Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15.11.2010, Az. 1 BvL 12/10

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2010, 1390

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Unzulässigkeit einer vom originären Einzelrichter (§ 348 Abs 1 ZPO) beschlossenen Normenkontrollvorlage (Art 100 Abs 1 GG, § 80 BVerfGG) - Vorlage an Zivilkammer wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 348 Abs 3 ZPO) sowie aus Subsidiaritätsgründen geboten


Gründe

1

Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob § 21 Satz 2 des Gesetzes für den [X.] betreffend die [X.] ([X.]) vom 22. September 1933 in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1937 ([X.]. GVBl. Sb II, [X.]), geändert durch § 78 Abs. 3 des Gesetzes vom 2. Juni 1982 ([X.]. GVBl. [X.]), insofern mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als der Antrag der Kreditanstalt im Zwangsvollstreckungsverfahren den vollstreckbaren Titel ersetzt.

I.

2

In dem zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren geht die Klägerin im Wege der [X.] gegen die Vollstreckung einer Darlehensforderung durch die [X.] (fortan: Beklagte) vor. Die Klägerin vertritt dort unter anderem die Auffassung, § 21 Satz 2 des Gesetzes für den [X.] betreffend die [X.] ([X.]) sei verfassungswidrig, weil er gegen das Gebot der Normenklarheit und gegen Art. 3 [X.] verstoße. Es fehle daher an dem für die Zwangsvollstreckung notwendigen Titel.

3

Das [X.] hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 [X.] ausgesetzt und dem [X.] die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 21 Satz 2 des Gesetzes für den [X.] betreffend die [X.] ([X.]) insofern mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als ein Antrag der Kreditanstalt den vollstreckbaren Titel ersetzt. Den [X.]und Vorlagebeschluss hat der originäre Einzelrichter der zuständigen Zivilkammer des [X.]s gefasst (§ 348 ZPO).

II.

4

Die Vorlage ist unzulässig. Der Einzelrichter war hier gehindert, allein (gemäß § 348 Abs. 1 ZPO) über eine Normenkontrollvorlage zu entscheiden.

5

Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist eine Vorlage an das [X.] den Gerichten vorbehalten (Art. 100 Abs. 1 [X.], § 80 Abs. 1 BVerf[X.]). "Gericht" kann in einem Kollegialgericht auch der Einzelrichter sein, soweit er nach der jeweiligen Prozessordnung dazu berufen ist, die anstehende Entscheidung allein zu treffen (vgl. [X.] 54, 159 <163 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

6

Der Einzelrichter hätte den Rechtsstreit aufgrund des für ihn maßgeblichen Verfahrensrechts zunächst der Zivilkammer zur Übernahme vorlegen müssen. Das sieht § 348 Abs. 3 ZPO für den Fall vor, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Hält der Einzelrichter eine gesetzliche Regelung für verfassungswidrig, auf deren Geltung es ankommt, und will er sie deshalb mit dem Ziel der Normverwerfung dem [X.] zur Prüfung vorlegen, so muss er - aus seiner Sicht - der Rechtssache zwingend grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 348 Abs. 3 Nr. 2 ZPO beimessen. Jede andere Bewertung wäre schlechterdings unvertretbar (vgl. zu § 348 Abs. 4 ZPO a.F.: [X.], in [X.]/ Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], BVerf[X.], Stand März 2010, § 80 Rn. 210).

7

Der Zuständigkeit des Einzelrichters für die Vorlage an das [X.] steht weiter der auch für das Verfahren der konkreten Normenkontrolle geltende Gedanke der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit entgegen. Die Verfahrensordnung des Ausgangsverfahrens ist, sobald es um die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geht, nicht mehr allein, sondern in ihrem Zusammenhang mit den Bestimmungen des Normenkontrollverfahrens zu sehen (vgl. [X.] 47, 146 <155>). Zu diesen zählt die Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit. Die mit dem Normenkontrollverfahren verbundene Inanspruchnahme des [X.]s und weiterer oberster Verfassungsorgane des [X.] und der Länder (vgl. § 82 BVerf[X.]) lässt sich nur rechtfertigen, wenn sie zur Entscheidung eines konkreten Verfahrens unerlässlich ist (vgl. etwa [X.] 11, 330 <334 f.>; 34, 118 <127>; 47, 146 <154 f., 159>; 79, 256 <265>). Der Einzelrichter, der eine seiner Auffassung nach entscheidungserhebliche Norm für verfassungswidrig hält, hat daher im Blick auf Art. 100 Abs. 1 [X.], §§ 80 ff. BVerf[X.] eine Entscheidung der Kammer herbeizuführen. Bei dieser Verfahrensweise erübrigt sich eine Vorlage an das [X.] möglicherweise deshalb, weil die Kammer in ihrer Mehrheit die Verfassungsmäßigkeit der Norm bejaht oder deren Entscheidungserheblichkeit verneint. Der Grundsatz der Subsidiarität soll zudem gewährleisten, dass der Streitstoff und die Rechtslage in einfachrechtlicher wie in verfassungsrechtlicher Hinsicht von den Fachgerichten umfassend und eingehend erörtert werden (vgl. [X.] 74, 69 <74>; 86, 382 <386, 388>). Die [X.]bietet die Kammer als Kollegialorgan in deutlich höherem Maße als ein Einzelrichter (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Ersten Senats vom 5. Mai 1998 - 1 BvL 23/97 -).

8

Den Beteiligten des Ausgangsverfahrens werden ihre Rechte dadurch nicht verkürzt. Fasst die Kammer keinen Vorlagebeschluss, so ist es ihnen nach Erschöpfung des Rechtswegs unbenommen, Verfassungsbeschwerde zu erheben.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvL 12/10

15.11.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 28. September 2010, Az: 1 O 755/10, Vorlagebeschluss

Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 1 BVerfGG, § 348 Abs 1 ZPO vom 27.07.2001, § 348 Abs 3 Nr 2 ZPO vom 27.07.2001, § 348 Abs 4 S 1 ZPO vom 11.01.1993

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15.11.2010, Az. 1 BvL 12/10 (REWIS RS 2010, 1390)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1390

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