Bundessozialgericht, Urteil vom 24.09.2020, Az. B 9 SB 4/19 R

9. Senat | REWIS RS 2020, 2353

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Gegenstand

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Vorverfahrenskosten - nachträgliche Änderung der Sachlage im Widerspruchsverfahren - Verschlechterung des Gesundheitszustands - erfolgreicher Widerspruch - Kostenrisiko der Verwaltung - Möglichkeit eines Teilabhilfebescheids


Leitsatz

1. Ein Widerspruch ist auch dann erfolgreich, wenn sich im Widerspruchsverfahren die Sachlage zugunsten des Widerspruchsführers ändert und deshalb eine für ihn günstige Entscheidung ergeht.

2. Die Möglichkeit, kostenfrei ein Neufeststellungsverfahren auf Festsetzung eines höheren Grades der Behinderung durchzuführen, steht der Erstattung der Kosten eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens nicht entgegen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Kosten eines Widerspruchsverfahrens.

2

Beim Kläger war mit Bescheid des Beklagten vom 13.10.2003 ein [X.] der Behinderung (GdB) von 30 seit dem 13.5.2003 festgestellt. Auf seinen Neufeststellungsantrag vom [X.] stellte der Beklagte nach Einholung von Befundunterlagen mit Bescheid vom [X.] einen [X.] von 40 seit Antragstellung ([X.]) fest.

3

Hiergegen erhob der Kläger am 26.1.2017 Widerspruch. Zur Begründung verwies er [X.] auf eine Rückenmarksverletzung im Bereich der Halswirbelsäule und legte [X.] einen Bericht des J W vom [X.] über eine an diesem Tag erfolgte Untersuchung vor. Mit [X.] vom 14.8.2017 stellte der Beklagte einen [X.] des [X.] von 60 seit dem [X.] fest. Die Erstattung der dem Kläger im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen lehnte er jedoch ab, weil der angefochtene Bescheid vom [X.] bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen sei.

4

Gegen die Ablehnung der Kostenerstattung erhob der Kläger Widerspruch. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.9.2017 zurück. Der Kläger habe im Widerspruchsverfahren keine neuen Beweismittel zu den im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Gesundheitsstörungen eingereicht. Nur die im Widerspruchsverfahren mit dem Befundbericht des J W vom [X.] erstmals mitgeteilten Gesundheits- und Funktionseinschränkungen hätten zu der Erhöhung des [X.] auf 60 geführt.

5

Das [X.] hat mit Urteil vom [X.] den Beklagten verurteilt, dem Kläger die notwendigen Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren zu erstatten. Die zugelassene Berufung hat das L[X.] mit Urteil vom 28.6.2019 zurückgewiesen. Der Widerspruch des [X.] sei erfolgreich gewesen, weil der Beklagte den [X.] ab [X.] auf 60 erhöht habe. Der Widerspruch sei auch kausal für den [X.]. Ausreichend hierfür sei, dass der Abhilfe eine vom Ausgangsbescheid abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage zugrunde liege. Der kausalen Verknüpfung zwischen Widerspruch und [X.] stehe das Verhalten des [X.] im Verwaltungsverfahren nicht entgegen. Er habe seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Der zum Erfolg führende Arztbericht des J W vom [X.] beruhe auf Untersuchungen von diesem Tag und habe daher nicht vor Erlass des [X.] vorgelegt werden können. Unerheblich sei, dass die angefochtene Sachentscheidung des Beklagten vom [X.] zum Zeitpunkt ihres [X.] rechtmäßig gewesen sei.

