Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.08.2023, Az. B 9 SB 44/22 B

9. Senat | REWIS RS 2023, 5590

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen G - erhebliche Gehbehinderung - umfassender Behinderungsbegriff - verfassungsrechtliches Diskriminierungsverbot - UN-Behindertenrechtskonvention - Versorgungsmedizinische Grundsätze - Regelfälle - Gleichstellung bestimmter Krankheiten und Krankheitsbilder - keine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Rechtsanwendung im Einzelfall - Beschwerdebegründung - erforderliche Darstellung der vom LSG festgestellten Tatsachen - gesundheitliche Einschränkungen und damit verbundene Funktionsbeeinträchtigungen - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 17. November 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

[X.] In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das [X.] mit Urteil vom 17.11.2022 einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der [X.] (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet.

3

I[X.] [X.]ie Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. [X.]ie Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] gebotenen Form. [X.]ie Klägerin hat den von ihr allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargelegt.

4

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.], wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. [X.]er Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner [X.]arlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom [X.] [X.] 3/20 B - juris Rd[X.]4; BSG Beschluss vom [X.] - B 5 R 401/16 B - juris Rd[X.] 6).

5

[X.]ie Klägerin misst folgender Frage grundsätzliche Bedeutung zu:

"Sind schwerbehinderte Menschen, die einen IC[X.]-[X.]efibrillator tragen und unter schweren Herzrhythmusstörungen ohne begleitende Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach [X.] leiden, dem in den VG, Teil [X.], [X.] beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen?"

6

[X.]amit und mit ihren weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung formuliert die Klägerin bereits keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 [X.]) mit höherrangigem Recht. Vielmehr handelt es sich im [X.] um eine Frage zur Rechtsanwendung im Einzelfall, auf welche die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht zulässig gestützt werden kann.

7

Wie in der Beschwerdebegründung zutreffend ausgeführt, hat das BSG zur Frage der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des [X.] bereits entschieden, dass der umfassende Behindertenbegriff iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen [X.]iskriminierungsverbots (Art 3 Abs 3 Satz 2 GG; Art 5 Abs 2 UN-Behindertenrechtskonvention) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen gebietet. Anspruch auf [X.] hat deshalb auch ein schwerbehinderter Mensch, der nach Prüfung des Einzelfalls aufgrund anderer Erkrankungen als den in Teil [X.] [X.] Buchst d bis f der Anlage zu § 2 [X.] ([X.] <[X.]>) genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die [X.] gleichzustellen ist (BSG Urteil vom 11.8.2015 - [X.] SB 1/14 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] Rd[X.]; BSG Urteil vom [X.] - [X.] 3-3870 § 60 [X.] 2 - juris Rd[X.]9).

8

Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Gleichstellung bestimmter Krankheiten oder Krankheitsbilder mit in den [X.] genannten Beispielen regelmäßig nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache zu begründen. Vielmehr betrifft dies die Rechtsanwendung im Einzelfall. [X.]ies gilt auch, wenn es sich um eine Krankheit handelt, an der eine Vielzahl von Personen leidet. [X.]enn der Anspruch auf [X.] wegen anderer als in den Regelfällen aufgeführter Erkrankungen erfordert nach der oben genannten Rechtsprechung des BSG (aaO) stets eine Prüfung der Auswirkungen auf die [X.] auf Grundlage der jeweiligen Gesundheitsstörungen. [X.]ass in Bezug auf schwerbehinderte Menschen, die einen IC[X.]-[X.]efibrillator tragen, anderes gelten könnte, hat die Klägerin nicht dargetan.

