Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2022, Az. VIII ZR 88/21

8. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6106

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Gegenstand

Abgasskandal: Voraussetzungen einer Verletzung des Anspruchs des Fahrzeugkäufers auf rechtliches Gehör


Leitsatz

Zur Verletzung des Anspruchs der Partei auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit Vortrag über die Entbehrlichkeit der Fristsetzung zur Nacherfüllung (hier: gänzlich unberücksichtigt gebliebener Vortrag des Käufers zu einer weiteren im Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines "Thermofensters" und zu einem unabhängig von einer Nachbesserung dem Fahrzeug anhaftenden merkantilen Minderwert wegen Betroffenheit vom sogenannten Abgasskandal).

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] in [X.] des [X.] vom 24. Februar 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das [X.] wird auf 68.990 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger erwarb am 22. Dezember 2017 von der [X.], einer Fahrzeughändlerin, einen Gebrauchtwagen [X.] 3.0 [X.] für 68.990 € (brutto). Zwischen den [X.]en ist streitig, ob das Fahrzeug mit dem [X.] 897 oder [X.] ausgestattet ist.

2

Nach den vom Berufungsgericht unter Bezugnahme auf eine Verlautbarung des [X.] getroffenen Feststellungen beanstandete dieses im Januar 2018 bei Fahrzeugen des vom Kläger erworbenen Typs, dass diese mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet seien, aufgrund derer die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle [X.] nahezu lediglich im Prüfzyklus anspringe, während im realen Fahrbetrieb diese Stickoxidschadstoffminderung unterbleibe. Das [X.] gab der Fahrzeugherstellerin auf, bis Anfang Februar 2018 ein Motorsoftware-Update vorzustellen, welches hinsichtlich des [X.] einen vorschriftsgemäßen Zustand herstellt.

3

Mit Anwaltsschreiben vom 22. August 2018 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Begründung, das Fahrzeug sei von dem sogenannten Abgasskandal betroffen.

4

Die Fahrzeugherstellerin entwickelte ein Software-Update, das vom [X.] im November 2018 freigegeben wurde. Der Kläger ließ dieses nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

5

Die auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgewähr des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] und auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das [X.] hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.], mit der er sein Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

II.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7

Der Kläger könne sich gegenüber der [X.] nicht erfolgreich auf Gewährleistungsansprüche gemäß § 437 Nr. 2, §§ 440, 323, 326 BGB berufen. Zwar dürfte ein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB - unabhängig davon, welcher der beiden zwischen den [X.]en im Streit stehenden [X.] in dem Fahrzeug verbaut sei - darin liegen, dass im Motor des Fahrzeugs bei Übergabe unstreitig eine Abschaltautomatik installiert gewesen sei, die einen Rückruf seitens des [X.] und die Notwendigkeit einer Umrüstung des Fahrzeugs zur Folge gehabt habe. Für den geltend gemachten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags fehle es aber jedenfalls an einer Fristsetzung zur Nacherfüllung, die hinsichtlich der vom Kläger behaupteten Mängel des Fahrzeugs nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen sei.

8

So sei dem Kläger die Nacherfüllung - unter anderem - nicht wegen des von ihm geltend gemachten merkantilen Minderwerts eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Kraftfahrzeugs in Bezug auf den Verdacht von [X.] unzumutbar im Sinne von § 323 Abs. 2 Nr. 3, § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB. Die bloße dahingehende Behauptung des [X.] sei nicht ausreichend. Es bedürfe konkreter Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, dass gerade Dieselfahrzeuge, bei denen eine unzulässige Abschalteinrichtung durch ein Software-Update entfernt worden sei, aus diesem Grund einen geringeren Wiederverkaufswert hätten. Zumindest sei nachvollziehbar darzulegen, dass sich der Preis des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ungünstiger entwickelt habe als der Gesamtmarkt für Diesel-Pkw.

III.

