Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.02.2023, Az. 2 StR 162/22

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2970

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Tenor

1. Die Anträge des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 4. Januar 2022 und gegen die Versäumung der Frist zu deren Begründung werden als unzulässig verworfen.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unzulässig verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Körperverletzung und anderer Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung eines sichergestellten Klappmessers angeordnet; von weiteren Vorwürfen hatte es den Angeklagten wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung (§ 20 StGB) freigesprochen. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision des Angeklagten teilweise aufgehoben und die Sache insoweit an das Amtsgericht zurückverwiesen (es fehlte an einem wirksamen Übernahmebeschluss des [X.]s), im Übrigen aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen, soweit der Angeklagte verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden war; die weitergehende Revision des Angeklagten wurde verworfen.

2

Nunmehr hat das [X.] das beim Amtsgericht geführte Verfahren gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 [X.] übernommen, zu dem nach Zurückverweisung anhängigen – führenden – Verfahren hinzuverbunden und gemäß § 154 Abs. 2 [X.] eingestellt. Es hat den Angeklagten sodann im zweiten Rechtsgang wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Fall 5 der Urteilsgründe), wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (Fall 2 der Urteilsgründe), wegen Körperverletzung in zwei Fällen (Fälle 3 und 4 der Urteilsgründe) und wegen Nötigung (Fall 1 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

3

1. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist unzulässig, sie entspricht nicht den Formerfordernissen des § 32d Satz 2 [X.].

4

a) Die [X.] sowie die [X.] wurden dem [X.] als elektronische Dokumente im [X.] übermittelt, die mit dem maschinenschriftlichen Namenszug des Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt [X.], versehen waren. Für die Übermittlung wurde zwar die „Nutzer-ID“ von Rechtsanwalt [X.]verwendet, unter der sein gemäß § 31a [X.] bei der [X.] eingerichtetes besonderes elektronisches Anwaltspostfach geführt wird, ausweislich der zur Akte gelangten Prüfprotokolle erfolgte der Versand der Schriftsätze aber nicht durch sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach, sondern „per EGVP“ an die elektronische Poststelle des [X.]s. [X.] sowie [X.] waren überdies versehen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur von Rechtsanwalt [X.], der nach den Angaben im Briefkopf in der Kanzlei von Rechtsanwalt [X.]tätig, allerdings in vorliegender Sache nicht als Wahl- oder Pflichtverteidiger mandatiert bzw. beigeordnet ist.

5

b) Damit wahren [X.] und [X.] nicht die Formerfordernisse der § 341 Abs. 1, § 32a Abs. 3, § 32d [X.].

6

aa) Zutreffend hat der [X.] hierzu ausgeführt:

„Nach der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Vorschrift des § 32d Satz 2 [X.] müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Hierbei handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Mai 2022 - 2 StR 110/22 -, juris, Rn. 3 m. w. Nachw.).

(…) Da für [X.] und -begründung, soweit sie nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden, gesetzlich die Schriftform, für die [X.] darüber hinaus auch die Unterzeichnung durch den Verteidiger oder einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist (§§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 2 [X.]), müssen diese Dokumente bei Übermittlung in elektronischer Form gemäß § 32a Abs. 3 [X.] entweder „mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein“ oder - alternativ - „von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg [im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 [X.]] eingereicht werden“ (vgl. [X.]. 18/9416, [X.]; [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 32a Rn. 4 m. w. Nachw.). In der zweiten Alternative muss die verantwortende Person das Dokument also nicht nur (einfach) „signieren“, indem sie es maschinenschriftlich oder in sonstiger Weise mit ihrem Namenszug versieht, sondern auch „einreichen“, d.h. die Übermittlung auf sicherem Wege selbst vornehmen (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22 -, juris, Rn. 9 ff. m. w. Nachw.). Dies entspricht sowohl dem Gesetzeswortlaut („von der verantwortenden Person signiert und […] eingereicht“; vgl. [X.], Beschluss vom 8. April 2019 - 11 U 146/18 -, juris, Rn. 41 [zu § 130a Abs. 3 ZPO]) als auch der systematischen Gleichstellung der sicheren Übermittlungswege mit der qualifizierten elektronischen Signatur (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Juni 2020 - 10 [X.] 53/20 -, juris, Rn. 18 [zu § 130a ZPO]) sowie dem Sinn und Zweck der Regelung des § 32a Abs. 3 Alt. 2 [X.], die Funktion der Schriftform, die Identität des Urhebers und der Authentizität des Dokuments zu gewährleisten, durch „funktionssichere“ Übermittlungswege zu ersetzen (vgl. [X.]. 18/9416, [X.]; [X.], Beschluss vom 5. Juni 2020 - 10 [X.] 53/20 -, juris, Rn. 19 ff. [zu § 130a ZPO]; [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 8 C 4/21 -, juris, Rn. 5 [zu § 130a ZPO]). Im Falle der Übermittlung auf dem sicheren Weg zwischen einem gemäß § 31a [X.] von der [X.] eingerichteten besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle einer Behörde oder eines Gerichts (§ 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.]) muss die Übertragung mithin über das besondere elektronische Anwaltspostfach des durch die Signatur als verantwortliche Person ausgewiesenen Rechtsanwalts erfolgen und zudem dieser selbst - und nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter - auch der tatsächliche Versender sein (vgl. [X.], a.a.[X.], Rn. 11 m. w. Nachw.).

