Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.07.2017, Az. B 9 SB 15/17 B

9. Senat | REWIS RS 2017, 8258

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen RF - Ermäßigung des Rundfunkbeitrags - Berücksichtigung psychischer Störungen - Bezug zur Möglichkeit der Teilnahme an Veranstaltungen - Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen - Beweiswürdigung der Tatsachengerichte - sozialgerichtliches Verfahren - rechtliches Gehör - keine Überraschungsentscheidung bei streitiger Erörterung mehrerer unterschiedlicher Gutachten - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 2. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] das Urteil des [X.] vom 4.12.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin noch die Feststellung ihrer gesundheitlichen Voraussetzungen zur Zuerkennung des Merkzeichens "[X.]" ab dem 7.4.2014 im Wesentlichen aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und depressiven Erkrankung begehrte. Zwar seien psychische Erkrankungen nicht generell geeignet, die Voraussetzungen des Merkzeichens "[X.]" auszulösen, aber soweit diese Erkrankungen mit Angst vor der Öffentlichkeit, vor Menschenansammlungen oder Ähnlichem wie z[X.] großen offenen Plätzen im öffentlichen Raum einhergehen würden, kämen sie als Grundlage des Merkzeichens "[X.]" in [X.]etracht. Allerdings müsse es sich in diesen Fällen um eine außergewöhnliche, atypische Konstellation handeln. Der [X.] sei jedoch nicht davon überzeugt, dass der Klägerin tatsächlich nur noch die [X.]esuche beim Arzt und der Einzeltherapie sowie das Einkaufen möglich seien. Ebenso sei der [X.] nicht davon überzeugt, dass bei ihr eine psychische Erkrankung vorliege, die mit erheblicher Angst vor der Öffentlichkeit bzw größeren Menschengruppen oder vor großen offenen [X.]ereichen wie Plätzen oder Straßen (vgl [X.], F40.1, [X.] ff oder ggf [X.].6 [X.]) einhergehe. Insbesondere aus dem Entlassungsbericht der [X.] vom 23.7.2014 ergebe sich keine Unfähigkeit, Veranstaltungen mit anderen Menschen zu besuchen. Entsprechend seien in dem [X.]ericht auch keine Angsterkrankungen und auch keine Erkrankungen mit einer Angstkomponente diagnostiziert. Dies gelte auch für die kombinierte Persönlichkeitsstörung nach [X.] [X.], bei der es sich um eine Persönlichkeitsstörung mit Merkmalen aus verschiedenen der unter [X.] aufgeführten Störungen handele, jedoch ohne ein vorherrschendes Symptombild. Im Entlassungsbericht der [X.] vom 20.1.2016 werde die Klägerin als bewusstseinsklar, allseits orientiert, mit intakter Auffassungsgabe, gehobener Stimmung, fluktuierendem Antrieb, als "im Verhalten sicher", als "gewandt", sicher, vertrauensvoll und kooperativ im Kontakt beschrieben.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim [X.][X.] [X.]eschwerde eingelegt und eine grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) sowie einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) geltend gemacht.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die [X.]egründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 [X.]G abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

4

1. Grundsätzliche [X.]edeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein [X.]eschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter [X.]erücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um ihrer Darlegungspflicht zu genügen, muss die [X.]eschwerdeführerin mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung der von ihr angestrebten Entscheidung, also eine [X.]reitenwirkung (vgl [X.][X.] [X.] 1500 § 160 [X.]7; [X.][X.]E 40, 158 = [X.] 1500 § 160a [X.]1; [X.][X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderung genügt die vorliegende [X.]eschwerdebegründung nicht.

5

Die Klägerin hält folgende Frage für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher [X.]edeutung:
"Muss es sich bei psychischen Erkrankungen als [X.] im Sinne von § 4 Abs. 2 [X.]. 3 [X.] stets um Angsterkrankungen oder solche Angsterkrankungen handeln, die einen direkten [X.]ezug zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen aufweisen, wie etwa Erkrankungen mit den [X.] [X.], F40.1, [X.] oder [X.].6?"

6

Zur [X.]egründung dieser Rechtsfrage verweist die Klägerin darauf, dass sich diese weder aus dem Gesetz noch aus der Rechtsprechung und auch nicht aus der Literatur beantworten lasse. Es gehe um die Auslegung der revisiblen Vorschrift des § 4 Abs 2 [X.] Rundfunkbeitragsstaatsvertrag ([X.]) iVm § 69 Abs 4 [X.][X.] IX und § 3 Abs 1 [X.] 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). Der Wortlaut dieser Vorschrift spreche allgemein nur von [X.]. Unabhängig davon, ob man diesem [X.]egriff die [X.]edeutung von Krankheit, Funktionsbeeinträchtigung oder [X.]ehinderung beimesse, werde schon nach dem Wortlaut nicht zwischen psychischem oder somatischem [X.] differenziert. Somit ergebe sich auch keine weitere Differenzierung innerhalb der Gruppe psychischer Krankheiten danach, ob es sich um eine bestimmte Angsterkrankung handeln müsse.

