Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.06.2015, Az. 2 BvR 965/15

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2015, 10166

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Effektiver Rechtsschutz gegen Bewilligungsentscheidung im Auslieferungsverfahren (§ 12 IRG) bei Abweichung von Zulässigkeitsentscheidung geboten - hier: Rechtsschutz gegen Auslieferung an die USA bei Bewilligung der Weiterlieferung an die Türkei - Annahme der Verfassungsbeschwerde wegen Rechtsschutzverzichts nicht angezeigt


Gründe

1

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Bewilligung der Auslieferung des Beschwerdeführers an die [X.] zum Zweck der Strafverfolgung und das Einverständnis des [X.] mit seiner Weiterlieferung in die [X.] Türkei.

2

1. Die [X.] ersuchen um Auslieferung des Beschwerdeführers zum Zweck der Strafverfolgung. Der Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Ihm wird vorgeworfen, zwischen 2010 und 2013 zusammen mit anderen an einer "Verschwörung" zum [X.] von zumindest drei Finanzdienstleistern in den [X.] und andernorts beteiligt gewesen zu sein. Die [X.] Türkei ersucht ebenfalls um die Auslieferung des Beschwerdeführers, allerdings zur Strafvollstreckung eines rechtskräftigen Urteils des [X.] in [X.]. In diesem wird ihm vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet und diese bis zum 21. August 2008 geleitet zu haben. Der Beschwerdeführer hat einer Auslieferung in die [X.] Türkei zugestimmt.

3

a) Mit Beschluss vom 5. August 2014 erklärte das [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers in die [X.] für zulässig. Auf seine Verfassungsbeschwerde hin hob die [X.] des [X.] des [X.] mit Beschluss vom 20. November 2014 den Beschluss des [X.] auf und verwies die Sache an das [X.] zurück (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. November 2014 - 2 BvR 1820/14 -, [X.], [X.] ff.).

4

b) Mit Beschluss vom 25. März 2015 erklärte das [X.] die Auslieferung sodann erneut für zulässig. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm das [X.] durch unbegründeten Beschluss vom 16. April 2015 nicht zur Entscheidung an ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. April 2015 - 2 BvR 585/15 -).

5

c) Durch [X.] vom 12. Mai 2015 teilte das [X.] der Botschaft der [X.] mit, dass die Regierung der [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers in die [X.] bewilligt habe. Außerdem wurde erklärt, dass einer eventuellen Weiterlieferung des Beschwerdeführers zur Strafvollstreckung aus den [X.] in die [X.] Türkei wegen der in dem Vollstreckungshaftbefehl des [X.] in [X.] aufgeführten Freiheitsstrafen bereits jetzt zugestimmt werde.

6

d) Der Beschwerdeführer wandte sich mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung zum [X.] gegen die Bewilligung und beantragte, diese aufzuheben und der Bewilligungsbehörde aufzugeben, die Auslieferung des Verfolgten in die [X.] Türkei zu bewilligen.

7

e) Das [X.] verwarf den Antrag mit Beschluss vom 22. Mai 2015 als unzulässig, weil unstatthaft.

8

aa) Aus § 79 [X.] ergebe sich die erforderliche Rechtsgrundlage nicht. Die Vorschrift sei lediglich auf den Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der [X.] anwendbar und regele auch in diesem Zusammenhang in ihrem Absatz 2 lediglich die Überprüfbarkeit der beabsichtigten Nichtgeltendmachung fakultativer Bewilligungshindernisse im Rahmen des [X.], nicht jedoch die - zusätzliche - gerichtliche Überprüfung der abschließenden Bewilligungsentscheidung.

9

Eine Anfechtbarkeit gemäß §§ 23 ff. [X.] scheide aus, weil die Bewilligungsbehörde keine Justizverwaltungsbehörde sei. Für eine analoge Anwendung des § 29 [X.] oder des § 33 [X.] sei kein Raum, weil es an einer unbewussten Regelungslücke fehle. Nachdem das erste Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den [X.] Haftbefehl durch das [X.] für verfassungswidrig erklärt worden sei ([X.]E 113, 273 ff.), wobei das Gericht unter anderem den ausdrücklichen Ausschluss der Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung in § 74b [X.] a.F. beanstandet gehabt habe, habe der Gesetzgeber mit § 79 Abs. 2 [X.] n.F. zwar eine vermittelnde Teilregelung für den Auslieferungsverkehr in der [X.] getroffen, von einer weitergehenden Rechtsgestaltung aber bewusst abgesehen. Sollte so für den Auslieferungsverkehr innerhalb der [X.] weder kategorisch die Unanfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung festgeschrieben noch umgekehrt eine Anfechtbarkeit ausdrücklich normiert werden, gelte insbesondere Letzteres nicht minder für den Auslieferungsverkehr mit Drittstaaten. Dass dem Gesetzgeber entgangen sein sollte, dass eine im Achten Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen regelungsbedürftige Problematik auch im [X.] ungeregelt sei, sei im Hinblick auf § 78 Abs. 1 [X.] ausgeschlossen.

