Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2019, Az. III ZR 141/18

III. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 2239

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
III ZR 141/18

Verkündet am:

24. Oktober
2019

A n k e r

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

BGB § 839a, § 839 Abs. 3

a)
Im Rahmen der analogen Anwendung von § 839a BGB auf Sachverständi-gengutachten in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ist die An-klageerhebung als eine "gerichtliche Entscheidung" im Sinne dieser Vor-schrift anzusehen (Bestätigung und Fortführung von [X.], Urteil vom 6. März 2014 -
III ZR 320/12, [X.], 253).

b)
Das Recht des Angeschuldigten, im Zwischenverfahren Beweisanträge zu stellen und Einwendungen vorzubringen, ist ein "Rechtsmittel" im Sinne von
§ 839a Abs. 2 in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB.

c)
Ein Rechtsmittel muss möglich, zumutbar und erfolgversprechend sein, damit sein Nichtgebrauch zu einem Anspruchsverlust führt; liegen diese Vo-raussetzungen aus der begründeten Sicht des Geschädigten nicht vor, so stellt sich der Nichtgebrauch des [X.] nicht als schuldhaft dar. [X.] fehlt es am Verschulden, wenn der Geschädigte davon ausge-hen durfte, sämtliche konkret zumutbaren und erfolgversprechenden Behel-fe
gegen das einer Anklage zugrundeliegende Gutachten ergriffen zu haben.

[X.], Urteil vom 24. Oktober 2019 -
III ZR 141/18 -
LG [X.]

[X.]

-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober
2019 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. [X.] und [X.], [X.], Reiter und
Dr.
Kessen

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] -
1. Zivilkammer
-
vom 8. Juni 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der
Kläger verlangt von der [X.] unter dem Vorwurf der grob fahr-lässigen Erstellung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutach-tens in einem Ermittlungsverfahren den Ersatz immaterieller Schäden.

Der Kläger ist Vater eines im Mai 2000 geborenen [X.] und einer im September 2002 geborenen Tochter. Aufgrund einer im Juli 2009 erstatteten Strafanzeige seiner damaligen Ehefrau leitete die Staatsanwaltschaft
gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil seiner Tochter ein. Im Ermittlungsverfahren wurden die seinerzeitige Ehefrau des [X.] und dessen Kinder als
Zeugen vernommen. Hiernach stell-1
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te die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 [X.] mangels hinreichenden Tatverdachts mit der Begründung ein, dass es an ge-eignetem Aussagematerial fehle.

Auf die Beschwerde der damaligen Ehefrau
des [X.]
hob die [X.] die Einstellungsverfügung mit dem Hinweis auf, dass ein aussagepsychologisches Fachgutachten einzuholen sei. Daraufhin beauftragte die Staatsanwaltschaft
die Beklagte, eine [X.], mit der Erstel-lung eines aussagepsychologischen Gutachtens. Nach Exploration der Tochter des [X.] legte die Beklagte unter dem 28. Dezember 2010 ein "Vorläufiges psychologisches Sachverständigengutachten"
vor, in dem sie zu dem Ergebnis gelangte, dass sämtliche Alternativhypothesen mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückgewiesen werden könnten und der Aussage des Kindes mit hoher Wahr-scheinlichkeit subjektive Erlebnisse in der Wachwirklichkeit zugrunde lägen.

Gestützt auf dieses Sachverständigengutachten erhob die [X.] am 18. Januar 2011 gegen den Kläger Anklage wegen sexuellen [X.] in zwei Fällen (§ 176 Abs. 1, § 53 StGB). Mit Schriftsatz vom 21. März 2011 beantragte der Strafverteidiger des [X.], das Hauptver-fahren nicht zu eröffnen;
zur Begründung führte er unter Beifügung von Auszü-gen aus der Fachliteratur aus, dass das Gutachten der [X.] fundamentale Fehler aufweise und daher unverwertbar
sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 29. März 2011 legte er eine methodenkritische Stellungnahme der [X.]

A.

vom 26. März 2011 vor, die dem Gutachten der [X.] gravie-rende Mängel vorhielt und schlussfolgerte, dass dieses forensisch nicht ver-wertbar sei. Einen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständi-3
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gengutachtens stellte der Verteidiger nicht. Auch gingen in den [X.] keine weiteren Schreiben oder Anträge des Verteidigers ein.