6

Mit seiner vom L[X.] zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 63 Abs 1 Satz 1 [X.]B X. Nachträglich (nach Erlass des [X.]) eingetretene Änderungen in den gesundheitlichen Verhältnissen ließen die für eine Kostenerstattungspflicht notwendige Kausalität zwischen Widerspruch und [X.] entfallen. Zum Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs seien den GdB erhöhende Umstände nicht erkennbar gewesen. Der Erfolg sei nicht das Ergebnis einer Korrektur des Bescheids wegen vorangegangener fehlerhafter Beurteilung der Sach- und Rechtslage, sondern basiere auf der zufälligen und in seinem Ausmaß nicht absehbaren Verschlechterung des Gesundheitszustands des [X.] während des Widerspruchsverfahrens. Das Kostenrisiko solcher Veränderungen könne dem Beklagten nicht aufgebürdet werden. Zudem sei der Kläger nicht gezwungen gewesen, "vorsorglich" Widerspruch einzulegen, um eine Anpassung des GdB an die geänderten gesundheitlichen Verhältnisse zu erreichen. Vielmehr hätte er den mit dem [X.] erreichten [X.] auch in einem "regulären" Neufeststellungsverfahren erzielen können. Unter [X.] könne damit die Einlegung des Widerspruchs hinweggedacht werden, ohne dass dem Kläger aus einem entsprechenden Neufeststellungsantrag nach § 48 [X.]B X Nachteile erwachsen wären.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 28. Juni 2019 und des [X.] vom 25. Juli 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er verteidigt die angefochtenen Urteile der Vorinstanzen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]).

1. Von Amts wegen zu beachtende [X.] liegen nicht vor. Die Revision und die Berufung sind jeweils vom [X.] zugelassen worden und damit statthaft. Sie sind auch nicht nach § 144 Abs 4 iVm § 165 Satz 1 [X.] ausgeschlossen, weil in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens gestritten wird (vgl stRspr, [X.] Urteil vom 12.12.2019 - [X.] [X.]/18 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 9; [X.] vom 2.5.2012 - B 11 [X.] 23/10 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]4; [X.] vom [X.] - B 11 [X.] 24/08 R - [X.]E 106, 21 = [X.] 4-1300 § 63 [X.], Rd[X.]1).

2. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass der [X.] dem Kläger die für den Widerspruch vom [X.] entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat. Denn der Widerspruch gegen den Bescheid des [X.] vom [X.] war erfolgreich und hat die Abhilfeentscheidung des [X.] vom [X.] verursacht.

Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Kostenerstattung ist § 63 Abs 1 Satz 1 [X.]. Nach dieser Vorschrift hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Dies war bei dem Widerspruch des [X.] vom [X.] der Fall. Der Widerspruch war erfolgreich, weil das auf seinen Widerspruch hin folgende Verfahren zu einer abhelfenden Entscheidung des [X.] geführt hat (dazu unter a). Der Widerspruch, mit dessen Begründung der Kläger den maßgeblich zum Erfolg führenden neuen medizinischen Sachverhalt (Befunde vom [X.]) vorgetragen und belegt hat, ist auch kausal für die vom [X.] vorgenommene höhere Bewertung des [X.] ab dem [X.] (dazu unter b). Dass der [X.] in dieser Fallkonstellation das Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustands des [X.] während des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat, ist im Rahmen der nach § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] zu treffenden Kostenentscheidung zumutbar. Insbesondere wird er nicht in unbilliger Weise trotz rechtmäßigen Verhaltens im Verwaltungsverfahren mit Kosten belastet. Dem kostenrechtlichen Risiko einer Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse des [X.] im Widerspruchsverfahren kann die Verwaltung ausgehend vom Umfang des Obsiegens des [X.] durch den Erlass eines Teilabhilfebescheids mit abschließender Kostenquotelung im Widerspruchsbescheid begegnen (dazu unter c).

a) Ein Widerspruch hat immer dann Erfolg iS des Gesetzes, wenn und soweit ihm die Behörde stattgibt (stRspr, [X.] Urteil vom 2.5.2012 - B 11 [X.] 23/10 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]8; [X.] vom 17.10.2006 - [X.] RJ 66/04 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]4; [X.] vom [X.] - [X.] 3-1300 § 63 [X.] = juris Rd[X.]8, jeweils mwN). Der Erfolg eines Widerspruchs bemisst sich nicht danach, ob der Argumentation des [X.] gefolgt wurde. Auch kommt es nicht darauf an, aus welchen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen der Widerspruch erfolgreich ist. Vielmehr ist hier eine rein formale Betrachtungsweise geboten (vgl [X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 21). Deshalb ist der Erfolg eines eingelegten Widerspruchs allein am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 78 ff [X.] zu messen (vgl BVerwG Urteil vom 18.4.1996 - 4 C 6/95 - juris Rd[X.]4 f zu den Parallelbestimmungen der §§ 68 ff VwGO). Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit der Widerspruch erfolgreich oder erfolglos war, ist ein Vergleich des mit dem Widerspruch Begehrten und des Inhalts der das Vorverfahren abschließenden Sachentscheidung (vgl [X.] vom [X.], aaO mwN). Denn diese Frage soll im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] nicht mit "schwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen" belastet werden (vgl [X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 21; vgl ebenso BVerwG Urteil vom [X.] - 8 C 16/90 - juris Rd[X.]5 zur [X.] des § 80 Abs 1 Satz 1 [X.] mit Hinweis auf die Begründung zu § 67 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 21.9.1970 zum [X.], [X.]/1173, S 75).

