Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2023, Az. AK 1/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 734

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Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Der Angeschuldigte wurde am 13. Juni 2022 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 1. Juni 2022 (2 [X.] 324/22) festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl warf dem Angeschuldigten vor, er habe eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, die bestimmt und geeignet sei, die Sicherheit des Staates zu beeinträchtigen, indem er am 14. September 2020 aus der [X.] in die [X.] ausgereist sei, um sich in [X.] der ausländischen terroristischen [X.]“ (im Folgenden: [X.]) anzuschließen und nach militärischen Unterweisungen im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen sowie Spreng- oder Brandvorrichtungen an Kampfhandlungen oder terroristischen Anschlägen teilzunehmen; außerdem habe er sich seit spätestens April 2021 von [X.] aus als Mitglied am [X.] und damit an einer [X.] im Ausland beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 [X.]), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 [X.]) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 [X.]) zu begehen, indem er [X.] Übersetzungen von arabischsprachigen [X.]-Texten anfertigte und verbreitete.

2

Im [X.] an die Inhaftierung des Angeschuldigten sind den Ermittlungsbehörden eine zweite Ausreise zum Zweck der Eingliederung in den [X.] als Kämpfer und weitere, intensivere Tätigkeiten für den [X.] bekannt geworden. Daraufhin hat der Ermittlungsrichter des [X.] den vorgenannten Haftbefehl am 10. November 2022 aufgehoben und durch einen neuen ersetzt (2 [X.] 658/22). Gegenstand des neuen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe durch zwei rechtlich selbständige Handlungen eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er nicht nur am 14. September 2020 in die [X.], sondern auch am 4. Juli 2021 aus der [X.] nach [X.] ausgereist sei, um sich dem [X.] anzuschließen und nach militärischen Unterweisungen an Kampfhandlungen oder terroristischen Anschlägen teilzunehmen; er habe sich außerdem - allerdings erst ab dem 20. März 2022 und nicht bereits ab April 2021 - als Mitglied am [X.] beteiligt, strafbar gemäß § 89a Abs. 2a in Verbindung mit § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 53 StGB.

3

Der [X.] hat wegen der vorstehenden Taten unter dem 26. Januar 2023 Anklage zum [X.] erhoben. Hinsichtlich des Vorwurfs, der Angeschuldigte habe bereits vor dem 20. März 2022 propagandistische Aktivitäten für den [X.] entfaltet, hat er nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. Gegenstand der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO ist der zweite, derzeit vollzogene Haftbefehl. Dieser enthält - wie aufgezeigt - zumindest einen Tatvorwurf, dessen tatsächliches Geschehen erst nach der Inhaftierung bekannt geworden ist und der für sich genommen ebenfalls den Erlass eines Haftbefehls trüge. In einem solchen Fall ist der ursprüngliche Haftbefehl spätestens an dem auf die [X.] folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschlüsse vom 6. April 2017 - AK 14/17, juris Rn. 7 mwN; vom 25. Juli 2019 - AK 34/19, [X.], 626 Rn. 8, 39 mwN). Das wäre hier der 9. August 2022 gewesen, der damit für den Beginn der neuen Sechsmonatsfrist maßgeblich ist. Die Haftprüfung ist deshalb erst jetzt veranlasst. Hinsichtlich der weiteren diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Zuschrift des [X.]s an den Ermittlungsrichter des [X.] vom 2. Dezember 2022 ([X.], Abschnitt Haftprüfung) Bezug genommen.

6

2. Der Angeschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

7

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

8

aa) Die [X.]“ ([X.]) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historische [X.] „ash-Sham“ - die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu das Regime des [X.] Präsidenten [X.] und die schiitisch dominierte Regierung im [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der [X.] als legitimes Mittel des Kampfes an.

9

Die Führung der [X.], die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 aus „[X.] im [X.] und in Großsyrien“ ([X.]IG) in „[X.]“ ([X.]) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 [X.] inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des [X.] [X.] zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Kurz nach dem Tod [X.]s berief die [X.] zu dessen Nachfolger.

Dem Anführer des [X.] unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „[X.]“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „[X.]“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der [X.] besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „[X.] - [X.] - [X.]“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem [X.] Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „[X.]“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die [X.] teilte von ihr besetzte Gebiete in [X.] ein und richtete einen [X.] ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der [X.] und [X.] Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum [X.] stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des [X.] in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom [X.] zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in [X.], etwa in [X.], [X.] und [X.], die Verantwortung.

[X.] gelang es dem [X.], große Teile der Staatsterritorien von [X.] und dem [X.] zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete [X.] und des [X.]. Ab dem [X.] geriet die [X.] militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nord[X.] Hochburg in [X.] verdrängt. Im März 2019 galt der [X.] - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ost[X.] [X.] - sowohl im [X.] als auch in [X.] als militärisch besiegt, ohne dass aber die [X.] als solche zerschlagen wäre.

bb) Der Angeschuldigte, den das [X.] bereits 2009 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der ausländischen terroristischen [X.] al-Qaida zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilte, ist Anhänger radikal-islamistischen und militant-jihadistischen Gedankenguts. Nach seiner Haftentlassung im [X.] wandte er sich dem [X.] zu, mit dessen Ideologie, Zielen und Methoden er sich identifizierte. Er wollte sich nunmehr dieser Organisation anschließen und nach Erhalt militärischer Unterweisungen an Kampfhandlungen oder terroristischen Anschlägen mitwirken.

