Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.07.2017, Az. 4 StR 124/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8445

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Erfolgsaussicht bei fehlenden deutschen aber vorhandenen englischen Sprachkenntnissen


Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 21. November 2016 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung“ zu einer [X.] von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass vor der Maßregel zehn Monate der [X.] zu vollziehen sind.

2

Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte, ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] nicht vertreten wird, wendet sich allein gegen den [X.]. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

3

1. Der auf einer Verständigung beruhenden Verurteilung liegt ein Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in [X.]    zu Grunde, bei dem der Angeklagte und seine beiden nicht revidierenden Mittäter absprachegemäß unter Drohung mit einer Scheinwaffe sowie unter Misshandlung und Fesselung der in dem Geschäft Beschäftigten, zum Teil nach Einschlagen einer Glasvitrine mit einem mitgebrachten Hammer, Uhren, Schmuck und andere Wertgegenstände im Gesamtwert von über 400.000 Euro erbeuteten und einen Sachschaden von etwa 13.000 Euro verursachten. Der langjährig kokainabhängige Angeklagte hoffte, mit seinem Beuteanteil Schulden aus [X.] tilgen zu können. In der Nacht und am Morgen vor der Tat hatte er bis zu drei Gramm Kokain konsumiert, war jedoch zum [X.]punkt der Tatbegehung voll schuldfähig.

4

2. Soweit für die Maßregelfrage relevant, hat das [X.] im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

5

a) Der Angeklagte begann im Alter von 14 Jahren mit dem regelmäßigen Konsum von Marihuana und dem gelegentlichen Konsum von LSD. Von seinem 25. Lebensjahr bis zur Inhaftierung in dieser Sache konsumierte er in erheblichem Umfang Kokain, zeitweise bis zu viermal täglich Einzelmengen von zwei Gramm. Während er als Jugendlicher zur Finanzierung seines Konsums Straftaten beging, verwendete er als Erwachsener dafür zunächst den überwiegenden Teil seines Arbeitslohns; nach konsumbedingtem Verlust seiner Arbeitsfähigkeit im [X.] musste er sich bei seinen [X.] verschulden. Der Empfehlung einer Suchtberatungsstelle, die er in seinem Heimatland [X.] in den Jahren 2015 und 2016 mehrfach aufgesucht hatte, sich einer stationären Drogentherapie zu unterziehen, folgte er nicht, da er nicht für längere [X.] von seiner Familie getrennt sein wollte. Nunmehr ist er zu einer derartigen Therapie auch unter den Bedingungen des [X.] bereit. Der Angeklagte, der die [X.] fließend beherrscht, bemüht sich, in der Untersuchungshaft die [X.] zu erlernen.

6

b) Das [X.] hat, insoweit dem medizinischen Sachverständigen folgend, bei dem Angeklagten eine Kokainabhängigkeit festgestellt und einen Hang im Sinne des § 64 StGB sowie den [X.] der verfahrensgegenständlichen Tat bejaht. Auch die nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Behandlung des Angeklagten im Maßregelvollzug hat es als gegeben angesehen. Entgegen den insoweit erhobenen Bedenken des Sachverständigen sei, so die [X.], von einem ernsthaften Therapiewillen des Angeklagten auszugehen. Er selbst habe mehrfach erklärt, dass er eine derartige Behandlung als einzigen Ausweg aus seiner Sucht ansehe. Seine intellektuellen Fähigkeiten zur Durchführung einer Therapie seien ausreichend, von seiner Familie sei er wegen der andauernden Inhaftierung ohnehin getrennt. Die fehlende Beherrschung der [X.] stehe der Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht entgegen. Der Angeklagte habe zwar seinen Lebensmittelpunkt nicht in [X.]. Auch seien Einrichtungen des [X.] mit Behandlungsmöglichkeiten in [X.] im Gerichtsbezirk nicht vorhanden. Der Angeklagte sei aber bereit und auch in der Lage, sich während der Dauer des [X.] ausreichende Kenntnisse der [X.] anzueignen. Seine Fremdsprachenkompetenz habe er in der Vergangenheit durch problemloses Erlernen der [X.] im Ausland unter Beweis gestellt. Die Kommunikation mit dem [X.] könne, wenn nötig, zunächst in dieser Sprache erfolgen. Dem ärztlichen Personal der für den Angeklagten zuständigen Einrichtungen im Bezirk gehöre im Übrigen ein [X.] Muttersprachler an.