Ausgehend von diesen Maßstäben liegt ein Erfolg des vom Kläger erhobenen Widerspruchs iS des § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] bereits deshalb vor, weil der [X.] die im Bescheid vom [X.] getroffene Entscheidung, dem Kläger ab dem [X.] einen [X.] von 40 zuzuerkennen, durch den späteren, einen [X.] von 60 ab dem [X.] feststellenden Bescheid vom [X.] abgeändert und damit dem Widerspruch nach § 85 Abs 1 [X.] abgeholfen hat.

b) Allerdings ist es nach der stRspr des [X.] nicht ausreichend, dass allein zeitlich nach Einlegung des Widerspruchs eine dem Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung der Behörde ergeht ([X.] vom 19.10.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]4; [X.] vom 13.10.2010 - [X.] KA 29/09 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]). Vielmehr ist zwischen Widerspruch und [X.] auch eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne erforderlich (vgl [X.] Urteil vom 2.5.2012 - B 11 [X.] 23/10 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 21; [X.] vom 19.10.2011, aaO; [X.] vom 13.10.2010, aaO; [X.] vom 17.10.2006 - [X.] RJ 66/04 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]5; [X.] vom 25.3.2004 - [X.] KR 1/03 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 9 = juris Rd[X.]; [X.] vom 18.12.2001 - [X.] KR 42/00 R - juris Rd[X.]; [X.] vom [X.] - [X.] 3-1300 § 63 [X.] f = juris Rd[X.]8 f). Diese ist nach dem vom [X.] für den Senat bindend festgestellten Sachverhalt (vgl § 163 [X.]) ebenfalls zu bejahen.

Die Vorlage des vom Kläger selbst beschafften Berichts des J W vom [X.] im Widerspruchsverfahren war ursächlich für die Abhilfe des Widerspruchs. Denn der Ärztliche Dienst des [X.] ist aufgrund dieses Berichts und der dort erstmals beschriebenen Gesundheitsstörungen zu einer höheren Einschätzung der Teilhabebeeinträchtigung des [X.] gelangt. Dies wiederum hat den [X.] nach § 69 Abs 1 und 3 [X.] (in der hier noch maßgeblichen bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung ) zu einer höheren Bewertung des [X.] ab dem [X.] sowie zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft iS des § 2 Abs 2 [X.] und damit zur Abhilfe des Widerspruchs nach § 85 Abs 1 [X.] veranlasst (vgl Senatsurteil vom [X.] - [X.]/9a S[X.]/07 R - [X.] 4-1935 VV [X.]002 [X.] Rd[X.]).

Soweit der [X.] meint, dass nach Erlass des [X.] eingetretene Änderungen im Gesundheitszustand des [X.] die Kausalität zwischen Widerspruch und [X.] entfallen ließen, folgt ihm der Senat nicht (dazu unter aa). Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Verhalten des [X.] im Verwaltungsverfahren. Denn er hat seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Den zur Abhilfeentscheidung des [X.] führenden ärztlichen Befundbericht konnte er nicht bereits im Verwaltungsverfahren vorlegen (dazu unter bb). Dass ein Berechtigter bei einer Änderung seiner gesundheitlichen Verhältnisse die Möglichkeit hat, kostenfrei einen Antrag auf Neufeststellung eines höheren [X.] zu stellen, steht der Erstattung von Kosten eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens auch unter Kausalitätsgesichtspunkten nicht entgegen (dazu unter cc).

aa) Die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zugunsten des [X.] nach Erlass des Bescheids vom [X.] lässt die Ursächlichkeit seines Widerspruchs vom [X.] für den erfolgreichen Ausgang des Widerspruchsverfahrens nicht entfallen.

