Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.03.2013, Az. X B 139/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 7623

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Gegenstand

Überraschungsentscheidung nach Hinweis des Gerichts; Kürzung des Vorwegabzugs bei nicht sozialversicherungspflichtiger Abfindung wegen Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses


Leitsatz

1. NV: Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn das Gericht vor der mündlichen Verhandlung zur Stellungnahme auffordert.  

2. NV. Eine weitergehende Hinweispflicht des Gerichts besteht auch nicht, wenn ein Beteiligter ein BFH-Urteil, auf das das Gericht verwiesen hat, für nicht einschlägig hält und weitergehende Hinweise erbittet.  

3. NV: Auch der Bezug einer nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Abfindung wegen Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses führt zur Kürzung des Vorwegabzuges nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a EStG a.F.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Ehegatten und wurden im Streitjahr 2004 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

2

Die Klägerin war seit 1992 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, aufgrund von Mutterschaftszeiten allerdings in den letzten Jahren vor 2004 nur vom 16. August 2000 bis zum 31. August 2000 aktiv tätig. Für diesen Zeitraum nahm sie Urlaub und erhielt Urlaubsgeld. Am 29. Juni 2004 bzw. 8. Juli 2004 schloss die Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag und erhielt eine Abfindungszahlung in Höhe von 23.100 €, wovon 15.900 € steuerpflichtig waren.

3

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) veranlagte die Kläger erklärungsgemäß und kürzte den [X.] für die Vorsorgeaufwendungen der Klägerin um 16 % des steuerpflichtigen Anteils der Abfindungszahlung.

4

Im Einspruchsverfahren machten die Kläger geltend, dass der [X.] nicht zu kürzen sei, da im Streitjahr keine Zukunftssicherungsleistungen nach § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erbracht worden seien. Unerheblich seien die Verhältnisse in anderen Kalenderjahren.

5

Einspruchs- und Klageverfahren hatten keinen Erfolg. Im Klageverfahren wies der Berichterstatter darauf hin, dass die Kläger nicht auf das Urteil des [X.] ([X.]) vom 26. September 2006 [X.] ([X.]/NV 2007, 34) eingegangen seien. Soweit die Klage aufrechterhalten werden sollte, wäre im Hinblick auf dieses Urteil eine Auseinandersetzung angezeigt. Da die Kläger dieses Urteil für nicht einschlägig hielten, verzichteten sie im Schriftsatz vom 30. Januar 2012 auf eine inhaltliche Auseinandersetzung. Für den Fall, dass das Gericht wider Erwarten diese Auffassung nicht teile, erbaten sie einen entsprechenden Hinweis. Ein solcher erfolgte weder im schriftlichen Verfahren noch ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2012.

6

Das Finanzgericht (FG) wies mit Urteil vom 23. Mai 2012 die Klage ab.

7

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen die Kläger den Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung.

8

Das [X.] tritt der Beschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde der Kläger ist zumindest unbegründet.

1. Der von den Klägern behauptete Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) liegt nicht vor. Zu Unrecht machen die Kläger geltend, das [X.] habe eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 [X.]O und § 76 Abs. 2 [X.]O).

a) Eine Überraschungsentscheidung kann vorliegen, wenn das [X.] sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste ([X.] vom 13. Juli 2012 I[X.] 3/12, [X.], 1635). Einer umfassenden Erörterung der für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte bedarf es dabei nicht (so schon [X.] vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, [X.], 1235). Auch obliegt dem [X.] keine allgemeine Hinweispflicht in dem Sinne, dass es seine mögliche Beurteilung irgendwie andeuten müsse ([X.] vom 17. Oktober 2012 III B 68/12, nicht veröffentlicht).

b) Im vorliegenden Fall scheidet eine solche Überraschungsentscheidung schon deshalb aus, weil das [X.] die Kläger zur Stellungnahme in Bezug auf das [X.]-Urteil in [X.], 34 aufgefordert hatte. Dabei hatte das [X.] ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei Aufrechterhalten der Klage eine solche Auseinandersetzung angezeigt sei. Es wurde somit hinreichend deutlich, dass dieses Urteil und die dort gemachten Aussagen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht würden. Eines weitergehenden Hinweises seitens des [X.] bedurfte es nicht.

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass die Kläger --anders als das [X.]-- diese Entscheidung für nicht einschlägig hielten und ansonsten um einen weiteren Hinweis baten. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das [X.] nicht, den Beteiligten die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte anzudeuten und sie mit den Beteiligten umfassend zu erörtern ([X.] vom 12. Juli 2012 I B 131/11, [X.], 1815).

