Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.06.2018, Az. 1 StR 132/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7888

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei fehlenden Deutschkenntnissen


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. November 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das [X.] von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Diebstahls in 12 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung, in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung von [X.] angeordnet. Die auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten, mit der sie insbesondere die [X.] ihrer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angreift, hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Einziehungsanordnung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insoweit wird auf die Antragsschrift des [X.] Bezug genommen. Die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB begegnet hingegen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.

3

a) Nach den Feststellungen konsumierte die in der [X.] mehrfach einschlägig vorbestrafte 41 Jahre alte Angeklagte, seitdem sie 14 Jahre alt war, Drogen. Im Alter von 18 Jahren nahm sie erstmals Methamphetamin und spritzte es sich in der Folge täglich. Während der Verbüßung einer vierjährigen Haftstrafe von 2004 bis 2008 konsumierte sie keine Drogen. Drei Monate nach ihrer Haftentlassung wurde sie rückfällig und schnupfte täglich etwa 3 g Methamphetamin. Von Mai 2015 bis November 2015 befand sie sich in Untersuchungshaft und nahm während dieser [X.] keine Drogen. Nach ihrer Haftentlassung begab sie sich nach [X.] und lebte bis Januar 2016 bei ihrem Verlobten in [X.]. Dann zog sie mit ihm nach [X.] und begann erneut mit dem [X.] von Methamphetamin. Die Wohnung in [X.] löste sie im [X.] 2016 auf, weil ihr Verlobter nicht in [X.] leben wollte. Durch den langjährigen nasalen [X.] hat sie Zahnprobleme und ein Loch in der [X.]. Zur Finanzierung des Drogenkonsums und ihres Lebensunterhalts beging sie in [X.] die abgeurteilten [X.], zu denen sie jeweils mit einem angemieteten Fahrzeug von [X.] aus angereist und nach Begehung der Taten noch in derselben Nacht mit der Beute nach [X.] zurückgefahren war und diese dort veräußert hatte. Vor und nach Begehung der Taten hatte sie zur Leistungssteigerung Methamphetamin zu sich genommen. Bei einer Kontrolle am 28. Dezember 2016 führte sie 1,5 g Methamphetamin (Wirkstoffgehalt 1,125 g Methamphetaminbase) zum Eigenkonsum mit sich. Die bei ihr nach der Tat entnommene Blutprobe belegte eine große Substanzgewöhnung.

4

b) Die [X.] hat von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Zwischen dem Hang der Angeklagten und den Diebstählen bestehe kein ausreichend gesicherter kausaler Zusammenhang. Die Angeklagte habe seit Jahren ihren gesamten Lebensunterhalt durch die Begehung von [X.]n bestritten, die sie zunächst in der [X.] verübt hatte und dann in [X.] beging. Gegen sie seien bereits in der [X.] mehrjährige Haftstrafen verhängt und vollstreckt worden. Mangels einer beruflichen bzw. finanziellen Perspektive und unter Berücksichtigung ihrer erheblichen und einschlägigen strafrechtlichen Vordelinquenz sei künftig auch ohne den [X.] von Betäubungsmitteln die konkrete Gefahr weiterer, gleichgelagerter Straftaten gegeben.

5

Außerdem fehle es an hinreichend konkreten Erfolgsaussichten für eine Unterbringung. Den Erfolgsaussichten stehe bereits die Sprachbarriere entgegen. Die Angeklagte sei der [X.] nicht ausreichend mächtig, um erfolgreich eine Maßregeltherapie zu absolvieren. Ihr drohe nach ihren eigenen Angaben in der [X.] die Anschlussvollstreckung von mehrjährigen Haftstrafen und die [X.] Behörden hätten bereits die Auslieferung der Angeklagten zur Vollstreckung einer zweijährigen Haftstrafe beantragt. Vor dem Hintergrund der anstehenden Vollstreckung von Strafhaft könnten im Rahmen der Maßregelbehandlung sämtliche soziotherapeutische Maßnahmen, die üblicherweise Bestandteil der Unterbringung gemäß § 64 StGB und Voraussetzung einer erfolgreichen Reintegration seien, nicht umgesetzt werden. Anhaltspunkte dafür, dass eine etwaige Unterbringung der Angeklagten, der zwischenzeitlich die Erlaubnis erteilt worden sei, ihren in [X.] lebenden [X.] Verlobten in der [X.] Haft zu heiraten, in [X.] unter Berücksichtigung der dort zu verbüßenden Freiheitsstrafen erfolgreich vollstreckt werden könnte, lägen nicht vor.

