Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.08.2010, Az. B 9 SB 32/10 B

9. Senat | REWIS RS 2010, 4041

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Merkzeichen G - erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr - behinderungsbedingte Einschränkung des Gehvermögens - Harninkontinenz - Merkzeichen RF - Ermäßigung der Rundfunkgebühr - Zumutbarkeit des Tragens einer Windelhose - Menschenwürde - höchstrichterliche Rechtsprechung - Vorliegen eines anders gelagerten Sachverhalts - Tatsachenfrage - Divergenz - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 31. März 2010 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Das [X.] ([X.]) [X.] hat durch Urteil vom [X.] einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "[X.]" und "[X.]" verneint. [X.]egen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin bei dem [X.] (BS[X.]) Beschwerde eingelegt. Als Zulassungsgründe macht sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie das Vorliegen einer Divergenz geltend.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil diese die behaupteten Zulassungsgründe nicht so dargelegt hat, wie es § 160a Abs 2 Satz 3 S[X.][X.] verlangt.

3

[X.]rundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] 1 S[X.][X.] hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus [X.]ründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus [X.]ründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 17; BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 7, 11, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

4

Als grundsätzlich bedeutsam sieht die Klägerin im Hinblick auf das Merkzeichen "[X.]" folgende Frage an:

        

Liegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen "[X.]" auch dann vor, wenn die Bewegungsfähigkeit des Versicherten im Straßenverkehr erst durch eine Einschränkung seines [X.]ehvermögens aufgrund sensorischer Dranginkontinenz hervorgerufen wird, die die dauernde Möglichkeit der [X.] erfordert?

5

Mit dieser Fragestellung hat die Klägerin zwar eine Rechtsfrage aufgeworfen, die die Auslegung und Anwendung von [X.]recht (§ 162 S[X.][X.]) betrifft, sie hat jedoch deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargetan. Diese ist ua dann nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BS[X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 51; BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 13 und 65) oder wenn sich für die Antwort in höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (BS[X.] [X.] 3-1500 § 146 [X.] 2 und § 160 [X.] 8). Die Klägerin hätte sich deshalb ausführlich mit der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "[X.]" auseinandersetzen müssen. Dies hat sie nicht hinreichend getan.

6

In der Beschwerdebegründung hat die Klägerin lediglich auf das jüngste Urteil des Senats zum Merkzeichen "[X.]" vom 24.4.2008 - [X.]/9a SB 7/06 B ([X.] 4-3250 § 146 [X.] 1) hingewiesen, sich aber nicht mit dessen Aussage auseinandergesetzt, dass die Anhaltspunkte für die ärztliche [X.]utachtertätigkeit im [X.] Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht in [X.] 30 Abs 3 bis 5 (bzw ab 1.1.2009 Teil D [X.] 1 Buchst d bis f der Anlage zu § 2 [X.]) für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr zwischen einer behinderungsbedingten Einschränkung des [X.]ehvermögens und einer erheblichen Beeinträchtigung, die möglicherweise auf anderen [X.]ründen beruht, unterscheiden (aaO Rd[X.] 12 unter Bezugnahme auf BS[X.] [X.] 3-3870 § 60 [X.] 2 S 4 f). Die Klägerin ist insofern nicht darauf eingegangen, ob sich aus dieser Unterscheidung nicht bereits hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihr aufgeworfenen Frage ergeben.

7

Soweit die Klägerin zum Merkzeichen "[X.]" die Frage aufwirft,

        

ob die gesundheitlichen Voraussetzungen dieses Merkzeichens auch dann vorliegen, wenn der Behinderte mit einem [X.]rad der Behinderung von wenigstens 80 deswegen ständig an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann, weil es zwar denkbare Hilfsmittel (Windelhose) gibt, deren Benutzung dem Behinderten jedoch wegen des Zwangs, bewusst in die Hose zu machen, unzumutbar ist,

