Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2013, Az. III ZA 28/13

3. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 899

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Gegenstand

Ablehnung von Prozesskostenhilfe für getrennte Gerichtsverfahren wegen Mutwilligkeit: Möglichkeit der Geltendmachung einer Mehrzahl von Ansprüchen in einer Klage


Tenor

Die Verfahren [X.]/13 bis [X.] und [X.]/13 bis [X.] 273/13 werden zum Zwecke gemeinsamer Entscheidung verbunden. Das Verfahren [X.]/13 führt.

Die Anträge des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt in 265 Verfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

2

Das [X.] hat dem Antragsteller in einem Fall ([X.].: 6 [X.] 1/13) Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Rechtsstreits (§ 198 GVG) bewilligt. In 265 weiteren beim [X.] anhängigen Verfahren hat der Antragsteller ebenfalls die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Entschädigungsklagen nach § 198 GVG beantragt ([X.].: 6 [X.] 2/13 bis 6 [X.] 266/13). Er beabsichtigt, [X.] für insgesamt 2.441 Entschädigungsklagen sukzessive anzubringen.

3

Die den beabsichtigten Entschädigungsklagen zugrunde liegenden Ausgangsverfahren betreffen jeweils Schadensersatzansprüche, die von Kapitalanlegern gegen den Antragsteller geltend gemacht werden. Dieser wird als Verantwortlicher ("[X.]") des [X.] der sogenannten "[X.]" persönlich in Anspruch genommen. In den Jahren 2007 und 2008 sind beim [X.] insgesamt 2.441 Klagen gegen den Antragsteller eingereicht worden, die von zwei Zivilkammern bearbeitet werden.

4

Die seit 2007 beziehungsweise 2008 anhängigen Ausgangsverfahren zu den Entschädigungsklagen 6 [X.] 1/13 bis 6 [X.] 266/13 sind dadurch gekennzeichnet, dass erstmals im Jahr 2012 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat und anschließend ein [X.] und Beweisbeschluss ergangen ist.

5

In den Verfahren 6 [X.] 2/13 bis 6 [X.] 266/13 hat das [X.] die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Die gesonderte klageweise Geltendmachung der Entschädigungsansprüche sei mutwillig im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO, da die Verfolgung der Ansprüche in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) bedeutend kostengünstiger sei und sachliche Gründe für eine getrennte Geltendmachung nicht vorlägen. Die Verfahrensweise des Antragstellers sei auch deshalb mutwillig, weil eine wirtschaftlich leistungsfähige [X.] die Verfahren nicht gleichzeitig betreiben würde. Sie würde vielmehr ein "unechtes Musterverfahren" auswählen und die [X.] erst nach Ergehen der Musterentscheidung weiterführen.

6

Das [X.] hat die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen. Es ist der Auffassung, dass bisher nicht höchstrichterlich geklärt sei, unter welchen Voraussetzungen Mutwilligkeit bei der gesonderten Geltendmachung einer Vielzahl von Entschädigungsansprüchen im Sinne von § 198 GVG bei Massenverfahren anzunehmen sei.

7

Der erkennende Senat hat die streitgegenständlichen Prozesskostenhilfeverfahren (Entschädigungsverfahren 6 [X.] 2/13 bis 6 [X.] 266/13) zum Zwecke gleichzeitiger Entscheidung verbunden.

II.

8

Die für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens beantragte Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigten Rechtsmittel keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben (§ 114 Satz 1 ZPO). Das [X.] hat die Anträge des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für 265 Entschädigungsklagen im Ergebnis zu Recht als mutwillig zurückgewiesen.

9

1. Von der Frage der Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO wird in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs betroffen (vgl. [X.], [X.], 1161 Rn. 8). Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige [X.] bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg genauso Erfolg versprechend ist (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 10. März 2005 - [X.], NJW 2005, 1497 f und vom 6. Dezember 2010 - [X.], [X.], 104 Rn. 8; siehe auch [X.] aaO Rn. 9; Hk-ZPO/Pukall, 5. Aufl., § 114 Rn. 19; Musielak/[X.], ZPO, 10. Aufl., § 114 Rn. 30; [X.]/[X.], ZPO, 30. Aufl., § 114 Rn. 30, 34 f). Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO liegt deshalb regelmäßig vor, wenn eine [X.] keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vorbringt, warum sie eine Mehrzahl von Ansprüchen nicht in einer Klage geltend macht, oder nicht plausibel erklärt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können ([X.] aaO Rn. 9; [X.], BeckRS 2010, 30507 jeweils mwN). Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Kläger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselben (Rechts-)Fragen bereits in anderen Verfahren anhängig sind (sog. unechte Musterverfahren). Er kann auf diesem Wege im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung - die gegebenenfalls erst durch das Revisionsgericht getroffen wird - vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Bei einem aus seiner Sicht negativen Ausgang des [X.] ist er nicht gehindert, sein Rechtsschutzziel im eigenen Verfahren weiter zu verfolgen (vgl. [X.], NJW 2010, 988 Rn. 10 f; [X.]/[X.] aaO Rn. 12a). Dieses Verständnis des Begriffs der Mutwilligkeit entspricht auch der ratio legis des § 114 Satz 1 ZPO. Prozesskostenhilfe kann nur für zweckentsprechende Rechtsverfolgung beziehungsweise Rechtsverteidigung verlangt werden. Einer [X.], die auf Kosten der Allgemeinheit prozessiert, muss zugemutet werden, zulässige Maßnahmen erst dann vorzunehmen, wenn dies wirklich notwendig ist ([X.]/[X.] aaO § 114 Rn. 30).