9

Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg (§ 544 Abs. 9 ZPO), weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Es hat dessen für die Beurteilung des Streitfalls bedeutsames beweisbewehrtes Vorbringen zu einer im Fahrzeug verbauten weiteren, von ihm als "[X.]" bezeichneten unzulässigen Abschalteinrichtung gehörswidrig übergangen und den Vortrag zu einem dem Fahrzeug anhaftenden merkantilen Minderwert zu Unrecht als nicht hinreichend substantiiert angesehen. In der Folge hat es versäumt, den vom Kläger hierfür jeweils angebotenen [X.] zu erheben.

1. Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr.; siehe etwa [X.], NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; [X.]sbeschlüsse vom 21. Juni 2022 - [X.], juris Rn. 12; vom 30. August 2022 - [X.], juris Rn. 10; jeweils [X.]). Als grundrechtsgleiches Recht soll es sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (st. Rspr.; hierzu etwa [X.], Beschluss vom 25. März 2020 - 2 BvR 113/20, juris Rn. 45; [X.]sbeschlüsse vom 26. April 2022 - [X.], juris Rn. 12; vom 30. August 2022 - [X.], aaO; jeweils [X.]).

Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des betreffenden Sachvortrags sowie eines damit zusammenhängenden Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer [X.] gestellt hat. Eine solche nur scheinbar das [X.]vorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatrichters dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den [X.]vortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. [X.], Urteil vom 22. Juni 2009 - [X.], [X.], 2598 Rn. 2; [X.]sbeschlüsse vom 22. Juni 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 1093 Rn. 16; vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 12; vom 26. April 2022 - [X.], juris Rn. 13).

2. Gemessen hieran ist dem Berufungsgericht eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten.

a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht den beweisbewehrten Vortrag des [X.] zu einer weiteren im Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines "[X.]s" gänzlich unberücksichtigt gelassen und hierdurch das rechtliche Gehör des [X.] in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 544 Abs. 9 ZPO).

aa) Der Kläger hat - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend aufzeigt - unter Beweisantritt vorgetragen, dass die (zur Reduzierung des [X.] erfolgende) Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren werde, wobei eine signifikante Reduktion jedenfalls bei einer Temperatur von fünf Grad Celsius und weniger erfolge. Diesen von ihm als "[X.]" bezeichneten Mechanismus hat der Kläger weiter dahingehend erläutert, dass das Fahrzeug (lediglich) innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters - und insbesondere auch im Temperaturbereich, der bei der Abgasmessung auf dem Prüfstand maßgebend sei - weniger Stickoxide [X.]. Zudem werde die für die Abgasreinigung erforderliche [X.]-Zufuhr bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius reduziert, obwohl nach den gesetzlichen Bestimmungen bis zu Temperaturen von minus 15 Grad Celsius Änderungen nicht vorgenommen werden dürften.

Im Hinblick auf die Nachbesserung durch ein Software-Update hat der Kläger insoweit unter Beweisantritt ausgeführt, dass die Abgabemenge von [X.] nicht in [X.] Weise erhöht werden könne, da die im Fahrzeug verbauten Düsen zur Einspritzung ausreichender [X.]-Mengen in das Abgassystem nicht geeignet seien. Der gesetzliche Grenzwert lasse sich vorliegend auch mit einem Update und maximalen [X.]-Mengen nicht erreichen; die "illegalen Abschalteinrichtungen" blieben aktiv.

bb) Mit diesem (im Berufungsverfahren zentralen) Vorbringen, mit dem der Kläger (auch) die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung vor dem von ihm erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag darlegen will, hat sich das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil nicht befasst. Das Schweigen des Berufungsgerichts in diesem Punkt lässt deshalb (nur) den Schluss zu, dass dieser Vortrag entgegen dem Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde (vgl. [X.], NJW-RR 2018, 694 Rn. 18 [X.]; [X.]sbeschluss vom 14. Dezember 2021 - [X.], juris Rn. 18). Die angefochtene Entscheidung erwähnt zwar an verschiedenen Stellen eine "unzulässige Abschalteinrichtung", bezieht sich hierbei aber offensichtlich lediglich auf die in der Pressemitteilung des [X.] erwähnte sogenannte schnelle [X.]. Eine Auseinandersetzung mit der Behauptung des [X.] zu einem "[X.]", wie von diesem beschrieben, lässt sie hingegen gänzlich vermissen.