II.

7

Die ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten eingelegte und auch nur zu seinen Gunsten wirkende (vgl. [X.], Urteile vom 21. März 1979 - 2 StR 743/78, [X.]St 28, 327, 331 f.; vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, [X.], 111; vom 18. Dezember 2007 - 1 [X.], [X.], 138 und vom 5. August 2010 - 3 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 11; Beschlüsse vom 10. November 2015 - 1 [X.], [X.], 113 und vom 2. Dezember 2010 - 4 [X.], [X.], 255) Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die [X.] beschränkt. Bedenken gegen die [X.] zwischen Strafhöhe und [X.] bestehen hier nicht. Zwar hat die [X.] die angeordnete Unterbringung bei Bemessung der Strafe berücksichtigt, jedoch nur strafmildernd. Ein darin liegendes [X.]shindernis kann sich hier aber nicht auswirken, da eine Strafschärfung schon wegen der zu Gunsten des Angeklagten eingelegten Revision nicht in Betracht kommt (§ 358 Abs. 2 StPO).

III.

8

Die Anordnung der Maßregel hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.

9

1. Die Feststellungen tragen die Annahme des [X.]s, bei dem Angeklagten sei ein Hang gegeben, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und die abgeurteilte Tat habe [X.] für den Hang (§ 64 Satz 1 StGB). Insoweit wird die Unterbringungsanordnung von der Beschwerdeführerin, soweit ersichtlich, auch nicht angegriffen.

2. Es begegnet aber ferner weder unter dem Gesichtspunkt der Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) noch hinsichtlich der Ermessensausübung revisionsrechtlichen Bedenken, dass das [X.] in der fehlenden Beherrschung der [X.] keinen die Unterbringung des Angeklagten hindernden Umstand gesehen hat.

a) Ungeachtet von Unterschieden in der Beurteilung der Erfolgsaussichten im Einzelfall besteht nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des [X.] Übereinstimmung dahin, dass es auch nach der Umgestaltung von § 64 StGB zur Soll-Vorschrift durch die Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 ([X.] I 1327) im Grundsatz dabei verbleiben soll, dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers nicht ohne Weiteres allein ein Grund für einen Verzicht auf seine Unterbringung sein kann (vgl. nur [X.], Beschluss vom 17. August 2011 - 5 [X.], [X.], 281, 282 und vom 12. März 2014 - 2 [X.], [X.], 545, jeweils unter Bezugnahme auf den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/5137, [X.]). Zwar muss nicht gegen jeden Sprachunkundigen, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm absehbar nur schwer möglich sein wird, eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet werden ([X.], Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 - 5 [X.], [X.], 204, 205; vom 17. August 2011 - 5 [X.], [X.], 281 und vom 12. März 2014 - 2 [X.], [X.], 545). Vielmehr wird bei weitgehender Sprachunkundigkeit die Annahme fehlender Erfolgsaussicht nahe liegen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, [X.]R StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 1). Denn mit der Umgestaltung von § 64 StGB zu einer Soll-Vorschrift beabsichtigte der Gesetzgeber auch die Schonung der [X.], die bis dahin durch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von in Anbetracht des Heilungszwecks weniger geeigneten Personen blockiert wurden (vgl. [X.], Urteil vom 18. Dezember 2007 - 1 [X.], [X.], 138). Deshalb sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfs ein Absehen von der [X.] insbesondere bei ausreisepflichtigen Ausländern ermöglicht werden, bei denen infolge erheblicher sprachlicher Verständigungsprobleme eine erfolgversprechende Therapie kaum vorstellbar ist (BT-Drucks. aaO). Hingegen genügt es regelmäßig für eine erfolgversprechende [X.], wenn der Betreffende zumindest über Grundkenntnisse der [X.] verfügt ([X.], Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 [X.], [X.], 7).