Das [X.] (Urteil vom 13.10.2010 - [X.] KA 29/09 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]8 f) hat bereits entschieden, dass wenn und soweit der Widerspruchsführer im Widerspruchsverfahren von einer Rechtsänderung zu seinen Gunsten profitiert, neben dieser Änderung auch der Widerspruch ursächlich für den Erfolg iS des § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] ist. Denn durch seinen Widerspruch hat der Widerspruchsführer die Bestandskraft der ablehnenden Verwaltungsentscheidung (vgl § 77 [X.]) verhindert, die allein durch die Rechtsänderung nicht entfallen wäre. Damit hat er eine Ursache im Rechtssinne für die stattgebende Entscheidung gesetzt (ebenso [X.], [X.] 2013, 326, 330).

Nichts anderes kann für die wertungsmäßig vergleichbare Situation gelten, in der wie im Fall des [X.] während des Widerspruchsverfahrens eine entscheidungserhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (hier: eine nicht nur vorübergehende Verschlechterung des Gesundheitszustands) zu einer für den Widerspruchsführer positiven (rechtlichen) Beurteilung (hier: Festsetzung eines höheren [X.] und Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch <§ 2 Abs 2 [X.]> nach § 69 Abs 1 und 3 [X.] aF) und damit zu einem für ihn günstigen Verfahrensausgang führt (vgl allgemein zur Bemessung des GdB: Senatsurteil vom 17.4.2013 - [X.] [X.] 3/12 R - juris RdNr 29 f; Senatsbeschluss vom 15.5.2017 - [X.] [X.] 8/17 B - juris RdNr 7 f; Senatsbeschluss vom 20.11.2012 - [X.] [X.] 36/12 B - juris Rd[X.] f, Senatsbeschluss vom 9.12.2010 - [X.] [X.] 35/10 B - juris Rd[X.] f, jeweils mwN). Auch dann bleibt die Einlegung des Widerspruchs ursächlich für seinen Erfolg, weil sie die Entscheidung zugunsten des [X.] offengehalten und damit die Berücksichtigung der geänderten tatsächlichen Verhältnisse im Widerspruchsverfahren überhaupt erst ermöglicht hat.

bb) Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass der Kläger den die Verschlechterung seines Gesundheitszustands erstmals dokumentierenden Bericht des J W vom [X.] erst im Widerspruchsverfahren vorgelegt hat. Zwar besteht nach der Rechtsprechung des [X.] keine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne zwischen Widerspruch und [X.], wenn dem Widerspruch allein deswegen von der Behörde stattgegeben wird, weil der Widerspruchsführer während des Widerspruchsverfahrens eine Handlung nachholt, die er im Verwaltungsverfahren bis zur Erteilung des angefochtenen Bescheids pflichtwidrig unterlassen hat und die Stattgabe somit ausschließlich auf der nachgeholten Handlung des [X.] beruht (vgl [X.] Urteil vom 2.5.2012 - B 11 [X.] 23/10 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 22; [X.] vom 13.10.2010 - [X.] KA 29/09 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]; [X.] vom 25.3.2004 - [X.] KR 1/03 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]0 = juris Rd[X.]; [X.] vom [X.] - [X.] 3-1300 § 63 [X.] = juris Rd[X.]). Die "abhelfende" Entscheidung der Behörde ist dann im Rechtssinne nicht dem Widerspruch, sondern der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten zuzurechnen (vgl [X.] vom [X.], aaO).

Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor. Denn der Kläger hat in der [X.] bis zum Erlass des angefochtenen Bescheids vom [X.] keine ihm nach § 60 Abs 1 Satz 1 SGB I obliegende Mitwirkungshandlung unterlassen. Der von ihm im Widerspruchsverfahren eingereichte und letztlich zur Abhilfeentscheidung des [X.] führende Bericht des J W vom [X.] beruht auf Untersuchungen von diesem Tag. Er konnte daher vom Kläger erst nach Erlass des Bescheids vom [X.] vorgelegt werden.

cc) Soweit der [X.] die Kausalität des Widerspruchs für den Erfolg verneint, weil der Kläger das mit dem [X.] vom [X.] erreichte Ergebnis hinsichtlich der Höhe des [X.] und des [X.]punkts der Feststellung auch in einem "regulären" Neufeststellungsverfahren nach § 69 [X.] aF (seit 1.1.2018: § 152 [X.]) iVm § 48 Abs 1 [X.] hätte erzielen können, folgt der Senat dieser Argumentation nicht. Zum einen ändert ein gedachter alternativer Kausalverlauf nichts an der tatsächlichen Verursachung des [X.]s durch den Widerspruch des [X.]. Zum anderen ist der Widerspruch der dem Widerspruchsführer kraft Gesetzes nach §§ 83, 84 [X.] zustehende Rechtsbehelf gegen einen aus seiner Sicht hinsichtlich der Höhe des [X.] und/oder des [X.]punkts seiner Feststellung belastenden Verwaltungsakt. Darauf wird er in der Rechtsbehelfsbelehrung auch hingewiesen. Unerheblich ist dabei, ob dieser Bescheid in einem Erstantragsverfahren oder - wie hier - bereits in einem Neufeststellungsverfahren ergangen ist. Solange über den Widerspruch von der [X.] nicht entschieden ist, erwächst der angefochtene Bescheid nicht in Bestandskraft (vgl § 77 [X.]). Wird der Widerspruch für begründet erachtet, so ist ihm entsprechend abzuhelfen (§ 85 Abs 1 [X.]), ansonsten hat ein Widerspruchsbescheid zu ergehen (§ 85 Abs 2 Satz 1 [X.]).

Dass ein Berechtigter bei einer Änderung seiner gesundheitlichen Verhältnisse auch die Möglichkeit hat, kostenfrei einen Antrag auf Neufeststellung eines höheren [X.] zu stellen, steht der Erstattung von Kosten in einem Widerspruchsverfahren nicht entgegen, wenn es zu einer für den Widerspruchsführer günstigen Abhilfeentscheidung kommt, weil sich sein Gesundheitszustand während des Widerspruchsverfahrens verschlechtert hat. Die Ursächlichkeit eines Widerspruchs für den [X.] entfällt nicht durch die bloße Möglichkeit eines erfolgreichen Neufeststellungsverfahrens bei Verschlechterung des Gesundheitszustands. Denn beide Verfahren sind eigenständig: das mit der Erhebung des Widerspruchs in Gang gesetzte Widerspruchsverfahren als Vorverfahren nach §§ 78 ff [X.] einerseits und das mit einem Neufeststellungsantrag eingeleitete Neufeststellungsverfahren nach § 69 [X.] (seit 1.1.2018: § 152 [X.]) iVm § 48 Abs 1 [X.] als Verwaltungsverfahren nach §§ 8 ff [X.] andererseits. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich funktions- und bereichsspezifisch.

Erst gar keinen Widerspruch einzulegen, kann einem beschwerten Berechtigten nicht angeraten werden. Denn ohne ihn kann er die Bestandskraft einer aus seiner Sicht nachteiligen Verwaltungsentscheidung nicht verhindern. Nur sein Widerspruch bewahrt ihn in dieser Konstellation zuverlässig davor, dass ihm später die Bindungswirkung eines Bescheids entgegengehalten wird. Zudem darf einem Widerspruchsführer (auch kostenrechtlich) nicht zum Nachteil gereichen, dass er zur Wahrung seiner Rechte von einem ihm kraft Gesetzes zustehenden Rechtsbehelf Gebrauch gemacht hat. Insbesondere kann er nicht darauf verwiesen werden, dass er sein Begehren nach Eintritt der Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse ebenso mit einen Neufeststellungsantrag hätte durchsetzen können. Vielmehr ist das Risiko einer Änderung sowohl der Rechtslage als auch der Sachlage im Laufe des Widerspruchsverfahrens regelmäßig dem Verwaltungsträger zuzurechnen ([X.] Sachsen-Anhalt Beschluss vom [X.] [X.] - juris RdNr 22; vgl [X.] vom 13.10.2010 - [X.] KA 29/09 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 23 für eine Änderung der Rechtslage einschließlich einer Änderung der Rechtsprechung).

