Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.07.2014, Az. 6 AZR 759/12

6. Senat | REWIS RS 2014, 3654

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Gegenstand

Stundenabzug im Arbeitszeitkonto nach § 5 Abs. 8 TV Azk


Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 28. Juni 2012 - 4 [X.]/12 - unter Zurückweisung der weiter gehenden Revision teilweise aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des [X.] vom 24. Januar 2012 - 3 Ca 2823/11 - wird zurückgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin ab März 2010 bis März 2011 herausgebuchte 56,28 Stunden wieder gutzuschreiben.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 82 % zu tragen, die Beklagte 18 %.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Wiedergutschrift von geleisteten Arbeitsstunden auf ihr Arbeitszeitkonto.

2

Die Klägerin ist seit 1991 bei der [X.] bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Anfang 2002 wechselte sie in den [X.] „[X.]“ und von dort zum 1. Mai 2005 in den Betrieb „[X.]“ ([X.] Direkt bzw. [X.]).

3

Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin finden aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung sowie beiderseitiger Tarifbindung die bei der [X.] geltenden [X.] Anwendung. Diese bestehen neben dem Manteltarifvertrag ([X.]) aus einer Vielzahl ergänzender Tarifverträge. Zur Geltendmachung von Ansprüchen regelt § 31 [X.] auszugsweise Folgendes:

        

§ 31 Ausschlussfrist

        

(1)     

Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

                 

Bei regelmäßig wiederkehrenden Leistungen bedarf es keiner erneuten schriftlichen Geltendmachung, sofern der nicht oder unzutreffend erfüllte Anspruch auf dem selben Fehler beruht. ...

        

…       

        
        

(4)     

Werden die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis trotz Geltendmachung durch Bestreiten in Schriftform nicht erfüllt oder nur teilweise erfüllt, ist innerhalb einer Frist von zwei Monaten Klage zu erheben. Wird keine Klage erhoben, verfallen die Ansprüche.“

4

Mit dem zum 1. März 2004 in [X.] getretenen Tarifvertrag [X.] ([X.]) haben die Tarifvertragsparteien verschiedene beschäftigungssichernde Maßnahmen vereinbart. Zu diesen gehört nach § 2 Abs. 1 [X.] eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 34 Stunden mit Teilentgeltausgleich. Nach § 4 Abs. 1 [X.] sind hiervon allerdings bestimmte Arbeitnehmergruppen ausgenommen. Im Ausnahmefall können nach § 4 Abs. 2 [X.] auch einzelne Beschäftigte herausgenommen werden. Gemäß § 2 Abs. 2 iVm. § 6 [X.] erfolgt die betriebliche Umsetzung der verkürzten Arbeitszeit nach Maßgabe von § 11 [X.] und durch die Regelungen des [X.] ([X.]). § 11 [X.] lautet in der Fassung vom 1. März 2004 auszugsweise wie folgt:

      

§ 11 

Regelmäßige Arbeitszeit

        

(1)     

1Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen 34 Stunden (verkürzte Arbeitszeit). …

        

(2)     

1Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt für einzelne Arbeitnehmer und besondere Arbeitnehmergruppen ausschließlich der Pausen 38 Stunden. 2Die Arbeitnehmergruppen sind in der Anlage 1 zum [X.] aufgeführt.

                 

3Herausnahmen sind möglich für einzelne oder mehrere Arbeitnehmer mit vergleichbarem Anforderungsprofil (spezielles Fachwissen bzw. spezielle Ausbildung/Qualifikation), wenn diese aus [X.], gegebenenfalls auch nach zumutbaren Qualifikationsmaßnahmen, nicht ersetzt werden können und für sie ansonsten nachweisbar externe Einstellungen erforderlich werden. …

                 

7Die Anwendung dieser Regelung darf nicht dazu führen, dass der Grundsatz der 34-Stundenwoche nach Absatz 1 im Unternehmen unterlaufen wird.“

5

Nach § 4 Abs. 1 [X.] wird für jeden Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto ([X.]) eingerichtet. Hinsichtlich der Führung des Kontos treffen § 5 und § 6 [X.] ua. folgende Regelungen:

      

§ 5   

Im Arbeitszeitkonto zu erfassende [X.]en

        

…       

        
        

(8)     

Zu Beginn eines jeden Kalendermonats werden aus dem [X.] von Arbeitnehmern, die aus der Wochenarbeitszeitverkürzung herausgenommen sind, obligatorisch 4 Stunden und 20 Minuten herausgebucht.

