils angewiesen, zwei Lehrveranstaltungen "Mikroprozessorsysteme" an seinem Fachbereich sowie eine Lehrveranstaltung "Mikroprozessorsysteme" im Wahlpflichtbereich im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik ([X.]) abzuhalten. Nach der einschlägigen Lehrverpflichtungsordnung sei der Beschwerdeführer gehalten, 18 Lehrveranstaltungsstunden zu leisten. In der Planungsphase hätten die drei genannten Lehrveranstaltungen im Umfang von insgesamt 16 beziehungsweise 17 Semesterwochenstunden mit ihm nicht abgestimmt werden können. Die Anweisung sei daher zur Erfüllung wenigstens eines Teils der Lehrverpflichtung erforderlich. Sie sei im öffentlichen Interesse sofort vollziehbar, da der Beginn der nicht anders besetzbaren und als Prüfungsleistung festgeschriebenen Lehrveranstaltungen bevorstehe.

3

Über die dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Widersprüche wurde - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden.

4

2. Die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht ab. Der Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen gerichteten Beschwerden zurück. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Lehrfreiheit rügte, führte es im Wesentlichen jeweils aus, die angegriffene Verfügung verletze den Beschwerdeführer auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des [X.] vom 13. April 2010 ([X.] 126, 1) nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Verpflichtung zur Durchführung der Lehrveranstaltung "Mikroprozessorsysteme" entspräche der inhaltlichen [X.]weite des dem Beschwerdeführer übertragenen Fachs. Es werde nicht nachvollziehbar begründet, weshalb eine Vorlesung an einem anderen Fachbereich derselben [X.] die Wissenschaftsfreiheit beeinträchtige. Der Entscheidung des [X.] lasse sich nicht entnehmen, dass [X.] der vorbehaltlos gewährleisteten Lehrfreiheit einschließe, Lehrveranstaltungen des eigenen Fachs nur innerhalb des eigenen Fachbereichs halten zu müssen. Vielmehr könne bei der Bestimmung der [X.]weite des übertragenen Fachs auch auf die Gesamtaufgaben einer [X.] abgestellt werden. Die Verfügung sei auch nicht etwa wegen möglicherweise bestehender inhaltlicher Unterschiede zwischen den ihm auferlegten Lehrveranstaltungen im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik gegenüber Lehrveranstaltungen mit gleicher Bezeichnung in seinem Fachbereich nichtig. Schließlich genüge die Anweisung dem Erfordernis vorrangiger Selbstkoordination durch die [X.], denn in der Verfügung werde ausgeführt, dass es in der Planungsphase nicht gelungen sei, die Lehrveranstaltungen mit dem Beschwerdeführer abzustimmen.

5

3. Mit seinen Verfassungsbeschwerden rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die angewiesene fachbereichsfremde Lehrverpflichtung.

6

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] im Sinne von § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Den zulässigen Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, denn die von ihnen aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Sie sind auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt, weil sie offensichtlich unbegründet sind und daher keine Aussicht auf Erfolg haben.

7

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, auf das er sich auch als Fachhochschullehrer berufen kann (vgl. [X.] 126, 1 <19>).

8

1. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährt denjenigen, die in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig sind, ein Grundrecht auf freie wissenschaftliche Betätigung (vgl. [X.] 126, 1 <19> m.w.[X.]). Als Abwehrrecht schützt das Grundrecht die wissenschaftliche Betätigung gegen staatliche Eingriffe und gewährt den Einzelnen einen vorbehaltlos geschützten Freiraum (vgl. [X.] 35, 79 <112>; 126, 1 <19>). [X.] der Wissenschaftsfreiheit ist für [X.] das Recht, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten (vgl. [X.] 122, 89 <105 f.>; 126, 1 <19> m.w.[X.]).

