Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.11.2010, Az. VII ZB 111/09

7. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 1045

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Gegenstand

Forderungspfändung: Bestimmung des Pfändungsfreibetrages bei Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung


Leitsatz

Wird die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben, sind dem Schuldner für seinen notwendigen Unterhalt jedenfalls die Regelsätze nach § 28 SGB XII zu belassen. Eine Pfändung kleiner Teilbeträge hieraus kommt nicht in Betracht .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 16. Oktober 2009 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gegenstandswert: bis 600 €

Gründe

I.

1

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung. Die titulierte Forderung beruht auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners.

2

Der Schuldner bezieht die Regelleistungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem [X.], seit dem 1. Juli 2009 in Höhe von monatlich 359 €, sowie monatliche Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 345,82 €.

3

Die Gläubigerin hat beantragt, einen monatlichen Betrag von 30 € zu pfänden und ihr zur Einziehung zu überweisen. Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat diesen Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses weiter.

II.

4

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

5

1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, eine Herabsetzung des [X.] nach § 850f Abs. 2 ZPO unter den Regelsatz sei nicht möglich. Dem Schuldner sei auch nach § 850f Abs. 2 ZPO so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt benötige. Dieser entspreche dem notwendigen Lebensbedarf im Sinne des 3. und 11. Kapitels des [X.]. Er werde durch den Regelsatz nach § 28 [X.] und die Unterkunftskosten abgedeckt. Eine Herabsetzung des [X.] würde zu einer Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums führen und gegen das Sozialstaatsprinzip verstoßen.

6

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der dem Schuldner nach § 850f Abs. 2 ZPO zur Sicherung seines notwendigen Lebensunterhalts zu belassende Betrag umfasst den ungeschmälerten Regelsatz nach § 28 [X.]. Eine Pfändung von kleinen Teilbeträgen hieraus kommt nicht in Betracht.

7

a) Die Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem [X.] können nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

8

b) Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, kann er nach § 850f Abs. 2 Satz 1 ZPO in erweitertem Maße auf das Arbeitseinkommen des Schuldners zugreifen. Diesem ist jedoch soviel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf, § 850f Abs. 2 Satz 2 ZPO. Dieser Begriff des notwendigen Unterhalts entspricht dem des notwendigen Unterhalts in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ([X.]/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 850f Rn. 8, 10; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 850f Rn. 17; [X.], 3. Aufl., § 850f Rn. 25; Musielak/[X.], ZPO, 7. Aufl., § 850f Rn. 12; [X.]/Walker/Kessal-Wulf, ZPO, 4. Aufl., § 850f Rn. 14). Der Gesetzgeber wollte bei der Einfügung des Absatzes 2 in § 850f ZPO durch das Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung eine ähnliche Vorzugsstellung verschaffen, wie sie in § 850d ZPO für Unterhaltsansprüche bestimmt ist (Regierungsentwurf des Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 31. Mai 1958, BT-Drucks. 3/415, S. 11).

9

Für den Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der [X.] bereits entschieden, dass dieser grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des [X.] entspricht ([X.], Beschluss vom 12. Dezember 2007 - [X.], NJW-RR 2008, 733 Rn. 13; Urteil vom 23. Februar 2005 - [X.], [X.]Z 162, 234 Rn. 26). Dies gilt auch für den notwendigen Unterhalt im Sinne von § 850f Abs. 2 ZPO, wobei offen bleiben kann, inwieweit im Einzelfall auch auf die Bestimmungen des [X.] zurückgegriffen werden kann. Der ausgehend von §§ 28, 40 [X.]. der Verordnung zur Durchführung des § 28 [X.] durch die Länder festgesetzte Regelsatz für Empfänger von Leistungen nach dem [X.] entspricht dem des § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 [X.] i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des [X.] für die [X.] ab 1. Juli 2009 und beträgt seit dem 1. Juli 2009 359 €.

c) Dieser dem Schuldner zu belassende Betrag kann entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht mehr unterschritten werden.

aa) Allerdings wird in der Rechtsprechung vertreten, dass die Sätze der Sozialhilfe einen Betrag für kleinere Anschaffungen enthielten und dieser Betrag ohne Gefährdung des notwendigen Unterhaltes gepfändet werden könne. In den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sei auch ein pfändbarer Anteil enthalten, der für Ansparungen für notwendige Anschaffungen vorgesehen sei. ([X.], [X.] 2007, 495; [X.], [X.] 2007, 495 ohne weitergehende Begründung; [X.], [X.] 2009, 46, ohne weitergehende Begründung).

bb) Diese Ansicht ist nicht haltbar.

Bestandteil des notwendigen Unterhalts im Sinne der § 850f Abs. 2 ZPO bzw. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist ein Betrag in Höhe des Regelsatzes nach dem [X.] [X.] ([X.], [X.] 2007, 100; [X.]/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 850d Rn. 7; [X.]/Walker/Kessal-Wulf, ZPO, 4. Aufl., § 850d Rn. 7; [X.], 3. Aufl., § 850d Rn. 25; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 850d Rn. 21; Prütting/Gehrlein/[X.], 2. Aufl., § 850d Rn. 21; Musielak/[X.], ZPO, 7. Aufl., § 850d Rn. 5 f.; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 1094, 1176b, 1176d; a.A. noch [X.]/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 850d Rn. 7). Durch diese Vorschriften soll das Existenzminimum gesichert werden. Dieses ist im Zwangsvollstreckungsrecht grundsätzlich ebenso zu bestimmen wie im Sozialrecht. Die Regelleistung nach dem [X.], die der Höhe und der Herleitung nach dem Regelbedarf im [X.] entspricht, ist Bestandteil des untersten Netzes der [X.] Sicherung (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 1. Oktober 2003, BT-Drucks. 15/1636, S. 7 unter Verweis auf BT-Drucks. 15/1514, [X.]), in welches im Wege der Zwangsvollstreckung nicht eingegriffen werden kann.