Zu diesem Zweck reiste der Angeschuldigte zunächst am 14. September 2020 aus der [X.] aus. Er flog von [X.] nach [X.] und begab sich weiter in das türkisch-syrische Grenzgebiet, um von dort aus zu den im [X.] Untergrund operierenden [X.]-Verbänden zu gelangen. Sein Vorhaben scheiterte unter anderem daran, dass man ihn nicht für vertrauenswürdig hielt. Am 28. Oktober 2020 kehrte er deshalb nach [X.] zurück.

Am 4. Juli 2021 reiste er in Umsetzung seines fortbestehenden Entschlusses nach [X.], um sich in dort operierende Einheiten der Organisation als Kämpfer einzugliedern und nach entsprechender Ausbildung Anschläge zu begehen. Vor Ort gelang es ihm jedoch nicht, [X.] an die örtlichen Strukturen des [X.] zu bekommen. Deshalb unterzog er sich einer telefonischen Zuverlässigkeitsprüfung durch syrische [X.]-Verantwortliche und erlangte so eine Einreiseberechtigung in das Kerngebiet der [X.] in [X.]. Seine Reise dorthin von [X.] über die [X.] scheiterte allerdings abermals, weil ihm die [X.] Behörden am 21. Januar 2022 in [X.] die Einreise verweigerten.

Anschließend wohnte der Angeschuldigte einen Monat lang bei dem gesondert Verfolgten B.    in [X.]     /Schweiz. Im Zusammenwirken mit diesem und weiteren Personen übersetzte er arabischsprachige Texte, [X.] und Audiobotschaften offizieller [X.]-Medienstellen sowie andere organisationsbezogene Dokumente ins [X.] und verbreitete sie im [X.]. Anfang März 2022 richtete er von [X.] aus einen eigenen, öffentlichen [X.] ein und bestückte auch diesen mit [X.]-Propaganda. Am 20. März 2022 verpflichtete er sich gegenüber einem höherrangigen [X.]-Mitglied auf Dauer zur Übersetzung von [X.]-Propagandaprodukten aus dem [X.] in die [X.] Sprache nach den Vorgaben der [X.], damit diese anschließend auf Kanälen der Organisation veröffentlicht werden konnten. Diese Tätigkeit übte er im Folgenden aus, wobei er von dem ihm übergeordneten [X.]-Mitglied A.     konkrete Weisungen und technische Anleitung erhielt. Bis zum 11. April 2022 übersetzte er mit Unterstützung von B.    und anderen über 140 [X.]-Dokumente, darunter Berichte zu [X.]. Seine Übersetzungen leitete er weisungsgemäß an A.     weiter, der sie zeitnah ins [X.] stellte, vornehmlich auf die öffentlich einsehbare [X.]-Plattform der [X.]. Dadurch sollten neue Mitglieder und Unterstützer für die [X.] gewonnen werden. Nachdem es zwischen dem Angeschuldigten und der Gruppe um B.    zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war und die Verantwortlichen des [X.] ihm am 12. April 2022 die Veröffentlichung seiner Texte vorläufig untersagt hatten, übersetzte er bis zu seiner Festnahme weiterhin aktuelle [X.]-Dokumente, um diese nach Beilegung des Streits zu publizieren, gab einem Mitstreiter Ratschläge und leitete organisationsbezogene Nachrichten weiter.

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen [X.] [X.] beruht auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie verschiedenen Behördenerklärungen der Geheimdienste und polizeilichen Auswerteberichten. Hierzu liegen Sonderbände vor. Die Vorverurteilung des Angeschuldigten folgt aus dem rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz.

Die Erkenntnisse zu den Tatvorwürfen, zu denen sich der Angeschuldigte bisher nicht eingelassen hat, beruhen maßgeblich auf der Auswertung umfangreicher Chatkommunikation auf seinen sichergestellten Mobiltelefonen, der akustischen Überwachung des Wohnraums unter anderem von B.    durch die [X.] Behörden sowie gesicherten Flugreisedaten, Telegram-Inhalten und Publikationen auf der Webseite der [X.]. Wegen der Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweisergebnisse wird auf den vollzogenen Haftbefehl und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des [X.]s Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter Gliederungspunkt II. 2. a) geschilderte Sachverhalt im Haftbefehl zutreffend dahin gewürdigt, dass der Angeschuldigte der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a Abs. 2a in Verbindung mit § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB in zwei Fällen sowie der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) dringend verdächtig ist.