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 eröffnete das [X.] das Hauptverfahren. Nach Bestimmung der Hauptverhandlungstermine teilte [X.] dem Verteidiger des [X.] am 30. Januar 2012 mit, dass die [X.] von sich aus kein zweites [X.] einholen werde. Der Verteidiger des [X.] lud daraufhin die [X.]
A.

als präsente Sachverständige zur Hauptverhandlung. In der Hauptverhandlung am 23. und 24. Februar 2012 ließ sich der Kläger (dortige Angeklagte) zur Sa-che ein, wurde seine damalige Ehefrau als Zeugin vernommen und äußerten sich die Beklagte sowie die Psychologin A.

als Sachverständige. Die Beklagte revidierte ihr schriftliches Gutachten, und auf allseitigen Antrag wurde der Klä-ger aus tatsächlichen Gründen -
rechtskräftig -
freigesprochen.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstellt. Sie habe erkennen müssen, dass es an [X.] fehle. Durch das Strafverfahren sei ihm ein immaterieller Schaden entstanden. Er habe unter einer schweren Belastungsreaktion gelitten und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Dies wäre ihm bei richtiger Gutachtenerstattung durch die Beklagte erspart geblieben. Auch hätte er dann ein Jahr früher wieder Kontakt zu seiner Tochter haben können.

Die Beklagte ist diesen Vorwürfen entgegengetreten. Sie hat bestritten, dass die vom Kläger geschilderten Beeinträchtigungen auf die Durchführung des Hauptverfahrens zurückgegangen seien, und gemeint, der Kläger habe im Zwischenverfahren einen förmlichen Beweisantrag auf Einholung eines weite-ren Gutachtens stellen müssen.
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Das Amtsgericht hat die Beklagte
nach Beweisaufnahme zur Zahlung waltskosten verurteilt. Auf ihre
hiergegen eingelegte Berufung hat das [X.] das Ersturteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung
des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist insgesamt zulässig.
Eine Beschränkung der Revisions-zulassung, etwa auf die Folgen des [X.], geht aus dem Be-rufungsurteil nicht mit der gebotenen Deutlichkeit hervor, so dass die [X.] einer derartigen Beschränkung offenbleiben kann.

Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefoch-tenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:

Zwar habe die Beklagte grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstat-tet. Dieses Gutachten sei auch für die Eröffnung des Hauptverfahrens -
als "ge-richtliche Entscheidung"
im Sinne von § 839a Abs. 1 BGB -
ursächlich gewe-8
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sen. Allerdings sei der Anspruch des [X.] gemäß § 839a Abs. 2 in Verbin-dung mit § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil er im Zwischenverfahren kei-nen Beweisantrag auf Einholung eines erneuten Sachverständigengutachtens gestellt, sondern nur eine methodenkritische (Privat-)Stellungnahme zu dem Gutachten der [X.] vorgelegt
habe. Letzteres genüge den Anforderungen des § 839 Abs.
3 BGB nicht. Der Kläger müsse sämtliche zur Korrektur des un-richtigen Sachverständigengutachtens zur Verfügung stehenden innerpro-zessualen Behelfe schon vor Abschluss der jeweiligen Instanz ausschöpfen, um den Anforderungen nach § 839a Abs. 2, § 839 Abs. 3 BGB gerecht zu werden. Dazu gehörten nicht nur Gegenvorstellungen und Hinweise auf die Unrichtigkeit des Gutachtens, sondern auch Anträge, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden oder die Stellung eines formellen [X.] auf Einholung eines neuen (Ober-)Gutachtens. Diese [X.] zum Tätigwerden bestehe nicht nur im Zivilprozess, sondern auch im Strafverfahren. §
839 Abs. 3 BGB sei Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, dass ein Dulden und Liquidieren nicht möglich sein solle,
vielmehr Verletzungen und Schäden frühestmöglich verhindert werden müssten, indem der Betroffene alles unternehme, um sie zu vermeiden. Dazu zähle auch das Stellen von förm-lichen Beweisanträgen im Zwischenverfahren. Hier habe der Kläger daher, um alle innerprozessualen Rechtsbehelfe auszuschöpfen, bereits im Zwischenver-fahren gemäß § 201 [X.] einen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens stellen müssen. Wegen der Begründungspflicht bei Ablehnung des Beweisantrags sei davon auszugehen, dass sich die [X.] im Falle ei-nes förmlichen Beweisantrags intensiv mit den aufgezeigten Mängeln des Gut-achtens der [X.] und der Frage, ob sich hieraus ein hinreichender Tatver-dacht ableiten lasse, auseinandergesetzt hätte. Bei pflichtgemäßem Vorgehen der [X.] wäre die Verwertbarkeit des fehlerhaften Gutachtens als Grundlage für die Eröffnung des Hauptverfahrens beseitigt worden. Den Kläger -