                 

…       

        

§ 6     

Abrechnungszeitraum

        

(1)     

Die Arbeitszeitkonten werden nicht zu bestimmten [X.]en abgerechnet. Das individuelle Arbeitszeitkonto hat ... einmal innerhalb von längstens 18 Monaten (Abrechnungszeitraum) die ‚Null-Linie‘ zu berühren. Mit dem Durchschreiten bzw. Verlassen der ‚Null-Linie‘ beginnt ein neuer Abrechnungszeitraum.

        

…“    

        

6

Für den Betrieb [X.] wurde der Tarifvertrag über Pilotkonditionen im Betrieb Direktvertrieb und Beratung der Deutschen [X.] AG ([X.]) vereinbart. Dieser galt vom 1. Oktober 2005 nach mehrmaliger Verlängerung bis zum 30. Juni 2011 und bestimmte ua. Folgendes:

        

§ 1   

        

Persönlicher Geltungsbereich

        

Dieser Tarifvertrag gilt für Arbeitnehmer, die am Tag vor ihrem Wechsel in den Betrieb ‚[X.]‘ ([X.] Direkt) Transfermitarbeiter der [X.] waren und am Tag nach ihrem Wechsel unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages der Deutschen [X.] AG fallen.

        

§ 2     

        

Anwendung von Vorschriften

        

Es gelten die Tarifverträge der Deutschen [X.] AG, soweit nicht nachfolgend etwas Abweichendes geregelt ist.

        

…       

        

§ 4     

        

Regelmäßige Arbeitszeit

        

Abweichend von § 11 Absatz 1 Satz 1 Manteltarifvertrag beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen 38 Stunden.

        

…“    

7

Zum 1. Juli 2011 wurden die Arbeitsverhältnisse der [X.] teilweise aus dem Anwendungsbereich der bei der [X.] geltenden Tarifverträge herausgenommen. Es sollten insoweit nunmehr die Tarifverträge der [X.] Deutschland GmbH gelten (vgl. § 2 des Tarifvertrags zur Bereichsausnahme für den Betrieb „[X.]“ der Deutschen [X.] AG und zur Anwendung der Tarifverträge der [X.] Deutschland GmbH ([X.] [X.]) vom 21. Juni 2011). Begleitend schlossen die Tarifvertragsparteien am 21. Juni 2011 für die [X.] den Tarifvertrag über besondere Arbeitsbedingungen bei der Überführung der Arbeitsverhältnisse in die Bereichsausnahme für den Betrieb „[X.]“ der Deutschen [X.] AG ([X.]). § 12 [X.] regelt, dass die Arbeitnehmer der [X.] in das Arbeitszeitsystem nach den tariflichen Regelungen der [X.] Deutschland GmbH überführt werden. Nach der Protokollnotiz zu § 12 [X.] gelten die bisher auf Grundlage einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden beschäftigten Arbeitnehmer nach der Überführung als Herausgenommene iSd. § 11 Abs. 2 [X.] [X.] Deutschland GmbH. Dieser entspricht § 11 Abs. 2 des bei der [X.] geltenden [X.]. Für die Fortdauer der Beschäftigung auf dem Arbeitsplatz im [X.] an die Überführung gilt der [X.] als gegeben.

8

Die Klägerin ist für die [X.] seit Beginn in einer [X.] tätig. Für sie ist ein Arbeitszeitkonto eingerichtet, welches seit seinem Bestehen bei der [X.] die „Null-Linie“ zu keinem [X.]punkt berührt hat. Weder die Klägerin persönlich noch Beschäftigte der [X.] sind in der Anlage 1 zum [X.] oder in § 4 [X.] aufgeführt. Dennoch buchte die Beklagte im [X.]raum von Mai 2005 bis März 2011 entsprechend § 5 Abs. 8 [X.] monatlich gleichbleibend 4 Stunden und 20 Minuten aus dem Arbeitszeitkonto der Klägerin heraus. Mit Schreiben vom 27. August 2010 hatte die Klägerin die Beklagte aufgefordert, diese monatlichen Negativbuchungen künftig zu unterlassen und die bislang abgezogenen Stunden ihrem Arbeitszeitkonto wieder gutzuschreiben. Hierauf reagierte die Beklagte nicht.