6

c) Die Ablehnung der Maßregel hat keinen Bestand. Die [X.] hat zu strenge Anforderungen an den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem festgestellten Hang und den begangenen Taten sowie der zukünftigen Gefährlichkeit der Angeklagten gestellt und die fehlende Erfolgsaussicht nicht tragfähig dargelegt.

7

(1) Für die Bejahung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Tat im Sinne des § 64 StGB ist es ausreichend, dass der Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter die Tat begangen hat. Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar oder mittelbar über den Erlös aus der Verwertung der Beute auch der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum dient (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. März 2016 - 4 StR 586/15 Rn. 3, [X.], 173 mwN und vom 25. November 2015 - 1 StR 379/15 Rn. 8, [X.], 113).

8

Das [X.] hat festgestellt, dass die Angeklagte sich durch die Veräußerung der Beute Mittel für ihren Lebensunterhalt und den Erwerb von Methamphetamin beschafft und vor und nach den Taten Methamphetamin zur Leistungssteigerung konsumiert hat. Damit ist der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Straftaten dargetan; denn die Sucht hat die Begehung der Taten mit ausgelöst und die Art ihrer Begehung mitbestimmt, mögen die Straftaten auch auf der Grundlage einer schon früher infolge allgemeiner charakterlicher Mängel verfestigten kriminellen Neigung verübt worden sein, die Lebensbedürfnisse mit Mitteln aus Eigentumsdelikten zu bestreiten. Auch in einem solchen Fall haben die Straftaten ihren spezifischen Ursprung in der Sucht, weil die Drogenabhängigkeit zu einer beträchtlichen Ausweitung des mit kriminellen Mitteln befriedigten finanziellen Bedarfs führt, Zahl, Umfang und kriminelle Intensität der vom drogenabhängigen Täter begangenen und von ihm zu befürchtenden Straftaten mitbestimmt und somit von wesentlichem Einfluss jedenfalls auf das Ausmaß der gegenwärtigen und zukünftigen Gefährlichkeit eines solchen Täters ist. Wird die kriminalitätsfördernde Wirkung der Sucht durch eine erfolgreiche Behandlung beseitigt, so ist auch die Tätergefährlichkeit vermindert. Dies genügt für die Annahme des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Straftat und Sucht ([X.], Beschluss vom 22. September 1999 - 3 StR 393/99 Rn. 3, [X.], 25, 26).

9

(2) Im Übrigen hätte sich die [X.] auch näher damit auseinandersetzen müssen, inwieweit die Angeklagte tatsächlich der [X.] nicht hinreichend mächtig ist, um erfolgreich eine Maßregeltherapie zu absolvieren.

Auch nach der Umgestaltung von § 64 StGB zur Soll-Vorschrift durch die Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 ([X.] I 1327) - mit der der Gesetzgeber auch die Schonung der [X.] beabsichtigte, die durch weniger geeignete Personen blockiert würden (vgl. [X.], Urteil vom 18. Dezember 2007 - 1 [X.], [X.], 138) - soll es im Grundsatz dabei verbleiben, dass die fehlende Beherrschung der [X.] nicht ohne Weiteres allein ein Grund für einen Verzicht auf die Unterbringung eines Ausländers sein kann (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 [X.] Rn. 11, [X.]R StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 4 [Gründe]; Beschlüsse vom 17. August 2011 - 5 [X.], [X.], 281, 282 und vom 12. März 2014 - 2 [X.], [X.], 545, jeweils unter Bezugnahme auf den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/5137, [X.]). Zwar muss nicht gegen jeden der [X.] nicht mächtigen Ausländer, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm absehbar nur schwer möglich sein wird, eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet werden (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2017- 4 [X.] Rn. 11 aaO; Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 - 5 [X.], [X.], 204, 205; vom 17. August 2011 - 5 [X.], [X.], 281 und vom 12. März 2014 - 2 [X.], [X.], 545). Vielmehr wird bei weitgehender Sprachunkundigkeit die Annahme fehlender Erfolgsaussicht nahe liegen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12 Rn. 6, [X.]R StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 1). Deshalb sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfs ein Absehen von der [X.] insbesondere bei ausreisepflichtigen Ausländern ermöglicht werden, bei denen infolge erheblicher sprachlicher Verständigungsprobleme eine erfolgversprechende Therapie kaum vorstellbar ist (BT-Drucks. aaO). Hingegen genügt es regelmäßig für eine erfolgversprechende [X.], wenn der Betreffende zumindest über Grundkenntnisse der [X.] verfügt ([X.], Beschlüsse vom 20. Juni 2001 - 3 [X.], [X.], 7 und vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12 Rn. 6, [X.], 241, 242).