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beziehungsweise dessen Strafverteidiger treffe an der Versäumung des Rechtsbehelfs auch ein Verschulden. Der Strafverteidiger des [X.] habe sich bewusst gegen die Stellung eines förmlichen Beweisantrags im Zwischen-verfahren und für eine Sistierung der [X.] A.

in der [X.] entschieden. Er habe nach Einreichung der methodenkritischen Stel-lungnahme bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens nichts weiter unternommen, insbesondere weder auf die hier
vorgetragenen psychischen Belastungen sei-nes Mandanten hingewiesen noch auf eine zügige Ablehnung der Eröffnung der Hauptverhandlung mangels Belastbarkeit des Glaubhaftigkeitsgutachtens der [X.] gedrängt. Er habe damit die zeitliche Verzögerung ebenso geduldet und hingenommen wie die sich abzeichnende Gefahr, dass das Hauptverfahren auf der Grundlage des Gutachtens der [X.] zunächst eröffnet und der hinreichende Tatverdacht erst in der Hauptverhandlung ausgeräumt werde. Das Verschulden seines Strafverteidigers müsse sich der Kläger im Haftungspro-zess zurechnen lassen.

II.

1.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht auf einen Anspruch nach § 839a BGB abgestellt. Wie der erkennende [X.] bereits entschieden hat, ist diese Vorschrift auf die Gutachtenerstattung in einem staatsanwaltschaftlichen Ermitt-lungsverfahren analog anzuwenden ([X.], Urteil vom 6. März 2014 -
III ZR 320/12, [X.], 253, 257 ff Rn. 20 ff).

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b) Nicht zu beanstanden ist ferner die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet. Hierzu erhebt die Beklagte auch keine Gegenrügen.

c) Ebenso rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Kausalität des Gutachtens für den Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens bejaht. Zu Recht weist die Revision allerdings darauf hin, dass nicht allein der gerichtli-che Eröffnungsbeschluss (§ 203 [X.]), sondern auch die ihm vorangegangene Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft (§§ 151, 152
Abs. 1,
§ 170
Abs. 1
[X.]) durch das Gutachten der [X.] herbeigeführt worden ist und dass die Anklageerhebung im Rahmen der analogen Anwendung von § 839a BGB eine "gerichtliche Entscheidung"
im Sinne dieser Vorschrift ist.

aa) Der analogen Anwendung von § 839a BGB auf Sachverständigen-gutachten in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren liegt -
neben der organisatorischen und institutionellen Nähe und der engen verfahrensrechtli-chen Verbindung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht -
der Gedanke zu-grunde, dass die Rechtsstellung des Sachverständigen im Ermittlungsverfahren im Wesentlichen derjenigen eines solchen
im Gerichtsverfahren entspricht ([X.] aaO); insbesondere ist der Sachverständige hier wie dort gehalten, den [X.] zu übernehmen und
auszuführen (§§ 75, 161a Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.]). Anders als die Revisionserwiderung meint, spricht nicht gegen die analoge Anwendung von § 839a BGB im Ermittlungsverfahren, dass die Rege-lung
der Verhinderung einer ansonsten bestehenden ungerechtfertigten Haf-tungsprivilegierung des Sachverständigen
dient. Vielmehr ist sie im Gegenteil
mit bestimmten Haftungserleichterungen zu dessen Gunsten verbunden, näm-lich mit der Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit und dem Haftungsausschluss
bei schuldhaftem Nichtgebrauch eines Rechtsmit-15
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tels. Hierdurch trägt sie dem Umstand Rechnung, dass der Sachverständige den gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen [X.] grundsätzlich nicht ablehnen und seine Arbeit nur nach den gesetzlichen
Vergütungsbestim-mungen abrechnen darf, seine Tätigkeit zudem gefahrenträchtig ist und er das damit verknüpfte Haftungsrisiko zu angemessenen Prämien versichern können muss.