9

Mit ihrer am 10. März 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin weiterhin die Auffassung vertreten, die vorgenommenen Abzüge seien zu Unrecht erfolgt. § 5 Abs. 8 [X.] habe keine Anwendung gefunden. Sie sei nicht nach § 11 Abs. 2 [X.] aus einer verkürzten Arbeitszeit von 34 Wochenstunden herausgenommen gewesen. Maßgeblich sei die spezielle Arbeitszeitregelung nach § 4 [X.] gewesen. Diese habe ein eigenes Arbeitszeitregime mit einer ausnahmslosen Wochenarbeitszeit von 38 Stunden vorgesehen. Hierbei habe es sich um keine Herausnahme iSd. § 11 Abs. 2 [X.] gehandelt. Ihre Ansprüche seien auch nicht nach § 31 Abs. 1 [X.] verfallen. Die Ausschlussfrist laufe erst mit Beendigung des Abrechnungszeitraumes an. Da ihr Arbeitszeitkonto bei der [X.] die „Null-Linie“ nie berührt habe, habe der mit ihrem Wechsel in die [X.] begonnene Abrechnungszeitraum nach § 6 Abs. 1 [X.] noch nicht geendet. Folglich stehe ihr bei einem monatlichen Abzug von 4,33 Stunden bezogen auf die [X.] von Mai 2005 bis März 2011 ein Anspruch auf Wiedergutschrift von insgesamt 307,6 Stunden zu.

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihr 307,6 Gutstunden auf dem Arbeitszeitkonto zu verbuchen.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der monatliche Abzug nach § 5 Abs. 8 [X.] berechtigt gewesen sei. Die Klägerin sei durch § 4 [X.] iSv. § 11 Abs. 2 [X.] aus der grundsätzlich verkürzten Arbeitszeit herausgenommen worden. Indem § 4 [X.] eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden vorgesehen habe, habe er sich auf § 11 Abs. 2 [X.] bezogen und die von der Herausnahme betroffenen Arbeitnehmergruppen ergänzt. Eine solche Ergänzung sei auch ohne Änderung der Anlage 1 zum [X.] möglich gewesen. § 5 Abs. 8 [X.] nehme nicht nur auf diese Anlage Bezug, sondern erfasse alle Arbeitnehmer, die von tariflichen Vorschriften aus der Arbeitszeitverkürzung herausgenommen werden. Bei einem anderen Auslegungsergebnis wäre durch § 4 [X.] systemfremd eine dritte Gruppe von Beschäftigten geschaffen worden. Neben Arbeitnehmern mit verkürzter regelmäßiger Wochenarbeitszeit von 34 Stunden (§ 11 Abs. 1 [X.]) und den aus dieser Wochenarbeitszeit herausgenommenen Arbeitnehmern mit 38 Wochenstunden, die aber einen Abzug von 4 Stunden und 20 Minuten monatlich aus ihrem Arbeitszeitkonto hinnehmen müssen (§ 5 Abs. 8 [X.] iVm. § 11 Abs. 2 [X.]), hätte es dann noch Beschäftigte der [X.] mit 38 Wochenstunden ohne Abzug aus dem Arbeitszeitkonto gegeben. Dem widerspreche der im [X.] zum Ausdruck kommende betriebsübergreifende Solidaritätsgedanke, auf dem die Abbuchung bei Beschäftigten mit einer [X.] beruhe. Die Herausnahme von Beschäftigten der [X.] aus einer verkürzten Arbeitszeit hätten die Tarifvertragsparteien zudem durch die Protokollnotiz zu § 12 [X.] klargestellt. Diese Protokollnotiz sei eingefügt worden, um Rechtsunsicherheiten zu klären, die Rechtsstreitigkeiten wie die vorliegende aufgeworfen hätten.

Jedenfalls seien etwaige Ansprüche der Klägerin weitgehend verfallen. Ein Anspruch auf Wiedergutschrift wäre unmittelbar nach dem Abzug am Monatsanfang fällig geworden. Er hätte daher monatlich innerhalb der Ausschlussfrist des § 31 Abs. 1 [X.] geltend gemacht werden können und müssen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Klage auf die Berufung der [X.] insgesamt abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist teilweise begründet. Entgegen der Auffassung des [X.] war die Beklagte jedenfalls seit Inkrafttreten des [X.] zur Herausbuchung von Arbeitsstunden aus dem Arbeitszeitkonto der Klägerin nicht berechtigt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Wiedergutschrift aber nur für die [X.] ab März 2010 bis März 2011 in Höhe von insgesamt 56,28 Stunden. Im Übrigen sind ihre Ansprüche nach § 31 Abs. 1 [X.] verfallen.

I. Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

1. Bei einem Streit über die Führung eines [X.] kann der Arbeitnehmer entweder die Erhöhung seines [X.]guthabens um eine bestimmte Stundenzahl oder eine [X.]gutschrift in bestimmter Höhe verlangen (vgl. [X.] 24. Oktober 2013 - 6 [X.] - Rn. 28 mwN; 10. November 2010 - 5 [X.] - Rn. 11, [X.]E 136, 152). Dient die begehrte [X.]gutschrift der Rückgängigmachung der Streichung eines [X.]guthabens, ist keine Konkretisierung des Leistungsbegehrens dahingehend erforderlich, an welcher Stelle des [X.] die Gutschrift erfolgen soll. Wird in einem solchen Fall dem Antrag auf Gutschrift stattgegeben, weiß der Arbeitgeber, was er zu tun hat, nämlich die von ihm auf einem bestimmten Arbeitszeitkonto vorgenommene Kürzung ungeschehen zu machen ([X.] 21. März 2012 - 5 [X.] - Rn. 17, [X.]E 141, 88).

2. Dem entspricht der gestellte Antrag nach der gebotenen Auslegung. Er ist dahingehend zu verstehen, dass in Höhe der verlangten Verbuchung von „Gutstunden“ eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto erfolgen soll. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Gutschrift in dem nach dem [X.] geführten Arbeitszeitkonto erfolgen soll.

II. Die Klage ist teilweise begründet.

1. Die Klägerin hat jedenfalls für die [X.] ab dem 1. Oktober 2005 nach § 611 Abs. 1 BGB dem Grunde nach einen Anspruch auf Wiedergutschrift der seit dem Inkrafttreten des [X.] von ihrem Arbeitszeitkonto abgezogenen Stunden.

a) Geht es um die Korrektur der Arbeitszeiterfassung auf einem Arbeitszeitkonto, kommt dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf korrekte Führung des [X.] aus § 611 Abs. 1 BGB zu, wenn das Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch nach der zugrunde liegenden Abrede verbindlich bestimmt ([X.] 27. März 2014 - 6 [X.] - Rn. 21; 24. Oktober 2013 - 6 [X.] - Rn. 21). Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Es drückt damit - in anderer Form - seinen Vergütungsanspruch aus (vgl. [X.] 18. März 2014 - 1 [X.] - Rn. 20; 21. März 2012 - 6 [X.] - Rn. 21; 16. Juli 2014 - 10 [X.] - Rn. 16). Wegen dieser Dokumentationsfunktion darf der Arbeitgeber nicht ohne Befugnis korrigierend in ein Arbeitszeitkonto eingreifen und dort eingestellte Stunden streichen. Kürzt oder streicht der Arbeitgeber zu Unrecht ein Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf (Wieder-)Gutschrift der gestrichenen Stunden ([X.] 21. März 2012 - 5 [X.] - Rn. 20, 25 f., [X.]E 141, 88).

b) Vorliegend hat die Klägerin im streitgegenständlichen [X.]raum unstreitig entweder ihre Arbeitsleistung erbracht oder einen Entgeltfortzahlungsanspruch gehabt. Fraglich ist allein, ob die Beklagte nach § 5 Abs. 8 [X.] berechtigt war, die grundsätzlich nach § 611 Abs. 1 BGB zu vergütenden Stunden aus dem Arbeitszeitkonto der Klägerin „herauszubuchen“ und damit letztlich unbezahlt zu lassen. § 5 Abs. 8 [X.] setzt voraus, dass der Arbeitnehmer, für den das Arbeitszeitkonto geführt wird, der [X.] unterliegt und von dieser herausgenommen ist. Dies war bei der Klägerin im streitgegenständlichen [X.]raum jedenfalls ab dem Inkrafttreten des [X.] zum 1. Oktober 2005 nicht der Fall. § 4 [X.] installierte bis zum 30. Juni 2011 ein eigenständiges Arbeitszeitregime ohne eine verkürzte Arbeitszeit. Dies stellte keine Herausnahme iSd. § 11 Abs. 2 [X.] dar.

aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom [X.] auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem [X.] ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann ([X.] 18. Februar 2014 - 3 [X.] - Rn. 29; 21. November 2013 - 6 [X.] - Rn. 28).

bb) Nach § 4 [X.] betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] 38 Stunden. Es handelte sich gemäß § 2 [X.] um eine [X.] für den Betrieb [X.], welche die in § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorgesehene Verkürzung der Arbeitszeit auf 34 Stunden nicht zur Anwendung kommen ließ. Stattdessen sollte im Betrieb [X.] für die von [X.] dorthin gewechselten Arbeitnehmer (§ 1 [X.]) die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 38 Stunden betragen. § 4 [X.] installierte nach seinem Wortlaut damit ein eigenständiges Arbeitszeitregime. Dies entsprach dem durch die Verwendung des Begriffs „Pilotkonditionen“ zum Ausdruck kommenden Gedanken der Schaffung von etwas Neuem zu besonderen Konditionen.

cc) Dem steht nicht entgegen, dass § 4 [X.] damit eine „dritte Beschäftigtengruppe“ geschaffen hat, welche weder der verkürzten Wochenarbeitszeit unterfiel noch aus dieser herausgenommen wurde. Ein etwaiger Wille der Tarifvertragsparteien zur Umsetzung des Arbeitszeitkonzepts von § 11 Abs. 1 iVm. Abs. 2 [X.] für alle Beschäftigten in allen Betrieben - und damit auch die in der [X.] - hätte keinen Niederschlag in den tariflichen Regelungen gefunden.

(1) § 4 [X.] wies keinen Bezug zu § 11 Abs. 2 [X.] auf, auch wenn beide eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden vorsehen. § 11 Abs. 2 [X.] ist eine Spezialregelung im Sinne einer Ausnahmevorschrift zu § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.], die für „einzelne“ Arbeitnehmer und „besondere“ Arbeitnehmergruppen abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] eine Arbeitszeit von 38 Stunden anordnet. Das [X.] von § 11 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] kommt dadurch deutlich zum Ausdruck, dass nach § 11 Abs. 2 Satz 7 [X.] die Anwendung der Herausnahmemöglichkeit nach § 11 Abs. 2 [X.] nicht dazu führen darf, dass der Grundsatz der 34-Stunden-Woche nach § 11 Abs. 1 [X.] im Unternehmen unterlaufen wird. Da § 4 [X.] gerade die Geltung dieses Grundsatzes sperrte, stand er in keinem Zusammenhang mit der diesbezüglichen Ausnahmevorschrift des § 11 Abs. 2 [X.]. Konsequenterweise wurden auch keine Beschäftigten der [X.] in der zu § 11 Abs. 2 [X.] erstellten Anlage 1 zum [X.] aufgeführt.

(2) Die Begründung einer eigenständigen betrieblichen Arbeitszeitregelung durch § 4 [X.] fügte sich in den tariflichen Gesamtzusammenhang ein. Tarifvertragsparteien können im Rahmen eines [X.] für einzelne Betriebe spezifische Arbeitszeitregelungen vereinbaren, um den dortigen besonderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Sie können dabei auch in den Grenzen des Art. 3 Abs. 1 GG in Kauf nehmen, dass die Beschäftigten eines Betriebs gegenüber denjenigen in anderen Betrieben besser gestellt werden. Das war hier der Fall, da sich zumindest die von [X.] kommenden Arbeitnehmer im Betrieb [X.] wegen ihrer eigenständigen Arbeitszeitregelung nicht an dem von § 2 TV BB iVm. § 11 Abs. 1 [X.] verfolgten Ziel der Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung beteiligten und auch keinen „Solidaritätsbeitrag“ durch Leistung unbezahlter Arbeitsstunden gemäß § 5 Abs. 8 [X.] iVm. § 11 Abs. 2 [X.] erbrachten. Dies könnte den Tarifvertragsparteien aber durch den mit dem [X.] bezweckten Erfolg des Aufbaus einer neuen Direktvertriebsorganisation als gerechtfertigt erschienen sein. Die finanziell vorteilhafte Regelung des § 4 [X.] hatte zweifellos eine motivierende Wirkung für die früheren Transfermitarbeiter, welche bei [X.] nach § 11 Abs. 2 [X.] iVm. der Anlage 1 zum [X.] von der Herausnahme betroffen waren. Zwingende Gründe für eine Herausnahme dieser Beschäftigten bei der [X.] iSd. § 11 Abs. 2 [X.] bzw. § 4 TV BB sind jedenfalls nicht ersichtlich. Hätten die Tarifvertragsparteien eine solche Herausnahme gewollt, hätten sie dies zumindest ansatzweise zum Ausdruck bringen müssen.

