Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.08.2021, Az. B 9 SB 23/21 B

9. Senat | REWIS RS 2021, 3202

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen RF - Ermäßigung des Rundfunkbeitrags - behinderungsbedingte Störung anderer Teilnehmer auf Veranstaltungen - besondere Empfindsamkeit des behinderten Menschen - Meidung öffentlicher Veranstaltungen aus Angst vor negativen Kommentaren und Unmutsäußerungen anderer - Aufzeigen einer äußersten Randsituation - Sachverhaltsdarstellung - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 18. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin, die einen Grad der [X.]ehinderung von 100 hat und der die Merkzeichen G, [X.], [X.] und aG zuerkannt sind, begehrt in der [X.]auptsache die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des [X.]. Wie zuvor bereits das [X.] hat auch das [X.][X.] den geltend gemachten Anspruch verneint. Der Klägerin sei wegen ihres [X.]eidens die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig unmöglich (Urteil vom [X.]).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin [X.]eschwerde beim [X.][X.] eingelegt. Sie rügt, das [X.][X.] habe die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache verkannt.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die [X.]egründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nicht ordnungsgemäß dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 2 [X.]G).

4

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche [X.]edeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der [X.]eschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter [X.]erücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein [X.]eschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte [X.]reitenwirkung) darlegen (stRspr; z[X.] Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] 9 V 5/20 [X.] - juris RdNr 6 mwN). Diese Anforderungen erfüllt die [X.]eschwerdebegründung nicht.

5

Die Klägerin hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:

                 

"Kann es einer verletzlichen, schwerbehinderten Klägerin zugemutet werden, eine öffentliche Veranstaltung gleich welcher Art wie Theater, Oper, Konzert, Kino, Sportveranstaltung, [X.]esuch eines Gottesdienstes zu besuchen, obwohl der betroffenen Person bewusst ist, dass sie sich emotional nicht steuern kann, dadurch auffällt und weitere emotionale Verletzungen dadurch erfährt, wenn sie die negativen Kommentare der anderen [X.]esucher erfährt?"

6

Sie hat damit bereits keine abstrakt generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zur Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit einer revisiblen Norm des [X.]undesrechts (§ 162 [X.]G) mit höherrangigem Recht formuliert. Dies ist jedoch unverzichtbar. Denn nur dann kann das [X.][X.] als [X.]eschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen einer Grundsatzrüge prüfen (stRspr; z[X.] Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] 9 S[X.] 43/20 [X.] - juris RdNr 5 mwN). Vielmehr handelt es sich im [X.] um eine Fragestellung tatsächlicher Art bezogen auf die nach Ansicht der Klägerin in ihrem Einzelfall vorliegenden Umstände, deren Würdigung durch das [X.][X.] sie im Übrigen für fehlerhaft hält. Soweit sich die Klägerin bezogen auf ihre Fragestellung gegen die richterliche Überzeugungsbildung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) in ihrem Fall wendet, kann sie hiermit auch im Rahmen einer Grundsatzrüge von vornherein nicht gehört werden.

7

Aber selbst wenn sich aus dem [X.]eschwerdevorbringen der Klägerin eine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G zum Anwendungsbereich des [X.] formulieren ließe, was nicht Aufgabe des [X.][X.] als [X.]eschwerdegericht ist, hat die Klägerin weder deren Klärungsfähigkeit noch deren Klärungsbedürftigkeit aufgezeigt.