c) Schließlich greift der Einwand des [X.] nicht, dass der [X.] mit der grundsätzlichen Kostenerstattungspflicht in diesen Fällen das Risiko einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des [X.] während des Widerspruchsverfahrens zu Unrecht aufgebürdet werde, obwohl sie dessen gesundheitliche Situation und Entwicklung weder beeinflussen noch vorhersehen könne. Denn zum einen ist auch für den Widerspruchsführer die Entwicklung seiner gesundheitlichen Verhältnisse regelmäßig nicht vorhersehbar. Vielmehr sind die von dem [X.] beschriebenen gesundheitlichen Unabwägbarkeiten gerade typisch für medizinisch geprägte Sachverhalte. Zum anderen sieht § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] für den Verwaltungsträger kein Ermessen, sondern eine gebundene Entscheidung über die Kostentragung bei einem erfolgreichen Widerspruch vor (Feddern in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.], 2. Aufl 2017, § 63 RdNr 7, 7.1 und 34, Stand der Einzelkommentierung: August 2020; [X.] in [X.] Komm, § 63 [X.] RdNr 2a, Stand der Einzelkommentierung: September 2019). Dies ergibt sich bereits klar aus dem Wortlaut der Norm ("… hat der Rechtsträger … zu erstatten."). Die Kostenlast nach dieser Vorschrift trifft die Verwaltung im Erfolgsfall also zwingend und nicht aufgrund einer Ermessensentscheidung wie nach § 193 Abs 1 [X.] ([X.] vom 8.10.1987 - 9a RVs 10/87 - juris Rd[X.]; [X.], [X.] 2020, 265, 269). Die Kosten des Widerspruchsverfahrens sind von der Behörde daher grundsätzlich auch dann zu tragen, wenn der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid bei seinem Erlass noch rechtmäßig war und sie einer während des Widerspruchsverfahrens eingetretenen Änderung der Sach- und/oder Rechtslage durch eine Abhilfeentscheidung sofort Rechnung getragen hat (anders im sozialgerichtlichen Verfahren, wenn der Verwaltungsträger einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des [X.] unverzüglich nach Kenntnis Rechnung trägt und zB anerkennt § 93 ZPO> s hierzu [X.], [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 193 Rd[X.]c mwN).

Dem kostenrechtlichen Risiko einer Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse im Widerspruchsverfahren kann die Verwaltung ausgehend vom Umfang des Erfolgs des [X.] durch den Erlass eines Teilabhilfebescheids mit einer abschließenden Kostenquotelung im Widerspruchsbescheid begegnen. Denn nach § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] findet die Kostenerstattung nur statt, "soweit" der Widerspruch erfolgreich ist. Dementsprechend kommt bei einem nur teilweise begründeten (erfolgreichen) Widerspruch und einer entsprechenden [X.] auch der Ausspruch einer teilweisen Aufwendungserstattung mit Bildung einer Kostenquote in dem das Widerspruchsverfahren abschließenden Widerspruchsbescheid durch den Verwaltungsträger in Betracht (vgl [X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] Rd[X.]4 - 19 mwN). Die zu bildende Kostenquote richtet sich dann nach dem Verhältnis des erreichten Erfolgs zum angestrebten Erfolg oder, anders formuliert, dem Verhältnis des Erfolgs zum Misserfolg (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.]: April 2020, § 63 RdNr 34). Ein Widerspruch ist damit nur in dem Umfang erfolgreich, in dem ihm (abgeholfen oder) stattgegeben worden ist. Erfolglos geblieben ist er, soweit er förmlich zurückgewiesen worden ist oder soweit der Widerspruchsführer mit seinem sachlichen Begehren nicht durchgedrungen ist ([X.] vom [X.], aaO Rd[X.]).