aa) Nach vorläufiger Bewertung der Beweislage war er bei seinen Ausreisen jeweils fest entschlossen, sich sowohl im Sinne des § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB unterweisen zu lassen als auch anschließend Gewalttaten nach § 89a Abs. 1 StGB zu begehen. Hierfür reicht es aus, wenn der Entschluss zur Tatbegehung als solcher - zum „Ob“ der Verwirklichung - gefasst ist. Die konkrete Art der Ausführung, Zeit und Ort sowie potentielle Opfer müssen noch nicht festgelegt sein (vgl. [X.], Urteil vom 8. Mai 2014 - 3 [X.], [X.]St 59, 218 Rn. 41, 45; Beschlüsse vom 6. April 2017 - 3 [X.], [X.]St 62, 102 Rn. 13; vom 22. August 2019 - StB 17/18, juris Rn. 34).

bb) Die ab dem 20. März 2022 erbrachten Tathandlungen erfüllten mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatbestandlichen Anforderungen an die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen [X.]. Seine einvernehmliche Eingliederung und damit seine Stellung innerhalb des [X.] manifestierte sich zunächst im Gewicht seiner Leistung für die Organisation. Sie ermöglichte es der [X.], mit den eigenen, zunächst nur auf [X.] verfassten Texten und Medienprodukten ein deutschsprachiges Publikum zu erreichen und dadurch neue Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen. Außerdem ging der Angeschuldigte - wenngleich von [X.] aus - seiner Arbeit im stetigen Austausch mit verschiedenen [X.]-Verantwortlichen nach, die ihn anleiteten und ihm besonderes Vertrauen entgegenbrachten. Denn es war ihnen mangels Deutschkenntnissen nicht möglich, Qualität und Inhalt seiner Arbeit zu überprüfen. Angesichts der Veröffentlichung seiner Übersetzungen auf offiziellen [X.]-Plattformen mussten sie sich auf den Angeschuldigten verlassen. Eine solche Vertrauensstellung wird üblicherweise nur Gefolgsleuten eingeräumt, die zum Kreis der Mitglieder der [X.] zählen. Hinzu kommt, dass die Leistung des Angeschuldigten beiderseits auf Dauer angelegt war und er sich durchweg der Autorität und den Anweisungen seiner [X.]-Kontaktpersonen unterwarf. Seine Arbeit stellte sich damit insgesamt hochwahrscheinlich als vereinigungstypische, besonders gewichtige Förderung des [X.] durch ein Mitglied der Organisation und nicht als Unterstützung durch einen Außenstehenden dar.

3. Der [X.] Angeschuldigte verübte seine Delikte in [X.]. Die Strafgerichtsbarkeit des [X.] folgt damit aus § 3 StGB, zugleich ergibt sich hieraus der nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erforderliche Inlandsbezug. Die Ermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Strafverfolgung liegt vor.

Die Zuständigkeit des [X.]s für die Verfolgung der Tat nach §§ 129a, 129b StGB folgt aus § 142a Abs. 1, § 120 Abs. 1 Nr. 6 [X.]. Die jeweiligen Vorbereitungen einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat stehen damit in einem engen Zusammenhang, so dass es im Ergebnis nicht darauf ankommt, ob sie eine besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 aE [X.] aufweisen (zum Maßstab [X.], Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 [X.], [X.]St 46, 238, 253 f.; Beschlüsse vom 24. November 2009 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 120 Abs. 2 Nr. 3a Sicherheit 4 aE; vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 40 f.).

4. Es bestehen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie derjenige der [X.] nach § 112 Abs. 3 StPO.

a) Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte, sollte er auf freien Fuß gelangen, dem Strafverfahren entziehen als dass er sich ihm stellen wird. Angesichts des Gewichts der ihm vorgeworfenen Taten und seiner einschlägigen Vorstrafe hat er mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, die einen hohen Fluchtanreiz auslöst. Persönliche oder berufliche Bindungen, die ihn von einer Flucht abhalten könnten, bestehen nicht. Vor seiner Inhaftierung lebte er von staatlichen Transferleistungen und allein, nachdem er im September 2020 seine Ehefrau ins Gesicht geschlagen sowie seiner Tochter die Nase gebrochen hatte und gegen ihn eine Gewaltschutzanordnung ergangen war. Nach den bisherigen Erkenntnissen verfolgt der Angeschuldigte noch immer das Ziel, sich als Kämpfer in das Kerngebiet des [X.] zu begeben. Er verfügt hochwahrscheinlich über vielfältige Verbindungen dorthin und nach [X.].

b) Die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. etwa [X.], Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) ebenso auf den dort geregelten (subsidiären) Haftgrund gestützt werden kann.

5. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

6. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die [X.]. Die Vorwürfe der Ausreise nach [X.] und der besonderen Einbindung in die Propagandaabteilung des [X.] ab dem 20. März 2022 haben sich erst im [X.] an die Festnahme des Angeschuldigten ergeben und im Folgenden weiterer Aufklärung bedurft. Insbesondere sind - nach Entschlüsselung - seine Mobiltelefone mit fast 60.000 meist arabischsprachigen Chatnachrichten und weitere Audiodateien aus der [X.] Wohnraumüberwachung auszuwerten gewesen. Der Aktenumfang beläuft sich derzeit auf 60 Stehordner. Die Anklage ist bereits erhoben.

7. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe derzeit nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer                      [X.]

Meta

AK 1/23

09.02.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2023, Az. AK 1/23 (REWIS RS 2023, 734)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 734

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