(…) Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis dokumentiert. Fehlt er, kann nicht von einem Eingang auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.] ausgegangen werden. Der vertrauenswürdige Herkunftsnachweis ist eine elektronische Signatur am äußeren Umschlag der EGVP-Nachricht. Diese wird bei der Versendung eines elektronischen Dokuments aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach angebracht, wenn dessen Inhaber zur Übermittlung des Dokuments mit seiner persönlichen Kennung bei dem Verzeichnisdienst angemeldet war. In diesem Fall erscheint beim Eingang der Nachricht im [X.] der Eintrag: „Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach“. Fehlt ein solcher Eintrag, ohne dass ein technischer Fehler ersichtlich ist, lässt dies darauf schließen, dass das einfach signierte Dokument ohne persönliche Anmeldung des [X.] und damit als bloße EGVP-Nachricht oder durch eine andere Person versandt wurde. Beides erfüllt nicht die Anforderungen an einen sicheren Übermittlungsweg, weil Identität des Urhebers und Authentizität des Schriftstücks in diesen Fällen nicht gewährleistet sind. Die [X.] und die auch in solchen Fällen mit versandte „[X.]“ bzw. „Nutzer-ID“ können den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis nicht ersetzen. Sie identifizieren nur das besondere elektronische Anwaltspostfach, von dem aus das elektronische Dokument versandt wurde, nicht aber die das Dokument versendende Person (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Juni 2020 - 10 [X.] 53/20 -, juris, Rn. 25 ff.; [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 8 C 4/21 -, juris, Rn. 7 f. [jeweils zu § 130a Abs. 3 ZPO]).“

7

bb) Danach sind [X.] und [X.] nicht im Sinne von § 32a Abs. 3 und 4 [X.] von der verantwortenden Person, nämlich Rechtsanwalt [X.], auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden.

8

Dieser hat bestätigt, die [X.] und die [X.] nicht selbst aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach an das [X.] übermittelt zu haben. Der Versand sei vielmehr durch den in seiner Sozietät tätigen Rechtsanwalt [X.]als Vertreter veranlasst worden, während er selbst „büroabwesend“ gewesen sei. Er habe Rechtsanwalt [X.] Zugriff auf sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach eingeräumt, um bei Bedarf Schriftsätze in Vertretung zu übersenden. Die Formerfordernisse nach § 32a Abs. 3 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.] wären jedoch nur dann gewahrt, wenn Rechtsanwalt [X.]die elektronischen Dokumente nach Anmeldung mit seiner persönlichen Kennung eigenhändig aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach übermittelt hätte. Erfolgt – wie hier – die Übermittlung nach § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.] gleichsam durch einen Boten, wird die Authentizität des elektronischen Dokuments nicht gewährleistet ([X.], Beschluss vom 24. Januar 2023 – 6 StR 466/22 Rn. 4 mwN). Dass Rechtsanwalt [X.]eine Übermittlung des von ihm „einfach“ signierten Schriftsatzes mit dem besonderen elektronischen Postfach nicht möglich gewesen sei oder ein Ausnahmefall des § 32d Satz 3 und 4 [X.] (dazu vgl. Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2022 – 2 [X.] Rn. 6) vorgelegen habe, hat er nicht vorgetragen.

9

Die Dokumente waren auch nicht im Sinne von § 32a Abs. 3 Alt. 1 [X.] mit einer qualifizierten elektronischen Signatur von Rechtsanwalt [X.]als der verantwortenden Person versehen, sondern von einer anderen Person, nämlich Rechtsanwalt [X.], qualifiziert elektronisch signiert (der in vorliegender Sache auch nicht als Wahl- oder Pflichtverteidiger mandatiert bzw. beigeordnet ist, vgl. [X.], Beschluss vom 24. Januar 2023 – 6 StR 466/22 Rn. 5).

2. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Revision erweisen sich ebenfalls als unzulässig. Weder ist dargetan, wann der Angeklagte – der selbst oder zu Protokoll der Geschäftsstelle hätte Revision einlegen können – davon Kenntnis hatte, dass die [X.] nicht den gesetzlichen Formerfordernissen entsprach, noch wurde die versäumte Rechtshandlung formgerecht nachgeholt (§ 45 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Zutreffend führt der [X.] aus:

„Zwar wurden die [X.] und die -begründungsschrift am 8. August 2022 nochmals aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach von Rechtsanwalt [X.]an das [X.] übermittelt. Sie sind dort aber ausweislich des [X.] wiederum nur in einer einfachen EGVP-Nachricht ohne sicheren Herkunftsnachweis eingegangen, der die eigenhändige Versendung durch den Postfachinhaber nach Anmeldung mit persönlicher Kennung dokumentiert. Dies genügt den Anforderungen des § 32a Abs. 3 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.] nicht.“

3. Für eine Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision von Amts wegen (zugleich als Voraussetzung für eine solche zur Begründung der Revision, vgl. Senat, Beschluss vom 8. Januar 1982 – 2 StR 751/80, [X.]St 30, 335) war schon mangels Nachholung der versäumten Handlung kein Raum (§ 45 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.]); mangelndes Verschulden des Angeklagten ist auch nicht offenkundig. Anhaltspunkte für einen ausnahmsweise zur Wiedereinsetzung von Amts wegen nötigenden „offenkundigen Mangel“ der Verteidigung (vgl. [X.], NJW 2003, 1229; [X.], Beschlüsse vom 12. Januar 2021 – 3 [X.], NStZ-RR 2021, 112; vom 7. August 2019 – 3 [X.], NStZ-RR 2019, 349; vom 5. Juni 2018 – 4 [X.], [X.]R [X.]. 6 III Buchst. c Beschränkung 3) liegen nicht vor.

Franke     

  

Appl     

  

Meyberg

  

Grube     

  

Schmidt     

  

Meta

2 StR 162/22

07.02.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 4. Januar 2022, Az: 63 KLs 18/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.02.2023, Az. 2 StR 162/22 (REWIS RS 2023, 2970)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2970

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