cc) Die darin liegende Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Frage der Entbehrlichkeit einer Fristsetzung zur Nacherfüllung wegen Unzumutbarkeit jedenfalls der Nachbesserung in Gestalt des von der Fahrzeugherstellerin angebotenen Software-Updates im Sinne von § 323 Abs. 2 Nr. 3, § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags anders beurteilt hätte.

Erkennbar hat der Kläger hiermit eine - neben der von dem Rückruf des [X.] betroffenen, auf den Prüfstand bezogenen Abschalteinrichtung - (auch) beim regulären Fahrbetrieb temperaturabhängig einsetzende Steuerung der Abgasrückführung beziehungsweise der [X.]-Zufuhr behauptet, die nach seiner Darstellung dazu führen soll, dass das Fahrzeug die vorgeschriebenen Abgaswerte nicht einhalte, und die er deshalb als weitere unzulässige Abschalteinrichtung ansieht. [X.] diese und die weitere unter Beweis gestellte Behauptung zu, dass das in Rede stehende Software-Update insoweit keine Abhilfe schaffen könne, was durch Sachverständigengutachten zu klären ist, wäre es dem Kläger nicht zuzumuten, sich auf eine solche unzureichende Nachbesserung einzulassen und der [X.] zu dieser Form der Nachbesserung eine Frist zu setzen (vgl. auch [X.]surteil vom 26. Januar 2022 - [X.], [X.], 703 Rn. 29, 36). Denn eine Nachbesserung im Sinne von § 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB setzt voraus, dass der vorhandene Mangel hierdurch vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigt wird ([X.]surteil vom 26. Januar 2022 - [X.], aaO Rn. 30 [X.]). Bei Fortbestehen weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen bliebe das Fahrzeug hingegen auch dann [X.] im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB in der bis zum 31. Dezember 2021 maßgeblichen Fassung (Art. 229 § 58 EGBGB), wenn es über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann (vgl. hierzu und zur Bewertung eines sogenannten [X.]s EuGH, Urteile vom 14. Juli 2022 - [X.]/20, [X.] 2022, 604 Rn. 54 ff., 59 ff. - [X.] und [X.]; [X.]/20, NJW 2022, 2605 Rn. 27 ff., 70 - [X.]; siehe auch [X.]surteil vom 8. Dezember 2021 - [X.]/19, [X.]Z 232, 94 Rn. 69 ff.).

b) Das Berufungsgericht hat ferner hinsichtlich des klägerischen Vortrags zu einem dem Fahrzeug infolge der Betroffenheit vom sogenannten Abgasskandal anhaftenden merkantilen Minderwert die Substantiierungsanforderungen überspannt und, indem es deshalb den hierfür vom Kläger angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erhoben hat, den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 544 Abs. 9 ZPO).

aa) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die [X.] Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der [X.] entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. nur [X.]surteil vom 29. Januar 2020 - [X.]/18, [X.]Z 224, 302 Rn. 55; [X.]sbeschluss vom 26. April 2022 - [X.], juris Rn. 27; jeweils [X.]). Das gilt insbesondere dann, wenn die [X.] keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat ([X.]sbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - [X.], NJW 2020, 1740 Rn. 7; vom 22. Juni 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 1093 Rn. 33 [X.]). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende [X.] nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr.; vgl. [X.]surteil vom 29. Januar 2020 - [X.]/18, aaO Rn. 55; [X.]sbeschlüsse vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 15; vom 26. April 2022 - [X.], aaO Rn. 28 [X.]).

bb) Gemessen hieran hat der Kläger, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, ausreichend substantiiert dargelegt, dass nach seiner Auffassung dem Fahrzeug - entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts auch unabhängig von der Durchführung des Software-Updates - ein merkantiler Minderwert anhafte. Bei seiner gegenteiligen Auffassung hat das Berufungsgericht die Anforderungen an einen substantiierten und schlüssigen Sachvortrag überspannt.

