Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2019, Az. I ZR 89/19

1. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 1582

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Gegenstand

Hinweispflichten bei Frage der Verkehrsdurchsetzung einer Marke


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 26. März 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 135.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin ist auf die Herstellung und den Vertrieb veganer [X.] spezialisiert. Zu ihrer Produktpalette gehört ein Ersatzerzeugnis für Reibekäse, das sie unter der Bezeichnung "[X.]" vertreibt. Die [X.] ist Inhaberin der gleichlautenden Unionswortmarke, die unter der Registernummer 012618062 mit Priorität vom 19. Februar 2014 in der Klasse 29 für

Käse; veganer Käse; Käse auf der Basis von pflanzlichen Fetten; Milch; Milchprodukte; Sojamilch; Sojasahne; [X.]; Reissahne; Margarine; veganer Joghurt; veganer Schmand; vegane Buttermilch; vegane Crème fraîche; vegane Kaffeesahne; veganer Quark; vegane Molke; veganer Frischkäse; Wurst; Wurstwaren; vegane Wurst; Sojazubereitungen als Fleischalternativen; Glutenzubereitungen als Fleischalternativen; Fertiggerichte aus mit Käse bzw. veganem Käse überbackenem Gemüse

und in der Klasse 30 für

Fertiggerichte aus Teigwaren; Teigtaschen gefüllt mit Käse bzw. veganem Käse; vegane Fertigpizza; vegane Fertigsandwiches; vegane Fertig-Toast-Hawaii

eingetragen wurde ([X.]). Die Klägerin ist seit dem 1. April 2016 Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an der [X.] und zur Klageerhebung ermächtigt.

2

Die Beklagte ist die [X.] Franchisegeberin für "[X.]  ", einem Konzept der Systemgastronomie für den Lieferdienst von Pizza- und Pastagerichten. [X.] ging sie für ein halbes Jahr mit der [X.] eine Zusammenarbeit dahingehend ein, dass diese die Beklagte mit einem veganen Sortiment für ihre veganen Pizzen belieferte. Die Beklagte beendete die Zusammenarbeit mit Wirkung ab dem Jahr 2016. Sie verarbeitet nunmehr Konkurrenzprodukte für ihre veganen Pizzen, verwendet aber weiterhin die Bezeichnung "[X.]".

3

Die Klägerin ließ die Beklagte erfolglos abmahnen und hat sodann Klage auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten erhoben. Die Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt, die [X.] für nichtig zu erklären.

4

Das [X.] hat die [X.] teilweise, hinsichtlich der Waren der Klasse 29 "Käse; veganer Käse; Käse auf Basis von pflanzlichen Fetten", für nichtig erklärt und die Klage vollumfänglich abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

6

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die [X.] sei jedenfalls in dem vom [X.] angenommenen Umfang im [X.]n Sprachgebiet nicht unterscheidungskräftig, weil sie die Waren unmittelbar beschreibe. Der Verkehr, dem die übliche Zusammensetzung einer Pizza ebenso geläufig sei wie der Begriff "Schmelzkäse", werde annehmen, dass mit der Endung "-schmelz" das Produkt assoziiert werden solle, das regelmäßig allein auf der Pizza wirklich schmelze, nämlich Käse. Die [X.] habe auch nicht durch ihre Benutzung Unterscheidungskraft erlangt. Die Klägerin habe zu einer - erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachten - Verkehrsdurchsetzung nicht ausreichend substantiiert vorgetragen. Konkrete Angaben zu [X.] und -reichweite, zu Marktanteilen und [X.] sei sie schuldig geblieben. Auch fehlten Angaben dazu, inwieweit die Bezeichnung "[X.]" überhaupt jeweils als Marke und nicht lediglich beschreibend benutzt worden sei.

7

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass es sich bei dem angefochtenen Urteil um eine den Anspruch der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzende Überraschungsentscheidung handelt, soweit das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zur Verkehrsdurchsetzung der [X.] ohne vorherigen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 ZPO als nicht ausreichend substantiiert angesehen hat.

8

a) Die Garantie rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Eng damit zusammen hängt das ebenfalls aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Verbot von Überraschungsentscheidungen. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann (vgl. [X.] 84, 188, 190 [juris Rn. 7]; [X.], Beschluss vom 20. September 2012 - 1 BvR 1633/09, juris Rn. 11 mwN; [X.], Beschluss vom 9. Mai 2018 - [X.], juris Rn. 10). Den Gerichten obliegt in diesem Zusammenhang die Pflicht, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen. Art. 103 Abs. 1 GG normiert zwar keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts. Auch stellt nicht jeder Verstoß gegen die einfach-gesetzlichen Hinweispflichten wie zum Beispiel § 139 ZPO eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG dar. Eine solche Verletzung liegt aber vor, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der gewissenhafte und kundige Prozessbeteiligte nach dem vorherigen [X.] nicht rechnen konnten. Dann verstößt das Zivilgericht elementar gegen seine aus § 139 Abs. 1 ZPO folgende Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die [X.]en sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, Beweismittel bezeichnen und sachdienliche Anträge stellen können (vgl. [X.], NJW 2017, 3218 Rn. 49 bis 51 mwN). Nach diesen Maßstäben liegt eine Überraschungsentscheidung vor.