8

Ob eine Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, kann generell nur auf der Grundlage bereits getroffener Feststellungen des [X.][X.] beantwortet werden. Dagegen kann die Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung nicht zugelassen werden, wenn das [X.]erufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das [X.]erufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann ([X.][X.] [X.]eschluss vom 10.11.2008 - [X.] 12 R 14/08 [X.] - juris mwN). Insofern hätte die Klägerin in [X.]ezug auf die von ihr formulierte Fragestellung aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das [X.][X.] für das [X.][X.] bindend festgestellt hat (§ 163 [X.]G) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der [X.]eschwerde angesprochene Problematik entschieden werden muss. Zwar schildert die Klägerin in der [X.]eschwerdebegründung einen Sachverhalt. Ob die dort angegebenen Tatsachen auf Feststellungen des [X.]erufungsgerichts beruhen, ist ihren Ausführungen aber nicht zu entnehmen. Fehlt jedoch die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung, so wie sie das [X.][X.] seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, oder ist sie - wie hier - lediglich fragmentarisch, wird das [X.]eschwerdegericht nicht in die [X.]age versetzt, allein anhand der jeweiligen [X.]eschwerdebegründung zu beurteilen, ob die vom [X.]eschwerdeführer als grundsätzlich bedeutsam erachtete Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des [X.][X.] als [X.]eschwerdegericht, sich die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen ([X.][X.] [X.]eschluss vom 27.6.2018 - [X.] 5 RE 11/17 [X.] - juris Rd[X.]1 mwN). In diesem Kontext sei lediglich angemerkt, dass das [X.][X.] im angefochtenen Urteil unter [X.]erufung auf die als sachverständige Zeugin gehörte Neurologin [X.] es verneint hat, dass die Klägerin "Veranstaltungen stört oder durch unwillkürliche [X.]autäußerungen auffällt". Warum die diesbezüglichen Feststellungen des [X.]erufungsgerichts verfahrensfehlerhaft sein sollten, hat die Klägerin weder aufgezeigt noch gerügt.

9

Darüber hinaus hat die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit der in der [X.]eschwerdebegründung skizzierten Problemstellung nicht hinreichend dargetan. Sie erwähnt zwar den Senatsbeschluss vom 9.11.2017 ([X.] 9 S[X.] 35/17 [X.] - [X.] 4-3250 § 69 [X.]). Die Klägerin unterzieht sich aber nicht der notwendigen Mühe, sich mit diesem Senatsbeschluss und der weiteren - vom [X.][X.] in der angefochtenen Entscheidung auch zitierten - Senatsrechtsprechung zum [X.] inhaltlich auseinanderzusetzen. Sie versäumt es demzufolge, auf dieser Grundlage zu prüfen, ob sich aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung schon ausreichende Anhaltspunkte zur [X.]eantwortung der aufgeworfenen Problemstellung ergeben. Ist dies aber der Fall, so gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt (vgl stRspr; z[X.] Senatsbeschluss vom 22.3.2018 - [X.] 9 S[X.] 78/17 [X.] - juris Rd[X.]2 mwN). Der Senat hat in seinem vorgenannten [X.]eschluss vom 9.11.2017 (aaO Rd[X.]1) unter [X.]inweis auf die bisherige Senatsrechtsprechung ausgeführt, dass das [X.] nicht allein mit dem Ziel zuerkannt werden kann, besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. Der auf gesellschaftliche Teilhabe gerichtete Zweck dieses Merkzeichens würde sonst in sein Gegenteil verkehrt. Deshalb darf es nicht darauf ankommen, inwieweit sich Teilnehmer an öffentlichen Veranstaltungen durch [X.]ehinderte gestört fühlen. Das [X.] steht besonders empfindsamen [X.]ehinderten auch nicht allein deshalb zu, weil sie die Öffentlichkeit um ihrer Mitmenschen willen meiden. Die Klägerin hat auf der Grundlage der den Senat bindenden Feststellungen des [X.][X.] auch keine "äußerste [X.]" aufgezeigt, in der nach der Senatsrechtsprechung (aaO) möglicherweise etwas anderes gelten könnte. Dass die Klägerin die vom [X.][X.] in ihrem Einzelfall getroffene Entscheidung für falsch hält, genügt für die Zulassung der Revision nicht.

Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 [X.]albsatz 2 [X.]G).

Die [X.]eschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 [X.]albsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 [X.]G).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 SB 23/21 B

18.08.2021

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Heilbronn, 7. Oktober 2020, Az: S 9 SB 3647/19, Gerichtsbescheid

§ 4 Abs 2 S 1 Nr 3 RdFunkBeitrStVtr BW, § 3 Abs 1 Nr 5 SchwbAwV, § 152 Abs 4 SGB 9 2018, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.08.2021, Az. B 9 SB 23/21 B (REWIS RS 2021, 3202)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3202

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