bb) Auch Art. 19 Abs. 4 GG enthalte selbst keine Rechtsgrundlage für ein subjektives öffentliches Recht, sondern setze ein solches einfachgesetzlicher Art voraus. Deshalb sei der Anwendungsbereich der Vorschrift letztlich nicht berührt. Das [X.] habe in seiner Entscheidung zum ersten [X.] Haftbefehlsgesetz zwar festgestellt, dass eine Unanfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung im Auslieferungsverfahren dann nicht mehr darauf gestützt werden könne, dass deren außen- und allgemeinpolitische Aspekte zum Kernbereich der Exekutive gehörten, wenn die Bewilligungsentscheidung die gesetzliche Einschränkung eines Grundrechts konkretisiere. Dies habe sich jedoch auf den Auslieferungsverkehr innerhalb der [X.] bezogen, in dem zulässige Auslieferungsersuchen nur abgelehnt werden könnten, soweit dies im [X.] (§ 79 Abs. 1 [X.] n.F.); dadurch sei das im klassischen Auslieferungsrecht dem ersuchten Staat zustehende weite Ermessen prinzipiell beseitigt und das Verfahren über die schon zuvor bestehenden vertraglichen Bindungen hinaus verrechtlicht worden. Im klassischen Auslieferungsverkehr mit Drittstaaten müsse es demgegenüber dabei bleiben, dass, wie der [X.] des [X.] zum parallelen Problem der Überstellung von Strafgefangenen entschieden habe ([X.]E 96, 100 ff.), die Nichtanfechtbarkeit der Exekutiventscheidung als mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar anzusehen sei, weil durch diese keine rechtlichen Interessen des Betroffenen berührt würden. Die Bewilligungsbehörde orientiere sich allein an allgemeinen, insbesondere außenpolitischen Belangen; ihr [X.] sei nicht auf das rechtliche Interesse des Verurteilten beziehungsweise Verfolgten ausgerichtet, dem insoweit auch kein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung zustehe. Die [X.] finde vielmehr allein im Rahmen des gerichtlichen [X.] Berücksichtigung. Folgerichtig sehe das [X.] auch keine grundsätzliche Notwendigkeit eines Nebeneinanders von Zulässigkeitsverfahren und Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung.

2. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1, Art. 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 2 GG, der [X.] Menschenrechtskonvention sowie der [X.] Grundrechtecharta.

a) Dem Beschwerdeführer müsse es möglich sein, die Bewilligungsentscheidung im Auslieferungsverfahren einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen, da sonst willkürliche Ermessensentscheidungen möglich seien.

Im vorliegenden Fall gelte dies umso mehr, als der Bewilligungsentscheidung nicht alleine die Auslieferung an die [X.] zugrunde liege, sondern eine Entscheidung der Bewilligungsbehörde zwischen einer möglichen (vorrangigen) Auslieferung an die ersuchenden [X.] oder einer möglichen (vorrangigen) Auslieferung an die [X.] Türkei. Die Frage, ob eine Auslieferung vorrangig an die [X.] oder an die [X.] Türkei zu bewilligen sei, sei bis dato in keinem gerichtlichen Verfahren überprüft worden und habe für das Zulässigkeitsverfahren auch bisher überhaupt keine Rolle gespielt. Im Zulässigkeitsverfahren sei allein die Auslieferung an die [X.] thematisiert und entschieden worden.

Außerdem sei zu berücksichtigen, dass bei der Entscheidung zwischen zwei konkurrierenden Auslieferungsersuchen neben dem außenpolitischen Ermessen auch die Position des Verfolgten, dessen notwendige Resozialisierung und sein Anspruch auf ein faires Verfahren in die Abwägung mit einzubeziehen seien.

b) Da bisher die Erwägungen der Bewilligungsbehörde mangels Akteneinsicht nicht bekannt gegeben seien, könne die Ermessensentscheidung selbst nicht einmal überprüft werden.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine notwendige Annahme liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 [X.]G); die Annahme ist auch im Übrigen nicht angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]G). Die für die Entscheidung im Wesentlichen maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt (vgl. [X.]E 63, 215 <225 ff.>; [X.]K 3, 159 <164 f.>; 13, 128 <135 f.>; 13, 557 <560 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Dezember 2007 - 2 BvQ 51/07 -, juris, Rn. 29; Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. November 2008 - 2 BvR 2196/08 -, juris, Rn. 9). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.]G genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]G). Es ist nicht ersichtlich, dass die geltend gemachte Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte - ihr Vorliegen unterstellt - besonderes Gewicht hat. Der Verfassungsbeschwerde lässt sich weder entnehmen, dass das [X.] Rechte des Beschwerdeführers in einer Weise verletzt hat, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder von der Ausübung von Grundrechten abhalten könnte, noch hat das [X.] Grundrechtspositionen grob verkannt oder ist mit ihnen leichtfertig umgegangen.

a) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. [X.]E 8, 274 <326>; 113, 273 <310>; stRspr). Dies umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des [X.] in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung (vgl. [X.]E 107, 395 <401>; 113, 273 <310>; 117, 71 <122>). Der Bürger hat insoweit einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.]E 40, 272 <275>; 113, 273 <310>; 129, 1 <20>; stRspr).

Zur Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes gehört vor allem, dass dem [X.] eine hinreichende Prüfungsbefugnis hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Seite eines Streitfalls zukommt, damit er einer Rechtsverletzung abhelfen kann. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt allerdings nicht aus, dass je nach Art der zu prüfenden Maßnahme wegen der Einräumung von [X.], Ermessens- und Beurteilungsspielräumen eine unterschiedliche Kontrolldichte zugrunde gelegt werden muss (vgl. [X.]E 15, 275 <282>; 113, 273 <310>; 129, 1 <21 f.>; stRspr).

b) Die Bewilligung nach § 12 [X.] stellt die Entscheidung einer Behörde dar, dem Ersuchen eines ausländischen Staates auf Auslieferung einer gesuchten Person stattzugeben. In der [X.] liegt die Zuständigkeit für die Bewilligung bei der [X.]esregierung und wird durch das [X.] im Einvernehmen mit dem [X.] ausgeübt. Auslieferungen sind als Teil der auswärtigen Beziehungen einzuordnen, für die der [X.] gemäß Art. 32 Abs. 1 GG die ausschließliche Zuständigkeit hat (vgl. [X.]E 96, 100 <117>; 113, 273 <311 f.>).

aa) Die historisch begründete Zweiteilung des [X.] Auslieferungsverfahrens in das Zulässigkeits- und das Bewilligungsverfahren erfordert im klassischen Auslieferungsverfahren eine Unterscheidung im Hinblick auf die Funktion der beiden Verfahrensstadien und die damit einhergehenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Das Zulässigkeitsverfahren dient insoweit dem präventiven Rechtsschutz des Verfolgten, während das Bewilligungsverfahren die Berücksichtigung außen- und allgemeinpolitischer Aspekte des jeweiligen Falles ermöglichen soll ([X.]E 113, 273 <312>).

Vor diesem Hintergrund hat das [X.] die (verfassungs-)gerichtliche Überprüfung von [X.] nicht oder allenfalls nur für eingeschränkt möglich gehalten (vgl. [X.]E 63, 215 <226 f.>; 113, 273 <311>; [X.]K 3, 159 <164 f.>; 13, 128 <135 f.>; 13, 557 <560 f.>; [X.], Beschluss vom 19. Oktober 1966 - 1 BvR 607/66 -, [X.] 1967, [X.]; Beschluss des [X.] vom 16. März 1983 - 2 BvR 429/83 -, [X.], [X.]>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 9. November 2000 - 2 BvR 1560/00 -, NJW 2001, S. 3111 <3112>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Dezember 2007 - 2 BvQ 51/07 -, juris, Rn. 29; Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. November 2008 - 2 BvR 2196/08 -, juris, Rn. 9; vgl. im Hinblick auf die parallele Problematik der Überstellung von Strafgefangenen [X.]E 96, 100 <118>). Nach dem herkömmlichen Auslieferungsrecht werden nämlich die rechtlichen Voraussetzungen der Auslieferung im gerichtlichen Zulässigkeitsverfahren geklärt. Die nachfolgende (§ 12 [X.]) Bewilligungsentscheidung stellt sich demgegenüber als Entscheidung gegenüber dem ersuchenden Staat dar, die gerichtlich nicht überprüfbar ist.

Dies ist im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG solange unschädlich, als die [X.]e im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung alle subjektiven öffentlichen Rechtspositionen des Verfolgten umfassend berücksichtigen und die Entscheidung insoweit nicht (allein) der Bewilligungsbehörde überlassen (vgl. [X.]E 63, 215 <227 f.>; [X.]K 3, 159 <164 f.>; 13, 128 <135 f.>; 13, 557 <560 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Dezember 2007 - 2 BvQ 51/07 -, juris, Rn. 29; Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. November 2008 - 2 BvR 2196/08 -, juris, Rn. 9; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/Hackner, [X.], 5. Aufl. 2012, § 12 [X.] Rn. 5; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.], Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, [X.], 3. Aufl., § 13 [X.] Rn. 9 ). Im Falle einer positiven Zulässigkeitsentscheidung verbleibt dann der Bewilligungsbehörde - ungeachtet ihrer aus Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Pflicht zur eigenen Rechtmäßigkeitskontrolle einerseits und etwaiger völkerrechtlicher Bindungen andererseits - ein weiter, gerichtlich allenfalls eingeschränkt überprüfbarer, außenpolitischer Entscheidungsspielraum ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. November 2008 - 2 BvR 2196/08 -, juris, Rn. 9).