bb) Mit der analogen Anwendbarkeit von § 839a BGB auf das staatsan-waltschaftliche Ermittlungsverfahren geht einher, dass als "gerichtliche Ent-scheidung"
im Sinne dieser Vorschrift auch die Anklageerhebung anzusehen ist. Die (analoge) Anwendung von § 839a BGB ist auch dann eröffnet, wenn es nach der Anklageerhebung nicht zur Eröffnung des Hauptverfahrens kommt (§ 204 [X.]). Bereits die -
auf ein (unrichtiges) Sachverständigengutachten zu-rückgehende -
Anklageerhebung als solche kann erhebliche Nachteile für den Angeschuldigten mit sich bringen, die eine Schadensersatzpflicht des Sachver-ständigen begründen können. Ein sachlicher Grund dafür, in diesen Fällen eine andere Haftungsregelung anzuwenden als im Falle der Eröffnung des [X.] (§ 203 [X.]), ist nicht ersichtlich. Der Zweck des § 839a BGB ge-bietet in der einen wie in der
anderen Fallgestaltung die Anwendung dieser Norm.

cc) Der Einwand der Revisionserwiderung, dass dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft [X.] keine förmlichen Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden, betrifft einen [X.], der einen Anspruchsausschluss nach § 839a Abs. 2 in Verbindung mit §
839 Abs. 3 BGB erschweren mag, hindert aber nicht die Anwendbarkeit von §
839a BGB. Ohne Erfolg bleibt auch der Hinweis der Revisionserwiderung, dass das Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 BGB für Entscheidungen der 18
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Staatsanwaltschaft nicht gelte. Der Anwendungsbereich des § 839a BGB be-schränkt sich nicht auf solche gerichtlichen Entscheidungen, die diesem Privileg
unterfallen, sondern umfasst sämtliche gerichtlichen Entscheidungen (s. nur [X.]/[X.], BGB § 839a Rn. 45 [Stand: 1.
September
2019]; [X.], 7.
Aufl., § 839a Rn. 23; jeweils mwN). Auf §
839 Abs. 2 BGB kommt es in diesem Zusammenhang dementsprechend nicht an.

d) Zu Recht beanstandet die
Revision den vom Berufungsgericht ange-nommenen Anspruchsausschluss wegen schuldhaften Nichtgebrauchs eines Rechtsmittels gemäß § 839a Abs. 2 in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB.

aa) Soweit die immateriellen Schäden des [X.] bereits auf die Ankla-geerhebung selbst -
unabhängig von dem nachfolgenden Eröffnungsbeschluss -
zurückzuführen sind, kann der [X.] nicht mit der Begründung [X.] werden, dass der Kläger im Zwischenverfahren keinen Beweisantrag ge-stellt habe, weil ein solcher den Eintritt dieser Schäden nicht verhindert hätte.

bb) Aber auch, soweit immaterielle Schäden erst durch den [X.] und das anschließende Hauptverfahren hervorgerufen worden sind, kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, dass er schuldhaft
ein Rechtsmittel versäumt und deshalb sein Anspruch -
in diesem Umfang -
gemäß § 839a Abs. 2 in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB nicht begründet sei.

(1) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass als "Rechtsmittel"
im Sinne dieser Vorschriften insbesondere auch solche Behelfe in Betracht kommen, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten selbst richten und die bestimmt und geeignet sind, eine auf das Gutachten ge-stützte gerichtliche Entscheidung zu verhindern. Hierzu zählen etwa Gegenvor-20
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stellungen und Hinweise auf die Unrichtigkeit des Gutachtens (siehe z.B. § 411 Abs. 4 ZPO), Anträge, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung sei-nes
Gutachtens zu laden, und formelle Beweisanträge auf Einholung eines neuen (Ober-)Gutachtens gemäß § 412 Abs. 1 ZPO; der Geschädigte muss sämtliche zur Korrektur des unrichtigen Sachverständigengutachtens zur Verfü-gung stehenden innerprozessualen Behelfe ausschöpfen, will er einen Aus-schluss seines Anspruchs vermeiden (s. hierzu [X.], Beschluss vom 28. Juli 2006 -
III ZB 14/06, NJW-RR 2006, 1454, 1455 Rn. 11; Urteil vom 5. Juli 2007 -
III ZR 240/06, [X.]Z 173, 98, 100 ff Rn. 8 ff und Beschluss vom 27. Juli 2017 -
III ZR 440/16, [X.], 1285, 1286 Rn. 6; s. auch [X.]
aaO Rn. 64, 65; [X.] aaO Rn.
38; [X.]/Knerr, [X.], 27. Aufl., [X.]. 35 Rn. 13). Nach diesen Grundsätzen, die auf den strikten Vorrang des Primär-rechtsschutzes vor dem Sekundärrechtschutz zurückgehen,
als "Rechtsmittel"
einzuordnen
ist auch das in § 201 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 [X.] ange-sprochene Recht des Angeschuldigten, im Zwischenverfahren Beweisanträge zu stellen und
Einwendungen vorzubringen. Denn auch hierbei handelt es sich um innerprozessuale Behelfe, die bestimmt und geeignet sind, eine auf das Gutachten gestützte gerichtliche Entscheidung (hier: die Eröffnung des [X.] gemäß § 203 [X.]) zu verhindern.