2. Daran gemessen ist die Rechtsverfolgung des Antragstellers jedenfalls insoweit mutwillig im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO, als er beabsichtigt, sämtliche Entschädigungsprozesse getrennt und gleichzeitig zu betreiben. Da die Verfahren in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, denselben Beklagten betreffen und die Ausgangsverfahren vom [X.] nach "demselben Schema" bearbeitet wurden, kann der Antragsteller durch Betreiben (und gegebenenfalls Erweiterung) des Verfahrens 6 [X.] 1/13, in dem ihm Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, die zwischen den [X.]en streitigen Fragen abschließend klären lassen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG und der Bemessung des Entschädigungsbetrags nach § 198 Abs. 2 Satz 3 und 4 GVG eine Einzelfallbetrachtung oder eine Gesamtbetrachtung (über das jeweilige Verfahren hinaus) geboten ist. Geht das Musterverfahren im Sinne des Antragstellers aus und wird ihm - gegebenenfalls nach Entscheidung des Revisionsgerichts - ein Entschädigungsbetrag zugesprochen, bietet diese Verfahrensweise den Vorteil, dass nach (höchstrichterlicher) Klärung der für das Zusprechen der Entschädigung maßgeblichen Kriterien es möglicherweise nicht mehr notwendig sein wird, zur Durchsetzung der jeweiligen Entschädigungsansprüche den Rechtsweg zu beschreiten. Durch das kostensparende Führen eines [X.] in dem dargelegten Sinn erleidet der Antragsteller keinen Nachteil. Ihm steht ein dauerhaft solventer Antragsgegner gegenüber. Es droht keine Verjährung. Im Hinblick darauf, dass die sechsmonatige Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG erst mit der Rechtskraft der Entscheidung im Ausgangsverfahren oder mit einer anderen Erledigung dieses Verfahrens beginnt, verbleibt in jedem Fall noch ausreichend Zeit, Entschädigungsansprüche gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen.

Nach allem ist es dem Antragsteller zuzumuten, die Entschädigungsverfahren 6 [X.] 2/13 bis 6 [X.] 266/13 ruhend zu stellen, bis die relevanten (Rechts-)Fragen in dem Parallelverfahren 6 [X.] 1/13 geklärt sind. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller - wie das [X.] meint - von Anfang an gehalten war, sämtliche Entschädigungsansprüche in einer Klage gemäß § 260 ZPO zusammenzufassen, oder ob nachvollziehbare Gründe dafür sprechen, die getrennte Klageerhebung ausnahmsweise nicht als mutwillig im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO anzusehen (dazu [X.] aaO unter II.2.d).

3. Der Versagung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren steht nicht entgegen, dass das [X.] die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. [X.] im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat eine Rechtssache nach der herkömmlichen Definition, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (vgl. nur [X.], Beschluss vom 1. Oktober 2002 - [X.], NJW 2003, 65, 68 mwN; Hk-ZPO/[X.]/[X.] aaO § 543 Rn. 6). Daran fehlt es hier. [X.] ist allein die Frage, ob der Antragsteller darauf verwiesen werden kann, diejenigen Entschädigungsverfahren, in denen ihm Prozesskostenhilfe versagt wurde, vorübergehend ruhend zu stellen und den Ausgang des "[X.]" abzuwarten. Insoweit ergeben sich keine zweifelhaften oder noch offenen Rechtsfragen, die einer Klärung durch höchstrichterliche Entscheidung bedürften. Vielmehr kann diese Frage anhand der gesetzlichen Regelung und der vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden, so dass auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht geboten ist (vgl. [X.], NJW 1991, 413, 414; NJW 2010, 1657 Rn. 17). Es kommt daher für die Prozesskostenhilfegewährung allein auf die Erfolgsaussichten der Rechtsbeschwerde in der Sache selbst an, die bereits im Prozesskostenhilfeverfahren beurteilt werden können (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. September 2002 - [X.], NJW-RR 2003, 130 f und vom 16. Juli 2003 - [X.], [X.] 2003, 416, 417). Solche Erfolgsaussichten bestehen - wie dargelegt - nicht.

[X.]

Meta

III ZA 28/13

21.11.2013

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZA

vorgehend OLG Braunschweig, 26. April 2013, Az: 6 SchH 6/13

§ 114 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2013, Az. III ZA 28/13 (REWIS RS 2013, 899)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 899

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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