9

a) Anweisungen gegenüber selbständig wissenschaftlich tätigen Hochschullehrerinnen und -lehrern, bestimmte Lehrveranstaltungen durchzuführen, berühren deren Recht, ihr Fach in Forschung und Lehre eigenständig zu vertreten, und damit ihre in Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Wissenschaftsfreiheit (vgl. [X.] 126, 1 <24>).

b) Die Wissenschaftsfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Allerdings sind Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit mit Rücksicht auf kollidierendes Verfassungsrecht zulässig, wofür es einer gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. [X.] 122, 89 <107>; 126, 1 <24> m.w.[X.]). Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit von [X.] können insbesondere durch das Ziel der - ihrerseits durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten - Erhaltung und Förderung der Funktionsfähigkeit der [X.]n sowie des Schutzes anderer Grundrechtsträger gerechtfertigt sein. Vor allem müssen die Universitäten und Fachbereiche ihre Aufgaben in Lehre und Forschung erfüllen können. Zu berücksichtigen sind auch die in Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Grundrechtspositionen der Studierenden, da die [X.]n nicht nur der Pflege der Wissenschaften dienen, sondern auch die Funktion von Ausbildungsstätten für bestimmte Berufe haben ([X.] 126, 1 <25> m.w.[X.]).

Die Freiheit der Lehre für Hochschullehrerinnen und -lehrer wird insoweit auch durch ihr konkretes Amt bestimmt (vgl. [X.] 122, 89 <105 f.>; 126, 1 <24>). Dieses ist [X.] durch § 43 [X.] beziehungsweise durch die entsprechenden Vorschriften der Landeshochschulgesetze und durch das jeweilige konkrete Dienstverhältnis ausgestaltet. So kann den verschiedenen Aufgaben und Profilen der [X.]n und ihrer Organisationseinheiten Rechnung getragen werden. Beschränkungen der Lehrfreiheit müssen sich in diesem gesetzlichen Rahmen halten. [X.] dürfen Aufgaben folglich nur im Rahmen der für ihr Dienstverhältnis geltenden Regelungen übertragen werden (vgl. [X.] 93, 85 <98>; 126, 1 <25 f.>).

Da die Lehre zu den dienstlichen Pflichten der Hochschulprofessorinnen und Hochschulprofessoren gehört, sind auch Entscheidungen der zuständigen [X.] über die inhaltliche, zeitliche und örtliche Koordination der von der [X.] Lehre und über die Verteilung und Übernahme von [X.] grundsätzlich zulässig (vgl. [X.] 93, 85 <98>; 126, 1 <25>). Dabei genießt die auf Eigeninitiative und Freiwilligkeit beruhende Selbstkoordination der dem Fachbereich angehörigen Hochschullehrerinnen und -lehrer als milderes Mittel den Vorrang gegenüber der Fremdbestimmung durch die zuständigen [X.]; erst wenn eine kollegiale Einigung nicht zustande kommt, kann zur Deckung des notwendigen Lehrangebots eine einseitige Anordnung zur Durchführung der Lehrveranstaltung ergehen (vgl. [X.] 126, 1 <25>).

2. Nach diesen Maßstäben stoßen die angegriffenen Entscheidungen nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken.

Die grundrechtlich geschützte Lehrfreiheit des Beschwerdeführers wird durch die Zuweisung der Lehraufgaben nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Unstreitig gehört die Vorlesung "Mikroprozessorsysteme" zu dem ihm übertragenen Fach. Der Beschwerdeführer wehrt sich in erster Linie dagegen, diese Vorlesung in einem anderen Fachbereich als demjenigen abzuhalten, in dem seine Professur angesiedelt ist. Doch hält sich die Weisung im gesetzlichen Rahmen, der verfassungsrechtlich jedenfalls vorliegend insoweit nicht zu beanstanden ist.