(3) Dies ist auch nicht durch die Protokollnotiz zu § 12 TV SR-T-Direkt geschehen. Nach dieser gelten die bisher auf Grundlage einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden beschäftigten Arbeitnehmer zwar nach der Überführung zum 1. Juli 2011 als Herausgenommene iSd. § 11 Abs. 2 [X.] Telekom Deutschland GmbH. Für die Vergangenheit, dh. für die [X.] der Geltung des [X.], enthält die Protokollnotiz aber keine Aussage. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien nur eine schon vorher geltende Regelung klarstellen wollten. Dies hätte ausdrücklich erfolgen können. Eine vergangenheitsbezogene Klarstellung wäre besonders dann veranlasst gewesen, wenn Hintergrund der Protokollerklärung - wie von der [X.] behauptet - gerade die Rechtsstreitigkeiten um die Berechtigung von Abzügen nach § 5 Abs. 8 [X.] gewesen wären.

dd) Die Klägerin wechselte zum 1. Mai 2005 von [X.] zur [X.] und unterfiel damit unstreitig dem persönlichen Geltungsbereich des [X.]. Für ihr Arbeitsverhältnis galt daher ab dem [X.]punkt des Inkrafttretens des [X.] zum 1. Oktober 2005 dessen Arbeitszeitregime. Eine tarifliche Anordnung einer Herausnahme aus der [X.] iSv. § 5 Abs. 8 [X.] bestand daher im streitgegenständlichen [X.]raum jedenfalls ab dem 1. Oktober 2005 nicht mehr.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bis zum 30. September 2005 zu den vorgenommenen Abbuchungen berechtigt war. Hinsichtlich der Abzüge für die Monate Mai 2005 bis einschließlich Februar 2010 ist die Klage ohnehin unbegründet. Insoweit greift die Ausschlussfrist des § 31 Abs. 1 [X.], wonach Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen sind.

a) Die Ausschlussfristenregelung findet auf die streitgegenständlichen Ansprüche auf Gutschrift von Arbeitsstunden Anwendung. Die Beklagte wollte hier mit der Belastung des [X.] der Klägerin mit Minusstunden keinen Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Vergütung bzw. eines nicht ins Verdienen gebrachten Vorschusses durchsetzen (vgl. zu dieser Konstellation [X.] 26. Januar 2011 - 5 [X.] 819/09 - Rn. 20, [X.]E 137, 38). Vielmehr verfolgt die Klägerin eigene Ansprüche gemäß § 611 Abs. 1 BGB.

b) Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne einer Ausschlussfrist fällig, wenn der Gläubiger ihn annähernd beziffern kann. Die Forderung muss in ihrem Bestand feststellbar sein und geltend gemacht werden können (vgl. [X.] 14. März 2012 - 10 [X.] 172/11 - Rn. 39; 18. August 2011 - 8 [X.] 187/10 - Rn. 43). Bei Führung eines [X.] kann der Arbeitnehmer etwaige Ansprüche ggf. einer Mitteilung des Arbeitgebers über den Stand des Kontos entnehmen (vgl. zur Vergleichbarkeit mit einer Lohnabrechnung [X.] 28. Juli 2010 - 5 [X.] 521/09 - Rn. 19, [X.]E 135, 197). Hängt das Bestehen von [X.] einer Vertragspartei allerdings nach der Ausgestaltung der Kontoführungsregelungen von dem Kontostand zu einem bestimmten Abrechnungszeitpunkt ab, so ist vorher nicht feststellbar, ob entsprechende Ansprüche bestehen (vgl. [X.] 5. September 2002 - 9 [X.] 244/01 - zu [X.] 1 b aa der Gründe, [X.]E 102, 321). Der Sinn eines [X.] besteht typischerweise gerade in der Flexibilisierung der Arbeitszeit, die es gestattet für einen bestimmten [X.]raum Plus- oder Minusstunden anzusammeln und erst zu einem bestimmten Stichtag oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Bilanz zu ziehen. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch der Streit, ob bestimmte [X.]en - zB Mehrarbeit - zu Unrecht nicht in das Arbeitszeitkonto eingebucht wurden. Etwaige Ansprüche auf Gutschrift solcher Stunden bestehen unabhängig von dem Ausgleichszeitraum, denn sie wirken sich auf jedweden Saldo zum Abrechnungsstichtag aus.