Die in eine Soll-Vorschrift umgestaltete Regelung räumt dem Tatrichter zwar grundsätzlich die Möglichkeit ein, von einer Unterbringung abzusehen; § 64 StGB ist damit aber keine Ermessensvorschrift im engeren Sinne geworden (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 [X.], [X.]R StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 4 Rn. 12; Beschlüsse vom 29. Juni 2010 - 4 StR 241/10, [X.], 307 und vom 11. Dezember 2007 - 4 StR 576/07). Das Absehen von einer [X.] kommt vielmehr nur in Ausnahmefällen in Betracht. Geben die Feststellungen jedoch Anlass, die Unterbringung nach § 64 StGB unter dem Gesichtspunkt fehlender Kenntnisse der [X.] nicht anzuordnen, hat der Tatrichter die für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände im Urteil für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 [X.], aaO Rn. 12; Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 - 5 [X.], [X.]R StGB § 64 [X.] 2 und vom 12. März 2014 - 2 [X.], [X.], 545).

Daran fehlt es. Zwar hat die Kammer im Rahmen der Strafzumessung ausgeführt, die Angeklagte sei besonders haftempfindlich, weil sie nur wenig [X.] spreche. Jedoch hat die Kammer auch festgestellt, dass die Angeklagte einen in [X.] lebenden [X.] Verlobten hat, bei dem sie nach ihrer Haftentlassung im November 2015 drei Monate gelebt hat, um dann mit ihm in eine im [X.] 2016 aufgelöste Wohnung nach [X.] zu ziehen, und die Erlaubnis erhalten hatte, ihren Verlobten während der Untersuchungshaft zu heiraten. Es kommt hinzu, dass eine vollziehbare Ausreisepflicht der Angeklagten nicht festgestellt ist; die [X.] Behörden haben lediglich die Auslieferung der Angeklagten zur Vollstreckung einer zweijährigen Haftstrafe beantragt.

Sollte das Sprachvermögen der unterzubringenden Person für therapeutische Maßnahmen nicht ausreichen, wäre ggf. zu erwägen, ob gemäß Art. 68 [X.], § 71 [X.] die Überstellung der Angeklagten in die [X.] zum Vollzug der Maßregel in Betracht kommt, sofern dort entsprechende Einrichtungen existieren ([X.], Beschluss vom 10. Juli 2012 - 2 StR 85/12 Rn. 15, [X.], 689-690; vgl. auch [X.] in: [X.]/Pollähne, [X.], 4. Aufl. 2018, [X.] Vollstreckungsrecht der freiheitsentziehenden Maßregeln nach § 63 und § 64 StGB VI L 201).

2. Die Frage der [X.] bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung.

Der Strafausspruch kann bestehen bleiben, da auszuschließen ist, dass die [X.] bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.

Raum     

        

Jäger     

        

Bellay

        

Fischer     

        

Bär     

        

Meta

1 StR 132/18

13.06.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Würzburg, 14. November 2017, Az: 8 KLs 651 Js 23968/16

§ 64 S 2 StGB, § 71 IRG, § 64 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.06.2018, Az. 1 StR 132/18 (REWIS RS 2018, 7888)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7888

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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