Nach der landesrechtlichen Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 [X.] haben [X.] Lehrveranstaltungen ihrer Fächer in allen Studiengängen abzuhalten. Dies soll den gesamten, also nicht nur den fachbereichsbezogenen Lehrbetrieb an der [X.] sichern (vgl. [X.], [X.], 10. Aufl. 2007, § 43 Rn. 1). Zwar sind die [X.], worauf auch der Beschwerdeführer abstellt, zunächst und primär in dem Fachbereich tätig, dem ihre Professur zugewiesen ist. Die landesrechtliche Ausgestaltung des Dienstverhältnisses zielt jedoch auf eine auf die gesamte [X.] bezogene "fachliche Allzuständigkeit" der Professorinnen und Professoren (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.], § 35 Rn. 87 m.w.[X.]; [X.], NVwZ 2008, S. 266 <267>; anders [X.], in: [X.]/[X.], Hochschulrecht in [X.] und Ländern, [X.], § 43 Rn. 92 ). Ob jedwede Lehre im eigenen Fach an einem anderen Fachbereich mit der grundrechtlichen Garantie der Wissenschafts- und Lehrfreiheit immer zu vereinbaren ist, muss vorliegend nicht entschieden werden. Es kann insofern offenbleiben, inwieweit sich eine auf die gesetzgeberische Vorstellung einer "fachlichen Allzuständigkeit" in der Lehre gestützte Anweisung zur Abhaltung bestimmter Lehrveranstaltungen immer im Rahmen dessen hält, was als verhältnismäßige Einschränkung der Lehrfreiheit hinzunehmen ist. Vorliegend haben die Verwaltungsgerichte den Schutzgehalt des Grundrechts des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG jedenfalls nicht verkannt, da die Anweisungen der Dekanin gegenüber dem Beschwerdeführer sich in den verfassungsrechtlich gesteckten Grenzen halten.

Die Anweisungen zur Lehre im eigenen Fach in einem anderen Fachbereich verfolgen das Ziel, den Lehrbetrieb an der [X.] zu sichern, der verfassungsrechtlich sowohl dem Schutz von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterfällt als auch der von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Ausbildung der Studierenden dient. Die Anweisungen waren geeignet und zudem erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen. Auch ein Wahlpflichtfach gehört zu den von Studierenden verpflichtend zu belegenden Veranstaltungen, die ausweislich der angegriffenen Verfügung nicht durch andere Professorinnen und Professoren übernommen werden konnte. Da sich der Beschwerdeführer seit Jahren gegen die Lehrverpflichtung wehrt und vorherige Absprachen nicht möglich waren, war die sonst vorrangige Selbstkoordination der Lehrenden aussichtslos und von der Dekanin daher nicht abzuwarten.

Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass durch die Anweisung der Lehre in einem anderen Fachbereich in unverhältnismäßiger Weise in die ihm von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltene freie Wahl von Inhalt und Methode der Lehrveranstaltung eingegriffen worden wäre. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die angewiesene Lehrveranstaltung in einem Fachbereich, der dem Fachbereich des Beschwerdeführers (Informatik) nicht völlig fern steht, sich in Methodik, Didaktik und Inhalt in gravierender, die Lehrfreiheit des Beschwerdeführers in Frage stellender Weise von der von ihm angebotenen Parallelveranstaltung im Fachbereich Informatik unterscheidet. Es handelt sich hier auch nicht um disziplinär völlig anders orientierte Studierende. Eine Verpflichtung zur Übernahme solcher Veranstaltungen ist dem Beschwerdeführer jedenfalls dann zumutbar, wenn diese - wie hier - nur einen beschränkten Teil seines Lehrdeputats umfassen und er in überwiegendem Umfang weiterhin auch in seinem eigenen Fachbereich Lehrveranstaltungen durchführt.


Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 3048/13, 1 BvR 1195/14

03.09.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 27. September 2013, Az: 1 B 846/13, Beschluss

Art 5 Abs 3 S 1 GG, § 61 Abs 1 S 2 Nr 3 HSchulG HE 2010

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 03.09.2014, Az. 1 BvR 3048/13, 1 BvR 1195/14 (REWIS RS 2014, 3151)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3151

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 CN 1/11 (Bundesverwaltungsgericht)

Normenkontrollantrag; erforderliches Lehrangebot; Lehrdeputat; Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer


1 BvR 216/07 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung von Art 19 Abs 4 GG durch Ablehnung eines Antrags auf Wiederherstellung …


5 K 1049/19 (Verwaltungsgericht Münster)


1 BvR 1501/13, 1 BvR 1682/13 (Bundesverfassungsgericht)

Vorübergehende Leitung der im Wege einer Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz entstandenen Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg …


1 BvR 1553/14 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zum Ausgleich zwischen Wissenschaftsfreiheit (Art 5 Abs 3 S 1 GG) und Krankenversorgung bei …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.