bb) Etwas anderes folgt auch nicht aus den Regelungen über den Auslieferungsverkehr zwischen Mitgliedstaaten der [X.]. In diesem Zusammenhang stellt sich die Bewilligung nach den §§ 78 ff. [X.] als rechtlich eingebettete Entscheidung der Bewilligungsbehörde dar. § 79 Abs. 1 [X.] statuiert insoweit eine grundsätzliche Pflicht zur Bewilligung, welche nur unter den in den folgenden Normen explizit genannten Gründen, namentlich unter den Voraussetzungen des § [X.] [X.] abgelehnt werden kann. Bei Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der [X.] erlangt die Bewilligung damit den Charakter einer gegenüber dem Verfolgten die gesetzlichen Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff konkretisierenden Maßnahme. Diese muss wegen Art. 19 Abs. 4 GG der gerichtlichen Kontrolle unterliegen (vgl. [X.]E 113, 273 <309 ff.>), wie sie in § 79 Abs. 2 und Abs. 3 [X.] heute auch vorgesehen ist. Zugleich folgt aus dem gewandelten Charakter der Bewilligung im Achten Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, dass sie, wie auch sonstige belastende Hoheitsakte der Verwaltung, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann (vgl. [X.]K 16, 131 <134 f.>; 16, 177 <190>; 16, 283 <292 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. November 2008 - 2 BvR 2196/08 -, juris, Rn. 10).

2. Einer isolierten gerichtlichen Überprüfung der Bewilligungsentscheidung auch im Auslieferungsverkehr mit Drittstaaten bedarf es allerdings, wenn diese über die Zulässigkeitsentscheidung hinausgeht. In diesem Fall kann das [X.] im Rahmen seiner Entscheidung nicht alle subjektiven öffentlichen Rechte des Verfolgten berücksichtigen und den von Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Rechtsschutz gewähren, so dass es grundsätzlich einer eigenständigen Überprüfung der Bewilligungsentscheidung bedarf.

So liegen die Dinge auch hier. Die Zulässigkeitsentscheidungen des [X.] vom 5. August 2014 und vom 25. März 2015 betrafen lediglich die Auslieferung des Beschwerdeführers an die [X.]. Demgegenüber hat das [X.] der Botschaft der [X.] durch [X.] vom 12. Mai 2015 nicht nur mitgeteilt, dass die Regierung der [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers in die [X.] bewilligt habe, sondern auch, dass seiner eventuellen Weiterlieferung zur Strafvollstreckung in die [X.] Türkei bereits jetzt zugestimmt werde. Diese Weiterlieferung in die [X.] Türkei war aber bislang nicht Gegenstand des gerichtlichen Überprüfungsverfahrens.

3. Das führt im vorliegenden Fall jedoch nicht zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde.

Die Bewilligung der Auslieferung in die [X.] durch die Regierung der [X.] ist als solche nicht zu beanstanden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das [X.] einfachrechtliche und grundrechtliche Rechtspositionen des Beschwerdeführers nicht umfassend berücksichtigt hätte oder insoweit von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts ausgegangen wäre (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. April 2015 - 2 BvR 585/15 -).

Soweit das [X.] den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Bewilligungsentscheidung mangels einfachgesetzlicher Regelungen über die Anfechtbarkeit für unzulässig erklärt hat, hat es jedoch Bedeutung und Tragweite von Art. 19 Abs. 4 GG verkannt, weil die Aus- und Weiterlieferung des Verfolgten in die [X.] Türkei noch nicht Gegenstand einer Zulässigkeitsentscheidung war. Da der Beschwerdeführer die Auslieferung in die [X.] Türkei allerdings selbst begehrt und einer möglichen Auslieferung in die [X.] Türkei ausdrücklich zugestimmt hat, hat er in zulässiger Weise darauf verzichtet, gegen eine solche Maßnahme Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Das schlägt auch auf die Bewilligungsentscheidung durch. Vor diesem Hintergrund ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung seiner Grundrechte nicht angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]G).

4. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (vgl. § 40 Abs. 3 GO[X.]).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 965/15

09.06.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Frankfurt, 22. Mai 2015, Az: 2 Ausl A 218/13, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, § 93a Abs 2 Buchst b BVerfGG, § 12 IRG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.06.2015, Az. 2 BvR 965/15 (REWIS RS 2015, 10166)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10166

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