Ausgehend von dem Widerspruchsbegehren des [X.], einen höheren [X.] als 40 und damit die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zu erreichen, und insbesondere dem von ihm zur Begründung vorgelegten Befundbericht des J W vom [X.] ist der [X.] allerdings nicht von einem Teilerfolg des Widerspruchs des [X.] vom [X.] (mit der Möglichkeit einer Kostenquotelung) ausgegangen, sondern von einem vollen Obsiegen. Denn bei dem Bescheid vom [X.] handelt es sich nicht um einen sog Teilabhilfebescheid, sondern - so auch die ausdrücklich gewählte Bezeichnung des [X.] - um einen das Widerspruchsverfahren abschließenden (förmlichen) "[X.] nach § 85 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ([X.])" (vgl in diesem Kontext zur Auslegung eines unbestimmten Widerspruchs: [X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 24; [X.]/[X.] in Schütze, [X.], 9. Aufl 2020, § 63 RdNr 21; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.]: April 2020, § 63 RdNr 36). Ansonsten hätte der [X.] über den aus seiner Sicht noch verbliebenen offenen Teil des Widerspruchs des [X.] nach § 85 Abs 2 [X.] einen Widerspruchsbescheid erlassen müssen, in dem der Widerspruch hinsichtlich des restlichen Streitgegenstands zurückgewiesen worden wäre (vgl Sächsisches [X.] Beschluss vom [X.] AS 1030/11 B PKH - juris RdNr 21 mwN). Dies ist jedoch nicht erfolgt und vom Kläger im Widerspruchsverfahren auch nicht gerügt worden. Im Übrigen ist bei einem unbestimmten Widerspruch nicht automatisch auch der höchstmögliche Umfang (hier also ein [X.] von 100 ab [X.]) gemeint (vgl [X.]/[X.] in Schütze, [X.], 9. Aufl 2020, § 63 RdNr 23).

Dafür, dass der [X.] einen das Widerspruchsverfahren abschließenden (förmlichen) [X.] nach § 85 Abs 1 [X.] erlassen hat und von einem vollen Erfolg des Widerspruchs des [X.] ausgegangen ist, spricht schließlich auch, dass der Bescheid eine Kostenentscheidung beinhaltet (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.]: April 2020, § 63 Rd[X.]). Hätte nämlich der [X.] nur einen Teilabhilfebescheid erlassen wollen, hätte dieser keine Entscheidung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens enthalten dürfen; die Kostenentscheidung kann in einem solchen Fall (sachgerecht) erst im Widerspruchsbescheid getroffen werden, weil erst dieser das Widerspruchsverfahren endgültig abschließt und sich erst dann überblicken lässt, wer und in welchem Umfang im Endergebnis obsiegt hat (vgl BVerwG Urteil vom 15.2.1991 - 8 C 83/88 - juris Rd[X.]; Feddern in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.], 2. Aufl 2017, § 63 RdNr 22, Stand der Einzelkommentierung: August 2020; [X.] in [X.], [X.], [X.]: Juli 2020, § 85 Rd[X.]; Claus in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.], 1. Aufl 2017, § 85 Rd[X.], Stand der Einzelkommentierung: Juli 2017). Dementsprechend wird bei einer Teilabhilfe der Teilabhilfebescheid nach § 86 [X.] Gegenstand des den Ausgangsbescheid betreffenden und bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheids anhängigen Widerspruchsverfahrens (vgl Sächsisches [X.] Beschluss vom [X.] AS 1030/11 B PKH - juris RdNr 22). Dies ist vorliegend aber nicht geschehen.

d) Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen war die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren auch notwendig (vgl § 63 Abs 2 iVm Abs 3 Satz 2 [X.]). Dies steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit.

3. [X.] beruht auf § 193 [X.].

Meta

B 9 SB 4/19 R

24.09.2020

Bundessozialgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Heilbronn, 25. Juli 2018, Az: S 6 SB 3301/17, Urteil

§ 63 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9 vom 23.12.2016, § 85 Abs 1 SGG, § 86 SGG, § 144 Abs 4 SGG, § 165 S 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.09.2020, Az. B 9 SB 4/19 R (REWIS RS 2020, 2353)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2353

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