(1) Der Kläger hat vorgetragen und unter [X.] gestellt, dass das Fahrzeug aufgrund der Betroffenheit vom sogenannten Abgasskandal und des damit verbundenen Makels sowie wegen des Verdachts weiterer, aus dem Software-Update folgender Mängel auf dem freien Markt einen erheblichen Wertverlust erfahre, der sich - vor und nach einem Software-Update - mit 30 % bewerten lasse. Das Vertrauen in die [X.] AG und deren Tochterunternehmen sei nach dem sogenannten Abgasskandal gesunken. Dementsprechend sei die Nachfrage nach Dieselfahrzeugen dieser Hersteller zurückgegangen, während auf der Verkaufsseite ein Überangebot herrsche, weil viele Eigentümer eines solchen Fahrzeugs dieses "abstoßen" wollten. Das aus einem Überangebot einerseits und einer zurückgehenden Nachfrage andererseits resultierende "Preisdumping" sei bekannt. Sein Fahrzeug sei (deshalb) nahezu unverkäuflich.

(2) Dieses Vorbringen erweist sich (jedenfalls derzeit) als ausreichend substantiiert, um einen allein aufgrund des Makels "vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug" bestehenden merkantilen Minderwert darzulegen. Wie der [X.] bereits mehrfach entschieden hat, lässt sich bislang nicht allgemeingültig und abschließend beantworten, ob die Eigenschaft eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs in - dem Charakter eines Fahrzeugs als Unfallfahrzeug - vergleichbarer Weise einen (unbehebbaren) Sachmangel darstellt, weil sie ebenfalls einen merkantilen Minderwert zur Folge hat (vgl. [X.]sbeschlüsse vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 25; vom 8. Dezember 2021 - [X.], NJW 2022, 935 Rn. 26; vom 14. Dezember 2021 - [X.], juris Rn. 29; vom 26. April 2022 - [X.], juris Rn. 33). Der [X.] hat deshalb (jedenfalls derzeit) weitere, über den oben genannten Vortrag hinausgehende Darlegungen etwa - wie vom Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft angenommen - dahingehend, dass sich der Preis des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ungünstiger entwickelt habe als der Gesamtmarkt für Diesel-Pkw, nicht für erforderlich gehalten, um in eine beantragte Beweisaufnahme einzutreten.

cc) Die dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, hätte es das oben wiedergegebene Vorbringen des [X.] in gebotener Weise zur Kenntnis genommen und zum merkantilen Minderwert des Fahrzeugs den angebotenen [X.] erhoben, zu der Überzeugung gelangt wäre, einer Fristsetzung hätte es mit Blick auf die vom Kläger im [X.] - was vorliegend ausreicht (vgl. [X.]surteile vom 29. September 2021 - [X.], [X.]Z 231, 149 Rn. 40; vom 26. Januar 2022 - [X.], [X.], 703 Rn. 21) - als maßgebliche Nacherfüllungsvariante gewählte Nachbesserung durch das Software-Update gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3, § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB ausnahmsweise nicht bedurft.

3. Die weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen [X.] hat der [X.] geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO).

IV.

Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Entscheidung und Verhandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des [X.]s an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).