c) Gleiches ist hier der Fall. Streitgegenstand ist kein zu einem bestimmten [X.]punkt abzurechnender oder auszugleichender Saldo, sondern der monatlich gleichbleibende Abzug von 4 Stunden und 20 Minuten. Er wirkt sich bei der Saldierung in jedem Fall zu Lasten der Klägerin aus. Der Abrechnungszeitraum nach § 6 Abs. 1 [X.] hat daher keine Bedeutung für die Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs. Die Klägerin konnte die Wiedergutschrift der zu Beginn eines jeden Kalendermonats herausgebuchten Stunden sofort im ebenfalls monatlichen Turnus verlangen (§ 271 Abs. 1 BGB). Dies war ihr auch möglich, da sie nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] Kenntnis von den monatlich erfolgten [X.] hatte. Dies entspricht der [X.] dieser Abbuchungen hinsichtlich Höhe und [X.]punkt.

d) Die streitgegenständlichen Ansprüche sind daher nach § 31 Abs. 1 [X.] für den [X.]raum bis einschließlich Februar 2010 verfallen. Die Geltendmachung vom 27. August 2010 hat die sechsmonatige Ausschlussfrist nur für die Ansprüche ab März 2010 gewahrt. Entsprechend der Herausbuchung zu Beginn des Monats Februar 2010 wären die daraus folgenden Ansprüche nämlich bis Anfang August 2010 geltend zu machen gewesen. Folglich sind auch die Ansprüche für die vorherigen Monate nicht rechtzeitig geltend gemacht.

3. Die Ansprüche ab März 2010 sind nicht verfallen. Die Klägerin kann insoweit eine Gutschrift in Höhe von insgesamt 56,28 Stunden beanspruchen.

a) Bezüglich dieser Ansprüche bedurfte es keiner erneuten schriftlichen Geltendmachung. Nach § 31 Abs. 1 Unterabs. 2 [X.] ist eine solche nicht erforderlich, sofern der nicht oder unzutreffend erfüllte Anspruch auf demselben Fehler beruht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, denn die monatlich entstehenden Ansprüche auf Wiedergutschrift beruhen auf derselben fehlerhaften Anwendung des § 5 Abs. 8 [X.].

b) Auch die zweite Stufe der Ausschlussfrist kann der Geltendmachung der verbleibenden Ansprüche nicht entgegenstehen. Sie greift nach § 31 Abs. 4 [X.] nur ein, wenn nach der Geltendmachung der Ansprüche ein Bestreiten in Schriftform erfolgte. Ein solches Bestreiten ist den Feststellungen des [X.] nicht zu entnehmen. Auch die Beklagte hat sich auf ein solches Bestreiten nicht berufen.

c) Die nicht verfallenen Ansprüche belaufen sich der Höhe nach auf insgesamt 56,28 Stunden. Die Klägerin berechnet ihre Klageforderung mit 4,33 Stunden pro Monat und verlangt demzufolge für März bis August 2010 eine Gutschrift von 25,98 Stunden. Für die [X.] von September 2010 bis März 2011 hat sie ausweislich der Klageerweiterung vom 18. April 2011 insgesamt 30,3 Stunden geltend gemacht. Es ergibt sich für die [X.]spanne von März 2010 bis März 2011 eine Summe von 56,28 Stunden. Die Höhe dieser Forderung steht zwischen den Parteien nicht in Streit.

III. [X.] folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

        

        

    Kammann    

        

    Cl. [X.]    

                 

Meta

6 AZR 759/12

31.07.2014

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 24. Januar 2012, Az: 3 Ca 2823/11, Urteil

§ 611 Abs 1 BGB, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.07.2014, Az. 6 AZR 759/12 (REWIS RS 2014, 3654)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3654

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