7

Soweit die von der Klägerin aufgeworfene Frage auf die Klärung eines allgemeinen Erfahrungssatzes bei der [X.]ewertung eines [X.]s gerichtet sein sollte, welches einen Antragsteller ständig daran hindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können, handelt es sich von vornherein nicht um eine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G, die allein unter Anwendung juristischer Methodik beantwortet werden kann. Nicht dazu gehören Fragen, die Denkgesetze oder Erfahrungssätze bzw wissenschaftliche Erkenntnisse betreffen, die sich auf die Feststellung und Würdigung von Tatsachen beziehen (vgl dazu [X.][X.] [X.] 4-1500 § 160a [X.] 9). In rechtlicher Hinsicht kann sich die Frage zwar auf die Auslegung und Anwendung von § 4 Abs 2 [X.] [X.] in der seit dem 1.1.2013 gültigen Fassung (vgl [X.] 2011 S 477 ff) iVm § 69 Abs 4 [X.][X.] IX und § 3 Abs 1 [X.] 5 SchwbAwV beziehen. Dabei wird im Grunde danach gefragt, ob bei der Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "[X.]" nur bestimmte Angsterkrankungen als psychische [X.] in [X.]etracht kommen, die einen direkten [X.]ezug zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen aufweisen. Insoweit ist die Frage jedoch einerseits entgegen der Auffassung der Klägerin durch die Rechtsprechung des [X.]s hinreichend geklärt und richtet sich andererseits gegen die [X.]eweiswürdigung des [X.] (vgl § 128 Abs 1 S 1 [X.]G), womit sie gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.]G von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine unzutreffende Rechtsanwendung des [X.] rügen wollte (vgl [X.][X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 7 S 10).

8

Zu Recht setzt sich die Klägerin mit der Rechtsprechung des [X.][X.] zu den Modalitäten bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die [X.]efreiung von der Rundfunkgebührenpflicht auseinander (vgl Urteile vom 11.9.1991 - 9a/9 RVs 15/89 - [X.] 3-3870 § 4 [X.] 2; vom 12.2.1997 - 9 RVs 2/96 - [X.] 3-3870 § 4 [X.]7; vom [X.] - [X.] S[X.] 2/00 R - [X.] 3-3870 § 4 [X.] 26 und vom 16.2.2012 - [X.] S[X.] 2/11 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.]4) und weist selbst darauf hin, dass nach dieser Rechtsprechung das Merkzeichen "[X.]" auch demjenigen zuzuerkennen ist, der wegen einer psychischen Störung ständig an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann. Allerdings unterscheide das [X.][X.] in seiner Rechtsprechung nicht innerhalb verschiedener psychischer Erkrankungen, sodass die aufgeworfene Rechtsfrage nicht ausdrücklich geklärt sei. Vielmehr sei die Entscheidung in beide Richtungen - positive und negative [X.]eantwortung - der Rechtsfrage interpretierbar. Mit diesen Ausführungen legt die Klägerin jedoch nicht hinreichend dar, inwieweit zu der von ihr aufgeworfenen rechtlichen Problematik ggf vor dem Hintergrund der [X.] Rechtsprechung eine weitere (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit einer möglichen Rechtsfrage bestehen könnte. Denn eine Rechtsfrage ist dann nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich beantwortet ist ([X.][X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 51; [X.][X.] [X.] 1500 § 160a [X.]3 und 65). Schließlich ist es nicht Aufgabe des [X.], aus dem Vorbringen der [X.]eschwerdeführerin selbst ein Rechtsfrage zu formulieren, der möglicherweise grundsätzliche [X.]edeutung zukommen könnte (vgl [X.][X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.] 26 S 48). Das [X.][X.] hat sich - gestützt auf die oben bezeichnete und von der Klägerin selbst angeführte Rechtsprechung zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "[X.]" bereits dahingehend geäußert, dass der Nachteilsausgleich "[X.]" auch demjenigen zuzuerkennen ist, der wegen einer psychischen Störungen ständig an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann ([X.][X.] [X.] 3-3870 § 4 [X.] 26). Nach der neueren Rechtsprechung des [X.]s kann das Merkzeichen "[X.]" auch einem Menschen mit [X.]ehinderung bei einem Grad der [X.]ehinderung (Gd[X.]) von weniger als 80 zuerkannt werden, wenn ein gesundheitlich bedingter Härtefall vorliegt. Ein solcher kann gegeben sein, wenn diese Person wegen eines besonderen psychischen [X.]s ausnahmsweise an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann ([X.][X.] [X.] 4-3250 § 69 [X.]4). Der [X.]eschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, wieso damit nicht geklärt ist, dass grundsätzlich psychische Störungen zur Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "[X.]" führen können, wenn der [X.]etroffene ständig gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können. Unter Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung hätte die Klägerin also darüber hinausgehenden Klärungsbedarf darlegen müssen, ferner welche weiteren [X.] bez[X.]en auf ihren Fall zu subsumieren wären, mithin die Klärungsfähigkeit näher erörtern müssen. [X.]ez[X.]en auf die bei ihr vorliegenden psychischen Störungen kommt es allein auf die Frage des Ausmaßes der gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen an, die die Klägerin ständig daran hindern könnten, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Hinsichtlich dieser Feststellungen kommt es allerdings auf die individuelle Lage des [X.]ehinderten an, welche der [X.]eweiserhebung und [X.]eweiswürdigung durch die Tatsachengerichte obliegen (vgl [X.][X.] Urteil vom [X.] - [X.] 3-3870 § 48 [X.] 2 S 5, Rd[X.]6 und 17 nach Juris). Die Feststellungen des [X.], dass die Klägerin nicht wegen ihrer [X.] ständig nicht in der Lage ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, weil bei ihr keine psychische Erkrankung vorliege, die mit erheblicher Angst vor der Öffentlichkeit bzw mit größeren Menschengruppen oder vor großen offenen [X.]ereichen wie Plätzen oder Straßen einhergehe, hat die Klägerin nicht angegriffen.