(1) Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Dieses umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, denn der Mensch als Person existiert notwendig in [X.] Bezügen ([X.], NJW 2010, 505 Rn. 133 ff.).

Dieser Begriff des Existenzminimums muss grundsätzlich auch im Vollstreckungsverfahren gelten. [X.] ist die Auffassung der Beschwerdeführerin, der Schuldner verdiene den Schutz nicht, der ihm im Sozialstaat gewährt werde, weil er eine unerlaubte Handlung begangen habe. Diesem Umstand wird gerade durch die Regelung des § 850f ZPO Rechnung getragen.

(2) Zu Unrecht meint die Rechtsbeschwerde, die Leistungen nach dem [X.] und [X.] unterschieden sich, da erstere auch zur Wahrung des [X.] Status gezahlt würden. Die Regelleistung des § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 [X.] entspricht dem nach § 28 [X.] durch die Länder festgesetztem Regelbedarf. Im Gesetzgebungsverfahren wurde hierzu ausgeführt: "Die Regelleistung bildet also im Rahmen des Arbeitslosengeldes II das "soziokulturelle" Existenzminimum der insoweit als Referenzsystem für alle bedarfsorientierten und bedürftigkeitsabhängigen staatlichen Fürsorgeleistungen fungierenden Sozialhilfe ab … Die Vorschriften zur Regelleistung enthalten keine Regelungen zu ihrer Bemessung, da hierfür die Regelungen im [X.] einschließlich der Regelsatzverordnung einschlägig sind…" (BT-Drucks. 15/1516, S. 56; vgl. auch [X.], aaO Rn. 160).

(3) Fehl geht der Hinweis des [X.] ([X.] 2007, 495), im Regelsatz sei ein Ansparanteil enthalten, der pfändbar sei. Zutreffend daran ist, dass bei der Umstellung vom [X.] auf die Bücher Zwei und [X.] die Systematik der Bedarfe neu geordnet worden ist. Das [X.] ging von einer systematischen Unterteilung von laufenden Leistungen und einmaligen Leistungen für Bekleidung, Wäsche, Schuhe, Hausrat oder besondere Anlässe aus. Diese Bedarfe sind in die Regelsätze auf den Monat umgerechnet eingestellt worden, so dass der Hilfebedürftige für einmalige Bedarfe Rücklagen zu bilden hat (vgl. [X.] in: Grube/[X.], [X.] und [X.], § 28 [X.] Rn. 3; BT-Drucks. 15/1514, [X.]). Dieser Ansparanteil darf deshalb dem Pfändungszugriff nicht ausgesetzt sein. Zudem entspricht dies der Rechtslage im Zwangsvollstreckungsverfahren vor der Umstellung. Für die einmaligen Bedarfe des § 21 Abs. 1a [X.] wurden monatliche Pauschalen geschätzt (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 156, 30 Rn. 18).

(4) Ebenso unzutreffend ist die Annahme, ein bestimmter Betrag im Regelsatz sei für eine bestimmte Ausgabe reserviert. Richtig ist, dass der Regelsatz anhand erfasster Durchschnittswerte des untersten Quintils der nach dem Haushaltsnettoeinkommen geschichteten Haushalte bestimmt worden ist. Ausgehend von diesen Durchschnittsausgaben hat der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum genutzt und eine Wertung vorgenommen, welche dieser Ausgaben regelsatzrelevant sind. Diesbezüglich hat das [X.] festgestellt, dass das vom Gesetzgeber gewählte [X.] zur Bestimmung des Existenzminimums im Grundsatz geeignet sei, die zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen [X.] zu bemessen ([X.], NJW 2010, 505, Rn. 159 ff.).

Hieraus ist nicht der Schluss zu ziehen, die Empfänger von [X.] hätten den Regelsatz entsprechend der ermittelten Durchschnittswerte zu verwenden. Vielmehr sind sie frei, den als Teil des Existenzminimums festgestellten Betrag zur Deckung ihrer Bedarfe eigenverantwortlich zu verwenden (BT-Drucks. 15/1516, [X.], 55 f.). Es ist deshalb verfehlt, die durch den Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidungen im Einzelnen in Frage zu stellen und zu überprüfen, ob manche vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen den eigenen Wertungen entsprechen.

(5) Das Ergebnis deckt sich zudem mit der gesetzgeberischen Wertung, die in § 17 Abs. 1 Satz 2 [X.] zum Ausdruck kommt. Nach dieser Norm ist der Anspruch auf Sozialhilfe nicht pfändbar. Dies beruht darauf, dass die Sozialhilfeleistungen dazu dienen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern (Grube in: Grube/[X.], [X.] und [X.], § 17 [X.] Rn. 16). Im Gegensatz dazu ist der Anspruch auf [X.] grundsätzlich pfändbar, § 54 Abs. 4 SGB I. Soweit aber die Geldleistung nach dem [X.] - wie hier - der Höhe und der Herleitung nach der Geldleistung nach dem [X.] entspricht, ist diese Wertung des Gesetzgebers bei der Frage der Bestimmung des notwendigen Unterhalts nach § 850f Abs. 2 ZPO (bzw. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO) zu berücksichtigen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Kniffka                                    Kuffer                                Eick

                    Halfmeier                              [X.]

Meta

VII ZB 111/09

25.11.2010

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Dortmund, 16. Oktober 2009, Az: 9 T 546/09, Beschluss

§ 850d Abs 1 S 2 ZPO, § 850f Abs 2 ZPO, § 28 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.11.2010, Az. VII ZB 111/09 (REWIS RS 2010, 1045)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1045

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