8

kann dahin gestellt bleiben, ob sie auch insoweit eine bestimmte Rechtsfrage, die die Auslegung und Anwendung von [X.]recht betrifft, formuliert hat, oder ob sie unzulässigerweise Tatfragen mit einbezogen hat (zB die Funktionsweise und das Vorhandensein von [X.]). Denn jedenfalls hat sie sich nicht hinreichend mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandergesetzt, wonach bei Harninkontinenz die Benutzung von [X.] zumutbar ist (vgl BS[X.] Urteil vom 12.2.1997 - 9 RVs 2/96 - [X.] 3-3870 § 4 [X.] 17). Das Vorbringen, ihr Fall sei völlig anders gelagert, genügt nicht, um die erneute Klärungsbedürftigkeit dieser Frage darzutun. Abgesehen davon, dass die Beurteilung, ob ein Sachverhalt anders gelagert ist als der vom BS[X.] entschiedene, auch die Würdigung von Tatsachen umfasst, die - wie die Klägerin selbst vorbringt - z.T. vom [X.] nicht festgestellt worden sind, hätte näher dargelegt werden müssen, warum sich aus der betreffenden Entscheidung des BS[X.] - gerade auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Benutzung von Hilfsmitteln - nicht ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage gewinnen lassen.

9

Soweit die Klägerin außerdem das Vorliegen einer Divergenz iS des § 160 Abs 2 [X.] 2 S[X.][X.] geltend macht, ist dieser Zulassungsgrund ebenfalls nicht formgerecht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 S[X.][X.] bezeichnet. Eine Abweichung ist nur dann ausreichend begründet, wenn in der Beschwerdebegründung schlüssig erklärt wird, mit welchem genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil des [X.] von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BS[X.], des [X.]emeinsamen Senats der obersten [X.]erichtshöfe des [X.] oder des [X.]verfassungsgerichts (BVerf[X.]) abweicht (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 21, 29 und 54). Dazu genügt es nicht darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die etwa das BS[X.] oder das BVerf[X.] aufgestellt hat, sondern es ist darzutun, dass das [X.] diesen Kriterien ausdrücklich widersprochen, als andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl dazu BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 14, 21, 29; BS[X.] [X.] 3-1500 § 106 [X.] 26). Die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall rechtfertigt nämlich nicht die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, [X.] Rd[X.] 196 mwN; BS[X.] Beschluss vom 28.9.1998 - [X.] RA 200/97 B - HVB[X.]-Info 1999, 3008; BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 14, 21, 29, 54, 67). Zudem ist anzugeben, inwiefern die Entscheidung des [X.] auf der Abweichung beruhe (BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 14, 21, 29, 54, 67).

Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Sie hat zwar versucht, sich widersprechende Rechtssätze herauszuarbeiten. Der [X.]egenüberstellung lässt sich jedoch nur entnehmen, dass die angefochtene Entscheidung des [X.] nach Auffassung der Klägerin nicht den Kriterien entspricht, die das BVerf[X.] zum Schutz der Menschenwürde aufgestellt hat. Es ist jedenfalls nicht dargetan, dass das [X.] einen der Rechtsprechung des BVerf[X.] zu Art 1 Abs 1 [X.][X.] widersprechenden Rechtssatz aufgestellt habe. Dem Vorbringen der Klägerin ist nicht zu entnehmen, dass das [X.] der Klägerin aus Rechtsgründen bewusst entwürdigende Verhältnisse zumuten wollte. Wenn das [X.] der Klägerin aufgrund einer entsprechenden Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls die Benutzung von [X.] zugemutet hat, so läge ein Fehler bei dieser Beurteilung nicht auf [X.] abstrakter Rechtssätze, sondern auf der der konkreten Rechtsanwendung. Dies allein kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 7 S 10).

Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 S[X.][X.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 S[X.][X.].

Meta

B 9 SB 32/10 B

17.08.2010

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Magdeburg, 14. Juni 2006, Az: S 2 SB 192/03, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 69 Abs 1 SGB 9, § 69 Abs 4 SGB 9, § 146 Abs 1 S 1 SGB 9, § 145 SGB 9, § 3 Abs 1 Nr 5 SchwbAwV, § 3 Abs 1 Nr 7 SchwbAwV, § 2 VersMedV, Anlage Teil D Nr 1 Buchst d VersMedV, Art 1 Abs 1 S 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.08.2010, Az. B 9 SB 32/10 B (REWIS RS 2010, 4041)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4041

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