(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Kläger [X.] nicht als Verschulden anzulasten, dass sein Strafverteidiger im Zwischen-verfahren keinen förmlichen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Gut-achtens

201 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 [X.]) gestellt hat.

(a) [X.] muss dem Geschädigten im Sinne eines "Verschuldens gegen sich selbst"
vorwerfbar sein ([X.] aaO Rn. 72). Daran fehlt es, wenn er -
beziehungsweise der von ihm beauftragte 24
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12

-

Rechtsanwalt, dessen Verhalten er sich insoweit gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2, § 278 BGB zurechnen lassen muss ([X.]/[X.], BGB § 839
Rn. 702
und § 839a Rn. 74 [jeweiliger Stand: 1. September
2019]; MüKoBGB/[X.]/[X.], 7. Aufl., § 839 Rn.
335) -
davon ausgehen durfte, sämtliche konkret zumutbaren und erfolgversprechenden Behelfe gegen das Gutachten ergriffen zu haben. Ein Rechtsmittel muss möglich, zumutbar und erfolgversprechend sein, damit sein Nichtgebrauch zu einem Anspruchsverlust führt; liegen diese Vorausset-zungen aus der begründeten Sicht des Geschädigten nicht vor, so stellt sich der Nichtgebrauch des [X.] nicht als schuldhaft dar (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29.
Januar
2009 -
III ZR 182/08, BeckRS 2009, 6398 Rn. 2 und vom 30. Juni 2016 -
III ZR 316/15, NVwZ-RR 2016, 917 Rn. 2; [X.] aaO § 839 Rn. 704).

(b) Letzteres ist hier der Fall. Der Kläger und sein Strafverteidiger durften ohne Fahrlässigkeit annehmen, mit den Ausführungen in den Schriftsätzen
vom 21. und 29. März 2011 unter Beifügung von Auszügen aus der Fachlitera-tur und der methodenkritischen Stellungnahme der
[X.] A.

vom 26.
März 2011 sämtliche konkret zumutbaren und erfolgversprechenden Behelfe gegen das Gutachten der [X.] ergriffen zu haben und dass ein förmlicher Beweisantrag keine weiterreichende Aussicht auf die Abwendung der Eröffnung des Hauptverfahrens geboten hätte.

(aa) [X.] ist von Amts wegen verpflichtet, sich mit den [X.] des Angeschuldigten zu befassen und über die Einholung weiterer [X.] im Zwischenverfahren zu befinden (§ 201 Abs. 2 Satz 1, § 202 Satz 1, § 244 Abs.
2 [X.]). Ebenso wie bei der Bescheidung eines förmlichen [X.] ist es dabei nicht an die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 bis 5 [X.] gebunden (s. etwa MüKo[X.]/[X.], 1. Aufl., § 201 Rn. 25, 31 f; KK-[X.]/[X.], 8.
Aufl., § 201 Rn. 12, 18); seine hierzu ergehende Entschei-26
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-

dung
ist unanfechtbar (§ 201 Abs. 2 Satz 2, § 202 Satz 2 [X.]),
und diesbe-zügliche Fehler sind nicht [X.] (§ 336 Satz 2 Alt. 1 [X.]; [X.] aaO Rn. 22).
Das Zwischenverfahren richtet sich maßgeblich nach der Aktenlage und verlangt anhand der hierdurch dokumentierten Ermittlungsergebnisse eine Verdachtsprüfung. Es ist nicht der Ort für umfassende Beweisaufnahmen. [X.] bleiben regelmäßig der von den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittel-barkeit beherrschten Hauptverhandlung vorbehalten, die vom Zwischenverfah-ren nicht vorweggenommen werden soll ("keine Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung"); eine umfassende Beweisaufnahme im Zwischenverfahren läuft Gefahr, zu erheblichen Verfahrensverzögerungen, doppelten Beweiserhe-bungen und Mehrfachbelastungen aller Verfahrensbeteiligten, insbesondere auch
der
möglichen
Tatopfer, zu führen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. März 2001 -
StB 4, 5/01,
[X.]St 46, 349, 352 f; [X.] aaO Rn. 32; s. auch [X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., vor § 198 Rn. 23).