Für den weiteren Verfahrensgang weist der [X.] auf folgende Gesichtspunkte hin:

1. Da der Kläger ein Recht zum Rücktritt vom Kaufvertrag auf die Behauptung mehrerer Sachmängel des Fahrzeugs stützt, wird - bevor die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts wegen Fehlens einer Fristsetzung zur Nacherfüllung (§ 437 Nr. 2, § 439 Abs. 1, § 323 Abs. 1 BGB) verneint werden können - im Hinblick auf jeden dieser Sachmängel zu prüfen sein, ob ein Nacherfüllungsverlangen ausnahmsweise gemäß § 323 Abs. 2, § 440, § 326 Abs. 5 BGB entbehrlich war (vgl. zum Erfordernis einer auf den jeweiligen Mangel bezogenen Fristsetzung zur Nacherfüllung [X.]surteil vom 20. Januar 2016 - [X.], NJW 2016, 2493 Rn. 14 [X.]; siehe auch [X.]surteil vom 26. August 2020 - [X.], [X.]Z 227, 15 Rn. 44).

2. Die Schlüssigkeit des bezogen auf die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung zur Nacherfüllung wegen Unzumutbarkeit einer Nachbesserung gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3, § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB erfolgten Vortrags des [X.] zu möglichen Folgemängeln infolge des von der Fahrzeugherstellerin angebotenen Software-Updates kann vorliegend nicht mit der Begründung verneint werden, es stehe nicht fest, auf welche Art und Weise die Beklagte eine Nacherfüllung im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung erbracht hätte. Der Kläger hat - was vorliegend ausreicht (vgl. [X.]surteile vom 29. September 2021 - [X.], [X.]Z 231, 149 Rn. 40; vom 26. Januar 2022 - [X.], [X.], 703 Rn. 21) - im [X.] vom 22. August 2018 sein Wahlrecht im Sinne einer Nachbesserung ausgeübt.

Sofern das Software-Update zu den vom Kläger behaupteten Folgeschäden am Fahrzeug führte, wäre diese zur Nachbesserung angebotene Maßnahme nicht auf die vollständige Beseitigung des Mangels gerichtet (vgl. [X.]sbeschluss vom 26. April 2022 - [X.], juris Rn. 21 [X.]) und wäre es dem Kläger unzumutbar, der [X.] zu dieser Form der Nachbesserung eine Frist (§ 323 Abs. 1 BGB) zu setzen (vgl. nur [X.]surteil vom 26. Januar 2022 - [X.], aaO Rn. 29 f. [X.]). Obgleich insoweit der bloße Verdacht einer unzureichenden Mangelbeseitigung nicht genügt, um das Interesse des Verkäufers an einer Nachbesserung zurücktreten zu lassen, ist ein entsprechender Vortrag des Käufers zu möglichen, durch das Software-Update hervorgerufenen Folgemängeln deshalb aber rechtlich nicht von vornherein unerheblich. Vielmehr bedarf es tatrichterlicher Feststellungen zu Umfang und Gewicht solcher Folgen (vgl. [X.]surteil vom 29. September 2021 - [X.], aaO Rn. 38). Hinsichtlich der an die Substantiierung des diesbezüglichen Vortrags zu stellenden Anforderungen wird das Berufungsgericht das [X.]surteil vom 26. Januar 2022 ([X.], aaO Rn. 42 ff. [X.]) zu beachten haben.

Dr. Bünger     

      

Dr. Schmidt     

      

Wiegand

      

Dr. Matussek     

      

Dr. Reichelt     

      

Meta

VIII ZR 88/21

05.10.2022

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 24. Februar 2021, Az: 12 U 128/19

§ 323 Abs 1 BGB, § 323 Abs 2 BGB, § 326 Abs 5 BGB, § 437 Nr 2 BGB, § 439 Abs 1 BGB, § 440 BGB, Art 103 Abs 1 GG, § 544 Abs 9 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2022, Az. VIII ZR 88/21 (REWIS RS 2022, 6106)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6106 WM 2022, 2242 REWIS RS 2022, 6106 MDR 2023, 293-294 REWIS RS 2022, 6106

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