9

b) Die Klägerin musste ohne gerichtlichen Hinweis nicht damit rechnen, dass ihr Vortrag zur Verkehrsdurchsetzung der [X.] in der Berufungsbegründung vom Berufungsgericht als nicht hinreichend substantiiert angesehen werden würde.

aa) Die Klägerin hatte vorgetragen, sie sei mit dem Produkt "[X.]" europaweit vertreten und beliefere in 22 Ländern Lebensmitteleinzelhändler, industrielle Weiterverarbeiter und die Gastronomie. Das Produkt "[X.]" sei 2011 das erste Produkt seiner Art gewesen. Die Klägerin habe es in kürzester Zeit flächendeckend im [X.]n Lebensmittelhandel etablieren können. Von dort aus habe der "[X.]" schnell weite Teile [X.] erreicht. Vielen Verbrauchern sei die Marke "[X.]" bekannt. Die prominente [X.]habe den [X.] der Klägerin in die Kamera gehalten, der Grimme-Preisträger [X.]     habe ein Foto des Markenprodukts [X.] auf [X.] geteilt. Die Beklagte hat in der [X.] zu der von der Klägerin behaupteten Verkehrsdurchsetzung der [X.] keine Ausführungen gemacht.

cc) Dieser Vortrag der Klägerin zu einer durch Benutzung erlangten Unterscheidungskraft ist nicht von vornherein ungeeignet, eine Verkehrsdurchsetzung der [X.] darzulegen, zumal er in der Berufungsinstanz unstreitig geblieben ist.

(1) Bei der Beurteilung einer infolge von Benutzung erlangten Unterscheidungskraft kann insbesondere auf den von der Marke gehaltenen Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung und die Dauer ihrer Benutzung, den Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, den Teil der beteiligten Verkehrskreise, der die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, sowie auf Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden abgestellt werden. Ob die Marke tatsächlich Unterscheidungskraft erlangt hat, darf jedoch nicht nur aufgrund von generellen und abstrakten Angaben, wie zum Beispiel bestimmten Prozentsätzen, beurteilt werden (vgl. [X.], Urteile vom 4. Mai 1999 - C-108/97 und [X.]/97, Slg. 1999, [X.] = GRUR 1999, 723 Rn. 51 f. - [X.]; [X.], Urteil vom 2. Juni 2016 - [X.], [X.], 75 Rn. 29 = [X.], 74 - [X.] mwN; [X.]/Hanf, 19. Edition [Stand: 1. Oktober 2019], [X.] 2017 Art. 7 Rn. 194 f.).

(2) Die Klägerin hat insbesondere Angaben zur geografischen Ausbreitung der Marke (22 Länder) und ihrer [X.] (seit 2011) gemacht. Die Beklagte hat diesen Vortrag in der [X.] nicht bestritten oder als unsubstantiiert gerügt. Nach dem bisherigen Prozessverlauf musste deshalb auch eine gewissenhafte und kundige [X.] nicht damit rechnen, dass das Berufungsgericht ihren Vortrag ohne Hinweis als nicht hinreichend substantiiert ansieht.

3. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Die Klägerin legt in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde dar, dass sie bei einem entsprechenden Hinweis unter Beweisantritt weiter zur [X.], zum Werbeaufwand sowie zur Bekanntheit der [X.] vorgetragen hätte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht aufgrund dieses weiteren Vortrags sowie einer Beweisaufnahme zu einer anderen Beurteilung der Frage der Verkehrsdurchsetzung gemäß Art. 7 Abs. 3 [X.] gekommen wäre.

Koch     

        

Löffler     

        

Schwonke

        

Feddersen     

        

Schmaltz     

        

Meta

I ZR 89/19

14.11.2019

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 26. März 2019, Az: I-20 U 46/18

Art 103 Abs 1 GG, § 139 Abs 2 S 1 ZPO, § 8 Abs 3 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2019, Az. I ZR 89/19 (REWIS RS 2019, 1582)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1582


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZR 89/19

Bundesgerichtshof, I ZR 89/19, 14.11.2019.


Az. 20 U 46/18

Oberlandesgericht Düsseldorf, 20 U 46/18, 26.03.2019.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 U 3133/19

I ZR 53/22

Zitiert

1 BvR 1633/09

I ZR 75/15

Zitieren mit Quelle:
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