9

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der [X.]ezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen [X.]eweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende [X.]egründung nicht gefolgt ist.

Die Klägerin rügt als Verfahrensmangel ausschließlich einen Verstoß gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G, Art 47 Abs 2 S 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 der [X.] - [X.]) in Form einer Überraschungsentscheidung. Eine Gehörsverletzung hat die Klägerin jedoch nicht hinreichend dargelegt. Mit ihrer [X.]eschwerdebegründung rügt die Klägerin, das [X.] sei in der Urteilsbegründung überraschend von einem Rechtssatz ausgegangen, der an keiner Stelle in der Literatur oder Rechtsprechung vertreten werde. Vor diesem Hintergrund habe auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] nicht mit diesem Gesichtspunkt zu rechnen brauchen, sodass das Gebot des fairen Verfahrens verletzt sei und ein richterlicher Hinweis vorab erforderlich gewesen wäre. Dies gelte umso mehr als mit der dargelegten Auffassung des [X.] auch eine medizinisch-psychiatrische Expertise verbunden sei, ohne dass das Gericht mitgeteilt habe, woher es die Sachkunde nehme, nach der nur bestimmte Angsterkrankungen Grundlage des Merkzeichens "[X.]" sein könnten. Auf diesem Mangel beruhe auch die Entscheidung des [X.], da andernfalls die Möglichkeit bestanden hätte, mit einem entsprechenden Gegenvortrag das [X.]erufungsgericht von seiner Auffassung abzubringen oder entsprechende anderslautende [X.]efundberichte und Stellungnahmen der behandelnden Ärzte der Klägerin einzuholen und vorzulegen oder aber einen ordnungsgemäßen [X.]eweisantrag zum Thema der Eignung psychischer Krankheiten im Allgemeinen bzw der Persönlichkeitsstörung der Klägerin im Speziellen für ein [X.] iS des § 4 Abs 2 [X.] [X.] zu stellen. Diese Ausführungen reichen für eine erforderliche Darlegung der Gehörsverletzung jedoch nicht aus, da eine solche nur vorliegt, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der [X.]eteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl [X.][X.] [X.] 3-1500 § 62 [X.]9 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und [X.]eweisergebnisse stützt, zu denen sich die [X.]eteiligten nicht haben äußern können (vgl [X.][X.] [X.] 3-1500 § 62 [X.]2 S 19). Hierfür trägt die [X.]eschwerdebegründung indessen nicht ausreichend vor.

Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass das Gericht seine [X.]ewertung der psychischen Störungen bei der Klägerin vorher hätte mitteilen müssen, bezeichnet keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Ausführungen bestimmter medizinischer Sachverständiger oder der [X.]eteiligten zu folgen, sondern entscheidet in freier Würdigung der erhobenen [X.]eweise (§ 128 Abs 1 S 1 [X.]G). Die [X.]eschwerdebegründung beanstandet, dass das [X.]erufungsgericht bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "[X.]" die erhobenen [X.]eweise in der Weise gewürdigt habe, dass die bei der Klägerin bestehende psychische Erkrankung nicht mit einer erheblichen Angst vor der Öffentlichkeit bzw größeren Menschengruppen oder vor großen offenen [X.]ereichen wie Plätzen oder Straßen einhergehe und sie deshalb wegen ihrer [X.] nicht ständig außer Stande sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Damit legt die [X.]eschwerdebegründung keine unvorhersehbare Anmaßung eigener Sachkunde des Gerichts dar, sondern wendet sich gegen die [X.]eweiswürdigung des [X.] als dessen ureigenste tatrichterliche Aufgabe. Das [X.] hat nach den Ausführungen der [X.]eschwerdebegründung das getan, was seine Aufgabe ist, nämlich von einem bestimmten Rechtsstandpunkt eine [X.]eweiswürdigung anhand der vorliegenden medizinischen Tatsachen vorzunehmen und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "[X.]" entsprechend den gesetzlichen Voraussetzungen selbst zu beurteilen. Mit einer solchen richterlichen Vorgehensweise mussten die [X.]eteiligten rechnen, insbesondere auch angesichts der Argumentation des [X.]eklagten und den Stellungnahmen dessen ärztlichen Dienstes.

Auch eine Verletzung der Hinweispflicht nach § 139 Abs 2 ZPO iVm § 202 [X.]G (vgl [X.][X.] [X.]eschluss vom 8.12.2008 - [X.] 12 R 37/07 [X.]) als Ausgangspunkt für die gerügte Überraschungsentscheidung und Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör legt die Klägerin nicht hinreichend dar. Ein [X.]eteiligter kann mit seiner [X.]eschwerde diesbezüglich nur durchdringen, wenn er vor dem [X.] alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 62 Rd[X.]1d mwN). Weshalb die Klägerin hieran gehindert gewesen sein sollte, legt sie nicht hinreichend dar. Hierzu hätte die Klägerin - wie oben ausgeführt - ebenfalls vorbringen müssen, dass sie unter keinen Umständen mit der vom [X.] getroffenen Sachentscheidung habe rechnen können. Es besteht nämlich insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen [X.]eteiligten - wie der Klägerin - weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige [X.]eweiswürdigung darzulegen, denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden [X.]eratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die [X.]eteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene [X.]eweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den [X.]eteiligten zu erörtern (vgl [X.][X.] [X.]eschlüsse vom [X.] - HV[X.]G-Info 1994, 209; vom 13.10.1993 - [X.] 79/93 - [X.] 3-1500 § 153 [X.] und vom 17.2.1999 - [X.] 2 [X.]/98 [X.] - HV[X.]G-Info 1999, 3700; [X.]VerfGE 66, 116, 147; 74, 1, 5; 86, 133, 145). Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (vgl [X.]VerfGE 84, 188, 190). Ein derartiger Vortrag der Klägerin, dass sie unter keinen Umständen mit der vom [X.] getroffenen Entscheidung habe rechnen können, wäre hier umso mehr erforderlich gewesen, als in einem tatsachengerichtlichen Verfahren, in dem aus den Angaben von mehreren ärztlichen [X.]ehandlern und des versorgungsärztlichen Dienstes unterschiedliche [X.]ewertungen für die Gesamteinschätzung der [X.]ehinderungen abgeleitet und zwischen den [X.]eteiligten streitig erörtert werden, jeder [X.]eteiligte, also auch die Klägerin, damit rechnen muss, dass das Gericht auch zu ihren Ungunsten entscheiden kann. Schließlich hat die Klägerin auch nicht dargelegt, inwiefern sie in der mündlichen Verhandlung des [X.] alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl [X.][X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.] 22 S 35). Insoweit fehlt es an Ausführungen dazu, welchen konkreten Gegenvortrag oder welche Stellungnahmen der behandelnden Ärzte oder [X.]eweisanträge mit welchem Thema erfolgt wären, sofern die Klägerin vorab von der [X.]eweiswürdigung des [X.] Kenntnis erlangt hätte.

3. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der [X.] ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

4. Die [X.]eschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

5. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 9 SB 15/17 B

11.07.2017

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Reutlingen, 4. Dezember 2015, Az: S 6 SB 1295/14, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 106 Abs 3 Nr 4 Alt 2 SGG, § 118 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 4 Abs 2 Nr 3 RdFunkBeitrStVtr BW, § 3 Abs 1 Nr 5 SchwbAwV, § 404a ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.07.2017, Az. B 9 SB 15/17 B (REWIS RS 2017, 8258)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8258

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