(bb) Vor diesem Hintergrund durften der Kläger und sein Strafverteidiger ohne Verschulden von der Stellung eines förmlichen Beweisantrags im Zwi-schenverfahren absehen. Sie konnten insbesondere davon ausgehen, dass ein solcher Antrag -
dessen Ablehnung unanfechtbar und an die Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 bis 5 [X.] nicht gebunden gewesen wäre -
keine bessere Aussicht auf eine Verhinderung der Eröffnung des Hauptverfahrens geboten hätte. Der -
substantiierte -
Angriff auf das aussagepsychologische Gutachten
der [X.] zielte darauf ab, dem Gutachten selbst und damit auch dem für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen hinreichenden Tatverdacht (§ 203 [X.]) die Grundlage zu entziehen und hierdurch einen alsbaldigen Nichteröffnungsbeschluss herbeizuführen. Dieses Vorgehen reichte zur [X.] aus, denn der Kläger war als Angeschuldigter nicht gehalten, seine [X.] zu beweisen. Der Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens -
mit 28
-

14

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nochmaliger Exploration des mutmaßlichen [X.] -
hätte demgegenüber die Gefahr einer Vorwegnahme der Hauptverhandlung und einer mehrfachen [X.]rhebung mit entsprechenden zeitlichen Verzögerungen und Mehrbelas-tungen für sämtliche Verfahrensbeteiligten mit sich gebracht. Damit, dass das Strafgericht in dieser Weise verfahren würde, brauchte
daher
nicht gerechnet zu werden. Zudem hätte gerade diese Verfahrensweise zu einer längerdauern-den Belastung des [X.] führen können. Dies hat das Berufungsgericht bei seinem Vorwurf, der Verteidiger des [X.] habe mit seinem Vorgehen eine Verfahrensverzögerung -
bewusst -
"hingenommen", nicht berücksichtigt.

(cc) Der schuldhafte Nichtgebrauch eines Rechtsmittels kann auch nicht
-
wie die Revisionserwiderung meint -
daraus hergeleitet werden, dass der Klä-ger (beziehungsweise sein Strafverteidiger) keinen Antrag auf mündliche Erläu-terung des Gutachtens der [X.] gestellt habe. Zwar hat der erkennende [X.] es für vorwerfbar gehalten, wenn der Geschädigte sich auf ausführliche schriftsätzliche Einwände unter Beifügung privatgutachterlicher
Stellungnahmen beschränkt und es unterlassen hat, die mündliche Befragung des [X.] und die Erläuterung seines Gutachtens zu beantragen ([X.], Urteil vom 5. Juli 2007 aaO [X.] Rn. 10 und [X.] Rn. 13). Dabei ging es jedoch nicht um ein Zwischenverfahren im Strafprozess, sondern um einen Zivilprozess, der einen entsprechenden Verfahrensabschnitt nicht kennt. Jenes
richtet sich, wie ausgeführt, maßgeblich nach der Aktenlage; eine umfassende Beweisaufnah-me findet regelmäßig erst in der Hauptverhandlung statt, die vom Zwischenver-fahren nicht vorweggenommen werden soll. Dies steht der
Vernehmung
eines Sachverständigen im Zwischenverfahren grundsätzlich entgegen. Diese hätte ebenso wie die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens die Ge-fahr einer Vorwegnahme der Hauptverhandlung und einer mehrfachen [X.] mit entsprechenden zeitlichen Verzögerungen und Mehrbelastungen 29
-

15

-

für sämtliche Verfahrensbeteiligten mit sich gebracht. Der Kläger und sein Ver-teidiger
handelten demzufolge nicht schuldhaft, wenn sie davon absahen, die Vernehmung
der [X.] im Zwischenverfahren zu beantragen.

2.
Das Berufungsurteil ist nach alldem aufzuheben (§
562 Abs.
1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs.
1 ZPO). Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht zu Art und Umfang des eingetre-tenen immateriellen Schadens und der Bemessung der Entschädigung des [X.] keine eigenen Feststellungen getroffen hat und die Sache deshalb nicht zur End-entscheidung
reif ist (§
563 Abs.
3 ZPO).

[X.]

[X.]

Remmert

Reiter

Kessen
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 30.08.2017 -
28 C 79/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 08.06.2018 -
1 [X.]/17 -

30

Meta

III ZR 141/18

24.10.2019

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2019, Az. III ZR 141/18 (REWIS RS 2019, 2239)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2239

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