9

Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Klägerin - unabhängig von der konkret formulierten Frage - zudem nicht dargetan, dass die aufgrund der oben zitierten Rechtsprechung des BSG (aaO) geklärte Frage der rechtlichen Voraussetzungen für die Gleichstellung schwerbehinderter Menschen mit dem in den Regelfällen zum [X.] beispielhaft aufgeführten Personenkreis erneut klärungsbedürftig geworden wäre. Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig werden. Hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder im Schrifttum widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG Beschluss vom [X.] - [X.] ÜG 8/20 B - juris Rd[X.] 6; BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris Rd[X.]6; BSG Beschluss vom [X.] - [X.] 1500 § 160a [X.]3 - juris Rd[X.] 6). Solche Ausführungen lässt die Beschwerdebegründung vermissen. Zwar enthält sie eine ausführliche [X.]arstellung der rechtlichen Voraussetzungen insbesondere des [X.] ("Rechtliche Würdigung") und eine Auseinandersetzung mit der nach Auffassung der Klägerin fehlerhaften "Anwendung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze durch das [X.]". [X.]amit stellt die Klägerin aber lediglich ihre eigene Rechtsauffassung derjenigen des Berufungsgerichts entgegen, was nicht zur [X.]arlegung der (erneuten) Klärungsbedürftigkeit genügt (vgl BSG Beschluss vom [X.] - [X.] V 42/20 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

Selbst wenn der Senat der von der Klägerin formulierten Frage die Qualität als Rechtsfrage unterstellt, hätte sie im Übrigen auch deren Klärungsfähigkeit nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt. Zwar hat die Klägerin eingangs ihrer Beschwerdebegründung im Abschnitt "[X.] Tatbestand" die verwaltungsseitig festgestellten Folgen ihres Unfalls am 10.6.2014 und das dem angefochtenen Urteil vorausgegangene Verwaltungs- und Gerichtsverfahren knapp dargestellt und im [X.] hieran zusammen mit dem Urteil des [X.] im Hinblick auf die Voraussetzungen vor allem des [X.] rechtlich gewürdigt. Zudem macht sie im letzten Teil ihrer Begründung - ua durch ein Zitat des vom [X.] beauftragten Sachverständigen Z - abstrakte Ausführungen zur Relevanz und zu den Begleiterscheinungen einer Behandlung von Herzrhythmusstörungen mittels eines IC[X.]-[X.]efibrillators. Jedoch fehlt es in der Beschwerdebegründung an einer [X.]arstellung der vom [X.] im angegriffenen Urteil in Bezug auf die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin und die hiermit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen konkret getroffenen Tatsachenfeststellungen. Nur letztere können aber einer Entscheidung des BSG in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Ein von der Klägerin für das Revisionsverfahren angekündigter Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 [X.] wäre allenfalls zulässig, soweit Beweis zu generellen Tatsachen auf medizinischem Gebiet erhoben werden soll (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 109 Rd[X.] 2). Möglicherweise unzureichende Feststellungen zu den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin in der Vorinstanz können hierdurch nicht nachgeholt werden.

Ohne die Angabe der vom [X.] festgestellten Tatsachen ist der Senat nicht in der Lage, wie erforderlich, allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.11.2020 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.] 5; BSG Beschluss vom [X.] - B 13 R 250/18 B - juris Rd[X.]3). Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom [X.] - [X.] SB 12/21 B - juris Rd[X.] 5 mwN).

[X.]ass die Klägerin die Entscheidung des [X.] inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 6.7.2022 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.]0; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 22 Rd[X.] 4).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

[X.]ie Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

[X.]ie Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.].

        

Kaltenstein

Othmer

Ch. [X.]

Meta

B 9 SB 44/22 B

01.08.2023

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Lüneburg, 29. Juni 2020, Az: S 6 SB 37/18, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 163 SGG, § 229 Abs 1 SGB 9 2018, § 152 Abs 4 SGB 9 2018, § 2 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 2 VersMedV, Teil D Nr 1 VersMedV, § 3 Abs 1 Nr 7 SchwbAwV, Art 5 Abs 2 UNBehRÜbk, Art 3 Abs 3 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.08.2023, Az. B 9 SB 44/22 B (REWIS RS 2023, 5590)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5590

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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