Das Gesagte gilt erst recht im Verhältnis zu einem Beteiligten, der wie im Streitfall der Kläger als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater rechtskundig ist. Die Kläger --der Kläger vertrat die [X.] mussten aufgrund dieser Rechtskunde davon ausgehen, dass sich der Hinweis des [X.] nicht aufgrund ihrer Erwiderung erledigt hatte. Gerade ein gewissenhafter und kundiger [X.] wie der Kläger musste unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen, dass das [X.] die aufgezeigte [X.] --auch weiterhin-- für einschlägig hielt. Die Kläger blieben deshalb gehalten, der Aufforderung des [X.] nachzukommen und sich inhaltlich mit der angesprochenen Entscheidung des [X.] auseinanderzusetzen. [X.]. hätten die Kläger von sich aus in der mündlichen Verhandlung die weitergehende Erörterung in diesem Punkt suchen müssen. Dies haben sie versäumt.

d) Dementsprechend ist auch darin, dass das [X.] den Hinweis unterlassen hat, es halte das Senatsurteil in [X.], 34 weiterhin für einschlägig, keine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 [X.]O zu sehen. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, zur Erreichung des [X.] auf der Hand, so stellt ein unterlassener Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 [X.]O verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten wird (Senatsbeschluss vom 17. März 2010 [X.] 120/09, [X.]/NV 2010, 1240, und [X.] vom 19. März 2001 VII B 231/00, [X.]/NV 2001, 1012, m.w.N.).

2. Soweit die Kläger darüber hinaus geltend machen, dass die Auslegung des [X.]-Urteils in [X.], 34 gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße und auf [X.] verweisen, die sich kritisch mit der Rechtsprechung des angerufenen Senats in Bezug auf die Kürzung des [X.] für Vorsorgeaufwendungen bei Nachzahlung von Arbeitslohn auseinandersetzen, wird sinngemäß die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) begehrt. Auch insoweit ist die Beschwerde --unabhängig von den erheblichen Zweifeln an der Erfüllung der Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O-- jedenfalls unbegründet.

a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O geltend, so hat er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (Lange in [X.]/[X.]/[X.], § 116 [X.]O Rz 171). Des Weiteren muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. März 2011 [X.] 151/10, [X.]/NV 2011, 1165; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, 35, m.w.N.). Insbesondere muss sich der Beschwerdeführer auch mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzen und substantiiert darlegen, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. nur [X.] vom 17. März 2010 [X.] 10/10, [X.], 953, m.w.N.).

b) Eine solche Klärung liegt aufgrund der gefestigten Senatsrechtsprechung in Bezug auf die Kürzung der [X.] gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG a.F. vor. Der Senat hat in seinem Urteil in [X.], 34 die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG a.F. unter Berücksichtigung der Gesetzesentwicklung wie auch des in der streitigen Norm zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willens zur pauschalierenden Handhabung der Kürzungsvorschriften dahingehend ausgelegt, dass es entscheidend auf den Charakter des Beschäftigungsverhältnisses ankomme. [X.] Arbeitslohn, der einem aktiven Beschäftigungsverhältnis zuzurechnen sei, in dessen Rahmen der Steuerpflichtige durch Zukunftssicherungsausgaben des Arbeitgebers oder durch den Erwerb von Altersversorgungsansprüchen begünstigt worden sei, führe auch dann zur Kürzung des [X.], wenn er erst nach Beendigung der aktiven Tätigkeit in einem späteren Veranlagungszeitraum zur Auszahlung an den Steuerpflichtigen gelange. Ausdrücklich hat der Senat hierunter auch den Bezug einer nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Abfindung wegen Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses gefasst. Diese Rechtsprechung ist vom Senat im Urteil vom 20. Dezember 2006 [X.] ([X.]E 216, 297, [X.], 823) bestätigt worden. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

c) An dieser Auffassung, die das [X.] seiner Entscheidung zu Recht zugrunde gelegt hat, hält der Senat fest.

3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.

Meta

X B 139/12

06.03.2013

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 23. Mai 2012, Az: 2 K 122/11, Urteil

§ 10 Abs 3 Nr 2 S 2 Buchst a EStG 2002, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.03.2013, Az. X B 139/12 (REWIS RS 2013, 7623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7623

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