b) Die in eine Soll-Vorschrift umgestaltete Regelung räumt dem Tatrichter zwar grundsätzlich die Möglichkeit ein, von einer Unterbringung abzusehen; § 64 StGB ist damit aber keine Ermessensvorschrift im engeren Sinne geworden ([X.], Beschluss vom 29. Juni 2010 - 4 StR 241/10, [X.], 307; ebenso Beschluss vom 11. Dezember 2007 - 4 StR 576/07; [X.], StGB, 64. Aufl., § 64 Rn. 22). Das Absehen von einer [X.] kommt vielmehr nur in Ausnahmefällen in Betracht. Geben die Feststellungen jedoch Anlass, die [X.] der Unterbringung nach § 64 StGB etwa unter dem Gesichtspunkt der Sprachunkundigkeit des Betreffenden in Erwägung zu ziehen, hat der Tatrichter die für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände im Urteil für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen ([X.], Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 - 5 [X.], [X.]R StGB § 64 [X.] 2 und vom 12. März 2014 aaO).

3. Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung gerecht.

a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin bieten die Feststellungen des [X.]s keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Ausgangsbedingungen für eine Therapie des Angeklagten im Maßregelvollzug seien wegen der fehlenden Kenntnisse der [X.] sehr ungünstig und erforderten daher einen nicht zu leistenden Aufwand. Zum einen spricht der Angeklagte fließend [X.], also eine gängige Fremdsprache. Zum anderen erweist sich die Erwartung der [X.], der Angeklagte sei nicht nur willens, sondern aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten auch in der Lage, zumindest grundlegende Kenntnisse der [X.] während der Dauer des [X.] zu erwerben, vor dem Hintergrund seiner festgestellten Fremdsprachenkompetenz als hinreichend tatsachenfundiert. Soweit die Beschwerdeführerin die Erörterung weiterer Gesichtspunkte vermisst, die die organisatorische Ausgestaltung und praktische Durchführung der Maßregel betreffen, verkennt sie, dass derartige Umstände bei der Anordnung der Maßregel außer Betracht bleiben ([X.], Beschluss vom 26. November 1996 - 4 StR 538/96, [X.]R StGB § 64 Abs. 2 Aussichtslosigkeit 6). Es kommt hinzu, dass eine vollziehbare Ausreisepflicht des Angeklagten nicht festgestellt ist; eine Aufklärungsrüge ist insoweit nicht erhoben.

b) Es ist auch nicht zu besorgen, dass das [X.] das ihm eingeräumte Ermessen verkannt hat. Zwar hat es den Umstand, dass der Angeklagte der [X.] nicht mächtig ist, als [X.] Staatsangehöriger mit ständigem Wohnsitz im Ausland über keinerlei [X.] Bindungen in [X.] verfügt und lediglich kurzfristig mit dem ausschließlichen Ziel nach [X.] gereist ist, hier Eigentumsdelikte zu begehen, lediglich in die Prüfung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB einfließen lassen. Der Senat entnimmt aber dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass sich die [X.] dabei des ihr eröffneten eingeschränkten Ermessensspielraums gleichwohl bewusst war und diesen Spielraum auch ausgeschöpft hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die insoweit entscheidungserheblichen Gesichtspunkte - neben der Sprachunkundigkeit des Angeklagten auch dessen Lebensmittelpunkt im [X.] - im angefochtenen Urteil getrennt von den übrigen, für die Erfolgsaussicht maßgeblichen Gesichtspunkten erörtert werden. Das [X.] nimmt ferner ausdrücklich auf den Zweck der Gesetzesänderung aus dem [X.] Bezug und sieht, dass in Fällen ungünstiger Ausgangsbedingungen, etwa bei sprachunkundigen Ausländern, zur Entlastung des [X.] ausnahmsweise von der Anordnung der Unterbringung Abstand genommen werden kann.

Sost-Scheible     

       

Roggenbuck     

       

[X.]

       

Quentin     

       

Feilcke     

       

Meta

4 StR 124/17

06.07.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Offenburg, 21. November 2016, Az: 205 Js 6531/16 - 2 KLs

§ 64 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.07.2017, Az. 4 StR 124/17 (REWIS RS 2017, 8445)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8445

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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